Rechtsschule
  Rechtsschule [mazhab]

Aussprache: mazh-hab
arabisch:
مذهب
persisch:
مذهب
englisch: school of law

Rechtsschulen sind unterschiedliche Lehrauffassungen in der islamischen Rechtswissenschaft.

Nach dem Ableben von Prophet Muhammad (s.) gab es zunächst nur zwei Lehrmeinungen, die sich aber in Rechtsfragen kaum voneinander unterschieden. Auf der einen Seite standen die Schiiten, die in Imam Ali (a.) die authentische Rechtmeinung wieder fanden, welcher derjenigen des Prophet Muhammad (s.) entsprach. auf der anderen Seite standen ihre zahlreichen Gegner, die das jeweils aktuelle Kalifat unterstützten. Letztere Gruppe wand sich bei Rechtsfragen oft an die Erstere. Diese Aufteilung reichte bis zum Ableben von Imam Ali (a.). Anschließend entwickelten sich neben der Schia erste philosophische Schulen, wie die Mutazila die den Schwerpunkt auf der Erkenntnis auf den Verstand legten und daher "Leute des Verstandes" [ahl-ul-aql] genannt wurden. Weil derartiges Gedankengut dem unterdrückerischen Charakter der Herrschaft eins Gewaltherrschers wie Muawiya ibn Abu Sufyan genau so wenig passte, wie die Schia, bezeichnete er Letztere als Abtrünnige vom Islam und gegenüber Ersteren erfand er mit Hilfe von Hofgeistlichen die Bezeichnung "Leute des Vorbildes" [ahl-us-sunna], die allerdings zunächst nur einen philosophischen Charakter hatte.

In der Zeit, in der die Gewaltherrschaft der Umayyaden ins wanken gerieten und mehr und mehr die Abbasiden an die Macht drängten, also ca. 100 Jahre nach dem Ableben von Prophet Muhammad (s.) und insbesondere in der Zeit von Imam Sadiq (a.) gab es ein Machtvakuum der Gewaltherrschaft, welches zahlreice Gelehrte zur Verbreitung ihrer Ansichten nutzten, darunter auch Schüler von Imam Sadiq (a.). Das war die Zeit der Geburt von Hunderten von Rechtsschulen.

Über die spätere Begrenzung auf vier anerkannte sunnitischen Rechtsschulen unter den Abbasiden gibt es Meinungsunterschiede. Gemäß Schia wurden die Anhänger der Rechtsschulen aufgefordert, eine Art Registrierungsgebühr an die Abbasiden zu entrichten, welches nur von den Schülern der später anerkannten vier sunnitischen Rechtsschulen entrichtet wurde. Die Imame der Ahl-ul-Bait (a.) weigerten sich zur Entrichtung der Summe, da die Wahrheit keiner Bestätigung durch unrechtmäßige Gewaltherrscher bedarf. Dadurch galten über ein Jahrtausend hindurch ausschließlich die vier anerkannte sunnitischen Rechtsschulen als Akzeptabel. Eine derart detaillierte Entstehungsgeschichte ist unter Sunniten bekannt, die sich über die Entstehungszeit weniger Gedanken machen. Nach jener Zeit musste jeder Muslim einer der vier sunnitischen Rechtsschulen angehören.

Als anerkannt bzw. orthodoxe Rechtschulen galten:

bullet Schafiiten
bullet Hanbaliten
bullet Malikiten
bullet Hanefiten

Unter den orthodoxen Rechtsschulen gilt das Prinzip gegenseitiger Duldung, wobei der Grund für die teils gravierenden Unterschiede Jahrhunderte lang nicht hinterfragt wurden.

Die Schiiten verkörperten zu allen Zeiten den Geist des Widerstandes gegen die Gewaltherrscher und waren daher stets als "Abtrünnige" angesehen. Teilweise wurden denjenigen, die Schiiten ermorden, von den Kalifen das Paradies [dschanna] versprochen.

Es dauerte bis ca. 1900 n.Chr. bis der große sunnitische Gelehrte und Rektor der Al-Azhar-Universität namens Mahmud Schaltut ein Rechtsurteil [fatwa] herausgab, nach dem die dschafaritische Rechtschule den vier sunnitischen Rechtschulen gleichberechtigt gewertet wurde. Vorangegangen war ein historischer Dialog, der in dem Werk "Konsultation [al-muradschaat]" dargelegt wurde. Ein weitere Aspekt des Rechtsurteils bestand darin, dass es Sunniten künftig frei gestellt wurde, zwischen den Rechtschulen zu wechseln, was vorher faktisch nicht möglich war. Diese Wechselfreiheit schloss die dschafaritische Rechtschule mit ein.

Dieses für die damalige Zeit revolutionäre Rechtsurteil hat sich erst sehr langsam unter Sunniten verbreitet. Insbesondere wahhabitische Strömungen verbreiten noch heute die Abtrünnigkeit der Schia.

Innerhalb der Schia gibt es im wesentlichen nur die

bullet dschafaritische Rechtsschule, die als Schule der ZwöIfer-Schia bekannt ist.
bulletDaneben spielt die zaiditische Rechtsschule eine eher untergeordnete Rolle.

Aus religionstheoretischer Sicht des Islam und dem Fundamentalprinzip der Einheit [tauhid] kann es allerdings nur einen Idealweg geben und nicht zwei oder fünf. Jeder ist allerdings nur für sich selbst beauftragt, den Idealweg zu suchen und zu finden.

In Artikel 12 der Verfassung der Islamischen Republik Iran heißt es dazu:

"Die offizielle Religion des Iran ist der Islam und die dschafaritische Rechtsschule, die Schule der ZwöIfer-Schia. Eine Änderung dieses Artikels ist nicht zulässig. Andere islamische Rechtsschulen wie die hanefitische, schafiitische, malikitische, hanbalitische und zaiditische Rechtsschule  werden ohne Einschränkung anerkannt; ihre Anhänger sind frei, ihre religiösen Verpflichtungen gemäß ihrer eigenen Rechtsschule auszuüben, und religiöse Bildung und Erziehung, ebenso die Angelegenheiten des Personenstandes wie Heirat, Scheidung, Erbschaft und Testament selbst zu ordnen; diesbezügliche Streitsachen werden vor Gericht ihrem eigenen Recht entsprechend behandelt. In jeder Region, in welcher die Anhänger einer dieser Rechtsschulen die Mehrheit haben, werden die im Rahmen der Befugnisse der Räte stehenden Verordnungen nach Maßgabe dieser Rechtsschule erlassen. Dabei werden die Rechte der islamischen Rechtsschule geschützt."