von Mehdi Adaryazdi
Das Elefantenjahr war jenes Jahr, in dem Abraham mit seinem Elefantenheer nach Mekka aufbrach und dort durch einen Steinhagel, die Vögel auf ihn niedergehen ließen, vernichtet wurde, - das heißt nicht nur er, sonder mit ihm alle seine Krieger, bis auf einen.
Da dieses Geschehen höchst erstaunlich und bemerkenswert war, legten die Leute Arabiens ihre bisherige Zeitrechnung beiseite und begannen eine neue mit diesem Jahr, das sie „Elefantenjahr" nannten.
Nun zu unserer Geschichte:
Es war das achte Jahr nach dem Elefantenereignis. Das heißt also: 45 Jahre vor dem Beginn der Hidschra-Zeitrechnung. Die Hadschtage standen bevor, - jene Tage, da die Leute zur Kaaba pilgern. Es war früh am Morgen. Im Schatten der Kaaba hatte sich Abdul Mutalib - Ältester der Sippe Haschim und Oberhaupt des Stammes Quraisch - auf einer Bastmatte niedergesetzt, um die Sitzung zu leiten. Um ihn herum scharten sich die Sippenältesten.
Mekka zur Hadschzeit zu verwalten, war nicht so einfach. Abgesehen von dem Parlamentarischen Rat, der „Dar un Nudwah" genannt wurde, gab es in der Stadt noch neun weitere Vereinigungen, die - eine jede für sich - für einen bestimmten Aufgabenbereich verantwortlich waren.
Zwei von ihnen, „Rafadah" und „Siqayah", wurden von Abdul Mutalib dirigiert. Die „Rafadah - Organisation" hatte für ihre Betreuung der Pilger zu sorgen. Jeder, von wo er auch kam, war Gast der Rafadah- Vereinigung, die von den Wohlhabenden Mekkas unterstützt wurden. Alle die zum Hadsch in die Stadt kamen, erhielten kostenlose Unterkunft und Verpflegung. Die Bewohner Mekkas betrachteten die Pilger als Gäste ihrer Stadt, weswegen sie alles taten, um sie gut zu bewirten. Dieses aber hatte mehrere Gründe. Einmal, um so viele wie möglich zu Besuch der Kaaba anzuregen. Zum anderen aber: Da Gastfreundschaft und Großzügigkeit zu Ehre und guten Ruf führten, wollte man auf diese Weise das Image der Stadt heben und dem eigenen Stamm und den eigenen Sippen zu höchstmöglichem Ruhm verhelfen. Darüber hinaus war es sinnvoll, die Freundschaft all jener, die in der nahen und fernen Steppe lebten, zu gewinnen. Deswegen, weil diese die Handelskarawanen der reichen Kaufleute Mekkas gegen Wegelagerer und sonst welche Banditen schützen. Die „Siqayah- Organisation" kümmerte sich darum, dass die Kaaba- Besucher mit Trinkwasser versorgt wurden. Dazu musst du wissen:
Mekka ist ein trockenes, sehr warmes und unfruchtbares Gebiet, in dem es nicht viel Wasser gibt. So war es auch damals. Bis auf einige wenige Brunnen, aus denen die Mekkaner ihr Trinkwasser bezogen, gab es nichts! Keinen Bach, keinen Fluss, keinen See. Nichts!
Daher stellte in der Hadschzeit, wenn viele Pilger in die Stadt kamen, die Trinkwasserversorgung ein recht schwieriges Kapitel dar, weswegen die Siqayah-Leute gezwungen waren, schon einige Zeit vor Beginn des Hadsch aus den vorhandenen Brunnen Mekkas und Umgebung Wasser zu ziehen und es in Wasserspeichern zu sammeln.
Die Pilger zahlten nichts für ihr Essen und Trinken, dieweil die Ausgaben, die für ihre Verpflegung notwendig wurden, hoch waren. Was aber einer allein nicht vermag, kann er mit Hilfe der anderen zu Wege bringen, nicht wahr?
Genau deswegen hatten man in jener Zeit, da „Qusay", der Großvater Abdul Mutalibs in Mekka das Sagen hatte, ein Abkommen getroffen, demzufolge ein jeder der Großen und
Ältesten der mekkanischen Sippen jährlich einen Beitrag - je nach Einkommen und
Vermögen - beisteuerte. Diese geschah in Form einer mehr oder weniger freiwilligen
Unterstützung die den Betreffenden zur Ehre gereichte.
Gewaltsam wurde dieser Zuschuss nicht eingezogen, doch niemand konnte sich ihm
entziehen. Ob er Geld gab oder Waren, spielte keine Rolle. Der eine stellte z.B. ein
Kamel zur Verfügung, der andere entrichtete Geld, wieder ein anderer lieferte Obst oder
etwas anderes, dass ihm möglich war.
Die Meisten von ihnen waren Kaufleute, die mit einer Karawane nach Damaskus oder
Jemen reisten und dort Ware kauften bzw. verkauften oder aber in Mekka; der
Metropole Arabiens, durch die alle Wege in die nah - und weitgelegenen Gebiete
führten- Handel trieben.
Einige hatten außerhalb von Mekka Ländereien, Gärten und Haine, die sie
bewirtschaften ließen. Manch einer von denen, die zur Unterstützung des Pilgerfonds
sozusagen verpflichtet waren, gab mehr als er brauchte. Aber es gab auch solche, die
ihre Abkommenspflicht vernachlässigten und auf die leichte Schulter nahmen.
Einer von jenen, die in dem besagten Jahre ihren Beitrag noch nicht geleistet hatten,
war Hafs Ibn Murah, ein wohlhabender, bekannter Mann. Er besaß hunderte Kamele, die
er an Handelskarawanen vermietet. In Taif - einem Ort, der 8 Farsah (50 Kilometer)
von Mekka entfernt ist - gehörten ihm Ländereien, dir reiche Erträge gaben.
Warum er seinen Anteil noch nicht beigesteuert und weshalb er sich damit in den Ruf
gebracht hatte, unzuverlässig zu sein, wusste niemand so recht zu sagen. Nur eines war
bekannt: Jeder, der zu ihm ging und an die Abmachung erinnerte, erhielt von ihm eine
„Abfuhr".
Als sie nun an jenem frühen Morgen die Listen prüften und auf den Namen Hafs Ibn
Murah stießen, meinte Abdul Mutalib erstaunt:
„Was ist denn das? Hafs hat seine fünf Kamele und 100 Man (etwa 300 Kilo Weizen oder
Hafer) noch nicht gegeben? Warum hat ihn noch niemand darauf aufmerksam
gemacht?"
Seine Mitarbeiter antworteten:
„Wir haben ihn schon daran erinnert. Mehre Male schickten wir jemanden zu ihm, doch
er rührt sich nicht. Er will es auch gar nicht. Jeder, der zu ihm geht, weist er mit
heftigen Worten ab!"
Abdul Mutalib meinte: „Wir wollen es noch einmal versuchen. Einer soll zu ihm gehen
und ihn an sein Versprechen erinnern!" Sie entgegneten: „Das ist völlig zwecklos! Dieser
Mensch gibt nicht einen Heller. Er droht und flucht, aber rückt nichts heraus! Es heißt,
er gehe mit dem Knüppel auf unsere Leute los und droht, ihnen den Schädel
einschlagen zu wollen und ähnliches."
Abdul Mutalib überlegte ein wenig und sah dann Muhammad (s.a.s) an. Muhammad,
sein Enkel und Sohn Abdullahs, war fast immer bei ihm und sah in bei der Arbeit zu.
Auch heute saß der achtjährige Knabe, der Vater und Mutter verloren hatte, neben ihm
und achtete auf das, was der Großvater tat uns sprach. Abdul Mutalib sagte:
„Muhammad! Mein Junge! Weißt du, wo Hafs wohnt?" Der Knabe antwortete: „Ja,
Großvater!"
Abdul Mutalib fuhr fort: „Ich möchte, dass du hingehst zu ihm und heraus findest, was
mit ihm los ist! Wenn er seinen Beitrag nicht mehr geben will, so soll er es rundheraus
sagen, damit wir ihn aus der Liste streichen. Möchte er aber an seinem Abkommen
festhalten, so müssen wir wissen, warum er sich so ganz anders verhält, als es sein
müsste! Ich glaube, mehr brauche ich dir wohl nicht zu sagen. Du weißt selbst, wie du
mit ihm sprechen musst, nicht wahr?"
Muhammad (s.a.s) stand auf und meinte: „So Gott will, komme ich nicht mit leeren
Händen zurück!"
Abdul Mutalib riet ihm noch: „Amar soll dich begleiten. Es wird besser sein, wenn er mit
dir kommt, Junge!"
Einer meinte: „ Das ist zu riskant! Schick doch kein Kind zu ihm"!
Abdul Mutalib aber antwortete nur: „Lasst nur! Wir werden ja sehen, was geschieht!"
So machten sich die beiden Knaben auf den Weg zu Hafs. Einige Zeit später wurde
Abdul Mutalib die Nachricht gebracht, dass Muhammad in Begleitung des Hafs Ibn
Murah mit sechs beladenen Kamelen angekommen sei.
Alle sahen sich um, voller Erstaunen und Verwunderung. Muhammad war in ein
Gespräch mit Hafs vertieft und Amer zog die schwer beladenen Kamele hinter sich her.
Hafs grüßte die Versammelten und entschuldigte sich dafür, seinen Beitrag so spät zu
leisten. Er sagte:
„Ich möchte sechs Kamele statt der abgemachten fünf geben, deswegen, weil sich dein
Bote so überaus höflich und wohlgesittet mir gegenüber verhalten hat und mich dadurch
geradezu beschämte."
Abdul Mutalib entgegnete: „Hab Dank, Hafs! Gott möge es dir vergelten! Doch sag, was
ist geschehen? Man erzählt, du habest alle, die zu dir kamen, beschimpft und unter
Drohungen fortgeschickt? Einige sagten sogar: Hafs wollte uns den Schädel einschlagen
und mit seinem Knüppel auf uns losgehen!
Als ich das hörte, war ich doch sehr verwundert, denn so kenne ich dich nicht! Nie bist
du rabiat oder unhöflich gewesen!"
„Jawohl, das habe ich gesagt. Ich habe sie bedroht und beschimpft! Du aber weißt, dass
ich bisher niemanden den Kopf eingeschlagen und keinem ein hässliches Wort gesagt
habe. Doch sie haben mich mit ihrem Verhalten zornig gemacht und bis aufs Blut
gereizt! Ich hatte vor, zu kommen und ihnen in Anwesenheit aller eine Lektion zu
erteilen. Du aber hast heute jemanden zu mir geschickt, der mich was lehrte. Bei
meinem Leben! Noch nie ist mir bisher jemand begegnet, der so fein und taktvoll von so
hoher Gesinnung gewesen wäre wie Muhammad!"
„Erzähl, was ist geschehen", forderte Abdul Mutalib ihn auf.
Hafs: „Ich sehe, ihr habt heute viel zu tun und will euch darum nicht lange aufhalten.
Wenn aber die drei, die vorher zu mir kamen, heute hier sind, so will ich ihnen ein paar
Wörtchen sagen und dann gehen!"
Daraufhin Abdul Mutalib: „Weißt du, Hafs, hier ist nicht der rechte Ort, um zu schimpfen
oder ähnliches! Denk daran!"
„Ich will niemanden beschimpfen", antwortete Hafs. „Sei unbesorgt! Und ich werde auch
keinen Schädel einschlagen!"
Abdul Mutalib lachte und meinte: „Gut, ist in Ordnung!" Dann rief er: „Hufayd, Naiim,
Samil! Kommt her! Wir wollen hören, was Hafs zu sagen hat! Setzen wir uns
gemeinsam dort in die Ecke!"
Muhammad verabschiedet sich von ihnen und ging. Als die drei gekommen waren, sagte
Hafs: „Seid nicht beunruhigt! Ich werde euch nichts zu leide tun! Aber hört gut zu, was
ich euch zu sagen habe! Es ist zu eurem eigenen Nutzen!"
Daraufhin wandte er sich Abdul Mutalib zu und meinte: „Weißt du, was Hufayd tat, als
er zu mir kam? Er trat in mein Haus ein und schrie mich in Gegenwart meiner Frau,
meiner Kinder, meiner Gäste und Hausangestellten an, sofort meinen Anteil
herzugeben und nicht so säumig zu sein! Als ich ihm erklären wollte, warum es ihm
nicht pünktlich geben konnte, hörte er gar nicht zu, sondern schmähte mich vor meinen
Angehörigen. Dadurch geriet ich in Zorn und befahl, ihn aus meinem Haus zu werfen!
Es stimmt zwar, dass ich gesagt habe, ihm den Schädel einschlagen zu wollen, wenn er
nicht sofort ging, aber getan habe ich es nicht! Mit dieser Drohung wollte ich ihm nur
eine passende Antwort auf sein schäbiges Verhalten gegeben haben!
Aber Naiim? Wie ging er gegen mich vor! Hört nur her! Ohne Erlaubnis drang er einfach
in mein Haus ein, trat in den Hof hinaus und griff nach meinem Kamel, um es
fortzubringen. Ich fragte ihn: „Was tust du da?!"
Er antwortete: „ Ich bringe das fort, was dem Rafadah Verein zusteht!"
Darauf ich: „Untersteh dich! Bist du gekommen, um eine Botschaft an mich
auszurichten oder um zu stehlen? Wie benimmst du dich nur! Hat Abdul Mutalib dich
angewiesen, in dieser Weise gegen mich vorzugehen? Bist du nicht ganz gescheit? Ist
dir nicht klar, dass ich Herr in diesem Hause bin? Warum redest du mit mir nicht so, wie
es sich gehört? Warum willst du das, was mir gehört, ohne Erlaubnis fortzuschleppen?"
Er gab mir irgendeine absurde Antwort, und ich packte ihn demzufolge beim Ohr und
war ihn hinaus. Dann sagte ich noch:" So! Und dieses will ich dir noch sagen: Nicht
einen roten Heller werde ich hergeben! Und dem, der dich geschickt hat, richte aus, das
von mir nichts zu erwarten ist!"
Ja, und dann kam noch Sami. Immerhin.... Er verhielt sich noch ein bisschen besser als
die anderen. Dennoch! Auch er hat mich nicht gefragt, warum ich meinem Beitrag noch
nicht gegeben habe, sondern auch er war unhöflich und fing gleich an, mir Vorwürfe zu
machen. Ich wollte ihm den Grund für die Verspätung erklären, doch er wollte ihn gar
nicht wissen. Er redete, wenn ich etwas sagen wollte, ununterbrochen dazwischen und
ließ mich nicht zu Worte kommen. Schließlich sagte ich ihm:
"Weißt du was? Verschwinde, bevor ich dir etwas sage, was du nicht gerne hörst! Ich
werde erst dann richtig antworten, wenn jemand kommt, der richtig mit mir spricht!"
Die drei haben mich rasend gemacht! Ich war drauf und dran, zu dir zu kommen und
dich zu bitten, meinen Namen aus der Liste zu streiche. Wen Ansehen und Ehre von
einer derartigen Behandlung abhängig sind, so lege ich keinen Wert darauf!
Doch nun zu Muhammad. Bis zum heutigen Tag, da diese Sohn Abdullahs zu mir kam,
kannte ich ihn nicht. Er stand plötzlich draußen vor der Tür meines Hauses und rief
„Salam" zu uns herein. Dann bat er, eintreten zu dürfen.
Ich fragte: „Wer bist du?"
Er antwortete: „Ein Gast."
Darauf ich: „Ich heiße meinen Gast willkommen!"
Lächelnd trat er ein und begann höflich mit seiner Rede. Er sprach: „Ich habe eine
Botschaft, die ich aber nur Hafs wissen lassen darf!"
Da ich Gäste im Hause hatte, bat ich sie, mich mit den Knaben einen Moment lang allein
zulassen. Als sie hinausgegangen waren, fuhr er fort: „Abdul Mutalib schickt mich. Ich
bringe dir seinen Friedensgruß und den der anderen Freunde. Sie möchten dich daran
erinnern, dass die Hadschzeit bevorsteht. Die Ausgaben sind groß, doch das vorhandene
Budget ist nur gering. Sie bitten dich, wenn es dir recht ist, deinen Anteil dazu
beizutragen oder aber, so du verhindert bis, es zu sagen."
Ich entgegnete: „Verhindert bin ich nun gerade nicht. Doch du..., sag mir, wer bist du?"
Er: „Ich bin der Sohn Abdullahs."
Ich: „Abdullah habe ich in guter Erinnerung, ich schätzte ihn sehr! Welch guten Vater
hattest du doch! Und wie edel ist dein Großvater! Dazu, welch gutes Kind bist du!
Mein Anteil ist bereit, dass ich ihn übergebe. Nimm ihn und bring ihn den Freunden,
damit sie mit ihm wirtschaften. Dass ich ihn bis heute nicht gab, hatte folgenden
Grund...."
Er hörte meiner Rede geduldig zu, unterbrach mich nicht und sagte, als ich geendet
hatte:
"Damit wäre ja eigentlich alles in Ordnung, Aber die Angelegenheit käme besser ins
Reine, wenn du mir eine Bitte gewährst."
„Was kann ich tun?" fragte ich.
Er: „Wie gut wäre es, wenn du selbst mit mir kämest und Abdul Mutalib und die anderen
Freunde aufsuchest."
Ich: „Ja, gibt es denn noch ein Problem?"
Er: „Nein, aber es sind einige unter ihnen, die ein falsches Bild von dir bekommen
haben und ich für eigensinnig und unzuverlässig halten. Wenn ich nur deinen Anteil
bringe, so ist zwar dein Soll beglichen, doch der negative Eindruck, den einige
gewonnen haben, ist damit nicht beseitigt.
Kommst du aber mit und erklärst den Grund der Verspätung, so wird niemand mehr
derartiges über dich denken oder sagen können, womit dein Ansehen wieder hergestellt
ist."
Dieser Vorschlag war gut. Ich selbst wäre nie auf den Gedanken gekommen. Darum
sagte ich: „Du bist ein kluger Junge! Gut, ich komme mir dir!"
Unterwegs rühmte ich im Stillen seine Verständigkeit und edle Gesinnung. Wisset auch
ihr den Wert diese Knaben zu schätzen. Sein Verhalten erinnert an das der großen
Propheten! Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich machen kann. Seht nur, er ist
gegangen, hat sich verabschiedet, als er hörte, dass ich euch ein paar Dinge sagen
wollte. Warum ging er wohl? Er ging, damit ihr nicht beschämt vor ihm dazustehen
braucht. Wirklich, das ist wahrer Edelsinn!
Abdul Mutalib, er ist wahrhaftig ein geeigneter Botschaftsträger!"
Abdul Mutalib freute sich, als er die Worte hörte und erwiderte lachend:
"Ja, das ist wahr! Auch ich weiß, dass sich Muhammad vor uns allen durch sein gutes
Verhalten auszeichnet! Seit seiner frühen Kindheit schon ist seine Gesinnung wie die der
Auserwählten Gottes. Bei Gott! Er ist besser als jeder andere! Gott möge Muhammad
beschützen und euch seinen Segen schenken. Hab Dank! Hafs ! Hab dank!"
Zur Hadschzeit ging es in Mekka besonders bunt und turbulent zu. Von nah und fern kamen Leute in die Stadt. Es wurde gekauft und verkauft, die Händler machten gute Geschäfte, Versammlungen fanden statt, Liederabende und Dichterwettbewerbe, Reden und Vorträge wurden gehalten, ganz abgesehen vom Besuch der Kaaba, der allen ein selbstverständliches Anliegen war.
Nun gab es in Mekka Regelungen, die von allen zu respektieren waren, - ebenso wie in der Steppe die verschiedenen Stammessitten und - Bräuche herrschten, die unbedingt eingehalten werden mussten. Während der Haschtage waren zum Beispiel Krieg und Kampf verboten und keiner durfte in dieser Zeit eine Fehde mit anderen austragen. Das war allgemein bekannt. Dennoch war es nicht so einfach, für Sicherheit und Ruhe in der Stadt zu sorgen. Wie an jenem Tag...
Morgens war noch alles friedlich, Abdul Mutalib und die anderen waren im Rafadah Verein mit ihren Arbeiten beschäftigt. Mit einem Male drang von irgendwo vom Marktplatz her Gelärme zu ihnen herüber. Ein Mann rief mit lauter Stimme nach Abdul Mutalib und beschwerte sich über etwas. Einige, die nichts Wichtigeres zu tun hatten, drängten sich um ihn. Man führte ihn zu den Rafadah- Leuten. Er ging kurzerhand nach vorn, vor Abdul Mutalib saß und sagte: „Guten Tag! Guten Tag, ihr Männer von Mekka. Mir wurde gesagt, dass ihr zu den Großen der Stadt gehört. Aber, aber.... Was geht hier bei euch vor?! Was? Ich soll mich nicht so aufregen? Wie kann ich das, frage ich euch! Wie kann ich schweigen und meine Ruhe bewahren?! Ich bin aus der Steppe und weit von meinem Stamm und meiner Familie entfernt! Niemand ist hier, der mir bestünde! Abdul Mutalib rief ihn freundlich zu sich heran und sprach: „Es kommt alles in Ordnung! Mach dir keine Sorgen! Nur, sag mir jetzt, worum es geht, damit ich dir helfen kann!"
Der Mann entgegnete aufgebracht: „Worum es geht? Was geschehen ist? Was soll schon geschehen sein! Diebe in eurer Stadt haben mich bestohlen und mir meine gesamte Habe geraubt. Nun sitzen sie da in ihrem Versteck und lachen sich ins Fäustchen! Jawohl, meinen Geldbeutel haben sie entrissen, und nun stehe ich völlig mittellos da! Ich wollte ein paar Geschenke für meine Kinder kaufen, doch nun habe ich nichts mehr, nicht mal mehr soviel, dass ich meinen Hunger hier in der Fremde stillen kann! Oh, ich armer Schlucker! Ich weiß nicht, Mekka muss voller Diebe sein! Wir beschützen draußen in der Steppe eure Karawanen, ihr aber lasst uns in euer Stadt das Hemd vom Leibe fortstehlen!"
Abdul Mutalib entgegnete ruhig, aber energisch: „Erstens bist du in unserer Stadt unser Gast, und wir kommen für dich auf solange du hier bei uns bleibst. Zweitens: Unsere Stadt ist nicht voller Diebe! Rede nicht so dreist daher! Es ist nicht notwendig, dass du schlecht über uns redest. Es ist dir Geld gestohlen worden. Nun gut, doch du weißt selbst, dass wir nicht für jeden Geldbeutel einen Wächter abstellen können. Soviel Leute stehen uns gar nicht zur Verfügung! Ein jeder muss selbst auf seine Sachen aufpassen. Allerdings..., wir bemühen uns, die Diebe zu finden und zu bestrafen. Ein Dieb ist gewöhnlich jemand, den die Leute als solchen nicht kennen und der normalerweise nicht ein Schild um den Hals hängen hat, auf dem steht: Leute! Aufgepasst! Ich bin ein Dieb! Es ist also nicht unsere Schuld, dass dir was gestohlen wurde. Dennoch, wenn dein Geld nicht gefunden wird, werden wird dir den Verlust ersetzen.... Selbstverständlich wollen wir keinen Diebstahl in unserer Stadt, doch was können wir machen?! In jeder Stadt gibt es Diebe. Ich weiß nicht, welchem Stamm du angehörst, hier aber gehört alles allen! In diesen Hadschtagen sind all- Freunde und Feinde - unsere Gäste. Doch nun sag, wie dein Geldbeutel aussieht? Woran ist er zu erkennen? Wie viel Geld war in ihm und welcher Art war es?"
Der Mann aus der Steppe antwortete: „Ich bin ganz ausgetrocknet! Gäbe es doch ein wenig Wasser hier!"
Die Männer lachten und sagten: „Trinkwasser möchtest du? Natürlich kannst du Wasser haben! Wir schlachten Hunderte von Kamele für die Leute und versorgen alle mit Brot und Fleisch, da wird ja wohl auch an Wasser für sie gedacht worden sein! Sei unbesorgt, wir werden dir sofort Wasser bringen!"
Muhammad war zu jener Zeit sieben Jahre alt. Er lief und holte schnell eine Schale mit Wasser herbei, die er dem Mann reichte. Diese trank und meinte: „Das hast du gut gemacht, Junge! Mögest du lange leben! Was aber mein Geld anbelangt, so wisset diese: Es befand sich in einem gewebten Säckchen aus gelber Wolle, das ich oben mit einem schwarzen Band verschlossen hatte. Siebzig Gold Dinar befanden sich in ihm, hundert Silber - Drahmin und ein wenig Kleingeld. Gestern Abend hatte ich es noch. Der Geldbeutel steckte in der Tasche meines Gewandes, und geschlafen habe ich neben meinem Kamel. Ich weiß nicht, wer mich bestohlen hat, ich jedenfalls habe nichts von dem Diebstahl bemerkt!"
„Es kann durchaus sein, dass dein Geldbeutel nicht gestohlen wurde, sondern du ihn verloren hast", entgegnete Abdul Mutalib. „Rede nicht dauernd von Diebstahl und Dieben, denke stattdessen genauer nach! Wir werden jedenfalls etwas unternehmen, sei unbesorgt! Geht nun dort ins Gasthaus, iss dich satt und ruhe dich aus. Morgen komm wieder her zu uns. Wir werden sehen, was wir inzwischen machen können. Auf jeden Fall lassen wir dich nicht mit leeren Händen heimreisen!"
Der Mann beruhigte sich. Der kleine Muhammad aber begann unruhig zu werden. Er meinte, den Geldbeutel irgendwo gesehen zu haben, konnte ich sich aber nicht daran erinnern, wo und an welcher Stelle. Am frühen Morgen, als er das Haus verlassen hatte und mit einigen Kindern zum Bazar gegangen war, hatte einer der Jungen etwas von Boden aufgehoben und schnell in die Tasche seines Hemdes gesteckt. Es schien von gelber Farbe gewesen zu sein. Doch sicher war Muhammad sich nicht, dass es sich um
den Geldbeutel dieses Mannes gehandelt hatte. Jedenfalls sah er sich nun verpflichtet, der Sache auf den Grund zu gehen. Von seinem Großvater Abdul Mutalib erhielt er die Erlaubnis dazu, und so machte er sich auf dem Weg zum Hause des besagten Jungen. Aus dem Haus drang der Lärm spielender Kinder zu ihm her. Muhammad rief den Jungen. Er hieß Maad. Als er kam, fragte er ihn ganz leise: „Maad, weißt du was? Ein Mann aus der Steppe hat seinen Geldbeutel verloren und diesen Verlust dem Rafadah Verein gemeldet. Maad, ich habe nichts gesagt, aber es ist möglich, dass das, was der Mann verloren hat, genau das ist, was du heute Morgen gefunden hast." Maad antwortete stotternd: „ Aber ich habe doch gar nichts gefunden! Überhaupt, ich bin den ganzen Tag noch nicht draußen gewesen! Was sagst du da eigentlich?" Er machte eine kleine Pause, dann meinte er verlegen:
„Weißt du, Muhammad, das, was ich heute Morgen fand, war ein kleines Beutelchen mit Geld. Komm, du sollst auch etwas davon bekommen."
„Nein", erwiderte Muhammad, „Maad, wie kannst du nur solch einen Vorschlag machen! Das wäre sehr hässlich von uns, wenn wir das täten! Wir können doch nicht etwas für uns behalten, was uns gar nicht gehört! Wenn das Geld von jenem Mann ist, so müssen wir es ihm zurückgeben, und wenn es nicht von ihm ist, so heißt das, das wir den rechtmäßigen Besitzer finden müssen!"
Erregt und besorgt - man spürte ganz deutlich, dass er ein schlechtes Gewissen hatte -meinte Maad: „Ich bin bereit, die Hälfte des Geldes dir zu geben, allerdings nur unter der Bedingung, dass du niemanden davon erzählst!"
„Nein, das kann ich nicht" rief Muhammad, „was anderen gehört, gehört nicht uns! Willst du, dass ich lüge und bei deinem Betrug mitmache? Das ist unmöglich! So etwas dürfen wir nicht tun! Ich werde alles, was ich weiß meinem Großvater sagen!" Inzwischen waren die anderen Kinder ebenfalls hinzugekommen. Sie sagten: „Muhammad, was willst du von uns? Willst du Streit anfangen? Wer hat dich überhaupt gefragt, ob du etwas weißt oder nicht? Misch dich gefälligst nicht in Angelegenheiten an, die dich nichts angehen! Oder ist dir das Geldsäckchen anvertraut worden? Wenn du etwas haben willst von dem gefunden Geld..., die Hälfte oder auch alles, so sag es ruhig. Überhaupt, du kannst alles haben, wer werde es dir überlassen, und du kannst uns dann soviel abgeben, wie du möchtest! Alles andere ist deins! Mach nur kein Geschrei! Halte den Mund und erzähle bloß nichts weiter!"
Muhammad entgegnete: „Nein, ich bin nicht einverstanden. Wir müssen feststellen von wem der Geldbeutel ist! Wenn wir etwas finden, was uns nicht gehört, so haben wir es dem Eigentümer zurückzugeben!" Da drohten die Jungen: „ Nun, wenn das so ist, so verlass dich darauf: Wir habe nichts gesehen und wissen von nichts! Mach, was du willst! Und überhaupt: Wenn du Streit mit uns haben möchtest, so stehen wir zur Verfügung. Glaub nicht, dass wir uns gegen dich nicht behaupten können! So lahm, wie du wohl glaubst, sind wir noch lange nicht! Wenn es dir Spaß macht, werden wir alle gegen dich aufhetzen!"
„Nein, es macht mir keinen Spaß" , entgegnete Muhammad. „Überhaupt, ich will keinen Streit mit euch! Nur, richtig ist, dass wir alle uns gut verhalten! Lasst doch den Unsinn und gebt das, was ihr gefunden habt, seinem Eigentümer zurück!" Nun war Maad richtig wütend geworden! Er schrie: „Ich habe nichts gesehen und nichts gefunden! Verschwinde jetzt! Wenn nicht, werde ich meinen großen Bruder rufen, der wird dir dann Beine machen!"
„Du kannst tun, was du willst" meinte Muhammad, „aber ich bleibe hier, bis ihr mir das Geldbeutelchen gegeben habt, damit ich sehe, was in ihm ist. Wenn in ihm das steckt, was der Mann aus der Steppe gesagt hat, so bedeutet das, dass das Geldbeutelchen ihm gehört. Wenn sich etwas anderes in ihm befindet, als er sagte, so sieht die Sache anders aus. Dann müssen wir den Eigentümer ausfindig machen."
Da packte Maad Muhammad beim Kragen und begann laut zu schreien, und Muhammad
ergriff Maads Handgelenk. Die meisten Kinder standen auf der Seite Maads, nur einige
weniger gaben Muhammad Recht. Es entstand ein wilder Tumult. Hausbewohner,
Nachbarn und Vorübergehende kamen hinzu. Sagten: „Was ist los hier? Warum streitet
ihr euch?"
Als sie von der Sache erfuhren, spalteten sie sich ebenso wie die Kinder- in zwei
Gruppen: Pro und Contra Muhammad!
Die Angelegenheit spitzte sich zu. Da, im letzen Augenblick, kam der Ausrufer der Stadt
vorbei und rief: „Leute! Hört her! Ein Gast unserer Stadt hat seinen Geldbeutel verloren.
Dem, der ihn seinem Eigentümer zurückbringt, sei unser Dank!"
Niemand sprach etwas. Alle schwiegen. Muhammad aber rief den Ausrufer zu sich und
sagte: „Dort drüben ist etwas gefunden worden. Vielleicht ist es das, was gesucht wird?"
Erneutes Lärmen und Rufen. Jeder sagte etwas, - die einen protestierten, die anderen
pflichteten Muhammad bei. Es ging hin und her.
Abdul Mutalib erfuhr von dem Tumult. Er schickte Hamzah, seinen Sohn - ein Onkel
Muhammads - hin zu jenem Haus, vor dem die Leute standen und diskutierten. Hamzah
kannte alle, und alle wussten, dass er aufrichtig und zuverlässig war und breit, sich um
der Gerechtigkeit willen selber aufzuopfern. Als sie ihn kommen sahen, wurden sie still.
Hamzah meinte: „Uns ist so einiges zu Ohren gekommen, aber über die Einzelheiten
wissen wir nicht Bescheid. Jedenfalls: Muhammad ist aufrichtig und gewissenhaft. Was
er sagt, stimmt! Niemals lügt er! Wer das bestreitet, ist im Unrecht. Jedenfalls:
Entweder bringt ihr das Geldsäckchen freiwillig her, damit ich sehe, ob es von jenem
Mann ist oder nicht.... Oder ich werde andere Seiten aufziehen! Wir dürfen das Recht
nicht mit Füßen treten. Dem Eigentümer ist das zu geben, was ihm gehört. Wer mir von
euch zustimmt, soll sich hier zu mir stellen! Die Mutter Maads, die das Treiben auf der
Straße durch einen Spalt in der Haustür mit angesehen hatte, war besorgt, dass es zu
einem Handgemenge kommen könnte. Sie holte den Geldbeutel und warf ihn Hamzah
zu. Dabei sagte sie: „ Streit ist nicht notwendig. Es sind Kinder. Kinder wissen nicht,
was sie tun. Mein Junge hat keine Schuld! Den Geldbeutel hast du nun, - alle Jungen
haben ihn gefunden, nicht nur meiner. Sieh nun nach, wem das Geld gehört und gib es
dem Eigentümer zurück! Wir wollen keinen Streit!"
Der Mann aus der Steppe wurde geholt. Als Hamzah ihm dem Geldbeutel zeigte, sagte
er: „Ja, das ist er. Das ist meiner. Seht nur, in ihm sind 70 Gold- Dinar, 100 Silber -
Drahim und ein wenig Kleingeld, so wie ich es gemeldet habe!"
Niemand sprach etwas. Sie sahen den Mann an und wussten, dass er die Wahrheit
sprach. Als ihm sein Geldbeutel ausgehändigt wurde, meinte er: „Ich danke euch allen!
Auch ich bin nun zu etwas verpflichtet. Schließlich weiß ich, was sich gehört! Wie viel
Kinder waren es, die den Geldbeutel fanden?" Man zählte sie, es waren
sechsundzwanzig.
Muhammad sagte: „Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich habe das Beutelchen nicht gefunden,
sondern nur gesehen, dass es gefunden wurde. dass ich hier bin, ist nur deswegen, weil
ich das Recht verteidigen wollte!"
Der Mann aus der Steppe gab jedem der fünfundzwanzig Kinder einen Dinar und einen
Drachme als Belohnung und war froh und zufrieden.
Muhammad ergriff nun Maad bei der Hand uns bat: „Sei nicht böse auf mich, Maad. Ich
möchte, dass wir Freunde sind, gute Freunde. Gute Freunde aber sind aufrichtig! Ist die
Sache nicht gut ausgegangen? Oder wäre es dir anders lieber gewesen?!"
Maad antwortete: „Doch, es ist gut so, wie es gekommen ist. Wir haben Geld
bekommen, und der Mann ist ebenfalls zufrieden und glücklich. Das, was wir bekommen
haben, ist uns „halal" (erlaubt), das heißt, wir brauchen uns deswegen nicht zu
schämen. Ich bin froh, dass du standhaft geblieben bist!" Der Mann aus der Steppe und
Hamzah gingen zurück zu Abdul Mutalib und erzählten ihm alles. Abdul Mutalib
bestätigte, dass Muhammad in allen Dingen ehrlich und zuverlässig sei...
Abends, zu Hause, wollte er Muhammad loben.
Diese aber bat: „Eines müssen wir noch tun!"
„Was denn?", fragte sein Großvater. Er: „Wir wollen Haleh bitten, eine leckere
Süßspeise zu kochen, die wir dann zu Maads Mutter bringen, damit sie, Maad und seine
Familie sich freuen. Die Mutter von Maad hat gut gehandelt. Obwohl sie das Geld
brauchen konnte, war es ihr dennoch lieber, darauf zu verzichten. Sie wusste, was sie
zu tun hatte. Haleh, die Frau von Abdul Mutalib, meinte freundlich: „Gut, Muhammad,
das will ich gerne tun!"
Noch am gleichen Abend bereitete sie eine leckere Süßspeise zu, die sie am nächsten
Morgen zu Maads Mutter bringen wollten. Der Morgen kam. Wieder hatten sich die
Nachbarkinder im Hause Maads eingefunden und spielten. Maad sagte zu ihnen: „Gott
sei dank ist die Sache gestern gut abgelaufen. Wenn wir das Geld für uns behalten
hätten, würden wir dauernd ein schlechtes Gewissen haben und uns vor allen schämen,
nicht war? Wirklich! Muhammad ist ein prima Freund!"
Indem er das sagte, klopfte es an der Haustür. Haleh, Muhammad und einige
Freundinnen Halehs waren mit einer großen Schüssel Halwah (arabische Süßspeise)
gekommen und sagten: „Wir möchten diese Halwah der Mutter Maads bringen, weil sie
eine so einsichtige Frau ist."
Froh setzten sie sich alle zusammen und die Schüssel herum und ließen es sich gut
schmecken...
Alle in der Stadt erfuhren von diese Geschichte, und zwei Worten waren es, die seit
jenem Tage den Namen des kleinen Muhammads hinzugefügt wurden: „Aufrichtig und
vertrauenswürdig", das heißt im Arabischen: „Sädiq" und „Amin".
Es fehlte nicht viel und ein heftiger Krieg wäre ausgebrochen, dicht neben der Kaaba. Einige Jahre zuvor war es in der Kaaba selbst zu seinen Brand gekommen, bei dem eine der Schließen der Schatztruhe zerstört wurde. Auch die Tür der Kaaba war beschädigt worden, doch schließen konnte man sie noch. Auf der Truhe aber, in der die kostbaren Geschenke aufbewahrt wurden, war kein Verlass mehr. Der Diener hatte das Feuer verschuldet. Er hatte die Öllampe zu dicht an die Holztür gestellt, und so passierte eben
das, was nicht passieren durfte.......
Da die Kaaba noch immer kein festes Dach hatte, war man nun ständig in Sorge, dass jemand einbrechen und die Kostbarkeiten rauben könnte. Allerdings: Es musste schon ein sehr verwegener und schamloser Dieb sein, der die Wertsachen in der Kaaba entwenden wollte. Nun, eines Tages jedenfalls geschah es. In einer dunklen Nacht, als es um die Kaaba herum still und leer geworden war, kletterte jemand an ihrer Wand hoch und dann über das lockere Dach in das Innerer hinein, stahl aus der Schatztruhe ein paar Dinge und schlich davon. Der Dieb wurde jedoch schnell gefasst und dem Richter übergeben.
Sie wussten alle, dass die Tür und das Schloss der Truhe unbedingt repariert werden mussten, aber sie verschoben es von einem Tag auf den anderen. Man suchte nach einem Schreiner, der Meister in seinem Fach sein sollte. Ganz abgesehen davon musste dazu die halbverbrannte Tür mit Hammer und Brechstange ausgehoben werden. Dadurch aber würde unweigerlich jener Teil der Wand, in dem die Tür eingelassen war, ebenfalls Schaden erleiden, und niemand erklärte sich bereit, bei einer solchen Sache mitzumachen. Sie sagten, die Wand der Kaaba dürfe nicht beschädigt werden, keinen falls und unter keinen Umständen. Dies war im 35. Jahr nach dem Elefanten- Ereignis.
Zu deiner Information: Mekka - und mit ihr die Kaaba - liegt in einem mehr oder weniger sandig- steinigen Tal zwischen einigen Bergen. Regen fällt hier kaum noch, doch wenn er kommt, stürzt das Wasser in Bächen von den Bergen hinunter und richtet Überschwemmungen an. Auch in jenem Jahr, in dem sich unsere Geschichte zutrug, war es zu einer Überschwemmung gekommen, die gewaltige Schäden in der Stadt anrichtete. Unter anderem riss sie ein großes Loch in eine der Wände der Kaaba. Nun konnten die Mekkaner die Reparaturarbeiten nicht länger hinausschieben. Und da sie sie nun wirklich nicht in Angriff nehmen wollten, sagten sie sich: Wir könnten eigentlich die Kaaba restaurieren! Die Baumeister der Stadt wurden gerufen und diese meinten: „Wenn wir die Kaaba neu errichten sollen, müssen wir erste Mal ihre Wände nieder reißen."
Einige sagten: „Ist nicht so schlimm! In diesem Fall bleibt uns wohl nichts anderes übrig!"
Die meisten aber waren dagegen und hatten Angst. Sie wollten nicht Hand an die Kaaba legen und bezeichneten derartiges als eine Art Entweihung dieser alten Anbetungsstätte. Mit der Hacke gegen die Wände der Kaaba schlagen, würde gewiss Unglück bringen und zu einem schnellen Tod führen. Und so verkündeten sie: „Wir machen bei der Neuerrichtung der Kaaba mit, aber nicht bei ihrer Zerstörung!" Sie redeten, diskutierten, überlegten und die, die etwas verstanden, meinten: „Um der guten Sache Willen ist es nicht schlimm, zunächst die Wände einzureißen." Endlich meinte einer, der im Bilde über den Wert ihres guten Vorhabens und zudem beherzter als die übrigen: „Also gut, Leute, ich fange an! Wenn mir etwas zustößt, so macht nicht weiter, sondern überlegt euch etwas anderes. Geht die Sache aber ohne Komplikationen vonstatten, so wisst ihr, dass Gott damit einverstanden ist. Immerhin haben wir etwas Gutes vor, nicht etwas Schlechtes. Wir wollen nicht die Kaaba zerstören und dann ihre Ruinen liegen lassen, sondern wollen sie neu und besser aufbauen!"
Es heißt, dass dieser Mann Walid Ibn Mugayrah und Onkel - mütterlicherseits -Abdullahs war. Er zog also den ersten lockeren Stein aus der zerfallenen Wand heraus, dann den zweiten, anschließend den dritten..., hielt inne und sagte: „Bis morgen warten wir ab, was geschieht!"
Da er am nächsten Tag noch lebte und ihm offensichtlich nichts zugestoßen war, begannen die anderen ebenfalls mit der Arbeit. Zunächst wurde die Truhe der Kaaba an einen sicheren Ort gebracht, dann die Wände niedergerissen, bis zu ihren Grundfesten. Diese bestanden aus grünlichen Steinen, auf denen seinerzeit Abraham die Kaaba errichtet hatte. Dieses abrahamische Grundgemäuer war äußerst stabil und fest, so sehr, dass sie, wenn sie mit ihren Spitzhacken auf die Gemäuer einschlugen, glaubten, die Berge der mekkanischen Umgebung würden erzittern. Das Einreißen der Wände dauerte Tage und alle warteten sehnlichst darauf, endlich mit dem Bau der Kaaba beginnen zu können. Sämtliche Sippen und Stämme wollten sich daran beteiligen. Das war auch gut so, doch ..., sie waren an Zusammenarbeit nicht gewöhnt. Sie wussten nicht, wie sie Hand in Hand mit anderen überhaupt arbeiten konnten uns sollten. Ein jeder meinte, er sei besser und tüchtiger als die anderen, und genau dieses Vorstellung war die eigentliche Ursache für ihre vielen Stammesfehden und - kriege, die sich in Arabien zutrugen. Nach langen Debatten, unter Vorsitz der Stammesältesten, einigten sie sich schließlich darauf, dass ein jeder der vier Kaabawände von einem durch das Los bestimmten Stamm errichtet werden sollte. Da die Wände höher als zuvor gebaut wurden, fehlten Steine, weswegen bei dieser Arbeit alle mitmachen und von den Bergen Steine heranschleppen durften.
Auf den arabischen Grundmauern wurden die Kaabawände hochgezogen, zunächst bis in einer Höhe von drei Ellen (Eine Elle reicht von den Fingerspitzen bis zu den Ellebogen). Hier, in dieser Höhe, war der schwarze Stein, der „ Hagar ul Aswad" , einzusetzen. Dies
ist ein Stein, den es sonst nirgendwo in der Welt gibt. Er wurde in das Innere der Wand eingesetzt, damit er nicht- von keiner Seite- herauszuheben war. In jener Zeit war dieser „Hagar ul Aswad" noch vollständig, d.h. er bestand aus einem einzigen Stück und wurde gemeinsam mit den anderen Schätzen der Kaaba aufbewahrt. Nun wollten sie ihn erneut an seine ursprüngliche Stelle setzen, und genau dieses führte zu erheblichen Differenzen zwischen ihnen. Die arabischen Stämme der Gegen Higaz waren darüber hinaus sowieso - gemäß ihrer Mentalität und Denkweise - ständig bereit, um ihre Ehre und ihres Ruhmes willen zu kämpfen und Krieg zu führen. Wegen der kleinsten Kleinigkeiten befehdeten sie einander. Krieg und Waffen gehörten ganz einfach zu ihrem Leben. Diese dauernde Kriegssituation hatte ihnen jedoch so sehr zugesetzt, dass sie selbst den Entschluss fassten, jedes Jahr während vier bestimmter „Heiliger Monate" gegen niemanden die Hand oder Waffe zu erheben. So konnten sie wenigstens in dieser „geschützten" Zeit ungestört ihrer Arbeit nachgehen und sich Handle, Reisen und Pilgerfahrten widmen. Die Stämme gerieten z.B. deswegen miteinander in Streit, weil -sagen wir einmal ihr Gast von einem anderen ebenfalls eingeladen wurde, weil jemand ihr Zelt „schief" angesehen hatte, weil irgendein anderer Stamm ihrem Gegner Aufnahme gewährt hatte, weil jener Stamm die Brautwerbung für einen Jüngling des ihren abwies und ähnliches. Allerdings! Später setzte der Islam diesem unsinnigen Treiben und Denken ein Ende. Derlei Vorwände wegen wurde daraufhin kein Krieg mehr vom Zaune gebrochen....
Der Islam brachte ihnen andere Werte und Ziele, die zu wirklicher Ehre und tatsächlichem Ruhm führten.-
Überhaupt, weißt du was im Islam zählt? Ja richtig! Taqwa! Mit anderen Worten: im Glauben an den Einzigen Gott begründete Tugendhaftigkeit! Doch in jenen Zeiten war es den arabischen Stämmen wichtig, den anderen ihre Kraft und Stärke zu beweisen. Aus diesem Grund hatten es alle darauf abgesehen, den Schwarzen Stein, einzusetzen, dass heißt jenen „ Hagar ul Aswad" den seinerzeit Abraham in das Kaabagemäuer eingefügt hatte. Ein jeder Stamm, eine jede Sippe erhob als nun den Anspruch auf die Ehre, diesen wertvollen Stein in die wertvollste aller Wände der Welt einsetzten zu dürfen. Die einen sagte: „Wir wollen das tun! Nur uns gebührt diese Ehre!" Die anderen bestanden darauf: „Nein, das machen wir!" -
Kurz: Sie stritten miteinander und zankten sich so heftig, dass ein richtiger Krieg auszubrechen drohte.
In jenen Tagen war es Brauch, eine Schüssel gefüllt mit Blut, herbeizuholen, in die ein jeder seine Hand tauchte, dann mit dieser blutigen Hand eine der Wände stempelte und gemeinsam mit den anderen Sippenangehörigen schwor, dem eigenen Stamm die Treue zu wahren.
Auch diese Mal hielten sie es so. Die Angelegenheit spitzte sich zu, die Situation wurde immer brenzliger. Niemand war mehr bereit, die Meinung der anderen auch nur mit halbem Ohr anzuhören. Sie sprachen nicht mehr miteinander und standen sich wie Kampfhähne gegenüber. Vier Tage ging es so. Die Ältesten gerieten in Sorge und sagten sich: „Wenn es zum Kampf und Krieg kommt und alle gegen alle die Waffen ziehen, so wird es viele Jahre keinen Frieden mehr bei uns geben. Was sollen wir bloß tun ???!"
Dann, am Ende des vierten Tages trafen sich die Weißbärtigen schließlich zu einer Sitzung. Der Älteste von ihnen, dem alle Mekkaner Respekt entgegenbrachten, meinte: „Freunde! Geduldet euch und hört, was wir euch raten! Um der guten Sache willen, die wir vorhaben, sollten wir nicht miteinander in Streit geraten. Wenn wir heute die Hand gegeneinander erheben, werden wir morgen und übermorgen keine ruhige Minute mehr erleben. Nur Unfrieden und Feindseligkeiten werden dann mit uns ein. Lasst ab von eurem Gezanke! Vertragt euch endlich! Für Frieden ist es nie zu spät, und Wege zu friedlichen Lösungen gibt es immer!"
Einer unterbrach ihn: „Sag du uns, was wir machen sollen!" Ein andere warf ein:
„Frieden kann es nur dann geben, wenn keiner geschwächt wird und niemand den Ruhm
allein für sich haben will!" Der alte Mann antwortete: „Ich meine genau das Gleich!" Das
soll jedenfalls nicht heißen, dass jemand auf sein Recht verzichtet und es einem
anderen überlässt! Bisher haben wir in schwierigen Situationen das Los entscheiden
lassen. Auf diese Weise konnten wir so manchem Krieg und Blutvergießen aus dem
Wege gehen, und niemand wurde geschwächte oder erniedrigt!"
Sie: „Gut aber wie sollen wir losen?"-
Er: „Mein Vorschlag ist der, dass derjenige der als erster durch das Tor „Safa" die
Heilige Moschee- (Masdschid ul Haram) - betritt, darüber entscheiden soll. Ich weiß
nicht, wer es sein, wen Gott uns schicken wird. Doch was er sagt, müssen alle
akzeptieren!"
Jemand rief: „Das ist ein guter Vorschlag! Nur eine Bedingung gehört dazu: Niemand
von uns darf jetzt hinausgehen und durch das Tor „Safa" zurückkommen, um auf diese
Weise die anderen zu übertölpeln."
Der alte Mann sagte: „Das stimmt, alle bleiben hier und warten. Wir wollen sehen wer
nun als erster von draußen durch dieses Tor hereinkommt." -
Einer schrie: „Wichtig ist auch, dass derjenige, den wir fragen wollen, kein Kind ist. Ein
Kind kann nicht für uns entscheiden!" Wieder sagte der alten Mann: „ Ist in Ordnung!
Es muss jemand sein, der soweit herangewachsen ist, dass er über die Wand hinweg zur
anderen sehen kann." -
Ein andere warf ein: „ Und es muss jemand sein, der einen guten Ruf hat. Auf
jemanden, der verschrien ist, wollen wir nicht hören. Das wäre eine Schmach für uns!"
„Auch das ist richtig", entgegnete der alte Mann. „ Es muss jemand sein, den wir
kennen. Dem Vorschlag eines Fremden wollen wir uns nicht fügen!"
„In Ordnung", meinte der Alter, „der, den wir fragen werden, muss einer aus unserer
Gegend sein!" Aus den hinteren Reihen gab einer zu bedenken: „Der, den wir wählen,
muss „neutral" sein. Wir wollen uns nicht von Männern seines Stammes dirigieren
lassen!"
„Freunde", entgegnete nun der Alte lächelnd, „wenn wir jemanden zum Schiedsrichter
wählen - noch wissen wir aber gar nicht, wer es sein wird - dann haben wir ihm
selbstverständlich auch das Recht, bestimmen zu können, einzuräumen. Allerdings, dem
stimme ich zu: Er darf Männern seines eigenen Stammes und seiner eigenen Sippe nicht
den Vorzug geben!"
Ein andere meinte: „Eine weitere Bedingung ist, dass er nicht krank und irre ist!
Jemand, der sich selbst nicht auskennt und dessen Geist nicht richtig funktioniert, kann
uns nicht beraten und dienlich sein."
„Auch damit sind wir einverstanden", erwiderte der alte Mann, „sonst noch Etwas?"
Einer meinte: „Es sind bisher schon ein paar Leute in die Moschee gekommen. Wir
müssen endlich beginnen!" -
„Richtig", sagte der Alte „ab dem Augenblick, da ich diese beiden Steine hier, die ich in
meinen Händen halte, gegeneinander schlage, beginnen wir. Der erste, der daraufhin
die Moschee durch das Tor „Safa" betritt, soll bestimmen, durch wen der Schwarze Stein
eingesetzt werden soll. Und wenn der erste, der kommt, nicht den genannten
Bedingungen entspricht, werden wir den zweiten, dritten oder vierten, der eintritt, die
Entscheidung treffen lassen."
Nun schlug der alte Mann die beiden Steine in seinen Händen gegeneinander, und alle
Blicke wandten sich der betreffenden Tür zu. Sie warteten und warteten... dann endlich
erschallten ihre Jubelrufe.
Mohammed - Amin, der Sohn Abdullahs, war eingetreten - jener, den alle in Mekka als
aufrichtig und zuverlässig kannten und rühmten. Er war Mekkaner, darüber hinaus
gerecht und klug, sah gut aus und war gesund. Man mochte und respektierte ihn. -
Muhammad (s.a.s), den alle Muhammad - Amin - das heißt : Muhammad, den
Vertrauenswürdigen - nannten setzt sich zu ihnen. Sie erzählten ihm die ganze
Geschichte und sagten, dass sie ausgemacht hätten, dem zuzustimmen, was er
entscheiden würde.
Muhammad (s.a.s) antwortete: „Ist in Ordnung! Wenn ihr also tun wollt, was ich sage,
so wisset, dass ich für Zusammenarbeit bin. Alle Stämme und Sippen sollen gemeinsam
den Hagar ul Aswad an seine Stelle setzen. Holt ein Tuch, das zum Kaaba - Inventar
gehört und stellt euch alle um den Schwarzen Stein herum."
Sie holten einen Kaaba - Vorhang herbei, und Muhammad bereitete in auf den Boden
aus. Dann hob er den Stein auf und legte ihn auf das Tuch. Nun sprach er: „Die Ältesten
eines jeden Stammes nehmen nun jeder einen Zipfel des Tuches in die Hand und tragen
es mit dem Stein in seiner Mitte zu der Stelle, wo dieser eingesetzt werden soll."
Alle waren glücklich und zufrieden mit dieser Lösung. Muhammad trat auf die
betreffende Wand der Kaaba zu. Als die Stammesältesten in schöner Gemeinsamkeit
dein Stein auf dem Tuch herbei trugen, nahm Muhammad ihn und setzte in an seinen
Platz.
Daraufhin rief er: „Die Baumeister mörteln ihn nun gut ein in die Wand und setzen
dann mit ihrer Arbeit fort..."
So geschah es. Froh und erleichtert sagten alle: „Wie gut, dass Muhammad - Amin uns
aufgefordert hat, es gemeinsam zu tun. Niemand ist jetzt unzufrieden, niemand fühlt
sich degradiert oder erniedrigt. Den Kaaba - Bau zu Ende zu bringen, ist nun kein
Problem mehr.
Sie bauten und mühten sich, bis die Dachhöhe erreicht war. Für das Dach aber
benötigten sie Holz, und Holz gab es in Mekka und Umgebung wenig. Nun war es jedoch
so, dass in jenen Tagen ein heftiger Sturm über das Rote Meer hinwegfegte,
infolgedessen ein Schiff zerbarst und an die Küste strandete. Der Kapitän des Schiffes
war daraufhin nach Mekka gereist, um sich hier helfen zu lassen. Die Baumeister
kauften das Holz seines zerschellten Schiffes auf und verwendeten es für den Kaaba-
Bau.
Der Prophet lebte einfach und bescheiden wie die anderen, das heißt, wie die einfachsten und mittellosesten unter ihnen. Wenn jemand zum ersten Mal zu Hadrat -e-Muhammad (s.a.s) kam, während dieser inmitten seiner Freunde und Gefährten saß, so wusste er, der Neuankömmling, nicht, wer nun der Gesandte Gottes war. Denn: Was dessen Kleidung betraf, gab es zwischen ihm und den anderen keinen Unterschied. Nur an seinem Verhalten und seinen Worten wurde deutlich, dass er Muhammad - Amin, der göttliche Gesandte sein musste.
In Krisen und Notzeiten war er geduldiger und langmütiger als die anderen. Gab es harte und schwere Arbeiten zu verrichten, half er fleißig mit, und alles, was ihm persönlich gehörte, setze er zum Wohle der Muslime ein bzw. gab er hin, um Bedürftigen aus ihrer Not zu helfen. Lange schon war sein Gewand zerschlissen und ein neues zu kaufen..., nun, dazu fehlten ihm die Mittel. Das heißt, mit dem wenigen, dass er hatte, wollte er lieber den Hunger derer, die nichts zu beißen hatten, stillen. Einmal schenkte ihm jemand zwölf Drachmen, die er für seinen persönlichen Bedarf ausgeben sollte. Prophet Muhammad (s.a.s) gab das Geld Ali Ibn Abi Talib (a.s.) und bat ihn, ein Gewand für ihn zu kaufen. Hadrat -e -Ali nahm das Geld und ging zum Bazar, wo er für zwölf Drachmen das Gewünschte für Hadrat -e- Muhammad erstand. Als er es ihm brachte, sagte dieser: „Es ist ein gutes Gewand, das du für mich gekauft hast, doch
wäre es einfacher und preisgünstiger gewesen, so hätte es mich mehr gefreut! Nimmt
der Verkäufer es wohl zurück oder tauscht es um?"
Hadrat -e Ali ging und fragte. Da der Händler kein einfacheres Gewand hatte, nahm er
das verkaufte wieder an sich und gab die zwölf Drachmen zurück. Dieses Mal begleitete
der Gesandte Gottes (s.a.s) Ali (a.s.) zum Bazar. Unterwegs sahen sie ein junges
Sklavenmädchen, das bitterlich weinte. Sie fragten es nach dem Grund seines
Kummers. Es antwortete: „Meine Herren hat mir vier Drachmen gegeben, damit ich
etwas für sie einkaufe. Aber ich habe das Geld verloren. Nun habe ich Angst,
zurückzugehen und es ihr zu sagen!"
Prophet Muhammad (s.a.s.) gab dem Mädchen vier Drachmen und sagte: „ Kauf davon
das, was du kaufen solltest und geh dann nach Hause zurück!"
Sie gingen weiter und sahen im Bazar ein Gewand, das dem Propheten gefiel und nur
vier Drachmen kostete. Sie kauften es und machten sich auf den Heimweg. Da
begegneten sie einem alten Mann, der in Lumpen gehüllt war, zu Gott flehte und rief:
„Einem jeden, der mich kleidet, möge Gott ein Paradiesgewand schenken!"
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) gab ihm das eben erstandene Gewand und ging mit Ali
Ibn Abi Talib zum Bazar zurück. Für die gebliebenen vier Drachmen kaufte er ein neues,
dankte Gott und trat mit Hadrat -e - Ali den Heimweg an.
Wieder sahen sie das junge Mädchen, das zwar die Besorgungen gemacht hatte, aber
dennoch am Straßenrand saß und schluchzte. Der Gesandte Gottes (s.a.s) fragte es:
„Warum bist du nicht nach Hause zurückgegangen?"
Das Mädchen: „Es ist schon spät geworden. Ich habe Angst, dass meine Herrin mich
deswegen schlägt!"
„Geh uns voran und zeige uns, wo du wohnst!" sagte der Prophet, „wir wollen für dich
ein gutes Wort einlegen!"
Als sie vor der der Haustür standen, rief der Prophet, wie er es sonst auch immer tat:
„Ihr Leute des Hauses! Friede sei mit euch!"
Er erhielt keine Antwort. Wieder rief er: „Salam alaikum!"
Doch auch diesmal nichts als Schweigen. Ein drittes Mal drang der Friedensgruß ins
Haus hinein. Jemand antwortete, entschuldigte sich und sagte: „Weil dein „ Salam
Alaikum" segensreich ist, wollten wir, dass du es wiederholst."
Hadrat -e - Muhammad (s.a.s) entgegnete: „Diese junge Mädchen, das in eurem Hause
arbeitet, hat sich verspätet. Wir sind mit ihm gekommen, um für es ein gutes Wort bei
euch einzulegen. Lasst es in Ruhe und tut ihm nichts zu leide. Es mag euch selbst den
Grund für seine Verspätung sagen!"
Der Hausherr entgegnete: „Oh Gesandter Gottes! Da du uns die Ehre erwiesest und zu
uns kamst, wollen wir dem Mädchen seine Freiheit schenken."
Später unterwegs, als der Prophet und Hadrat -e - Ali (a.s.) auf dem Heimweg waren,
sprach Hadrat - e Muhammad(s.a.s): „Oh Ali! Diese zwölf Drachmen waren wirklich
segensreich! Zwei Menschen sind durch sie bekleidet worden und eine Sklavin erhielt
ihre Freiheit zurück!"
Im vierten Vers der Sure 68, Qalam, rühmt der Allmächtige Gott die hohe Gesinnung Seines Gesandten. Über dessen Geduld, Freundlichkeit, Bildung und Wohlverhalten berichten zudem viele Ahadith, die, wollten wir alle nennen, ein dickes Buch notwendig machten. Darum als Beispiel nur einige wenige: Anas Ibn Malik, ein Bediensteter des Gesandten Gottes, berichtet:
„Eines Tages, als wir aus der Steppe in die Stadt zurückkehrten, begegneten wir unterwegs einem Mann, der neben seinen lasten stand. Als der Mann uns erkannte, lief
er auf uns zu und zerrte Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) an seinem Gewand, - und zwar so heftig, dass der Hals des Gesandten Gottes durch die obere Kante seines Abayas (langer Übermantel) aufgerieben wurde. Wir blieben stehen und der Mann sagte: „Oh Muhammad! Bringe meine Sachen auf den Rücken der Kamele, die du am Zügel führst, in die Stadt!" Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: „Es sind wohl nicht deine Tiere oder die deines Vaters, nicht war?"
Der Prophet schwieg einen Augenblick lang, dann antwortete er: „Alles was ist, gehört Gott. Aber hast du, nachdem du dich so dreist verhalten hast, nicht befürchtet, dass ich dich abweisen könnte?" „Nein", entgegnete der Mann. „Wieso nicht", fragte Hadrat -e-Muhammad . Er erhielt zur Antwort: „Weil ich zu gut weiß, dass du Schlechtes nicht mit Schlechtem vergiltst!"
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) lächelte und sprach: „Preis sei Gott!" Dann ordnete er an, die Dattel und Hafersäcke des Mannes auf die Kamele zu laden und führte sie daraufhin selbst zu Fuß gehend zur Stadt..
Der Prophet und einige seiner Gefährten waren auf Reisen und legten unterwegs eine Rast ein. Sie hatten vor, ein Schaf zu schlachten und mit dem Fleisch ihr Essen zu besorgen. Einer meinte: „Ich werde das Schaf schlachten!" Ein anderer sagte: „Ich will es häuten!" Und ein dritter bot sich an: „Für das Zerkleinern des Fleisches bin ich zuständig!" Der vierte sagte: „Das Essen werde ich dann zubereiten!" „Und ich werde Reisig zusammentragen, mit dem wir ein Feuer zum Essen kochen anzünden können!", sprach der Prophet. Seine Gefährten wandten ein: „Wir sind doch da! Du brauchst nun wirklich nicht den Reisig zu sammeln, das machen wir schon!" Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) aber entgegnete: „Ich weiß, dass es für alle genug zu tun gibt! Mir würde es gar nicht gefallen, meine Hände in den Schoß zu legen, während ihr alle arbeitet! Gott ist mit dem, der mit anderen unterwegs ist, sich besser und feiner als sie dünkt und bei den anfallenden Arbeiten nicht mit hilft, keineswegs einverstanden.""
Es kam häufig vor, dass die Leute ihr neugeborenes Kind dem Prophet brachten, damit er es segnete oder ihm einen Namen gab. Gewöhnlich nahm Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) dann das Baby auf den Schoß, sehr zu Freude der Eltern. Hin und wieder kam es vor, dass ein Kleines den Propheten „nass machte", worüber seine Angehörigen meistens entsetzt und beschämt waren und das Kind eilig forttragen wollten. Er sagte dann: „Aber das ist doch nicht tragisch! Seid nicht bedrückt deswegen und stört das Kind nicht auf!" - Er nahm es dann auf den Arm, betete für es, gab ihm einen guten Namen und reichte es seinen Eltern zurück, die froh und erleichtert weggingen. Nachdem sie gegangen waren, erhob Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) sich und wusch sich rein.
Eines Tages gingen Hudayfah Ibn Yaman und Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) zu einer Badestelle. Die eine Seite war offen, so dass die Badenden von den Vorübergehenden gesehen werden konnten. Hudayfah schirmte den Propheten mit einem Tuch ab, damit niemand ihn entblößt sähe. Danach als Hudayfah an der Reihe war, tat der Prophet es
ihm gleich und hielt das Tuch vor ihn, damit er unbeobachtet baden konnte. Hudayfah meinte. „Das ist doch nicht notwendig, Muhammad! Ich möchte nicht, dass du dich meinetwegen mühst!" Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) jedoch bestand darauf und erwiderte: „Wenn zwei gemeinsam etwas tun, so hat Gott gern, wenn sie freundlich zueinander sind!"
9. Nachsicht heißt die Devise!
Eines Tages kam ein Mann aus der Steppe nach Medina und ging sofort zur Moschee,
um dort den Propheten zu sprechen. Er forderte ihn auf, ihn finanziell zu unterstützen.
Alles, was Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) bei sich hatte, gab er ihm. Der Mann war
jedoch damit nicht zu frieden und blieb abwartend stehen. Der Prophet fragte: „ Ist es
nicht genug?" „Nein", antwortete der Mann, „es reicht nicht! Soll mir das etwa
weiterhelfen? Was kann ich damit schon anfangen?!"
Die Muslime, die in der Moschee saßen, gerieten in Zorn und wollten den Mann vor die
Tür setzen, Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) aber sprach: „Lasst ihn!" -
Als die Sitzung beendet war, nahm er den Mann mit sich nach Hause und gab ihm alles
was er nur entbehren konnte. „Ist es nun genug?", fragte er. Der Mann aus der Steppe,
der gesehen hatte, wie einfach der Prophet und seine Familie lebten, entgegnete: „Ja,
es ist sogar sehr gut, was du mir gegeben hast! Gott möge dich und deine Familie
belohnen!" - Hadrat-e-Muhammad (s.a.s) erwiderte: „Es freut mich, dass du das sagst!
Doch in der Moschee meintest du etwas anderes, etwas, dass die Muslime erzürnte.
Komm, sag ihnen, dass du nun zufrieden bist, damit sie nicht länger eine schlechte
Meinung von dir haben!" -
Der Mann war einverstanden und kam mit. Gemeinsam gingen sie zur Moschee. Dort
sagte der Prophet zu den Muslimen: „Dieser Mann hat vorher etwas gesagt, dass euch
verstimmte und ärgerlich machte! Ich nahm ihn mit nach Hause, und nun ist er
zufrieden. Ist es nicht so?" -
„Doch", antwortete der Mann, „ich bin nun zufrieden! Gott möge dich und deine Familie
schützen und belohnen!" -
Später sagte der Prophet zu seinen Gefährten: „Kennt ihr die Geschichte jenes Mannes,
der ein Kamel besaß, das ihm fortlief? Alle halfen mit, das Kamel wieder einzufangen.
Dieses aber rannte immer schneller, als es sah, dass es von dem Männern verfolgt
wurde. Der Eigentümer des Kamels sagte: „ Lasst nur! Ich weiß, wie ich mit ihm
umzugehen habe!"
Er nahm ein Grasbüschel und ging damit langsam hinter dem Kamel her, ruhig und
bedächtig. Immer wieder zeigte er ihm das frische Gras. Da blieb das Kamel stehen. Der
Mann trat freundlich und behutsam auf es zu, ließ es am Gras schnuppern und knabbern
und beruhigte es mit sanften Worten. Gestern, als der Mann sich unhöflich verhielt,
wolltet ihr ihn herb zurechtweisen und vor die Tür setzen. Möglicherweise hätte ihr euch
- was Gott verhüten möge - zu Rohheiten hinreißen lassen! Doch wisset, um eine
Schwierigkeit zu lösen, wählt immer den besseren Weg, den ihr jeweils herausfinden
müsst!"
Der Prophet und seine Freunde kamen an einem Brunnen vorbei. Eine alte Frau hatte ihren Wasserschlauch auf den Brunnenrand gelegt. Sie wollte Wasser schöpfen, doch ihre Kraft reichte nicht aus, den Kübel herauf zuziehen. Hadrat-e-Muhammad (s.a.s)
ging zu ihr und fragte: „Mutter, darf ich dir helfen?" Die alte Frau antwortete: „Das wäre
liebe von dir! Gott möge dich schützen!"
Der Prophet zog einige Male den Kübel voller Wasser hinauf, füllte ihren Schlauch und
band ihn anschließend fest zu. Da sie offensichtlich den schweren Schlauch nicht allein
forttragen konnte, sagte er zu ihr: „Geh du voraus! Ich werde ihn dir nach Hause
tragen."
Er hob den Schlauch auf seine Schultern. Seine Freunde protestierten: „Wir wollen ihn
tragen!" Hadrat-e-Muhammad entgegnete freundlich: „Das ist lieb von euch, Freunde!
Doch den Schlauch dieser alten Frau zu tragen, geziemt sich in erster Linie für mich!" -
Es war sehr warm. Die Sonne schien heiß. Nach einer Weile, sie waren eine kleine
Strecke gegangen, erreichten sie das Zelt der alten Frau.
Sie sagte: „Hier wohne ich. Hab Dank! Gott möge es dir vergelten!" -
Der Prophet legte den Schlauch auf die Erde nieder und die Frau ging ins Zelt hinein.
Ihre Söhne waren inzwischen heimgekommen und fragten:
„Mutter, wo warst du?"
„Ich ging, um Wasser zu holen", antwortete sie. Die Söhne traten vor das Zelt. Als sie
den Schlauch schweren Schlauch sahen, sagten sie: „Mutter, wie konntest du ihn hier
herbringen?"
Sie: „Als ich am Brunnen stand, kamen einige Männer vorbei. Einer von ihnen war sehr
freundlich, zog für mich das Wasser aus dem Brunnen hoch, füllte unseren Schlauch und
brache ihn hierher. Als seine Begleiter ihm helfen wollten, lehnte er ab und meinte, es
gezieme sich, dass er ihn selbst trage."
Ihre Söhne sprachen: „Wir wollen es ihm danken!" -
Sie wies auf den Propheten hin, der mit seinen Freunden schon weitergegangen war. „Er
ist es, der ganz rechts außen geht", fügte sie hinzu.
Geschwind liefen die Söhne hinter den Männern her. Als sie sie eingeholt hatten,
erkannten sie den Gesandten Gottes. Sie dankten ihm und gingen heim zu ihrer Mutter.
„Mutter, weißt du, wer dieser Mann war? Er ist der, der Segen und Wohl über uns
brachte. Es ist der Gesandte Gottes!"
Der alten Frau stiegen vor Erstaunen und freudiger Erregung Tränen in die Augen. Sie
lief dem Propheten nach und entschuldigte sich, um soviel Mühe gemacht zu haben.
Hadrat-e-Muhammad (s.a.s) jedoch wehrte freundlich ab, sprach ein wenig mit ihr und
bat Gott, sie und ihre Söhne zu schützen.
Die Tür zum Hause des Propheten stand den Bedürftigen und Notleidenden immer offen.
Niemand der kam und um Hilfe bat, wurde mit leeren Händen fortgeschickt. Bisweilen
fragte Hadrat -e - Muhammad (s.a.s) Bilal: „Was haben wir im Hause?"
Alles, was vorhanden war, gab er her, wenn er erkannte, dass die Betreffenden wirklich
bedürftig waren.
Es gab jedoch - wie heutzutage- auch solche, die es sich, obwohl sie gesund waren und
arbeiteten konnten, zur Gewohnheit gemacht hatten, die Hand nach der Unterstützung
anderer auszustrecken. Derlei Verhalten gefiel dem Propheten ganz und gar nicht,
weshalb er es vermied, faulen und trägen Menschen oder gar Gewohnheitsbettlern mit
materiellen Hilfen unter die Arme zu greifen.
Denen aber, die wirklich in Not waren und sich allein nicht helfen konnten, gab und half
er.-
Eines Tages kam jemand zu ihm und sagte: „Oh Gesandter Gottes! Uns geht es sehr
schlecht und wir haben nichts zu essen. Vor meiner Frau und meinen Kindern schäme
ich mich deswegen. Auch wenn ich nicht gern andere um etwas bitte, so hilf du mir doch
aus unserer Not heraus. Sag mir, was ich dagegen tun kann!"
Hadrat-e-Muhammad sah den Mann prüfend an und erkannte, dass er gesund und
kräftig gebaut war. Er fragte ihn: „Was hast du bisher getan?"
Der Mann antwortete: „Ich habe bei einem Händler gearbeitet, der jedoch sein Geschäft
geschlossen hat. Mein Problem ist, dass ich keine neue Arbeit finde!" -
Der Prophet sah, dass der Mann gewillt war, zu arbeiten. Es war daher angebracht, ihn
zur Initiative und Arbeitssuche anzuspornen. Ihm das Betteln leicht zu machen, war
nicht richtig, da jemand, der einmal mit der Bettelei beginnt und damit Erfolg hat, nicht
mehr so leicht davon abzubringen ist. Er wird es dann kaum noch zu etwas bringen bzw.
bringen wollen. Arbeit, auch wenn sie noch so einfach und geringfügig ist, hilft ihm
dahingegen, sein Leben in Ehren zu führen zu können, ohne die Hand nach den Almosen
anderer ausstrecken zu müssen.
Daher fragte Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) ihn nun: „Wirst du meine Worte beherzigen,
die ich dir sagen möchte?"
Er: „Natürlich, o Gesandter Gottes! Damit du mir einen Weg zeigst, der mich aus diese
Misere hinausführt.., darum bin ich zu dir gekommen!"
Der Prophet entgegnete: „Hast du etwas zu Hause, das du nicht mehr benötigst?"
„Doch", erwiderte der Mann, „wir haben schon etwas, das wir nicht brauchen und uns
Platz wegnimmt! Es ist eine alte Pferdedecke. Da wir kein Pferd mehr haben, ist auch
die Satteldecke unnötig geworden. Und auch haben wir einen großen Kübel, in dem wir
früher das Wasser aufbewahrten. Doch nun fließt das Wasser dicht neben unserem Haus
vorbei, so dass wir den Kübel nicht mehr benutzen. Außer dieser beiden Dinge haben
wir allerdings nichts, was wir entbehren könnten."
Hadrat-e-Muhammad (s.a.s) sagte zu ihm: „Geh und bring die beiden Sachen her." Der
Mann ging und holte sie. Als einige Muslime hinzukamen, fragte Hadrat-e-Muhammad
sie: „Braucht niemand von euch diese Dinge?"
Einer antwortete: „Wenn er nicht mehr als eine Drachme verlangt, so kaufe ich sie."-
Der Prophet daraufhin: „Ist jemand bereit, mehr zu zahlen?"
Ein anderer bot zwei Drachmen und erhielt die Dinge. Nun riet der Prophet dem Mann:
„Für eine Drachme kaufe Lebensmittel und bring sie deiner Frau. Mit der zweiten
erstehe im Bazar ein Beil und bring es her." -
Nach einiger Zeit kam der Mann zurück. Er hatte ein Beil gekauft, doch hatte es keinen
Griff. Er sagte: „Mit Griff wäre das Beil zu teuer geworden!"
Der Prophet steckte als Griff einen kräftigen Ast in die Öffnung, reichte dem Mann das
Beil zurück und sprach: „So, nun höre gut zu, was ich dir sage! Sammle in der Steppe
Reisig und Brennholz. Mit dem Beil zerkleinerst du alles und verkaufst es dann im Bazar,
- am besten dort, wo dich die Leute kennen. Nach fünfzehn Tagen komm wieder zu mir.
Ich hoffe, dass deine Arbeit gesegnet sein möge!"
Der Mann ging und kam nach zwei Wochen zurück. Sagte: „O Gesandter Gottes! Ich
habe neulich nicht ein noch aus gewusst, aber du hast mich gut beraten. In den letzten
fünfzehn Tagen habe ich viel Brennholz und Reisig verkauft. Alle meine Bekannten
kaufen bei mir und freuen sich, dass ich nun selbständig geworden bin. Ich hörte, wie
sie untereinander sagten: „Er ist ein fleißiger Mann, der auf sein Ansehen Wert legt! Wir
wollen unser Brennholz von ihm kaufen!
Ja, Gott sei Dank geht es uns nun recht gut. Wir haben genug zu essen im Hause,
unsere Kleidung ist ordentlich. Ich brauche mich nicht zu schämen und weiß, dass ich
meine Familie ernähren kann. Hab Dank für deinen Rat!"
„Ja", erwiderte Hadrat-e-Muhammad (s.a.s). „du hast dein Ansehen gewahrt. Du
arbeitest und verdienst euren Lebensunterhalt durch deiner Hände Arbeit. Das ist viel
besser, als wenn dir die Spuren der Bettelei anzusehen wären."
Ein Mann kam zu Hadrat -e - Muhammad (s.a.s) und klagte, dass sein Nachbar sehr
lästig sei. Der Prophet antwortete: „Hab ein wenig Geduld!"
Der Mann kam ein zweites Mal mit der gleichen Beschwerde. Wieder entgegnete der
Gesandte Gottes: „Übereile nichts! Gedulde dich noch ein wenig!" Dann, als der Mann
nach einiger Zeit zum dritten Male kam und ihm sein Leid mit dem Nachbarn vortrug,
sprach Hadrat -e- Muhammad:
„Wenn sich die Leute auf dem Weg zum Freitagsgebet machen, bring deine
Haushaltsgegenstände hinaus auf die Straße und stell dich neben sie. All die
vorbeikommen, werden dich nach dem Grund deines Tuns fragen. Sobald sie ihn
erfahren, wird es nicht lange dauern und dein Nachbar wird zu dir kommen!"
Der Mann tat, wie ihm der Gesandte Gottes geraten hatte. Die Leute, die zum Gebet
gingen und an seinem Haus vorüber kamen, tadelten den Nachbarn als sie hörten, wie
sehr er dem Mann, der am Straßenrand neben seiner Habe stand, zugesetzt hatte.
Der Nachbar erfuhr davon, schämte sich, ging hinaus zu dem Mann und bat ihn um
Entschuldigung. Er sagte: „Gott ist mein Zeuge! Ich werde dich und deine Familie von
nun an in Ruhe lassen. Um Gottes Willen nimm deine Sachen und kehre zurück in dein
Haus, wir wollen von nun an gute Nachbarn sein!"
Auf gute Nachbarschaft wird im Islam sehr viel Wert gelegt, so sehr, dass einige
annahmen, der eigene Nachbar sei am Erbe des anderen zu beteiligen.
Jedenfalls ist es eine gut Art, dass, was man für sich selbst nicht möchte auch nicht für
den anderen zu wollen. Alle halten sich jedoch leider nicht an diese Regel. Es gibt
nämlich auch jene, die auf andere- unter anderem auf ihre Nachbarn - so gar keine
Rücksicht nehmen und deren Rechte mit Füßen treten.
In solchen Fällen ist das islamische Gebot: „Gutes Gebieten und Schlechtes verwehren!"
angebracht.
Dass der Prophet in unserer Geschichte zweimal zu Geduld und Nachsicht aufruft,
erinnert an jenen Hadith (Hadith: Ausspruch des Propheten oder eines Unfehlbaren), in
dem es heißt: „Die Pflicht gegenüber dem Nachbarn beruht nicht allein darin, ihn nicht
zu belästigen und zu unterdrücken, sonder seinen eventuellen Dreistigkeiten gegenüber
zunächst nachsichtig zu sein und Geduld zu üben. Wenn jedoch Geduld und Nachsicht
nichts nutzen, so ist es angebracht und erlaubt, über das Problem zu sprechen, damit es
bereinigt werden kann.
Welcher Art die Belästigung seitens des Nachbarn in dieser Geschichte war, ist nicht
bekannt. Offensichtlich ist jedoch, dass der Kläger nicht ohne sich vorher von dem
Propheten beraten zu lassen, handelte und zunächst dessen Empfehlung, sich in Geduld
und Nachsicht zu üben, beherzigte.
Diese Geschichte zählt zu jene Begebenheiten, anhand derer der Prophet der
muslimischen Gemeinde Sinn und Wert des Gebotes „Gutes Gebieten und Schlechtes
verwehren", deutlich machte, - zum Wohle der Allgemeinheit und zur Berichtigung
einiger in ihr.
13. Was gebührt dem, der andere nicht respektiert?
In Medina gab es einen Palmenhain, in dem einige Bäume jemand anderen gehörten als dem Eigentümer diese Grund und Bodens. Nur ein Weg führte durch diesen Hain hindurch. An diesem aber stand das Haus eines Gefährten des Propheten. Es war also so, dass sowohl die beiden Besitzer der Palmen Anspruch auf die Nutzung diese Weges hatte, als auch die Eigentümer des Hauses, der zudem das Recht hatte, dass seine Familie respektiert und nicht belästigt wurde.
Islamisches Recht und Gesetz sagen, dass der, der durch den Hof bzw. das Eigentum eines anderen hindurch muss, zunächst einmal die dort lebenden Bewohner darüber in Kenntnis zu setzen hat, dass er hindurch - oder vorbeigehen möchte. Jedenfalls: Ohne vorher Bescheid zu geben, darf niemand ein fremdes Haus oder Grundstück betreten. Der Mann aber, de mein paar der Palmen in dem besagten Hain gehörten, hielt sich nicht an diese Regelung. Es war Samarat Ibn Gundah Samarah, welcher sich selbst als Freund des Propheten, bezeichnet, hatte die Bewohner jenes Hauses, das an dem Weg in jenem Garten stand, bereits mehrere Male aufgeschreckt und in Angst und Sorge versetzt. Der Hauseigentümer bat Samarah daraufhin freundlich in Zukunft Rücksicht zu nehmen, auf Takt und Höflichkeit zu achten, anzuklopfen, bevor er durch den Hof gehen wolle und seine Blicke nicht überall hineilen zu lassen. Samarah jedoch kümmerte sich nicht um diese Worte und antwortete lakonisch: Die Bäume gehören mir, und ich werde nicht erst lange um Erlaubnis bitten, wenn ich meine eigenen Früchte ernten möchte!" Der Hausherr gehörte zu den Ansar, das heißt, zu jener Medina - Bevölkerung, die seinerzeit dem Propheten und den Muslimen nach ihrer Auswanderung aus Mekka Unterkunft und Hilfe gewährt hatte sowie sich für den Islam und dessen Verbreitung einsetzte. Als er nun sah, dass Samarah nur so gar nicht einsichtig werden wollte, ging er zu Hadrat - e- Muhammad (s.a.s) und beklagte sich bei ihm. Dieser rief Samarah zu sich, ermahnte ihn und sagte ihm, nicht unangemeldet durch fremde Höfe zu gehen. Samarah ging schmollend und grollend davon und scherte sich nicht im Geringsten um die Empfehlungen des Propheten. Dieser schlug ihm daraufhin vor, wenigstens seine Palmen mit anderen Palmen - anderswo - auszutauschen. Wieder war Samarah nicht einverstanden. Man riet ihm, seine Palmen zu verkaufen und andere, an anderer Stelle, zu kaufen. Aber auch auf diesen Vorschlag ging er nicht ein und sagte, das wäre ein schlechtes Geschäft. Sie boten ihm einen hohen Preis für seine Bäume an, viel höher, als sie eigentlich wert waren, doch auch dazu war es keineswegs bereit. Hadrat - e - Muhammad machte ihm nun ein weiteres Angebot: „Wenn du einverstanden bist, deine Palmen zu einem höheren Preis zu verkaufen, werde ich mich dafür einsetzen, dass du darüber hinaus im Paradies wunderschöne Palmen erhältst." Samarah aber blieb unerweichlich, war zu nichts bereit und belästigte und störte weiterhin die Ansar - Leute jenes Hauses.
Da wies der Prophet die Muslime an, die Bäume auszuheben und aus dem Palmenhain herauszubringen zu lassen. Samarah sollte mit ihnen machen, was er wolle. Denn: Jemanden Schaden zuzufügen ist im Islam nicht erlaubt! Alle halfen also mit, die Bäume zu entwurzeln und aus dem Hain heraus zu tragen. Damit wurde Samarah ein Denkzettel verpasst, auf dass er in Zukunft andere nicht mehr behelligte und ärgerte. Aus diesem Vorgehen des Gesandten Gottes ging die im islamischen Recht angewandte Regelung: „Nicht Schaden nehmen und auch anderen keinen Schaden zufügen"; hervor, etwas, das dem Gebote Gottes entspricht.
Das heißt alles, das uns oder anderen schadet, ist zu meiden. Was Samarah anbelangt..., nun, er blieb der gleiche eigensinnige, uneinsichtige und feindselige Mann, der er war. Er ist der, der bekannt wurde für Habsucht, Heuchelei und Zwietracht säen. Auch nach dem Tode des Propheten setzte er mit seinen Dreistigkeiten fort und war ein heftiger Gegner Imam Alis (a.s.). Zu den Zeiten der Herrschaft Muaviahs erlog er „Prophetenworte", zugunsten des Ibn Mulgam, wofür er viel Geld erhielt.
Bei dem Geschehen von Aschura bei Kerbela unterstützte er eifrig Yazid gegen Imam Hussein (a.s.) und kam schließlich bei einem schweren Brand ums Leben.
Ein Spaßvogel brachte andere mit seinen Scherzen und Witzeleien zum Lachen. Als er
einmal etwas sagte, was er besser nicht gesägt hätte, zog ihn ein Freund beiseite und
riet ihm: „Treib es nicht zu weit. Auch der Spaß hat seine Grenzen! Wenn du
übertreibst, schadest du dir nur selbst. Weißt du, Späße wirken zunächst erheiternd,
doch wie oft führen sie zu Kränkung und sogar Feindschaft. Wenn ein Scherz verletzend
ist und möglicherweise begleitet von Spott und gar Verleumdung, so ist er nicht mehr
als Spaß zu bezeichnen, sondern als Sünde!" -
Der Spaßvogel entgegnete: „Ach lass doch! Ich bin nicht zu Trübsal und Tränen
geboren! Es heißt doch: Gegen Spaß und Scherz ist, so sie das Missfallen Gottes nicht
erregen, nichts einzuwenden. Ich erheitere meine Freunde und bringe Würze in ihr
tristes Dasein.
In einem Hadith heißt es, dass ein Rechtgläubiger heiter ist und zu scherzen versteht,
dass es gut und lobenswert ist, seinen Mitmenschen froh zu machen! Freund, nimm es
nicht so genau! In den Büchern steht geschrieben, dass auch der Prophet und die
Imame scherzten, lachten und humorvoll waren."
Sein Freund erwiderte: „Das stimmt schon, aber alles mit Maß! Du weißt sicher, dass
der Prophet sagte: „Ich scherze, aber immer entsprechen meine Scherze der Wahrheit.
Unwahre und unziemliche Späße sind kein Saß sondern, führen zu Bedauern und
Kummer."
Die schmerzenden Worte Hadrat -e - Muhammads und der Imame waren stets
erfreulich und ohne verletzende Spritzen. Nie gingen sie in ihren Späßen zu weit und
übertrieben nicht!" -
Einige Beispiel hierzu:
Safiah war eine Tochter Abdul Mutalibs und eine Tante (väterlicherseits) Hadrat -e-
Muhammads (s.a.s.). Sie war schon recht alt. Eines Tages war im Hause des Propheten
die Rede vom Paradies, Safiah bat ihn, Gott zu bitten, sie ins Paradies aufzunehmen.
Hadrat -e - Muhammad (s.a.s.) antwortete: „ Ich werde Gott darum bitten, aber das
Paradies ist kein Ort für alte Frauen!"
Safiah protestierte und meinte:
"Soll es etwas Sünde sein, ein hohes Alter zu erreichen?"
„Nein", entgegnete der Prophet, „es ist keine Sünde. Doch alte Frauen lässt man -
ebenso wie die alten Männer - zunächst einmal wieder jung werden und bringt sie dann
ins Paradies." -
Die Anwesenden lachen. Aus anderen Überlieferungen ist von ähnlichen Scherzen im
Zusammenhang mit Abbas Ibn Mutalib oder anderen zu erfahren.
Bei einer ihrer Patrouillen verletze sich einer der Gefährten Hadrat -e- Muhammads (s.a.s.) den Fuß. Er bat den Propheten, ihm ein Kamel zu geben, das ihn trägen könne. Der Prophet antwortete:
"In Ordnung! Ich werde dir ein Kameljunges zur Verfügung stellen!" Der Mann wand ein: „O Gesandter Gottes! Was soll ich mit einem Kameljungen anfangen? Ich brauche ein Kamel, das mich gleich hier und heute tragen kann!" Hadrat -e - Muhammad lächelte und meinte: „Ja, es soll ein Kamel sein, auf dem du sofort jetzt schon reiten kannst, denn, das weißt du doch sicher auch: Es gibt kein Kamel, das nicht ein Junge eines andere gewesen wäre!"
17. Was ähnelt ihm am meisten?
Eines Tages saß der Prophet mit einigen seiner Gefährten auf einem Felsenvorsprung. Er
streckte sein Bein aus und fragte: „Was meint ihr, mit was hat mein Bein hohe
Ähnlichkeit?"
Jeder von ihnen brachte einen Vergleich an: Blumenstängel, Pflanzenstiel, Baumast,
Zeltpfahl und anderes.
Nun bewegte der Prophet sein anderes Bein, wies auf es hin und meinte:
„Mit vielem hat es Ähnlichkeit, doch am meisten gleicht es diesem Bein, nicht wahr?"
Suhayb gehörte zu den Gefährten Hadrat - e - Muhammads (s.a.s.) und scherzte gern.
Er erzählte: „Eines Tages ging ich zu dem Gesandten Gottes, der mit einigen Muslimen
zusammen saß. Datteln wurden angeboten. Ich setzte mich zu ihnen und aß ebenfalls
von den Früchten. Mein linkes Auge war jedoch entzündet. Ich hielt es mit einer Hand
zu und, obwohl es heißt, Datteln sind bei Augenkrankheiten zu meiden, griff ich herzhaft
zu.
Hadrat - e- Muhammad sah mich und sprach: „Oh Suhyab! Wenngleich dein Auge
erkrankt ist, isst du von den Datteln?"
Ich antwortete: „O Gesandter Gottes! Nur mein linkes Auge ist betroffen. Darum nehme
ich mit der rechten Hand die Früchte und esse sie mit meinen rechten Zähnen. Mein
rechtes Auge ist ja nicht krank!" -
Der Prophet lachte daraufhin so herzhaft, dass seine blitzend weißen Zähne sichtbar
wurden.
19. Schönheit macht nicht glücklich
Dahak Ibn Sufian war Oberhaupt des Stammes Kalabi und sehr krank und berühmt. Sein Gesicht aber entstellten zahlreiche Pockennarben, vorstehende Augen und eine von Wunden verquollene Nase. Er kam zum Propheten, um ihm den Treueeid zu schwören. Es war zu jener Zeit, als der Koranvers, der über den Hijab spricht - dass heißt darüber, dass die Frauen und Mädchen ihre weibliche Schönheit vor den Blicken fremder Männer verhüllen sollen, - noch nicht herab gesandt war. Dahak betrat den Raum, in dem der Prophet saß. Außer Hadrat -e- Muhammad war noch dessen Gattin anwesend. Er sprach: „O Gesandter Gottes! Ich habe vier unverheiratete Töchter zu Hause. Wenn du willst, gebe ich dir eine von ihnen zur Frau!" Diese Worte beunruhigten die Gattin des Propheten. Sie fragte besorgt: „Sind deine Töchter schöner als du?"
„Nein, bei Gott!" Wenn es um Schönheit geht, so bin ich schöner als sie alle!" Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) lächelte und meinte: „Schönheit ist es nicht, was glücklich macht. Ich bitte Gott, sie glücklich zu machen!"
Eine Frau kam zu dem Propheten und erzählte aus ihrem Leben. Sie sah traurig und vergrämt aus. Als sie auf ihren Mann zu sprechen kam, unterbrach sie der Gesandte Gottes: „Ich kennen deinen Gatten. Ist es nicht jener Mann, in dessen Augen es weiß schimmert?" -
Sie: „Nein, nein! Gott möge ihn davor bewahren! Was auch immer mit ihm sein mag,
diesen Mangel hat er nicht!"
„Ich habe nicht von einem Mangel gesprochen, erwiderte Hadrat - e - Muhammad
(s.a.s) In den Augen aller Menschen schimmert es weiß, und das Weiße überwiegt das
Schwarze in ihren Augen!" -
Die Anwesenden waren erheitert. Auch die Frau, sie vergaß ihren Kummer....
Einer der Gefährten des Propheten, der mehr als die anderen scherzte und zu Späßen
aufgelegt war, heiß Naiman. Er gehörte zu den Ansaris, das heißt zu jener Bevölkerung
Medinas, die dem Propheten und den Muslimen nach ihrer Emigration aus Mekka
beistanden und ihnen Unterkunft und Unterstützung gaben.
Naiman hatte Gott und Hadrat -e - Muhammad (s.a.s) sehr gern. Er kämpfte auf der
Seite des Gesandten Gottes und nahm dem Gefecht von Badr teil, weshalb man ihn
„Naiman Badri" nannte.
Wie gesagt: Naiman war jederzeit zu Scherzen aufgelegt, und hin und wieder kam es
vor, dass er es ein wenig zu bunt mit seinen Späßen trieb. Aber man verzieh ihm und
sagte: „Er gehörte zu den Badr - Kämpfern und hat den Propheten bisher oft erheitert
und zum Lachen veranlasst. Der Gesandte Gottes hat einmal gesagt: „Naiman wird
lachend ins Paradies einziehen!"
Dieser Naiman sah eines Tages in Medina einen Mann, der aus der Steppe in die Stadt
gekommen war, um einen Krug Honig zu verkaufen. Naiman sagte zu ihm: „Wenn du
mit dem Geld bis morgen warten kannst, so werde ich dir den Honig abkaufen. Komm,
ich will dir das Haus, zu dem du den Honig bringen sollst, zeigen!"
Er brachte den Mann zum Hause des Propheten, klopfte an die Tür und rief: „Kommt
und nehmt den Honig in Empfang! Lasst ihn euch gut schmecken, er ist erstklassiger
Qualität!" -
Zu dem Mann aber sagte er: „Morgen komm lass dir das Geld geben! Damit du es
weißt, ich heiße Naiman."
Am nächsten Morgen kam der fremde Mann erneut zum Hause Hadrat - e -
Muhammads (s.a.s), klopfte an und fragte nach dem Geld für den Honig. Die Leute im
Haus meinten: „War denn der Honig kein Geschenk?"-
Er: „Ich habe den Honig verkauft und heute, so hat man mir gesagt, soll ich das Geld
bekommen!"
Sie: „Wer hat es dir versprochen?"
Er: „ Naiman !"
Sie gaben ihm das Geld und er ging fort.-
Der Prophet aber rief Naiman zu sich und fragte ihn lächelnd: „Was war denn das nur
wieder für ein Glanzstück was du dir geleistet hast, Naiman? Es konnte doch durchaus
sein, dass wir kein Geld im Hause gehabt hätten, - das wäre dann sehr peinlich
gewesen!"
Naiman antwortete: „Genau das war es, was mir mein Herz so schwer machte. Ich hatte
einfach kein Geld, sonst hätte ich den Honig für dich gekauft! Doch es war so guter
Honig, und ich wollte, dass er in eurem Hause gegessen wird!"
Der Prophet vergab ihm. Es heißt, Naiman habe als man das erste frische Obst des
Jahres nach Medina brachte, sein Vergehen wiederholt und sei deswegen erneut zur
Rede gestellt worden.
Eines Tages saß Naiman vor der Tür der Moschee. Ein Mann kam vorbei, stieg von seinem Kamel ab, ließ es einfach stehen, ohne es anzubinden und betrat die Moschee. Es war ein junges Kamel, stark, kräftig und gut in Futter. Nach einigen Minuten kamen einige vorbei. Als sie das Kamel sahen, sagten sie: „Welch festes, gutes Fleisch es hat! Wenn es das unsere wäre, würden wir erstklassiges Kabab aus ihm zubereiten!" Zu deiner Information: Gegrillte zarte Fleischstückchen nennt man „Kabab". -Naiman hatte die Worte der Männer gehört und meinte leichthin: „Wenn ihr so großen Appetit auf Kabab habt...., nun, so will ich euch dazu verhelfen. Ich will euch das Kamel schenken!" -
Sie: „Wir können es nicht schlachten. Wenn du das übernehmen willst, so wäre das
wunderbar!"
Naiman tötete das Tier und sie begangen, das Fleisch zurecht zuschneiden. Da kam der
Eigentümer des Kamels herbei und rief: "Wer hat euch erlaubt, mein Kamel zu töten?"
Sie: „Naiman hat es uns erlaubt. Er hat es uns geschenkt und es selbst geschlachtet" -
Naiman gab Fersengeld und versteckte sich in einer Scheune. Sie berichteten dem
Propheten von dem Vorfall und machten sich auf der Suche nach Naiman. Sie fanden
ihn im Heu, ergriffen ihn und brachten in zu Hadrat - e - Muhammad (s.a.s)
Naiman sagte zu ihm, ziemlich zerknirscht und erschrocken: „Oh Gesandter Gottes! Ich
weiß, das war ein übler Scherz, den ich mir da geleistet habe. Doch bei Gott! Genau
diese Männer hier, die mich ergriffen und zu dir schleppten, wollten Kabab und waren
glücklich, dass ich ihnen das Kamel gab und für sie schlachtete."
Der Prophet erwiderte: „Naiman, wie kann ich es dir begreiflich machen?! Dieses war
wirklich ein schlechter Scherz! Du bist nun aber tatsächlich zu weit gegangen! Mit
solchen Dingen schaffst du dir selbst Probleme, sieh das doch endlich ein! Sei sicher,
wenn du nicht ein Badr - Krieger wärest, würden die Leute dir nicht verzeihen!"
Der Gesandte Gottes war Kindern gegenüber überaus freundlich und liebevoll. Alle
Kinder hatte er gern, besonders aber Hassan und Hussein (a.s.) seine beiden Enkelchen.
Eines Tages, als der Prophet auf dem Wege zur Moschee war, um dort das Gebet zu
verrichten, stellten sich im zwei, der Knaben in den Weg und sagten: „Hassan und
Hussein lässt du auf deinen Schultern reiten. Wir möchten das auch, oder hast du uns
nicht gern?"
„Doch, ich habe euch sogar sehr gern", antwortete Hadrat - e - Muhammad (s.a.s),
„nur jetzt nicht der geeignete Augenblick für Spiel und Scherz. Ihr seht, dass ich zur
Moschee gehen möchte. Die Muslime warten dort schon auf mich. Später, wenn ich
zurückkomme, stehe ich euch gerne zur Verfügung." -
Die Kinder sagten: „Nein, jetzt wollen wir mit dir spielen!" Der Prophet redete ihnen gut
zu und versuchte, ihnen mit freundlichen Worten klarzumachen, dass es zum Gebet zu
spät würde, wenn er jetzt nicht gleich ginge. Jedoch all sein Reden nützte nichts. Sie
ließen ihn nicht vorbei...
Unterdessen aber warteten die Muslime in der Moschee auf ihn. Bilal ging, um nach dem
Propheten Ausschau zu halten. Er sah, dass die Kinder ihn nicht fortließen und wollte sie
beiseite schieben. Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) aber hinderte ihn daran und sagte:
„Wir hatten frische Walnüsse im Hause. Sieh mal, was von ihnen noch geblieben ist und
bringe sie her."
Als Bilal gegangen war, macht der Prophet den Knaben einen Vorschlag:
„Kommt, wir wollen einen Tausch machen. Denkt euch, ich sei ein Kamel, aber ließe
niemanden auf mir reiten. Deswegen wollt ihr mich verkaufen. Seid ihr einverstanden,
wenn ich mich selbst von euch mit Walnüssen loskaufe und meinen Verpflichtungen
nachgehe?"
Die Jungen meinten: „Das ist nicht übel. Nein, es ist sogar ein gutes Geschäft!" -
Inzwischen war Bilal mit acht Walnüssen zurückgekehrt. Der Prophet reichte sie den
Kindern und fragte: „Seid ihr damit einverstanden?"
Die Knaben freuten sich, als die die frischen dicken Nüsse sahen und antworteten:
„Jawohl, das ist in Ordnung! Wir sind einverstanden mit dem Tausch!"
Der Gesandte Gottes ging schnellen Schrittes auf die Moschee zu. Dort angekommen,
sagte er zu den Muslimen: „Mein Bruder Josef, den Sohn des Jakob, hatten seine Brüder
für zwölf Drachmen verkauft, - die Kinder von Medina aber mich für ein paar
Walnüsse." -
24. Nachsicht und Verzeihen...
Nachsicht und Großzügigkeit sind Eigenschaften, durch die sich Hadrat - e - Muhammad
(s.a.s) auszeichnete. Auf diese Weise gelang es ihm häufig, selbst Übeltäter auf das
rechte Gleis zurückzuführen.
Seinen Freunden zu verzeihen ist nicht sonderlich schwer. Schwierig ist jedoch, aus
Feinden Freunde zu machen, etwas, dem die unfehlbaren Imame (a.s.) besonderes
Augenmerk schenkte.
Ein Beispiel hierzu ist folgendes:
Im Jahre acht nach der Hidschra bereitete sich der Gesandte Gottes auf die Eroberung
Mekkas vor. Damit die mekkanischen Gegner nichts von seinem Vorhaben merkten,
ging der Prophet diesbezüglich sehr verschwiegen vor. Einer der Muslime - Hatib- der
mit den Muslimen nach Medina emigriert war, besaß in Mekka Brunnen und
Grundbesitz. Einige seiner Verwandten lebten noch dort.
Hatib zählte nicht zu den couragierten Muslimen, die um ihrer Überzeugungen Willen
bereit waren, Leben und Besitz herzugeben. Er hielt die Beziehungen zu den Großen
Mekkas aufrecht und hoffte auf Aussöhnung mit ihnen. Nun hatte er irgendwie von dem
Überraschungsangriff, den Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) gegen die Mekkaner plante,
erfahren, schrieb einen Brief an sie und teilten ihnen das Vorhaben des Propheten mit.
Damit wollte er sich für den Fall, dass die Mekkaner sich behaupten konnten, ein
Türchen offen lassen, um der Bestrafung der Götzendiener zu entgehen und ebenfalls
deren Zorn von seinen Angehörigen und Gütern abzuwehren.
Den Brief gab er einer schwarzhäutigen Bettlerin, die in Medina lebte. Sie sollte ihn -
natürlich gegen ein hohes Bestechungsgeld, das sie für diesen Dienst erhielt -auf
einsamen Pfaden nach Mekka bringen und dort den Oberhäuptern der Stadt
aushändigen. Er versprach ihr, dass sie dort ebenfalls eine hohe Belohnung für ihren
Botendienst zu erwarten habe. -
Glücklicherweise erfuhr der Prophet davon. Er wies Hadrat -e-Ali (a.s.) an, sein Schwert
zu nehmen, sie die Begleitung und Unterstützung von Zubayrs auf den Weg nach Mekka
zu machen und zu verhindern, dass der Brief übergeben werde. Sie ritten also los und
holten nach einiger Zeit die Botin ein. Die Frau leugnete und tat so, als wüsste sie von
nichts. Sie jammerte, eine allein stehende, unglückliche Bettlerin zu sein, gemieden von
den Leuten und nichts und niemanden auf der Welt zu haben.
Zubayr war drauf und dran, ihr zu glauben. Ali (a.s.) aber zog sein Schwert, und
sprach: „Du bist eine Verräterin! Du Lügnerin! Niemals sagt der Prophet anderes als die
Wahrheit! Bei Gott! Wenn du den Brief nicht sofort hergibst, lass ich dich verhören und
durchsuchen! Findet sich dann das Schreiben bei dir, so wirst du mit diesem Schwert
Bekanntschaft machen!"
Die Frau geriet in Angst und Schrecken und stotterte verstört: „Wenn es denn sein
muss, o Sohn des Abu Talib, so wende dich einen Augenblick lang von mir ab, damit ich
den Brief aus meinem Gewand hervorhole!" -
Er wandte sich von ihr ab, sie zog das Schreiben heraus und gab es ihm. Man brachte es
dem Propheten. Der Prophet ließ die Muslime in der Moschee zusammenkommen.
Er zeigte ihnen den Brief und sprach: „Freunde! Ich bat Gott darum, uns zu helfen, dass
unser Vorhaben dem Feind nicht bekannt werden möge. Einer unter euch schrieb diesen
Brief an die Mekkaner und teilte ihnen unser Vorhaben mit. Ich weiß, wem diese Brief
gehört, doch ist es besser, wenn er sich selbst erhebt und seine Schuld bekennt!" -
Da sich niemand erhob, wiederholte er seine Aufforderung. Er fügte hinzu: „Wenn der
Schreiber dieses Briefes sich nicht zu erkennen gibt, so macht er sich ein zweites Mal
schuldig. Einmal, weil er mit seinem Vorhaben Verrat begehen wollte und zum anderen,
weil er seine Schuld zu verbergen sucht! Doch er soll wissen, dass Gott ihn bloßstellen
wird!" -
So stand Hatib letztendlich zerknirscht und mit schamrotem Gesicht auf und sagte: „O
Gesandter Gottes! Ich habe den Brief geschrieben. Doch ich bin gläubig und zweifle
nicht an meiner Religion. Auch schrieb ich den Brief nicht in der Absicht, Verrat zu
begehen!" -
Hadrat - e - Muhammad (s.a.s) fragte: „Was veranlasste dich diese Zeilen!?"
Er: „Ich bin ein schwacher Mensch und habe niemanden, der mir beistünde. Viele
meiner Angehörigen leben noch in Mekka. Ich dachte, dass ich durch diese
Benachrichtigung den Großen in Mekka einen Gefallen tun kann und sie, falls sie dich
und die Muslime besiegen, meiner Familie kein Leid zufügen. Ich bin breit, mein Leben
herzugeben, doch um meine Frau und meine Kinder habe ich Angst."
Einer der Muslime rief: „Lass diesen Verräter hinrichten! Er hat sich durch dieses
Schreiben als Munafiq (Heuchler/ Verräter) erwiesen!"
Der Prophet aber wehrte ab und sprach: „Lasst ihn! Er hat im Kriege Badr auf unserer
Seite gekämpft. Vielleicht wird Gott ihm vergeben! Doch führt ihn aus der Moschee
heraus!"-
So führten sie Hatib hinaus. Er war voller Kummer und schluchzte vor Scham und Reue.
Noch im Gehen wandte er sich um, schaute den Propheten mit flehenden Augen an und
hoffte, dass dieser ihm verzeihen möge.
Als Hadrat - e- Muhammad (s.a.s) ihn so bekümmert sah, ließ er ihn wieder in die
Moschee zurückbringen und sagte zu ihm: „Ich verzeihe dir! Bitte Gott, dass auch Er dir
vergibt und wiederhole so etwas nicht mehr!"
Hadrat - e - Muhammad (s.a.s.) ging so vor, dass bei der Eroberung Mekkas
Blutvergießen vermieden werden konnte. Er versprach den Einwohnern der Stadt
Sicherheit und sagte: „Wenn ihr in euren Häusern bleibt und nichts gegen die Muslime
unternehmt, so wird euch kein Leid geschehen!" -
Sie gingen auf diesen Vorschlag ein, und die Muslime hielten sich an das Versprechen,
töteten nicht, nahmen niemanden gefangen und verzichteten auf Kriegsgewinn.
Die Gegner des Islam bleiben also in ihren Häusern und das islamische Heer zog
ungehindert in die Stadt ein.
So kam es, dass der Prophet, zwanzig Jahre nach dem Beginn des Islam, nach vielen
Kriegen und Gefechten gegen den mächtigen Feind, d.h. die götzenanbetenden
Quraisch, siegreich und unangefochten in der Heiligen Moschee, der „Masgid ul Haram",
in deren Innenhof die Kaaba steht, Einzug hielt. -
Eine große und bedeutende Aufgabe stand ihnen nun bevor, d.h. er hatte die Götzen,
die man in der Kaaba aufgestellt hatte, zu vernichten.
Hadrat - e - Muhammad (s.a.s.) fragte: „Wer hat den Schlüssel zur Kaaba?"
Sie sagten ihm, dass er in Händen von Umm - e - Schaybahs, der Mutter Schaybahs
sei.
„Ruft Schaybah her!" ordnete er nun an.
Schaybah war noch sehr jung. Der Prophet sagte zu ihm: „Geh zu deiner Mutter und
lass dir von ihr den Schlüssel zur Kaaba geben. Bring ihn her zu mir!"
Schaybah ging zu seiner Mutter und teilte ihr mit: „Mutter, Mekka ist von Hadrat - e -
Muhammad erobert worden. Er wies mich an, ihm den Schlüssel zur Kaaba zu bringen."
Umm - e - Schaybah war verbittert über das, was geschehen war und meinte: „Geh zu
Muhammad und sag ihm: Ihr habt unsere Stadt erobert und wollt nun auch noch das,
was unserer Familie zur Ehre gereichte, in eure Gewalt bringen?" -
Schaybah überbrachte dem Propheten die Antwort seiner Mutter. Dieser entgegnete:
„Sag deiner Mutter, dass von nun an keine Ehre mehr zählt außer jener, die im
Gotterkennen liegt. Entweder gibt sie den Schlüssel freiwillig heraus oder sie wird für
ihre Widersetzlichkeit zur Rechenschaft gezogen!" -
Schaybah ging und kam nach einiger Zeit mit dem Schlüssel zurück. Der Prophet
schloss die Tür zur Kaaba auf. Die Götzen wurden zertrümmert. Danach wurde ihre Tür
wieder verschlossen.
Nachdem dieses geschehen war, rief der Prophet den Knaben erneut zu sich. Er breitete
seinen Aba (Übermantel) auf dem Boden aus und legte - vor aller Augen - den
Schlüssel darauf. Dann sprach er zu Schaybah: „Nimm ihn und bring ihn deiner Mutter
zurück!" -
Daraufhin legte er seine Hände an beide Seiten der Kaaba - Türöffnung und sagte,
gerichtet an die Ältesten und Großen der Stadt, die gekommen waren, um ihm ihre
Ergebung kundzutun: „Lob und Preis sei Gott, der Seine Verheißung wahr machte,
seinem Diener beistand und ihm zum Sieg über die feindlichen Truppen und Gruppen
verhalf!"
Er fügte hinzu: „Was glaubt ihr wohl, was euch nun geschehen wird?"
Suhayl, einer der Ältesten seines Stammes, antwortete: „Wir hoffen, dass ihr uns
wohlgesonnen seid! Ihr seid uns ein freundlicher Bruder und geschätzter Neffe!"
Prophet Muhammad (s.a.s.) erwiderte: „Ich werde mich euch gegenüber so verhalten,
wie es mein Bruder Josef seinen Brüdern gegenüber hielt. Ich vergebe euch und
überlasse euch Gott! Möge Er über eure Schuld hinwegsehen! Aber wisset, dass
Blutvergießen, Sittenlosigkeit, Unzucht, Ämter und Protokolle, die in der vorislamischen
Zeit galten, von mir abgelehnt und verworfen werden, bis auf die Instandhaltung der
Kaaba und Versorgung der Hag - Pilger, etwas, das zum Aufgabenbereich der dafür
Zuständigen gehört!"
Auch dies sagte er noch: „Ihr wart dem Gesandten Gottes schlechte Nachbarn und
Verwandte. Ihr verleugnetet und verleumdetet ihn, verstießet ihn, veranlasstet ihn,
Haus und Heimat zu verlassen und fügtet ihm Leid zu, wo und wann immer ihr nur
konntet!
Doch damit begnügtet ihr euch nicht. Ihr griffet uns in unserer neuen Heimat an und
führtet Krieg gegen uns. Doch gehet hin in Frieden! Ich gebe euch auf dem Wege Gottes
Freiheit und Sicherheit!"
26. Verschlüsseltes richtig deuten
Nach der Eroberung Mekkas kam es zu einigen kleineren und größeren
Auseinandersetzungen. Eine davon war der Konflikt „Hunayn".
„Hunayn" war der Name eines Tales auf dem Wege Mekka - Ta'if. Es kam in dieser
Gegend zu einem Gefecht, bei dem die Muslime die Krieger des Stammes „Huwazan",
die von Malik Ibn Awf angeführt wurden, besiegten.
Der letzte Truppenbefehlshaber der islamischen Armee war Abu Mussa Asch'ari. Den
Muslimen fiel durch diesen Sieg reicher Kriegsgewinn zu. Unter anderem 12000 Kamele,
4000 Schafe und andere Werte.
Der Prophet wollte die Verteilung des Gewinnes nach der Erledigung seiner Mission in
Ta'if vornehmen und ordnete demzufolge an, bis dahin alles am Ort „Ga'ranah"
aufzubewahren und zwar deswegen, weil einige der übrig gebliebenen Götzendiener
nach der Niederlage des Stammes Huwazan nach Ta'if geflohen waren, um von dort aus
erneut die Muslime anzugreifen.
Nach ihrer Rückkehr von Ta'if nach Ga'ranah verteilte der Prophet den größten Teil des
Gewinnes unter den namhaften Persönlichkeiten Mekkas und Umgebung, die erst
kürzlich den Islam angenommen sowie jenen Muschrikan (Götzendienern), die der
muslimischen Armee mit Waffen und Kettenhemden ausgeholfen hatten.
Zu diesen gehörten Abu Sufian, Muaviah und andere Stammesoberhäupter, von denen
ein jeder hundert Kamele erhielt.
Unter den Ansar von Medina - d.h. jenen, die dem Propheten und den Muslimen nach
ihrer Emigration aus Mekka nach Medina beigestanden waren und ihnen Unterkunft und
Lebensmittel zur Verfügung gestellt hatten - gab es einige, die zunächst gegen diese
Verteilung protestierten.
Nachdem Hadrat - e - Muhammad (s.a.s.) sie aber über den Grund dieses Vorgehens
aufgeklärt hatte, waren sie zufrieden gestellt und einverstanden.
Einem aus der High Society Mekkas namens Abbas Ibn Mardas, der den Stamm Bani
Salim anführte, wurden nicht mehr als vierzig Kamele zugeteilt. In seiner Verbitterung -
schließlich stufte er sich nicht geringer ein als die anderen Großen - verfasste er einige
Schmähverse, in denen er seinen Groll zum Ausdruck brachte und die er den Leuten
vortrug.
Die Getreuen des Propheten gerieten darüber in Zorn. Unruhe entstand. Hadrat - e -
Muhammad (s.a.s.) wies Hadrat - e - Ali (a.s.) an: „Geh und kürze ihm die Zunge!"
Wie Ibn Mardas selbst berichtet, verlief die Geschichte wie folgt:
„Bei Gott", sagte Abbas, "dieses Wort des Gesandten Gottes traf mich hart, härter als
die gesamten Härten und Entbehrungen während des Krieges. Der Sohn Abu Talibs
ergriff meine Hand und zog mich beiseite. Ich sagte zu ihm: "O Ali, willst du mir
tatsächlich die Zunge kürzen?"
Ali antwortete: „Ich führe lediglich den Befehl des Gesandten Gottes aus."
Er führte mich zum Gehege der Kamele und forderte mich auf: "Nun such dir vierzig
oder aber hundert Kamele aus!"
Ich fragte verwundert: „So über alle Maßen großzügig seid ihr?"
Er: „Diejenigen, die hundert Kamele erhielten, gehören zu denen, die noch eine
„Herzstärkung" notwendig haben, das heißt zu den Neu-Muslimen oder aber jenen
Muschrikan, die uns unterstützen. Dich aber stufte der Prophet wie die Muhagiran
(Emigranten aus Mekka nach Medina) ein, denen er vierzig Kamele gab. Wenn du willst,
nimm hundert Kamele, wodurch du zeigst, dass du zu der erstgenannten Gruppe zählst,
deren Ehre und Ansehen jedoch keinesfalls wie das der Muhagiran ist.""
Nun verstand Abbas Ibn Mardas den Sinn dieser Verteilung und bereute, jene
Schmähverse verfasst und veröffentlicht zu haben. Er begriff nun, was der Prophet
meinte, als er sagte: „Kürze ihm die Zunge!"
Nämlich: Mit diesen Worten hatte er Ali (a.s.) aufgetragen, ihn aufzuklären und seine
„spitze Zunge" zum Schweigen zu bringen.
Ali (a.s.) war es, der die Bedeutung dieses Prophetenwortes richtig verstand.
27. Rechtgeleitet durch Noblesse
Den Krieg zu „Hunayn" hatte Malik Ibn Awf, das Stammesoberhaupt der Huwazan, vom Zaune gebrochen. Nun war er unmittelbar nach dem Sieg der Muslime nach Ta'if geflohen und hielt sich dort versteckt. Wie wir schon sagten, waren den Muslimen viele Tausend Kamele, Schafe und andere Werte als Kriegsgewinn in die Hände gefallen. Zudem 6000 Gefangene, die sie ohne Lösegeld wieder auf freien Fuß setzten. So hatte es Hadrat - e - Muhammad (s.a.s.) angeordnet. Den Kriegsgewinn aber, sogar seinen Anteil, verteilte er unter den muslimischen Kämpfern und anderen, die diese z.B. mit ihren Waffen und Rüstungen unterstützt hatten.
Unter den Gefangenen befand sich Schima, die Tochter der Halimah Sa'diah, eine Halbschwester des Propheten. Als er sie erkannte, breitet er seinen Aba, d.h. seinen langen Übermantel auf dem Boden aus und forderte sie auf, auf ihm nieder zu sitzen. Er setzte sich zu ihr und sprach ihr gut zu. Die Tochter Halgasch, die sechs Jahre lote war als er und nun im 66. Lebensjahr war, begann zu reden und legte für Malik Ibn Awf, den Kriegsanstifter, ein gutes Wort ein. Sie bat den Gesandten Gottes, ihm zu vergeben. Der Prophet gab ihr zur Antwort: „Ich gehe auf deine Bitte ein, wenn er selbst zu mir kommt und bereut." -
Malik Ibn Awf wurde benachrichtigt, er kam, bat um Vergebung und bekannte sich zum Islam. Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) gab ihm seine Güter und Werte zurück und dazu noch Hunderte Kamele als Geschenk.
Von nun an arbeitete Malik Ibn Awf mit den Muslimen zusammen und beteiligte sich an mehreren Kämpfen als einer der Truppenbefehlshaber des islamischen Heeres.
Das Gefecht „Tabuk", das im Jahre 9 n.d.H. stattfand, war beendet. Die islamischen Truppen hatten den Rückmarsch nach Medina angetreten.
Zu deiner Information:
Der Kampf „Tabuk" war der größte und letzte, an dem der Prophet persönlich teilnahm, und die Gegend Tabuk liegt nördlich von Medina, zwölf Tagesreisen von dieser Stadt entfernt, - auf dem Wege nach Damaskus.
Doch nun zurück zur Geschichte:
Auf der Strecke zwischen Tabuk und Medina gibt es einen Ort, an dem sich die Straße
gabelt. Der eine Weg führt durch ein weites, breites Tal, der andere schmalere durch
schwer begehbares Gebirge. Allerdings ist Medina auf diesem Gebirgspfad schneller zu
erreichen.
Nun bestand aber das islamische Heer aus 30.000 Kämpfern, die begleitet waren von
10.000 Pferden und 12.000 Kamelen. Den schmaleren Gebirgsweg zu nehmen, war für
diese große Armee nicht zweckmäßig. Darum ordnete der Prophet an, dass die Truppen
auf dem breiten Weg durch das Tal nach Medina zurück kehren sollten. Er selbst wollte
mit zweien seiner Gefährten den klippenreichen Gebirgspfad nehmen.
Unter denen, die das islamische Heer nach Tabuk begleitet hatten, waren einige
Munafiqan (Heuchler, Doppelzüngige), die Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) hintergingen
und ihm keinesfalls wohlgesonnen waren. Doch dem äußeren Schein nach fühlten und
dachten sie mit den Muslimen.
Als der Prophet nun mit seinen Freunden den Gebirgspfad eingeschlagen hatte, trennten
sich diese Munafiqan unbemerkt von ihrer Truppe, die durch das Tal zog und verfolgte
den Propheten und seine Begleiter. Auf Nebenwegen erklommen sie steile Berghänge,
um ihm zuvorzukommen und lauerten schließlich im Hinterhalt auf sein Eintreffen. Ihr
Plan war, ihm den Weg zu versperren und ihn in die Tiefe zu stoßen. So saßen sie
vermummt in ihrem Versteck und warteten auf den Gesandten Gottes.
Die beiden Gefährten, die den Gesandten Gottes begleiteten, waren Amar Yassir, der
das Kamel des Propheten führte, und Hudayfah Ibn Yaman, der ihnen folgte. Mit einem
Male hörten sie Schritte, die immer näher heran kamen. Hadrat - e - Muhammad
(s.a.s.) wusste, was das zu bedeuten hatte. Er wies Hudayfah an, die Verfolger
abzuwehren. Hudayfah griff diese mit einem schweren Knüppel an.
Er rief: „Ich habe euch erkannt! Mit euch ist es nun aus!" -
Sie, die sich davor fürchteten, erkannt und bloßgestellt zu werden, bekamen es mit
einem Male mit der Angst zu tun, stoben davon und schlossen sich unauffällig wieder
ihrer Truppe an.
Nachdem sie entkommen waren, eilte Hudayfah zu Hadrat - e - Muhammad (s.a.s.)
und Amar Yassir. Gemeinsam legten sie den Pfad durch das höhen- und klippenreiche
Gebirge zurück.
Hadrat - e - Muhammad (s.a.s.) fragte Hudayfah: „Hast du die Männer erkannt?"
Hudayfah antwortete: „Ich habe ihrer Pferde wiedererkannt. Sie gehören dem und dem,
doch die Gesichter der Reiter waren vermummt. Zudem war es dunkel, um sie genau
sehen zu können." -
Der Prophet fragte weiter: „Habt ihr verstanden, was sie wollten?"
Amar und Hudayfah meinten: „Genau wissen wir es nicht. Entweder wollten sie dich und
uns ausrauben oder sie trachteten dir nach dem Leben!"
„Ja, sie wollten mich im Schutze der nächtlichen Dunkelheit den Berg hinunter stoßen",
sprach der Prophet.
Sie: „Um Gottes willen! Was könnte schlimmer sein!? O Gesandter Gottes, ordne an,
dass sie getötet werden!"
„Nein", entgegnete Hadrat - e - Muhammad, „ich möchte nicht, dass es heißt,
Muhammad beschuldigt seine Gefährten und lässt sie hinrichten! Auch ihr tut gut daran,
diesen Vorfall zu verschweigen und nichts über ihn verlauten zu lassen. Das ungute
Treiben der Verräter wird noch offenkundiger werden!"
Unter den Gefangenen, die bei der Eroberung Chaybars in die Hände der Muslime gerieten, waren zwei Frauen, die nah verwandt waren mit dem Oberhaupt der Festung Qamus. Ihre Männer waren in dem Gefecht gefallen. Bilal hatte sie am Kampffeld, auf dem die Toten lagen, entlang geführt, weswegen der Prophet ihn rügte. In Gefangenschaft geraten zu sein, sei für die Frauen schon schwer genug. Man dürfe ihren Schmerz nicht noch vertiefen, sagte er.
Zu jener Zeit war es Sitte, dass die Gefangenen als „Kriegsgewinn" betrachtet und dementsprechend verteilt wurden. Die Hochgeborenen unter ihnen, d.h. jene, die aus adeligen Familien, Fürsten- und Königshäusern kamen, unterstanden dem Oberhaupt der Muslime. Niemand hatte das Recht, sie der Sklaverei zu überantworten. Eine der beiden Frauen - Cousinen - war Safiah, die Tochter des Hay Ibn Ahtab, die der Prophet, nachdem sie sich dem Islam zugewandt hatte, zur Frau nahm.
Die andere hieß Zaynab, die in den ersten Tagen ihrer Gefangenschaft höchst
unumgänglich und unhöflich war, sich danach jedoch gesitteter verhielt. Nach einiger
Zeit briet Zaynab ein Lamm und brachte es dem Propheten als Geschenk. Da sie gehört
hatte, dass dieser ein bestimmtes Beinstück gern aß, vergiftete sie dieses. Daraufhin
reichte sie ihm das vergiftete Bratenstück und sagte: „Ich bin mit meinem Geschick
zufrieden. Nimm dieses Geschenk von mir an, es soll ein Zeichen meiner Aussöhnung
mit dir sein und meiner Ergebung dir gegenüber."
Einer der Gefährten des Propheten - Buschr Ibn Bara' - war zugegen.
Der Prophet forderte ihn auf, von dem Braten zu essen und schob sich selbst ein
Stückchen in den Mund. Eigentümlicherweise vermochte er das Fleisch jedoch nicht zu
schlucken. Er legte es daher zurück und sprach: „Der Knochen dieses Bratenstücks sagt
mir, dass das Fleisch vergiftet ist."
Daraufhin rief er Zaynab zu sich und forschte sie aus. Sie gab zu, das Fleisch verseucht
zu haben, und als der Prophet sie nach dem Grund dafür fragte, antwortete sie: „Du
weißt selbst, was meinem Stamm durch dich widerfahren ist. Ich sagte mir: Wenn er
wirklich Prophet ist, wird er merken, dass das Fleisch vergiftet ist. Ist er jedoch nur
lediglich Oberhaupt einer Bevölkerung, so werden wir durch seinen Tod von ihm befreit!
Nun weiß ich, dass du wirklich ein Prophet und von Gott gesandt bist!" -
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) verzieh ihr.
30. Was du nicht willst, dass man dir tu...
Es kam häufig vor, dass jene, die in der Steppe lebten, von weither kamen und ohne lange Umschweife zu machen von dem Propheten verlangten, ihnen zu ihrem Glück zu verhelfen. Sie waren weder gebildet, noch hatten sie eine gute Erziehung genossen und verstanden daher nicht, ihre Bitte in höflicher, feiner Weise kundzutun. Hadrat -e-Muhammad aber antwortete ihnen so, dass sie es verstanden, aus seinen Worten lernten und Nutzen zogen.
Eines Tages, als sich der Prophet in einer wichtigen Angelegenheit auf den Weg machen wollte, kam ein Steppenaraber auf ihn zugeritten und sagte: „O Gesandter Gottes! Bevor du los reitest sag mir, was ich tun muss, um ins Paradies zu kommen!" -Hadrat -e- Muhammad entgegnete: „Wenn du ins Paradies kommen möchtest, so musst du dich den Leuten gegenüber so verhalten, wie du möchtest, dass sie sich dir gegenüber benehmen! Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu! Nun aber lass mein Kamel los, ich muss fort!"
31. Bin ich nun auch ihr Feind?
Eines Tages kam ein Mann zu dem Gesandten Gottes und sagte: „Meine Familie hat
beschlossen, sich von mir zurückzuziehen und mich zu befehden. Habe ich das Recht,
mich nun meinerseits von ihnen fern zu halten und zu trennen und sie als Feinde zu
betrachten?" -
Der Prophet antwortete: „In diesem Fall wird Gott euch euch selbst überlassen und aus
Feindschaft Feindschaft entstehen lassen!" -
Der Mann fragte: „Was soll ich aber tun? Sag es mir!"
Er: „ Bemühe dich, besser als sie zu sein! Halte fest an denen, die mit dir brechen
wollen. Dem, der dir etwas fortnimmt, gib! Vergib dem, der dreist zu dir ist und halt ihm
die Treue! Wenn du dich so verhältst, wird Gott dich unterstützen und aus Feindschaft
Freundschaft wachsen!"
Ein Mann kam zu Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) und sagte: „Ich bin aus der Steppe und
kann nicht in Medina bleiben, um jeden Tag eine neue Empfehlung von dir zu hören. Ich
möchte aber alles wissen, was du den anderen sagst, damit ich lerne und mich
berichtige! Sag mir, was ich zu tun und wie ich mich zu verhalten habe. Deine
Empfehlung muss alles beinhalten, was ich in meinem Leben beachten muss!" -
Der Prophet antwortete: „Meide Rohheiten anderen gegenüber!"
Der Mann aus der Steppe fragte erneut: „Deine Empfehlung muss vollständiger sein!"
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) daraufhin: „Meide Grobheiten!"
„Sag es bitte noch kompletter!"
„Meide Zorn, Grobheiten und Rohheiten!"
„Ist in Ordnung", meinte der Mann, „das scheint zu genügen!" -
Er ging in die Steppe zu seiner Familie zurück. Es dauerte nicht lange, als es zwischen
seinem und einem benachbarten Stamm zu einer Fehde kam. Man griff zu den Waffen
und stand einander - bereit zum Gefecht - gegenüber.
Das weißt du vielleicht: Steppenaraber waren in der Regel hitziger als die arabische
Stadtbevölkerung. Wenn ihnen irgendetwas gegen den Strich ging, traten sie sogleich
gegen den,der ihnen nicht behagte, zu Felde.
Der Mann aus der Steppe, von dem in dieser Geschichte die Rede ist, stand in den
Reihen der Kämpfer seines Stammes, die blanke Waffe in der Hand. Mit einem Male fiel
ihm ein, was der Gesandte Gottes ihm geraten hatte. Er legte sein Schwert nieder und
ging hinüber zu den feindlichen Kriegern, sagte: „Leute! Freunde! Zwischen unseren
beiden Stämmen gibt es doch im Grunde keine Fehde. Zwei Männer, einer von uns und
einer von euch, gerieten in eine Auseinandersetzung. Doch auch ihr habt ein Gewissen
und wollt Gerechtigkeit, nicht wahr?! Auch euch geht es um Recht, ist es nicht so? Es ist
daher nicht richtig, dass der Feindseligkeit zweier einzelner Männer wegen zwei Stämme
zu Blutvergießen und Tod verurteilt werden! Wenn jemand meines Stammes euch
Schaden oder Leid zufügte, so nennt ihn, damit er zur Rechenschaft gezogen wird.
Wenn ihr aber nicht wisst, wer es war, so werde ich den Schaden mit meinem Eigentum
gutmachen. Wir wollen das Problem durch einen ungerechten Krieg nicht noch größer
machen, sondern lieber unsere Feindschaft begraben!"
Die feindlichen Krieger antworteten: „Wenn ihr gerecht seid, so sind wir es auch.
Warum sollten wir untereinander Krieg führen?! Es stimmt, was du sagst! Wir wollen
lieber Freunde sein und vergessen, was vorgefallen ist! Freundschaft ist besser als
Feindschaft!"
33. Nicht Misstrauen hervorrufen!
Der Prophet saß mit seiner Frau Safiah zusammen. Jemand kam vorbei, sah Hadrat -e-
Muhammad (s.a.s) und grüßte. Dieser erwiderte den Gruß und erklärte: „Dieses ist
meine Frau Safiah!"
Der Mann meinte: „O Gesandter Gottes! Hätte es denn möglich sein können, dass ich
anderes annehmen konnte?!"
Der Prophet erwiderte: „Bisweilen jagt Satan den Menschen Misstrauen ein, das dann
wie das Blut in unseren Adern kreist. Ich will ihm den Weg dazu versperren!"
Einer der nichtarabischen Könige schickte einen versierten Arzt zu Prophet Muhammad
(s.a.s.) und den Muslimen, auf dass er sie heile, wenn sie einmal krank würden. Dieser
Arzt lebte nun bereits ein Jahr in ihrer Gemeinschaft, ohne dass jemand mit einem
Leiden zu ihm gekommen wäre.
Er klagte dieses dem Gesandten Gottes und sagte, dass er gesandt worden sei, um
kranke Muslime zu heilen, doch noch niemand sei gekommen, um sich von ihm kurieren
zu lassen.
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) erwiderte: „Weißt du, die Sache ist die: Sie essen nicht,
bevor sie wirklich hungrig sind und beenden ihre Mahlzeit, bevor sie rundherum satt
geworden sind."
Daraufhin meinte der Arzt: „Dieses ist der Weg zu Gesundheit und gesundem Leben. Bei
euch gibt es für mich nichts zu zu tun!" -
Er bat den Propheten, in seine Heimat zurück kehren zu dürfen, was ihm dieser gern
gewährte!
35. Die Rechte des anderen sind zu wahren!
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) brach während einer Reise zwei Ästchen zum Zähne
putzen von einem Baume ab. Eines war etwas gekrümmter als das andere. Das gerade
Ästchen gab er seinem Begleiter, das krumme behielt er für sich.
Sein Reisebegleiter fragte: „O Gesandter Gottes! Dir gebührt dieses gerade Zahnholz
eher als mir!"
„Nein, nein", antwortete der Prophet, „weißt du, ein jeder, der sich mit jemandem
zusammentut, wird am Tage der Auferstehung gefragt: „Hast du die Rechte deines
Partners gewahrt?"
Ein Jude fragte den Propheten etwas. Dieser schwieg einen Moment lang, bevor er ihm
antwortete.
Der Jude meinte: „Warum hast du zunächst geschwiegen, bevor du meine Frage
beantwortetest?"
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) entgegnete: „Die Klugheit gebietet, richtig und gut zu
sprechen, nicht aber übereilt und falsch!"
37. Aus freien Stücke oder mittels Zwang
Einige der Muslime meinten: „O Gesandter Gottes! Wenn du die anderen zum Islam
zwingst, werden wir bald sehr viele sein und stärker als unsere Feinde." -
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) antwortete: „Ich werde mich dem, was Gott gebot, nicht
widersetzen! dass ich die Menschen durch Gewalt zum Islam bringe, hat Er mir nicht
gesagt. Darüber hinaus gehöre ich nicht zu denen, die andere zu etwas zwingen. Am
Tage der Auferstehung, d.h. sobald sie der göttlichen Strafe gegenüber stehen, werden
sich alle zu Gott bekennen. Doch dann ist es zu spät! -
Zudem: Wer gezwungener weise den Glauben annimmt, hat keinen Anspruch auf Lob
und Anerkennung. Das, was dem Menschen zum Wohle gereicht, ist, aus freien Stücken
und eigenem Wunsch und Wollen gemäß an Gott zu glauben, sich Ihm zu fügen und gottgefällige Werke zu tun!"
38. Im Miteinander mit den anderen
Uthman Ibn Maz'un, einer der Gefährten des Propheten, war ein Mann, der gern in
Gottesanbetung versank und ein tugendhaftes Leben führte. Als dann sein Sohn starb,
wurde ihm die Flüchtigkeit dieser Welt immer stärker bewusst. Er zog sich nun völlig
von weltlichen Dingen zurück, beschäftigte sich in Gedanken mit Tod und Jenseits,
kleidete sich in einfache, grobe Gewänder und gab sich - in tiefer Einsamkeit und Stille
- dem Gottgedenken hin.
Eines Tages erkundigte sich Prophet Muhammad (s.a.s.) nach ihm. Man antwortete:
„Uthman hat der Welt Lebewohl gesagt und ist - wie andere Einsiedler auch - in stiller
Gottesanbetung versunken." -
Den Gesandten Gottes bekümmerte dieses sehr. Es ließ Utman zu sich kommen und
hielt eine ausführliche Ansprache an die Muslime.
Unter anderem sagte er: „Schaut genau hin! Seht, was ich mache! Ich faste eine
Zeitlang und höre dann wieder auf damit. Ich bete, aber vergesse das Essen und
Trinken deswegen nicht. Ich heirate und lebe - in Gedenken an Gott und Sein Wort
beachtend und befolgend - in eurer Gemeinschaft."
Daraufhin wandte er sich Uthman und sprach: „O Uthman! Gott bedarf nichts, auch
nicht deiner Askese, und damit nicht deiner groben und auffallenden Kleidung, die du
trägst. Zieh sie aus, kehre zu deiner Familie zurück und sorge für sie! Kümmere dich um
sie! Es gilt, im Miteinander mit den anderen enthaltsam und tugendhaft zu sein. Im
Islam gibt es kein Einsiedler - und Mönchtum. Gottesanbetung und Askese zeigen sich
im Islam im Mühen und Anstrengen auf dem Wege Gottes!"
39. Es mag uns ein Vorbild sein!
Hadrat-e-Chadiğah war die erste Gattin des Gesandten Gottes. Sie schenkte ihm vier
Töchter. Zunächst wurde Zaynab geboren, die vor der Bi'tat, d.h. vor der Ernennung
Hadrat -e- Muhammads (s.a.s.) zum Propheten, heiratete und das Elternhaus verließ.
Danach kamen Ruqayah um Umm-e-Kulthum zur Welt. Ruqayah um Umm-e-Kulthum
wurde die Frau Uthman Ibn Affans und wanderte mit diesem nach Abessinien aus. Im
zweiten Jahr nach der Hiğrah verstarb sie in Medina. Daraufhin heiratet Uthman ihre
Schwester Umm-e-Kulthum, doch auch sie fand in jungen Jahren den Tod.
Hadrat -e- Fatimah (a.s.), die jüngste Tochter, die allen Muslimas der Welt zur Ehre
gereicht und dem Propheten das „Licht seiner Augen" war, wie er selbst sagte, heiratet
fünf Jahre nach dem Tode ihrer Mutter Chadiğah, im Jahre zwei n.d.H., Hadrat -e- Ali
(a.s.).
Die Hochzeit Hadrat -e- Fatimah-Zahras (a.s.) war beispielhaft und einmalig. Einmalig
vor allen Dingen deswegen, weil sie zwei ebenbürtige Partner - beide waren „ma'sum",
d.h. immun und gefeit gegen Irrtümer, Sünden und Fehler - betraf.
Das Ehegelöbnis wie auch die Hochzeit fanden in so bescheidenem, aber dennoch so
feinem, ansprechenden Rahmen statt, dass sie selbst in den Ärmsten der Armen nicht
das geringste eifersüchtige Nagen erregten.
Kurz: Es waren heitere und zugleich inhaltsvolle, einfach gehaltene Festlichkeiten, -
beispielhaft für alle, denen es „um den Sinn der Sache" geht.
Nachdem Fätimah-Zahrä (a.s.) herangewachsen war, bat so mancher angesehene Mann
der Quraisch oder eines anderen der arabischen Stämme um ihre Hand. Doch der
Prophet antwortete immer: „ Fatimahs Geschick liegt in Gottes Hand. Er wird
bestimmen, mit wem sie sich verbindet." -
Im zweiten Jahr nach der Hiğra hegte Abu Bakr, der gemeinsam mit dem Propheten -
während dessen Emigration aus Mekka nach Medina - in der Höhle Thawr Zuflucht
gefunden hatte, den Wunsch, Fätimah zu heiraten. Auch ihm hatte Hadrat -e-
Muhammad (s.a.s.) gesagt: „Gott wird anordnen, mit wem sie sich vermählt!" -
Abu Bakr hatte Umar Ibn Chatäb davon erzählt und gemeint: „Vielleicht bist du der
Ausersehene!" -
Aber auch Umar erhielt keine andere Antwort als Abu Bakr. Eines Tages saßen einige
Freunde, unter anderem Umar, Abu Bakr und Sa'd Ibn Ma'ad, zusammen und sprachen
über dieses und jenes. Sie kamen auf Fätimah (a.s.) zu sprechen, und plötzlich stand
die Frage, wem sie wohl ihr Ja-Wort geben würde, im Raum. Sie sagten: „Der Gesandte
Gottes ließ uns bisher nur dieses wissen, nämlich, dass Gott diesbezüglich entscheiden
werde. Doch, wer weiß ..., Ali hat bisher noch nie etwas in dieser Hinsicht
unternommen.
Er ist jünger als wir, sein Glaube tiefer als der eines jeden anderen von uns, und zudem
steht er dem Propheten sehr nahe!"
Einer meinte: „Vielleicht bittet Ali nicht um ihrer Hand, weil er wirtschaftlich gesehen
nicht gut situiert ist?"
Ein anderer schlug vor: „Was haltet ihr davon, wenn wir in Ali den Gedanken, Fätimah
zu heiraten, wachrufen? Wenn materielle Gründe ihn bisher daran hinderten, um ihre
Hand zu bitten, so können wir ihm doch unter die Arme greifen!" -
Tatsächlich! Das war ein guter Vorschlag! Sie erhoben sich und machten sich auf den
Weg zu Ali (a.s.). Dieser war gerade dabei, in dem Palmenhain eines der Ansar-Leute
Wasser aus einem Brunnen heraufzuziehen, um damit die Bäume zu bewässern.
Er schaute sich erstaunt um, als er sie mit einem Male vor sich sah und fragte: „Was ist
geschehen, dass ihr hierher zu mir kommt?"
Sie: „ Weißt du, wir saßen zusammen und unterhielten uns über so allerlei, unter
anderem über dich und Fätimah-Zahrä. Vielleicht bist du der Glückliche, mit dem sie
sich vermählen wird. Jedenfalls, ihr würdet wunderbar zueinander passen und ein
vorbildliches Paar sein!"
„Ich weiß, ich weiß", antwortete Ali (a.s.) leise. „Jetzt, wo ihr davon sprecht, habt ihr
diesen Wunsch, der schon lange in mir ist, erneut wachgerufen. Ja, das wäre schön,
doch..., ich wollte eigentlich erst dann um ihre Hand bitten, wenn sich meine
wirtschaftliche Lage ein wenig gebessert hat."
Sie: „Nun, wichtig ist, dass du einverstanden bist. Alles andere wird sich regeln lassen.
Zudem, du weißt, dass es ihr und dem Gesandten Gottes nicht um irdische Werte geht.
Auf alle Fälle: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!
Insbesondere, da es sich doch um eine gute Sache handelt!" -
Ja..., so war es. Hadrat -e- Ali (a.s.) hörte auf, die Bäume zu bewässern, nahm sein
Kamel und ging heim. Dann, frisch und sauber gewaschen und gekleidet machte er sich
frohen Sinnes auf den Weg zum Hause des Propheten.
Umm-e-Salim, die Mutter des Anas Ibn Mälik, war gerade mit irgend welchen Dingen im
Raum Hadrat -e- Muhammads (s.a.s.) beschäftigt, als Ali Ibn Abi Talib grüßend eintrat.
Sie ging hinaus.
Ali (a.s.) setzte sich dem Gesandten Gottes gegenüber, sah ihn ab un zu an un schaute
dann wieder verlegen zu Boden. Es war deutlich zu spüren, dass er etwas auf dem
Herzen hatte. -
Wenn es um allgemeine Dinge geht, so ist es recht leicht, darüber zu sprechen. Doch
betrifft es persönliche Angelegenheiten, so wolle die Worte einfach nicht heraus..., ist es
nicht so?? -
Endlich kamen die Worte. Er sagte, was er zu sagen hatte, was er sich wünschte....
Der Prophet freute sich. Froh erhob er sich und antwortete: „Ich selbst bin
einverstanden, doch warte einen Augenblick, damit ich Fätimah frage, wie sie darüber
denkt." -
Immer hatte er es so gehalten. Wenn jemand um die Hand einer seiner Töchter bat,
fragte er sie nach ihrer Meinung und zwang sie zu nichts. Senkte sie still den Kopf, so
wusste er, dass sie einverstanden war. Doch war sie mit einem Vorschlag nicht
zufrieden, so sagte sie es frei heraus, und er richtete sich nach ihrem Wunsch. -
Auch dieses Mal ging er in dieser Weise vor. Als er sah, dass Fätimah still ihren Kopf
neigte, wusste er, dass sie mit Ali (a.s.) einverstanden war.
Heiter kam er zu Ali zurück und sagte lächelnd: „Du möchtest sie? Ja, auch Fätimah
möchte dich! Sie ist einverstanden, und Gott ist es ebenfalls. Was mich angeht..., ich
bin froh und glücklich darüber."
Später, als er ihn nach der Morgengabe für Fätimah fragte, entgegnete Ali (a.s.): „Du
weißt, dass ich über materielle Güter nicht verfüge. Lediglich ein Kamel gehört mir, ein
Schwert und ein Kettenhemd. Mehr habe ich nicht. Gott jedoch verhieß, dass Er jungen
Ehepaaren helfen wird!" -
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) erwiderte: „Ali, mein Junge, dein Kamel brauchst du. Mit
seiner Hilfe kannst du euren Lebensunterhalt verdienen. Dein Schwert benötigst du, um
den Feind abzuwehren. Doch dein Kettenhemd hast du nicht unbedingt nötig. Du kannst
es verkaufen und den Erlös dazu verwenden. Und noch eins: Freu dich! Gott hat eure
Ehe in den Himmeln bereits geschlossen!"
Ali Ibn Abi Tälib (a.s.) war glücklich. Froh und zufrieden verließ er das Haus des
Gesandten Gottes und teilte Abu Bakr, Umar und den anderen, die draußen auf ihn
warteten, die frohe Nachricht mit. Sie freuten sich mit ihm.
Einige Stunden vergingen. Der Prophet wies Biläl an, alle - Ansär und Muhägerin -
aufzurufen, sich in der Moschee zu versammeln.
Zu deiner Erinnerung: Ansär sind jene, die den Propheten und die Muslime nach ihrer
Auswanderung aus Mekka bei sich in Medina aufnahmen, wohingegen mit den
Muhägerin die nach Medina ausgewanderten Muslime gemeint sind. -
Als sich alle eingefunden hatten, teilte der Prophet ihnen die Vermählung Alis (a.s.) mit
seiner Tochter mit, auch, dass diese Ehe das Wohlgefallen Gottes finde und die
Morgengabe im Werte von 400 Mitqäl sei.
Nachdem Hadrat -e- Ali (a.s.) ebenfalls offiziell seine Zustimmung und Freude über
seine Eheschließung mit Fätimah (a.s.) bekannt gegeben hatte, zelebrierte Hadrat -e-
Muhammad (s.a.s.) das Ehegelöbnis.
Ali (a.s.) holte sein Kettenhemd. Die Gefährten des Propheten taxierten den Preis, und
Uthmän kaufte es für 480 Silber-Drachmen. Umgerechnet sind das etwa 400 Mitg,äl
Silber.
Es heißt, Uthmän habe das Kettenhemd, das schwer gewesen sei, Ali (a.s.) mit den
Worten: „ O Ali! Niemand als dir gebührt es, dieses Kettenhemd zu tragen", zurück
geschenkt.
Den Erlös für das Kettenhemd überreichte Hadrat -e- Ali (a.s.) dem Propheten. Dieser
nahm eine Handvoll Münzen, gab sie Biläl und sagte: „Lass davon Duftwasser und
dergleichen für Fätimah kaufen!"
Den Rest des Geldes überließ er Umar und Abu Bakr mit der Bitte, ihrem eigenen
Ermessen gemäß davon die Aussteuer für seine Tochter zu beschaffen.
In alten Schriften wird über die Dinge, aus denen Fätimahs Aussteuer bestand,
berichtet. Die in ihnen gemachten Angaben unterscheiden sich ein wenig. In einigen
werden ein, zwei Dinge mehr oder weniger genannt. Wie den Überlieferungen jedoch zu
entnehmen ist, war es keinesfalls mehr als:
Ein Gewand zu sieben Drachmen, ein Umhang zu vier Drachmen, ein Yemen-Tuch, ein
Handtuch, eine Unterlage aus ägyptischer Baumwolle, eine Schilfrohrmatte, eine
Handmühle zum Mahlen des Getreides, eine Eisenpfanne, ein Sieb, ein Bettgestell aus
Dattelpalmenholz, ein Eßtuch aus ägyptischer Kattun, ein Getreidesack, eine hölzerne
Schüssel, ein hölzerner Löffel, eine Matratze aus Kamelhaar, vier Kissen gefüllt mit
Dattelpalmfasern, ein Tonkrug, ein wollener Vorhang, eine Kupferschale, zwei silberne
Armkettchen, ein Tonkessel, ein Rückenkissen aus Ta'if - Fell, gefüllt mit Heu, ein Korb,
geflochten aus Dattelpalmenzweigen.
Das war die Aussteuer Hadrat-e-Fätimahs (a.s.) Mehr nicht. Selbstverständlich hätte der
Prophet trotz seiner eigenen begrenzten materiellen Situation mehr und bessere
Gegenstände beschaffen können, wenn er gewollt hätte!
Doch ihm ging es in erster Linie darum, den Muslimen zu zeigen, dass Aufwand und
unnötige Ausgaben zu einer Eheschließung nicht notwendig sind, dass das Glück einer
Ehe nicht von materiellem Besitz abhängig ist, dass man sich das Leben nicht
„verkomplizieren" sollte!
Als Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) die Aussteuer Fätimah-Zahräs (a.s.) betrachtete,
stiegen ihm Tränen in die Augen. Er sah zum Himmel empor und bat Gott, Ali und
Fätimah diesen einfachen Hausstand zu segnen.
Es wird überliefert, dass nach etwa einem Monat die Frauen aus dem Hause des
Gesandten Gottes zu Ali Ibn Abi Tälib (a.s.) gegangen seien.
Sie fragten ihn: „Ali, willst du Fätimah nicht zu dir holen? Wenn du dich genierst, den
Propheten darum zu bitten, so lass es uns tun!"
Er antwortete: „Ja, bittet ihr ihn darum."
Sie gingen zu Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.). Eine von ihnen begann zu sprechen: „O
Gesandter Gottes! Ali (a.s.) möchte Fätimah zu sich holen!"
Der Prophet: „Gut, richtet einen Raum für die Hochzeit her."
Zu Ali (a.s.) aber sprach er: „Was das Festmahl (Walimah) betrifft, will ich für Brot und
Fleisch sorgen. Du aber kümmerst dich bitte um Datteln und Bratöl." -
Als alles beschafft war, griff der Prophet selbst mit zu und half mit, eine köstliche Speise
aus Datteln, Öl und Kaschk zuzubereiten. Brot wurde gebacken, Fleisch gebraten und so
fort...
Dann sprach er: „Nun ladet ein, wen immer ihr wollt!"
Hadrat -e- Ali (a.s.) ging zur Moschee, um die Freunde und alle, die dort waren, zum
Hochzeitsmahl einzuladen. Auch denen, die nicht zugegen waren, ließ er Bescheid
geben, am „Walimah" teilzunehmen.
Und sie kamen alle..., alt und jung, arm und reich, in Scharen und Gruppen. Hadrat -e-
Ali (a.s.) war zunächst in Sorge, dass die vielen Gäste nicht alle bewirtet werden
könnten. Doch Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) beruhigte ihn: „Ali, Junge! Mach dir keine
Sorgen! Gottes Segen ruht auf den Speisen. Alle werden satt!"
Ja, alle wurden satt. Nachdem die Gäste gegangen waren, wies der Prophet Umm -e-
Salimah und Umm -e- Salim an: „Bringt Fätimah her zu mir!"
Er legte ihre Hand in die Ali Ibn Abi Tälibs und sprach: „Gott segne dir die Tochter
Seines Gesandten, die die beste aller Frauen ist. Und dir, o Fätimah, möge Gott Ali
segnen, der der beste aller Gatten ist." -
Nach dem Nach-Sonnenuntergang-Gebet ließ er die Frauen und Töchter aus dem Hause
Abdul Mutalibs und die der Muhägiran und Ansär (wir haben einige Seiten zuvor erklärt,
wer diese sind) rufen, damit sie alle gemeinsam einige frohe Stunden miteinander
verbrächten.
Sie hoben Fätimah auf ein Kamel. Salman Färsi führte dieses an seinem Zügel und
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) ging allen voran.
Die Frauen der Bani Häschim stimmten heitere Verse an und begleiteten Hadrat -e-
Fätimah - Zahrä (a.s.). Die Männer folgten ihnen in einiger Entfernung. Sie alle priesen
Gott und riefen: „Allahu Akbar! Allahu Akbar!" (Gott ist erhaben - groß! Gott ist erhaben
- groß!)
Altem Brauch gemäß wurde der Hochzeitszug eskortiert von Jünglingen der Bani
Häschim, die ihre blanken Schwerter in den Händen hielten.
Sie erreichten das Haus Ali Ibn Abi Tälibs, das sich gleich in der Nähe befand. Kurze Zeit
darauf saßen Fätimah und Ali (a.s.) in einem für sie hergerichteten und geschmückten
Raum, still und schweigend.
Der Prophet verabschiedete unterdessen draußen vor der Tür alle, die mitgekommen
waren und trat dann zu dem jungen Brautpaar in das Hochzeitsgemach. Er bat Fätimah,
ein wenig Wasser zu bringen. Sie erhob sich und brachte es ihm in einer hölzernen
Schüssel.
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) sprach ein Bittgebet (Du'ä) und besprengte daraufhin
zuerst Fätimah mit dem Wasser, dann Ali.
Dann sprach er: „Nun lebt wohl! Ihr seid jetzt Mann und Frau!"
Mit den Worten: „Morgen werde ich kommen, um euch zu besuchen", verließ er sie.
Am nächsten Morgen kam er mit einer Schale Milch. Er ließ Ali und Fätimah (a.s.) von
der Milch trinken und ging wieder fort.
Drei Tage ließ er sie allein. Dann, am vierten Tag, machte er sich erneut auf den Weg zu
ihnen. Salmä, die Frau seines Onkels Hamzah, stand in der Tür. Er fragte sie: „Salmä,
was tust du denn hier?"
Sie: „Als Chadiğah im Sterben lag, weinte sie. Ich fragte sie nach dem Grund ihres
Kummers: „O Chadiğah, warum weinst du? Das Glück dieser und jener Welt ist dir
bestimmt worden, weine nicht!"
Sie antwortete: „Ich scheide nun aus dieser Welt und lasse meine kleine Tochter zurück.
Sie ist noch ein Kind. Doch wenn sie größer wird und heiratet, möchte sie wie andere
junge Mädchen ihre Mutter oder eine erfahrene Freundin in ihrer Nähe wissen. Ich bin
bekümmert und besorgt, weil ich nicht weiß, wer ihr an jenem Tag zur Seite stehen
wird."
Ich tröstete sie: „Sei unbesorgt. Wenn ich an jenem Tage noch lebe, werde ich in ihrer
Nähe sein und für sie tun, was ich kann!" - Chadiğah war erleichtert, und ich bin nun
hier, um mein Versprechen wahrzumachen."
Der Prophet (s.a.s.) freute sich und bat Gott, Salmä zu segnen und zu schützen. Er trat
ins Haus ein, grüßte und setzte sich zu seinen Kindern. Nach einiger Zeit ging Ali (a.s.)
hinaus, um etwas zu erledigen.
Vater und Tochter unterhielten sich.
Als Ali (a.s.) zurück kehrte, sagte der Prophet (s.a.s.) zu ihm: „Sei willkommen in
deinem Haus und freut euch aneinander! Du weißt, Fätimah ist ein Teil von mir, und wer
sie froh macht, erfreut mich. Doch wer sie betrübt, fügt mir Kummer zu. Ebenso ist Ali
mein Freund, Bruder und Vertrauter. Wer ihn unterstützt, unterstützt mich, - wer ihm
feindlich gesonnen ist, steht mir als Feind gegenüber."
Es dauerte nicht lange und Ali und Fätimah (a.s.) zogen in ein Lehmhäuschen ganz in
der Nähe des Propheten ein. Die Tür ihres Wohnraumes, dessen Größe sieben Ellen im
Quadrat betrug, führte in das Innere der Moschee. In diesem winzig kleinen Häuschen
lebten sie bis ans Ende ihres Lebens, hier wurden ihre Kinder geboren und zu dem
erzogen, was sie wurden.
40. Bescheiden, aber glücklich...
Sie lebten einfach und bescheiden. Zwei junge Menschen, denen es darum ging, in allen Dingen Gottes Wohlgefallen anzustreben und dem Propheten eine Freude zu sein. Wie
dieser ihnen geraten hatte, war Ali (a.s.) für die Aufgaben, die es außer Haus zu tun
gab, verantwortlich und Fätimah (a.s.) für die innerhäuslichen Angelegenheiten.
Wenn Hadrat -e- Ali auf Reisen war oder an einem Kampf gegen die Feinde teilnahm,
halfen der Prophet selbst oder einer der Nahestehenden der jungen Frau, auch den
außerhäuslichen Belangen nachkommen zu können.
In jener Zeit war Hausarbeit nicht so leicht bewältigen wie heute. Sein Brot buk ein
jeder selbst, und darüber hinaus musste auch das Mehl, das dazu benötigt wurde, zu
Hause und von Hand gemahlen werden. Es wäre Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) nicht
schwer gewesen, eine Hilfe für seine Tochter zu besorgen, doch dieses entsprach nicht
seinem Denken. Er und seine Familie lebten so, dass alle, selbst die Ärmsten unter den
Muslimen getröstet waren, wenn sie seinen Lebensstil sahen.
Oft besuchte Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) seine Tochter, und nicht selten las er in
ihrem Gesicht die Spuren von Müdigkeit und Erschöpfung, so dass er ihr selbst mithalf.
Bevor ihre Kinder zur Welt kamen, hatte sie nie Hilfe gewollt oder gewünscht. Der
Prophet sagte immer: „Unter den Muslimen gibt es viele, die mit noch mehr
Schwierigkeiten fertig zu werden haben."
Einmal schickte Ğafar Ibn Abi Tälib Fätimah Zahrä eine Unfreie als Hilfe ins Haus. Diese
aber blieb nur wenige Tage, denn das Häuschen war viel zu klein und das Leben des
jungen Ehepaares zu einfach und zu bescheiden, als dass es eine Hausgehilfin hätte
aufnehmen können.
So schenkten sie ihr ihre Freiheit zurück und vermittelten ihr einen guten Ehemann.
41. „Tasbihat Hadrat -e- Fätimah - Zahras"
Nachdem ihr erstes Kind zur Welt gekommen war, häufte sich ihre Arbeit zu Hause um
etliches an. Wir dürfen nicht vergessen, dass Hadrat -e- Fätimah (a.s.) ein noch sehr
junges Mädchen war, als sie heiratete und Mutter wurde.
Kurz: Sie hatte viel zu tun. Das Kleine musste versorgt und gehütet werden, und die
häuslichen Pflichten waren zahlreich. Hadrat -e- Fätimah war oft sehr abgespannt,
fühlte sich schwach und kraftlos.
Eines Tages schlug Hadrat -e- Ali (a.s.) vor: „Fätimah, Liebes, ich denke, nun ist es an
der Zeit, dass du deinen Vater nun doch um eine Hilfe im Haus bittest."
So ging sie zum Hause Hadrat -e- Muhammads (s.a.s.), um ihm ihr Anliegen
vorzutragen. Doch sie brachte es nicht fertig. Die Worte wollten ihr nicht über die Lippen
und sie kehrte unverrichteter Dinge heim.
Am nächsten Tag, als ihr Vater sie besuchte, sagte sie schließlich doch, was sie auf dem
Herzen hatte. Er aber..., was antwortete er?
„Mein Kind", erwiderte er, „möchtest du, dass ich dir etwas sage, was weitaus
wirksamer als eine Haushilfe ist?
Immer, wenn du dich zum Schlafen niederlegst, wenn du morgens aufstehst sowie auch
nach jedem Gebet sprich dreiunddreißig mal „Subhänalläh (Gott ist über alle Makel
erhaben), dreiunddreißig mal „Al'hamd-u-li-llah" (Preis sei Gott) und vierunddreißig mal
„Allah-u-Akbar" (Gott ist erhaben - groß).
Dieses wird dir mehr als jede andere Hilfe im Hause deine Arbeit und dein Leben
erleichtern!
Weißt du Kind, Hausarbeit ist von hohem Wert und findet Gottes Anerkennung und
Belohnung, und ich möchte nicht, dass meine Zahrä davon etwas aus der Hand gibt!"
Fätimah (a.s.) entgegnete getröstet: „Meine Freude ist Gottes Wohlgefallen und das
Seines Gesandten."
Seit jenem Tage werden diese Gotteslobpreisungen, diese „Dikr", die wir eben nannten,
als „Tasbihat Hadrat -e- Fätimahs (a.s.) bezeichnet.
Damit man sich nicht verzählt, wurden später Ketten (wie Rosenkränze) mit hundert Perlen aus Ton oder ähnlichem hergestellt.
Hadrat -e- Ali (a.s.) aber sagte: „Was wäre besser als das. Wir haben in einem Gespräch, das die Erleichterung weltlicher Angelegenheiten betraf, auch über einen Weg zum Glück des Jenseits erfahren."
Der Prophet sagte zu den Leuten: „Ich bin ein Mensch wie ihr, und auch die anderen
Propheten waren, was ihre körperliche Beschaffenheit betrifft, Menschen. Gott hat
niemandem Schmuck und Reichtum untersagt, vorausgesetzt, das dieser „halal", d.h.
„erlaubt", auf ehrliche Weise erworben ist.
Auf derartige Werte und Kostbarkeiten zu verzichten aber ist, wenn dieses dem Wohle
der Familie oder Gesellschaft dient, eine Tugend.
Hadrat -e- Fätimah - Zahrä (a.s.) hatte ein Halfband geschenkt bekommen. Am
nächsten Tag, als der Prophet zu ihr kam, um sie zu besuchen, sagte er sinngemäß
dieses: „Mein liebes Kind! In dieser Welt gibt es Zierrat und Schmuck im Überfluss.
Doch die ziert kein Schmuck mehr, als Tochter des Propheten, Gattin Alis und Mutter
deiner Kinder, der Enkel des Gesandten Gottes und der Unfehlbaren Imame zu sein."
Hadrat -e- Fätimah (a.s.) verstand, was der Vater meinte. Noch am gleichen Tag
verkaufte sie es und kaufte mit dem Erlös einen Sklaven frei.
Als der Prophet davon hörte, sagte er voller Freude: „Genau das war es, was ich von ihr
erwartete!"
43. Vorhang, Ohrringe und Armbändchen...
Der Prophet hatte seine Tochter sehr gern. Wie oft sagte er doch: „Fätimah ist ein Teil
von mir,- sie ist mein Leben, mein Augenlicht!"
Sah er sie, leuchteten seine Augen vor Freude, und selbst in Anwesenheit anderer
küsste er ihre Hand. Wenn er eine Reise antrat, so war es Fätimah -
Zahrä, von der er sich zuletzt verabschiedete. Und kehrte er heim, so suchte er sie
zuerst auf, um sich nach ihr zu erkundigen und sie zu begrüßen.
Nach langen Jahren der Not und Sorgen bahnte sich in den Jahren sechs und sieben
nach der Hiğra eine positive Wende an. Die Zeit des Hungers war vorüber und selbst die
Ärmsten der Armen fanden ein einigermaßen zufrieden stellendes Auskommen. Bis
dahin aber hatten mehr oder weniger alle ein karges Dasein fristen müssen. Und wenn
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s) und seine Angehörigen den Gürtel ganz besonders eng
hatten schnallen müssen, so deswegen, weil sie das, was sie hatten, mit Bedürftigen
teilten und sich das Brot vom Munde absparten, um Hungrige zu sättigen.
Eines Tages in jener Zeit kam der Gesandte Gottes (s.a.s) von einer Reise zurück und
ging wie üblich zunächst zum Hause Alis und Fätimahs (a.s.).
Sein Blick fiel auf eine Neuanschaffung, die sich seine Tochter gegönnt hatte: Ein
Vorhang vor der Tür zum Wohnraum.
Darüber hinaus stellte er fest, dass Hassan und Hussein (a.s.) silberne Armbändchen
trugen, die sie zuvor nicht gehabt hatten und auch Zahrä mit Ohrringen geschmückt
war.
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) sagte nichts, doch verließ er seine Kinder früher als
gewöhnlich und suchte die Moschee auf.
Fätimah (a.s.) verstand. Sie hörte die Worte seines Herzens, ohne dass er sie hätte
aussprechen müssen.
So nahm sie geschwind Ohrringe, Armbändchen und Vorhang, band alles zusammen
und bat Hassan und Hussein (a.s.), das Päckchen dem Großvater zu bringen. Sie trug
ihnen noch auf, ihm auszurichten: „Deine Tochter lässt dich grüßen und dir sagen, diese
Dinge auf dem Wege Gottes herzugeben."
Der Prophet hatte die Minbar gerade betreten, als die beiden Knaben zu ihm traten. Sie
überreichten ihm das Päckchen und richteten die Botschaft der Mutter aus.
Dreimal sagte nun Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) in Anwesenheit der Muslime: „Wie
dankbar bin ich Gott, das Fätimah zu Seinem Wohlgefallen handelte!"
Er zog Hassan und Hussein (a.s.) auf seinen Schoß und wies seine Freunde an, den
Vorhang in mehrere Teile zu zerschneiden und ebenfalls den Schmuck zu zerlegen,
woraufhin er sogleich alles unter den Bedürftigsten, den „Suffah-Leuten" verteilen ließ.
44. Faydah, die Freundin Fatimahs
Als Zaynab (a.s.) zur Welt kam, hatte Fätimah (a.s.) für drei Kinder zu sorgen, -
Hassan, Hussein und das Neugeborene. Sie hatte sehr viel zu tun. Die Arbeit wuchs ihr
über dem Kopf zusammen, dabei war sie noch sehr jung und von zartem Wuchs. Nun
war es angebracht, dass eine Hilfe ins Haus kam, - so klein und eng dieses auch sein
mochte...
Der Negus von Abessinien hatte dem Gesandten Gottes eine indische Unfreie
geschenkt..., „Faydah".
Faydah war klug, freundlich und glaubte an Gott. Sie lebte wie eine Familienangehörige
im Hause des Propheten, fühlte sich dort wohl und liebte Fätimah (a.s.) über alles. Sie
selbst bat Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.), sie zu Fätimah (a.s.) zu schicken, damit sie
ihr zur Hand gehen könne.
Der Gesandte Gottes war einverstanden und so zog Faydah ins Haus Fatimahs (a.s.)
und blieb bei ihr bis zu deren letztem Atemzug.
Die Leute kannten Faydah als Freundin und getreue Gefährtin der Tochter des
Gesandten Gottes.
Faydah war, wie schon gesagt, gebildet und eifrig bemüht, Neues hinzu zu lernen. Sie
wusste die Verse des Heiligen Koran auswendig und war, was ihre Gottesanbetung und
Befolgung der göttlichen Gebote betraf, unter den Frauen - abgesehen von denen es
Ahl-Bayts, d.h. der Familie des Propheten - ohnegleichen.
Nach dem Tode Fätimah-Zahräs (a.s.), als sich Hadrat -e- Ali (a.s.) auf Wunsch
Fatimahs (a.s.) hin mit Assamah vermählt hatte, führte sie mit dessen Einverständnis
ein selbstständiges Leben im Stamme ihres Gatten, außerhalb von Medina.
Wie überliefert wurde, hat sie in den letzten zwanzig Jahren ihres Lebens nur in
Verbindung mit Versen aus dem Heiligen Koran gesprochen und geantwortet. Das heißt,
zu dem, was sie sagte, führte sie stets einen Koranvers an.
Die Geschichte, um die es uns aber hier geht, ist folgende: Nachdem Faydah eine
zeitlang Fätimah bei der Arbeit geholfen hatte, kam eines Tages Salmäm Färsi zu ihnen
ins Haus.
Er berichtet: „Ich sah, dass Fätimah ein wenig Hafer zu Mehl mahlte. Im Waschzuber
lagen einige Wäschestücke, die sie noch waschen wollte. Ihr Jüngstes weinte, und
deutlich waren ihr Erschöpfung und Müdigkeit anzusehen. Ich fragte sie: „O Tochter des
Gesandten Gottes! Faydah ist doch in eurem Hause, um dir zur Hand zu gehen. Warum
lässt du dir von ihr nicht helfen?"
Hadrat-e-Fätimah (a.s.) antwortete: „Faydah arbeitet, wenn sie an der Reihe ist! Heute
ist mein Arbeitstag. Heut habe ich die Hausarbeit zu tun. Faydah hat nun frei und ist mit
Lernen, Nachdenken und Gottesanbetung beschäftigt. Dieses darf ihr nicht vorenthalten
werden. Mein Vater selbst hat vorgeschlagen, uns unsere Aufgaben im Haus so einzuteilen, dass an dem einen Tag sie alles erledigt und an dem anderen ich.""
Imam Hassan (a.s.) berichtete: „Wir waren noch klein. Eines Nachts, es war die Nacht
zum Ğum'ah (Freitag, Ruhetag der Muslime) sah ich, wie meine Mutter noch nach ihren
abendlichen Gebeten zu später Stunde in Gottesanbetung versunken war und viele
Du'äs (Bittgebete) sprach. In einigen dieser Du'äs erwähnte sie die Namen anderer
Muslime, in keinem aber bat sie Gott etwas für sich selbst.
Darum fragte ich sie leise: „Mutter, du bittest Gott nur für die anderen, nicht aber für
die selbst?"
Sie antwortete: „Mein Junge! Auch was unsere Bitten an Gott betrifft, haben wir
zunächst an unsere Mitmenschen zu denken, danach erst an uns selbst!""
46. Der erste unter den Männern, der sich ihm anschloss
Ali (a.s.) zeichnete sich durch Besonderheiten aus, die allein ihm gegeben waren. Er war
der einzige, der in der Kaaba zur Welt gekommen war. Zudem wuchs er ihm Hause des
Propheten auf, - in dessen und Chadiğahs Obhut.
Ali (a.s.) war der erste Mann, der der göttlichen Botschaft des Gesandten Gottes folgte,
Muslim wurde und gemeinsam mit Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) das Gebet verrichtete.
Von Anfang an unterstützte er den Propheten und verteidigte ihn und seine göttliche
Mission nach Kräften. In jener Zeit, als der Gesandte Gottes in aller Verschwiegenheit
nach Medina auswanderte, war es Ali Ibn Abi Tälib (a.s.) der sich, um die
Meuchelmörder zu täuschen, in dessen Bett legte und ihm so, unter Einsatz seines
eigenen Lebens, ein Entkommen möglich machte.
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) hatte im Alter von fünfundzwanzig Jahren
Hadrat -e- Chadiğah geheiratet. Fünf Jahre danach holte er den kleinen Ali, den vierten
Sohn Abu Tälibs, zu sich ins Haus.
Abu Tälib, ein Onkel Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.), wurde - nach seinem Vater Abdul
Mutalib - als Oberhaupt der Sippe Bani Häschim von den Leuten sehr geehrt. Niemand
in Mekka hatte ein so hohes Ansehen und Image wie er. Dennoch: Wohlhabend war er
nicht.
In jener Zeit gab es eine arge Dürre in Arabien. Eine Notzeit brach für die Bevölkerung
an. Auch Abu Tälib war wie alle anderen davon betroffen. Da er viele Kinder satt zu
machen hatte, war es ihm nahezu unmöglich, ihren Hunger zu stillen.
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.), der lange Jahre wie ein Sohn im Hause Abu Tälibs
gelebt hatte, wusste davon und sagte nun zu Abbäs, einem anderen Onkel: „Komm,
gehen wir zu Abu Tälib und bitten ihn, jedem von uns eines seiner Kinder zu
überlassen."
Finanziell gesehen war Abbäs nicht schlecht gestellt. Er war mit dem Vorschlag
einverstanden, und so machten sie sich auf zu Abu Tälib. Vorsichtig, taktvoll und
einfühlsam trugen wie ihm ihr Anliegen vor. So schwer ihm dieses auch fiel..., Abu Tälib
willigte schließlich ein. Er vertraute Ğa'far seinem Bruder Abbäs an und Ali seinem
Neffen Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.).
Ali (a.s.), das jüngste Kind Abu Tälibs, war damals fünf Jahre alt. Von nun an begleitete
er Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) auf Schritt und Tritt.
Eines Tages, ganz zu Beginn dessen Prophetenschaft, sah er, wie dieser und Chadiğah das Gebet verrichteten. Dann, nachdem er von der göttlichen Botschaft hörte, wandte auch er sich dem Islam zu und betete von nun an gemeinsam mit seinen Pflegeeltern. In den ersten zwei Jahren wirkte der Prophet in der Stille, im Geheimen und klärte nur seine Freunde und engsten Vertrauten und Angehörigen auf. Danach erfolgte das göttliche Gebot an ihn, nun den Stamm der Quraisch zu Gott und dem Ein-Gott-Glauben aufzurufen.
An jenem Tag lud der Prophet seine Verwandten, ebenfalls Söhne und Nachkommen Abdul Mutalibs, zu sich zu einem Gastmahl ein. Er hatte selbst mitgeholfen, die Speisen zuzubereiten. Viele kamen. Als sie gegessen hatten, verkündete ihnen Hadrat -e-Muhammad (s.a.s.) die Botschaft Gottes.
Er begann mit den Worten:
„Bismillahi - rahmani - rahim!
Im Namen Gottes, des Sich Erbarmenden, des Barmherzigen!
Weiter sagte er:
„Glaubt mir, ich bin der Gesandte des Einzigen Gottes. Gott hat mir aufgetragen, euch
zu Ihm einzuladen und auf den rechten Weg zu führen.
Wisset dieses: Ebenso wie ihr euch zum Schlafe niederlegt und morgens wieder
aufwacht, werdet ihr sterben und danach erneut auferstehen.
Alles, was ihr tut und sagt, wird festgehalten. Eure guten Taten werden belohnt und
eure schlechten bestraft. O Söhne und Nachkommen des Abdul Mutalib! Ihr kennt mich!
Ihr wisst, dass ich euch nie belogen oder betrogen habe. Seid sicher, dass niemand
euch je etwas so Gutes und Vortreffliches brachte oder anbot, wie ich es mit meiner
Botschaft tue.
Ich möchte euch heute zwei Dinge ans Herz legen, die euer Wohlergehen in dieser und
jener Welt garantieren. Zum einen rate ich euch, euch dem Einzigen und Allmächtigen
Gott zuzuwenden und euch zu ihm zu bekennen.
Zum anderen Tut ihr gut daran, an meine göttliche Gesandschaft und Botschaft zu
glauben.
Wer von euch will mir Glauben schenken und sich zum Einzigen Gott bekennen? Wer will
mich in meiner göttlichen Mission unterstützen und mir zur Seite stehen? Der erste, der
sich mir anschließt und sich zu Gott bekennt, soll mein Bruder, Vertrauter,
Bevollmächtigter und Statthalter sein!"
Alle hatten aufmerksam zugehört, doch niemand antwortete ihm, bis auf Ali (a.s.).
Er erhob sich und sagte: „Ich nehme deine Einladung an und will dir zur Seite stehen!"
Der Gesandte Gottes sprach: „Ali mein Junge, setz dich!"
Er wiederholte seinen Aufruf an die Versammelten, niemand aber ging auf seine Worte
ein. Nur Ali (a.s.) stand erneut auf und sagte: „Ich werde dir bis zu meinem letzten
Atemzug beistehen!"
Wieder forderte der Prophet den Knaben auf: „Ali, Junge, setz dich!"
Noch einmal appellierte er an seine Gäste..., doch nichts als Schweigen war die Antwort.
Wieder war es Ali (a.s.), der sich meldete und mit weithin vernehmbarer Stimme
kundtat: „O Gesandter Gottes! Ich bezeuge, dass es nur Einen Gott gibt, du Sein
Gesandter bist und ich dich unterstützen werde!"
Nun sagte Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) mit deutlicher und lauter Stimme, so dass alle
ihn hören konnten: „O Ali! Du bist mein Bruder, mein Bevollmächtigter und Vertrauter
(Wezir), mein Statthalter und Nachfolger!"
Ali war zu jener Zeit etwa dreizehn Jahre alt. Mit klarer Stimme ließ er nun noch einmal
die vielen Gäste, die Verwandten und Großen der Bani Häschim wissen, dass er sich zu
Gott und Seinem Gesandten bekenne und die Botschaft Hadrat -e- Muhammad
bis zu seinem letzten Atemzug verteidigen werde.
Es war ein Versprechen und Bekenntnis, dem er die Treue hielt, solange er lebte.
Das Geschehen „Chandaq" oder „Ahzäb", mit anderen Worten der „Grabenkriege", trug
sich im Jahre fünf nach der Hiğra zu. Mit diesem „Grabenkrieg" änderte sich so
manches. Die götzenanbetenden Quraisch, die sich geschlagen und unverrichteter Dinge
zurück ziehen mussten, begriffen endlich, dass sie Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) und
die Muslime nicht in die Knie zwingen konnten. Das, was sie während dieser
Auseinandersetzung aber besonders traf, war, dass ihr großer Krieger und Champion
„Amr Ibn Abduwad", der als stärkster Recke und Kämpfer im damaligen Arabien galt,
getötet wurde, und zwar durch die Hand Ali Ibn Abi Tälibs.
Amr Ibn Abduwad war von sich selbst so überzeugt, dass er vor dem Duell mit Ali (a.s.)
sagte: „Ali, du Ärmster! Du bist doch viel zu jung und schwach, um gegen mich antreten
zu können. Weißt du, ich kannte Abi Tälib recht gut und möchte nicht, dass du durch
meine Hand den Tod findest..."
Hadrat -e- Ali (a.s.) hatte geantwortet : „Das, was beim Kämpfen zählt, sind nicht
Bekanntschaft, Alter oder bloße Kraft!"
Amr saß hoch zu Roß, als Hadrat -e- Ali (a.s.) das Kampffeld betrat. Um seine Kühnheit
zu demonstrieren, stieg Amr von seinem Pferd ab. Das Gefecht begann. Staub wirbelte
hoch. Das Klingen der Schwerter war weithin hörbar...
Es dauerte nicht lange und Alis Schwert drang in Amr ein, der zu Boden stürzte.
Der Ruf „Allah-u-Akbar","Gott ist erhaben - groß", löste sich aus den Kehlen der
Muslime und stieg hoch empor zum Firmament. Die mekkanischen Götzenanbeter und
deren Verbündete aber standen verstört und ohne Hoffnung auf Erfolg da.
Wie es der Sitte entsprach, trat Ali Ibn Abi Tälib (a.s.) nun auf Amr zu, um ihm den
letzten tödlichen Hieb zu versetzten. Amr, der auf dem Rücken lag, beschimpfte ihn mit
unflätigen Worten und spuckte ihm ins Gesicht.
Hadrat -e- Ali (a.s.) wandte sich daraufhin von Amr ab und ging eine Zeit lang auf dem
Kampffeld auf und ab. Dann kehrte er zurück zu Amr.
Dieser fragte ihn: „Warum bist du gegangen und hast mich nicht getötet?"
Ali antwortete: „Was ich tue, tue ich nur Gottes wegen. Du hast mich angespuckt, was
meinen Zorn erregte. Ich aber wollte nicht aufgebracht und empört darüber, dass du
mich anspuckst, handeln und damit mein tun auf Gottes Wege hinab würdigen. Nun
aber habe ich mich beruhigt, mein Zorn ist verflogen und ich kann allein um der
Zufriedenheit Gottes willen das vollenden, was zu vollenden ist."
48. Gerechtigkeit im wahrsten Sinne des Wortes
Abu -l- Aswad Da'uli, ein gebildeter Mann, der sich im Religionsrecht gut auskannte, ein
guter Redner und Dichter sowie brillanter Diskussions-Partner war, zählte zu den
Freunden Ali Ibn Abi Tälibs (a.s.) Im Kriege Seffin schwang er an Alis Seite das Schwert
und kämpfte unerschrocken gegen dessen Widersacher.
Er war jener, der unter Anleitung Imam Alis (a.s.) arabische Sprachregeln ausarbeitete
und die geschriebenen Worte des Koran durch Vokalzeichen lesbarer machte.
Eine Zeitlang wirkte er als Bevollmächtigter Alis (a.s.) in Basrah. Einmal, als er eine
Gerichtsverhandlung führte, entließ Ali Ibn Abi Tälib (a.s.) ihn aus dieser Position, noch
bevor diese beendet war.
Als Abu -l- Aswad ihn fragte: „O Ali, was habe ich verschuldet, dass du mich aus diesem Amt entließest?", antwortete ihm dieser: „Du sprachst lauter und grober als der Kläger!" Ali (a.s.) wollte nicht, dass das laute und grobe Sprechen des Richters den Angeklagten schrecken und damit der Wahrheitsfindung und einem gerechten Urteil im Wege stehen könnte.
49. Versprechen sind einzuhalten!
Als die Muslime zu Zeiten des zweiten Kalifen Ahwäz, eine Stadt in Südiran, eroberten,
wurde Homorzän, der Herrscher von Ahwäz , ergriffen und zu Umar gebracht. Dieser
sagte zu ihm in aller Deutlichkeit: „Entweder wendest du dich dem Ein-Gott-Glauben zu
oder ich werde dich als Ungläubigen, der gegen die Muslime das Schwert führt, töten
lassen!"
Homorzän entgegnete: „Obgleich ich nicht gerne sterbe, werde ich nicht meiner Religion
den Rücken kehren. Doch da mir nun der Tod bevorsteht, lass mir Wasser bringen,
damit ich nicht durstig diese Welt verlassen muss."
Umar ließ ihm Wasser reichen. Homorzän schmollte: „Wir sind es gewohnt, aus
prunkvollen Kelchen Wasser zu trinken. Diese Trinkschale hier werde ich nicht an meine
Lippen setzen!"
Voller Zorn blickte Umra Homorzän an. Ali (a.s.) aber, der ebenfalls zugegen war,
beschwichtigte ihn und sagte: „Reg dich nicht auf! Das ist doch nicht weiter schlimm!
Bringt ihm in einer Kristallschale Wasser!"
Als man Homorzän das Kristallgefäß mit Wasser reichte, nahm er es entgegen, ohne
davon zu trinken. Umar fragte ihn: „Warum trinkst du nicht?"
„Vor lauter Angst vor dem Sterben kann ich nicht trinken", antwortete Homorzän. „Ich
befürchte, dass du mich töten lässt, bevor ich getrunken habe!"
Umar entgegnete: „Ich verspreche dir, dass dir, solange du das Wasser nicht getrunken
hast, kein Leid geschehen wird!"
Als Homorzän diese Worte vernahm, drehte er die Schale und ließ das Wasser zu Boden
rinnen. Er hatte gehört, dass die Muslime niemals ein Abkommen oder Versprechen
brechen.
Umar war bass erstaunt über die List Homorzäns. Er flüsterte Ali (a.s.) zu: „Was
machen wir nun?"
Ali Ibn Abi Tälib (a.s.) erwiderte: „Du hast ihm versprochen, ihm nichts anzutun,
solange er das Wasser nicht getrunken hat. Nun bleibt dir nichts anderes übrig, als dich
an dein Wort zu halten und ihn wie die anderen ungläubigen zur Ğaziah - Abgabe (eine
Art Steuer, die von Nicht-Gläubigen, die im Schutze des islamischen Staates lebten, zu
entrichte war) zu verpflichten."
Homorzän aber meinte: „Ich werde keine Ğaziah - Steuer zahlen!
Da mir die Angst vor dem Sterben genommen ist, will ich gern zum Islam übertreten!"
50. Das ist doch „Bayt - ul - Mal"
Abu Räfa1 gehörte zu den Getreuen des Propheten und war ein angesehener Mann. Er hatte für die Verwaltung und Sicherheit des „Öffentlichen Guthabens", des „Bayt - ul -Mal", zu sorgen. (Noch im Alter von fünfundachtzig Jahren nahm er an der Seite Imam Alis (a.s.) im Kriege Seffin teil.) Auch in Kufah war er der Schatzmeister des „Bayt - ul -Mal".
Die islamischen Gebote und Rechtsvorschriften fasste er in einem Buch zusammen.
Seine Söhne Abdullah und Ali standen Imam Ali (a.s.) als Sekretäre zur Seite. Nach dem
Tode seines Vaters wurde Ali als Schatzmeister des „Bayt - ul - Mal" eingesetzt.
Unsere Geschichte betrifft Ali Ibn Abu Räfa1. Er berichtete, dass zu den Dingen, die zum
„Bayt - ul - Mal" gehörten, eine wertvolle Perlenkette zählte. Diese sollte verkauft
werden, doch noch hatte man ihren Wert und Preis nicht bestimmt. Alle wussten davon.
Einen Tag vor dem Opferfest ließ ihm eine Tochter Amir-ul-Mu'minins Imam Ali (a.s.)
ausrichten, dass er ihr die Kette ausleihen möge, damit sie sich mit ihr zum Opferfest
schmücke. Sie wolle sie lediglich ausborgen und nach dem Fest zurück geben.
„Da für die Kette keine Gefahr bestand und ich sie bei der Tochter Imam Alis (a.s.) in
guten Händen wusste, willigte ich ein."
Am Tage des Opferfestes sah Imam Ali (a.s.) die Kette am Halse seiner Tochter. Er
fragte sie: „Woher hast du sie? Wer hat sie dir gegeben?"
Sie antwortete: „Der Schatzmeister hat sie mir ausgeliehen. Morgen werde ich sie
zurück geben. Mein Mann hat ebenfalls Kenntnis darüber."
Ibn Räfa1 fügte hinzu: „Noch am gleichen Tag rief Amir-ul-Mu'minin Imam Ali (a.s.) mich
zu sich und sprach: „Entscheidest du über das öffentliche Guthaben (Bayt - ul - Mal)
der Muslime, ohne sie zu fragen? Willst du sie hintergehen?" - Ich antwortete
erschrocken: „Nein, um Gottes willen nicht!"
Er: „Warum hast du dann die Halskette verliehen?"
Ich: „O Ali! Deine Tochter hat sie ausgeliehen und garantiert dafür, dass sie sie morgen
zurück gibt! Ich selbst stehe gerade für die Kette! Es besteht doch keine Gefahr für das
Schmuckstück, und dem Bayt - ul - Mal wird damit kein Schaden zugefügt! Zudem, ich
hätte auch gar nicht gewusst, mit welcher Begründung ich die Bitte deiner Tochter hätte
abschlagen können!?"
Ali (a.s.) entgegnete: „Auf der Stelle lässt du dir die Kette zurück geben und legst sie an
ihren Platz! Abgesehen davon: Niemals wieder darfst du so handeln. Und was meine
Tochter betrifft: Hätte sie nicht versprochen, die Kette zurück zu geben, so würde sie
die erste Frau der Bani Häschim sein, die ich mit der entsprechenden
religionsrechtlichen Strafe belegte!""
Die Tochter Amir-ul-Mu'minins hörte von diesem Gespräch. Sie ging zu ihrem Vater und
sagte: „Vater, ich bin nicht unbekannt, man kann mir vertrauen! Und einen Schaden
würde ich, wenn ich die Kette an diesem Tage trüge, niemanden zufügen. Darf sich
denn die Tochter des Kalifen nicht mit Schmuck aus dem „Bayt - ul - Mal" zieren?"
Imam Ali (a.s.) antwortete: „Liebes Kind! Auch eines schadlosen Vergnügens wegen
darf man die Grenzen von Recht und Gerechtigkeit nicht überschreiten. Tragen denn die
anderen Frauen, die aus Mekka auswanderten und Frauen wie du sind, solche Ketten,
dass du nicht hinter ihnen zurück stehen möchtest?"
Noch in der gleichen Stunde wurde die Halskette an das „Bayt - ul - Mal" zurück
gegeben...
Im Arabien jener Zeit war es Sitte, jenen, den man besonders ehren wollte, mit seinem
ihn ehrenden Beinamen anzureden. Beispielsweise sagte man anstelle von „Wie geht es
dir, Husseyn?", „O Abu Abdullah, wie geht es dir?"
Zu Zeiten des zweiten Kalifen beschwerte sich ein Mann über Ali Ibn Abi Tälib (a.s.). Es
wurde ausgemacht, dass beide zu einem festgesetzten Zeitpunkt vor Gericht erscheinen
sollten. Als es dann soweit war, rief der Richter zunächst den Kläger auf, seine Klage
vorzutragen.
Danach wandte er sich an Ali (a.s.) und sagte: „O Abu-l-Hassan, komm, stell dich neben
den Kläger und antworte ihm!"
Bei diesen Worten veränderte sich das Mienenspiel Ali Ibn Abi Tälibs. Man sah ihm
deutlich an, dass er verärgert war. Der Richter fragte ihn: „O Abu-l-Hassan! Was ist?
Möchtest du dich nicht neben ihn stellen?"
Ali (a.s.) antwortete: „Ich bin nicht deswegen verärgert, sondern darum, weil du ihn mit
seinem Eigennamen anredest, mich aber mit meinem mich ehrenden Beinamen. Es
entspricht aber der Gerechtigkeit, dass vor Gericht zwischen den beiden sich gegenüber
stehenden Parteien kein Unterschied gemacht wird!"
52. Über ein deplaciertes Geständnis
Man sah hinter einem zerfallenen Gemäuer einen jungen Mann mit einem
blutbespritzten Messer in der Hand. Er stand neben einem Toten, der in seinem Blute
lag.
Die Leute ergriffen ihn, brachten ihn zu Imam Ali (a.s.) und bezichtigten ihn des
Mordes. Imam Ali (a.s.) sprach zu ihm: „Was hast du dazu zu sagen?"
Er: „Was kann ich schon darauf antworten?! Da ist ein Mann getötet worden. Mich aber
sah man mit einem blutigen Messer in der Hand neben seinem Leichnam stehen."
Imam Ali (a.s.): „Willst du damit sagen, dass du ihn getötet hast?"
Der junge Mann erwiderte: „Ja, ich gestehe, dass ich ihn ums Leben brachte!"
Ali Ibn Abi Tälib (a.s.) ordnete seine Hinrichtung an....
Alle in der Stadt erfuhren von der bevor stehenden Hinrichtung. Da erschien ein Mann
auf dem Richtplatz und sagte zu dem Scharfrichter: „Halt! Legt nicht Hand an ihn,
sondern bringt ihn noch einmal zu Imam Ali (a.s.)! Ich bin nämlich der wirkliche
Mörder!"
So kehrten sie zurück zu Ali Ibn Abi Tälib (a.s.). Der Mann, der behauptete, der Mörder
zu sein, sprach: „O Ali! Bei Gott, ich bin es, der jenen Mann zu Tode gebracht hat!"
Hadrat -e- Ali (a.s.) fragte daraufhin den jungen Mann: „Was hat dich dazu veranlasst,
etwas zuzugeben, was du nicht getan hast?!"
Er: „O Amir-ul-Mu'minin! Man sah den Toten in seinem Blute liegen und mich neben ihn,
mit einem blutbespritzten Messer in der Hand. Niemand war zugegen, als der Mord
geschah, und alle glaubten, ich sei der Mörder! Wie hätte ich meine Unschuld beweisen
können?! -
Die Geschichte aber war so: Ich habe bei jener Ruine dort ein Schaf geschlachtet. Mit
einem Male fiel mein Blick auf den Toten, der neben dem Gemäuer in seinem Blute lag.
Ich näherte mich ihm und sah ihn wie versteinert an, als die Leute hinzukamen. Sie
ergriffen mich und schleppten mich hierher. Wer hätte mir schon geglaubt, wenn ich
abgestritten hätte, was sie mir vorwarfen?!"
Hadrat -e- Ali (a.s.) sprach: „Wenn du gleich zu Beginn so geredet und die Wahrheit
gesagt hättest, würde es einen Weg zu deiner Freisprechung gegeben haben! Was aber
bleibt dem Richter übrig..., da du dich doch selbst zu dem Verbrechen bekanntest?"
Zu den Beamten sagte er: „Bringt diese beiden Männer zu meinem Sohn Hassan, damit
er richte!"
Sie führten die beiden zu Hadrat -e- Hassan (a.s.) und trugen ihm den Sachverhalt vor.
Dieser antwortete: „Wenn auch jener Mann der Totschläger ist, so hat er doch diesen
Jüngling, der zum Tode verurteilt wurde, vor der Hinrichtung bewahrt. Er hat einen
Mann getötet und einem anderen das Leben zurück geschenkt...
Was den Jüngling betrifft..., nun, er hat niemanden ermordet. Lasst darum beide frei
und zahlt den Hinterbliebenen das Blutgeld aus dem Bayt-ul-Mäl!"
Als in einem Krieg die Perser von den Muslimen - bei Galulä - geschlagen wurden,
ergriff Yazdgerd die Flucht, ließ sich von den Leuten anderer Gegenden unterstützen,
stellte mit ihrer Hilfe ein neues starkes Heer auf die Beine und zog mit diesem in
Richtung Nahäwand.
Amär Yassir war der Heerführer der islamischen Truppen. Er teilte diesen Sachverhalt
dem Kalifen Umar Ibn JHatäb in einem Schreiben mit.
Dieser ging mit dem Brief in der Hand zur Moschee, bestieg die Minbar und sagte nach
einigen einleitenden Worten: „Gott hat euch gegen euren Feind Erfolg geschenkt. Nun
hat dieser aber ein neues Heer aufgestellt. Dieses hier ist der Brief von Amär Yassir, in
dem er schreibt, dass sich die Leute von Qumes, Tabarestan, Damawand, Gorgan, Rey,
Isfahan, Hamadan, Mahin und Masabdan um Yazdgerd geschart haben, um gegen eure
Brüder in Kufah und Basrah erneut Krieg zu führen, um sie von dort zu vertreiben und
euch in eurem eigenen Land zu besiegen. Was schlagt ihr vor?"
Talhah meldete sich zu Wort: „O Amir! Du hast mehr Erfahrung als wir! Du bist unser
Gebieter und Befehlshaber! Sag, was wir tun sollen! Gebiete, und wir werden dir
gehorchen!"
Uthmän erhob sich nun und sagte: „O Amir! Schreib den Leuten von Damaskus und
Yemen, dass sie sich alle auf den Weg in das Kriegsgebiet machen sollen. Auch die
Bevölkerung von Basrah soll sich sicherheitshalber auf den Weg nach Kufah begeben.
Und du ziehst ebenfalls am besten mit allen Männern aus Medina dorthin.
Wenn sich alle Muslime dort versammeln, werden sie stärker sein als die feindliche
Armee. Gott ist mit denen, die sich zusammen tun und gemeinsam handeln!"
Aus den Reihen der Anwesenden ertönte es: „Uthmän hat Recht! Was er sagt, sollten
wir tun!"
Nun wandte sich Umar an Ali Ibn Abi Tälib (a.s.) und fragte: „O Abu-l-Hassan! Was
meinst du zu diesem Vorschlag?"
Hadrat -e- Ali (a.s.) antwortete: „Wenn alle Damaskeser ihre Gegend verlassen und
nach Kufah ziehen, werden die Römer nicht lange auf sich warten lassen und Damaskus
besetzen! Und wenn die Yemeniten geschlossen aus ihrem Gebiet fortziehen, werden
sich die Abessinier in ihrem Land festsetzen. Willst du aber Medina allein zurück lassen
und gemeinsam mit den Muslimen in eine weit entfernte Gegend ziehen, so wird die
Metropole des Islam ohne Schutz und Verteidigung dastehen und von allen Seiten
bedrängt werden. Dann wird es so sein, dass dir das, was du hinter dir zurück lässt,
wichtiger wird als das, was du vor dir hast! Darüber hinaus: Sehen die Perser dich vor
sich, so werden sie sich sagen: Das ist also der Herrscher des arabischen Landes! Ihm
wollen wir es zeigen! Und kühner und entschlossener als eh und je werden sie daraufhin
ihr Schwert führen!
Bedenke! Wir haben zu Lebzeiten des Propheten und auch danach niemals ein großes
Heer ins Gefecht geschickt. Es stimmt zwar, dass Gott mit denen ist, die sich zusammen
schließen zu einer gemeinsam handelnden Gemeinschaft, doch nur unter der
Voraussetzung, dass sie klug und geplant vorgehen!
Ich schlage vor, dass du die Leute von Damaskus aufforderst, ein Drittel ihrer Armee
gegen den Feind zu entsenden, zwei Drittel aber dort belassen. Was Yemen und die
anderen Gebiete betrifft, solltest du ebenso vorgehen.
Du selbst aber bleibst besser in Medina und sorgst dafür, dass fähige
Truppenbefehlshaber die islamischen Krieger führen.
Solange die Gemeinschaft der Muslime in Lauterkeit, überlegt und vernünftig handelt
und kämpft, wird sie erfolgreich sein!"
„Deinem Vorschlag stimme ich zu", erwiderte Umar. „Er entspricht genau dem, was ich
meine. Ich wollte nur sicher sein, dass du mit mir einer Meinung bist!"
Damit begann das große historische Ereignis von Nahawand, das mit dem Sieg der Muslime sein Ende fand. Wer darüber mehr erfahren möchte, kann in geeigneten Geschichtsbüchern nachlesen.
54. Gewissheit und Vertrauen...
Imam Ali (a.s.) lehnte an einer Mauer, die schon ein wenig schief geworden war. Er sprach zu den Muslimen, die sich um ihn geschart hatten. Einer warnte ihn: „O Ali! Setz dich nicht auf diese Mauer! Sie könnte über dir zusammen stürzen!" Hadrat -e- Ali (a.s.) entgegnete: „Wenn die Stunde des Todes nicht gekommen ist, so wird auch eine noch so schiefe Wand keine Gefahr darstellen. Doch tritt der Tod heran, so kann die geradeste, festeste Mauer zu einer schiefen, hinfälligen werden! Wahrlich! Nur wer sich dessen gewiss ist, dass er vor dem, das ihn treffen soll, nicht davon laufen kann und dass das, was ihn verschonte, nicht treffen sollte, hat wahren Glauben gekostet...
55. Vom furchtlosen Gottesfürchtigen
Sa'id Ibn Qays berichtet: „Eines Tages sah ich auf dem Kriegsfeld einen Mann, der nur
mit einem langen Hemd und seinem Abä (langer Übermantel) bekleidet war und
furchtlos das Schwert führte. Ich ritt auf ihn zu und stellte fest, dass es Hadrat -e- Ali
(a.s.) war.
„O Amir al Mu'minin", sagte ich, „in solch leichter Kleidung bewegst du dich auf dem
Kampffeld?"
Er antwortete: „O Sa'id! Weisst du, jeder hat Beschützer. Solange Gott will, werden sie
auf ihn achten, so dass ihm nichts geschieht. Und wenn Gott nicht will, so werden ihm
auch Kettenhemd und Rüstung nichts nützen!""
In einem der Quds-Hadith, d.h. jenen Hadithen in denen der Prophet über das spricht, was Gott ihm abgesehen von den Versen des Heiligen Koran offenbarte - heißt es, dass derjenige, der davon überzeugt ist, dass alles in Gottes Hand ist und nur das geschieht, was Gott will, keinesfalls über ein trauriges Geschick, das ihn trifft, unglücklich ist.
56. Qanbar, der treue Wächter...
Qanbar war ein Unfreier, der Ali (a.s.) zur Seite stand und ihn sehr gern hatte. Verließ
Hadrat -e- Ali (a.s.) das Haus, so folgte Qanbar ihm, - unaufgefordert und immer bereit,
ihn zu verteidigen.
So war es auch an jenem Abend. Ali (a.s.), der ausserhalb des Hauses etwas zu
erledigen hatte, sah mit einem Male Qanbar in seiner Nähe.
Er fragte ihn: „Qanbar, was tust du hier?"
Qanbar antwortete: „O Amir-ul-Mu'minin! Ich bin euch gefolgt, um euch eventuell
schützen zu können! Die Nacht bricht an, es ist bereits dunkel geworden und die
Strassen sind menschenleer. Es könnte dir etwas zustoßen!"
„Qanbar, lieber Freund, vor wem willst du mich bewahren, vor dem, was in den
Himmeln ist oder auf Erden?"
Qanbar erwiderte: „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Doch dem, was aus den
Himmeln kommt, bin ich selbstverständlich nicht gewachsen. Ich kann nur gegen das,
was auf Erden ist, etwas unternehmen."
Hadrat -e- Ali (a.s.) sagte: „O Qanbar! Wenn es dem Willen Gottes zuwider läuft, so kann mir auch das, was auf Erden ist, nichts anhaben! Sei zuversichtlich und gehe beruhigt heim!" Qanbar tat, wie ihm geheißen war und machte sich auf den Heimweg.
57. Er schenkte sein Schwert seinem Feind...
Eines Tages, mitten in der Hitze eines Gefechtes, rief mit einem Male einer der Feinde
Hadrat -e- Ali (a.s.) zu: „O Amir-ul-Mu'minin! Du hast ein vortreffliches Schwert! Ach,
würdest du es mir doch schenken!"
Hadrat -e- Ali (a.s.) warf ihm das Schwert zu und sagte: „Es soll dir gehören!"
Der Feind, ein Ungläubiger, meinte völlig verdutzt: „In einer solchen Situation schenkst
du dein Schwert deinem Feind?"
Hadrat -e- Ali (a.s.) erwiderte: „Was hätte ich sonst tun können? Du hast mich um
etwas gebeten. Den Wunsch des Bittenden abzuschlagen, ist jedoch nicht Art des
Edlen!"
Da warf sich der Feind Hadrat -e- Ali (a.s.) zu Füssen und beteuerte: „Das, was dich so
großherzig hat werden lassen, ist deine Religion! Ich will mich ihr ebenfalls anschließen,
Muslim werden und dir zur Seite stehen!"
Obgleich Hadrat -e- Ali (a.s.) in den letzten Jahren seines Lebens die islamische Welt -
mit Ausnahme von Damaskus - regierte, hinterließ er keine materiellen Werte. Unter
anderem darum, weil er stets das, was er hatte, Bedürftigen gab und selbst ein höchst
einfaches und bescheidenes Leben führte.
Das, was ihm am Herzen lag, war, sich auf dem Wege Gottes einzusetzen, - voll und
ganz, mit Gut und Leben...
Einmal, es war noch zu Zeiten des Propheten (s.a.s.), verfügte er über vier Drachmen.
Eine davon gab er am Abend, eine während des Tages, eine in aller Verschwiegenheit
und eine offenkundig hin, - auf dem Wege Gottes...
Das heißt, er gab damit alles, was er an Geld besaß, Hungrigen, damit sie satt wurden.
In diesem Zusammenhang wurde folgender Koranvers, in dem heißt:
„... jene, die geben am Tage, in der Nacht, verschwiegen und
offenkundig..." hinabgesandt.
59. Die, die trockenes Brot aßen...
Suwayd Ibn Ğaflah, einer der Freunde Hadrat -e- Ali (a.s.), war im Elefanten-Jahr, d.h. in jenem Jahr, in dem das Elefantenereignis geschah, über das wir zu Anfang schon sprachen, zur Welt gekommen. Sehr alt war er inzwischen geworden und sein Haar schlohweiß. Noch im Alter von 90 Jahren kämpfte er an der Seite Ali Ibn Abi Tälibs (a.s.) im Kriege Seffin.
Die Geschichte, über die wir nun erzählen, trug sich zu, als er dreiundsechzig Jahre alt war. Er selbst berichtet: „Eines Tages, als ich zur Zeit des Iftär (jene Zeit nach Sonnenuntergang, da der Fastende wieder essen und trinken darf, ist die Zeit des „Iftär") das Haus Ali Ibn Abi Tälibs betrat, sah ich, wie dieser mit einer Schale Milch und
einem Stückchen trockenen Brotes dasaß. Das Mehl des Brotes war grob gemahlen, der
Haferschrot haftete noch an ihm.
Ali (a.s.) brach das harte Brot in kleine Stückchen, die er in die Milch tunkte, Faydah,
eine Freundin und Gehilfin Fätimah-Zahräs (a.s.), war ebenfalls im Raum zugegen. Leise
sagte ich zu ihr: „Warum gibst du nicht besser acht? Warum mahlt ihr das Mehl nicht
feiner? Warum gebt ihr ihm Brot zu essen, an dem noch die Spelzen haften? Warum
entfernt ihr die Spelzen nicht wenigstens, bevor ihr das Brot backt?"
Faydah entgegnete: „Er selbst hat es so gewollt! Willst du mir vielleicht die Schuld dafür
zuschieben?!"
Ali (a.s.) hatte ihr Gespräch zum Teil mitangehört. Er meinte lächelnd: „Was redet ihr
da?"
Ich sagte ihm, was ich gesagt und was Faydah geantwortet hatte.
Ali (a.s.) sprach daraufhin: „Gesegnet sei der, der niemals Brot aus Mehl, dem das
Schrot ganz und gar entzogen wurde, und niemals drei Tage hintereinander Weizenbrot
aß!"
Er meinte damit Prophet Mohammad (s.a.s.), der nie Brot aus entschrotetem Mehl und
niemals drei Tage hintereinander Brot aus feinem Weizen zu sich nahm."
Der Sohn Abu Räfa's, den Hadrat -e- Ali (a.s.) als Schatzmeister des „Bayt-ul-Mäls" (Öffentliches Guthaben der Muslime) eingesetzt hatte, berichtet: „An einem Festtag ging ich zu Amir-ul-Mu'minin Ali (a.s.). Er saß in seinem Wohnraum, einen Krug Wasser und eine Schale neben sich. Man brachte ihm ein fest verschlossenes Säckchen, nach dem er gefragt hatte. In dem Säckchen befand sich trockenes Brot. Hadrat -e- Ali (a.s.) nahm ein wenig Brot heraus und tunkte es in das Wasser, das er in die Schale gegossen hatte. Er aß davon, nachdem er auch mich zu diesem einfachen Mahle eingeladen hatte. Ich konnte mein Erstaunen nicht verbergen und fragte: „O Amir-ul-Mu'minin! Auch hier in Irak noch willst du dich diesen Entbehrungen aussetzen?! Es ist doch hier alles im Überfluss vorhanden!"
Hadrat -e- Ali (a.s.) erwiderte: „Es sind nicht Geiz oder Armut, die mich dazu veranlassen, sondern mein Herz ist es. Es ist nur dann wirklich zufrieden und beruhigt, wenn ich nur einfache, bescheidene Speisen zu mir nehme. Und ich freue mich über meine beiden Söhne Hassan und Husseyn (a.s.), die mir dieses Säckchen so fest verschlossen, wie es ist, bringen und das trockene Brot in ihm nicht mit Besserem, Köstlicherem austauschen."
An einem anderen Tag kam ein Araber nach Kufah, um Hadrat -e- Hassan - Mugtabä (a.s.) zu besuchen. Er erreichte die Stadt, als der Adän (Gebetsruf) zum Nach-Sonnenuntergangsgebet ertönte. Darum eilte er zur Moschee, um dort das Gebet gemeinsam mit den Muslimen zu verrichten. Nach dem Gebet begegnete er einem älteren Mann, der ein Stück Haferbrot verzehrte und auch ihm davon anbot. Der Fremde nahm es an, doch verzehrte er es lustlos.
Als er später das Haus Hassan - Mugtabäs (a.s.) betrat, bewirtete man ihn mit gutem Essen zum Iftär (Mahlzeit nach Beendigung des Fastentages). Ihm fiel der Mann bei der Moschee ein, der sich mit einem Stückchen Brotes begnügt hatte. Er erzählte von ihm und bat, ihm von dem guten Essen hinauszubringen.
Hadrat -e- Mugtabä (a.s.) ließ ihn sich beschreiben. Tränen traten ihm in die Augen. Er sagte: „Es war mein Vater, den du sahst. Er ist der Kalif der Muslime, der Amir -ul-Mu'minin! Meistenteils kommt er erst spät nach Hause, da er sehr viel zu tun hat und sich intensiv um die Belange der Leute kümmert. Darum setzt er sich zum Iftär dort
nieder, wo er sich gerade befindet und isst sein bescheidenes Mahl. Doch auch zu Hause nimmt er nur einfach Speisen zu sich.""
61. Qanbar und das Gewand des Imam...
Eines Tages ging Hadrat -e- Ali (a.s.) mit Qanbar zum Bazar und kaufte zwei
Leinenhemden. Das eine kostete drei Drachmen, das andere nur zwei. Jenes Hemd zu
drei Drachmen reichte er Qanbar, das einfachere behielt er für sich und zog es an.
Qanbar fragte: „O Amir -al- Mu'minin! Du steigst auf die Minbar und sprichst zu den
Leuten. Dieses Hemd, das du mir gabst, gebührt dir, nicht mir!"
Hadrat -e- Ali (a.s.) entgegnete: „Nein, Qanbar! Du bist jung, in dir ist noch viel
Lebensfreude! Ich würde mich schämen, wenn ich mich dir vorzöge!"
Der Prophet sagte im Zusammenhang mit Bediensteten und Unfreien: „Ihre Speise und
Kleidung darf nicht geringer und einfacher sein als die unsere!"
Imam Sädiq (a.s.) berichtet: „Als einmal Hadrat -e- Ali (a.s.) mit seinen Freunden nach Rahbah ging, bewirtete ihn dort einer seiner Anhänger mit Fäludeh, einer köstlichen Süßspeise. Amir al Mu'minin sprach: „Sie möge euch allen wohl bekommen. Ich aber möchte davon nichts essen, in Erinnerung an den Propheten, der derartiges nie aß!" -Wie die Freunde Imam Alis (a.s.) berichteten, erzählte Habah 'Arani, dass jemand Hadrat -e- Ali (a.s.) ein Schälchen mit Fäludeh (köstliche, erfrischende Süßspeise) reichte. Dieser kostete ein wenig von ihr und sagte: „Erlaubt (halal) Speisen sind erlaubt und nicht untersagt (haram)! Ich aber möchte meinen Gaumen nicht an etwas gewöhnen, das er nicht gewöhnt war!"
Ibn Abbäs berichtet: „Als Amir al Mu'minin Hadrat -e- Ali (a.s.) von Medina nach Basrah
reiste, legte er in Rabadah Rast ein. Einige der Hağpilger, die auf der Heimreise waren,
kamen hinzu und warteten auf ihn. Sie wollten, dass er zu ihnen spräche...
Hadrat -e- Ali (a.s.) hielt sich in seinem Zelt auf. Ich ging zu ihm, um ihm zu sagen,
dass sich draußen Leute versammelt hätten, die ihn zu sehen wünschten.
Mein Blick fiel auf einen alten Schuh, den er in seinen Händen hielt und flickte. Ich wand
ein: „Ist es nicht wichtiger, dass wir uns um die Berichtigung der Leute kümmern und
um ihre Angelegenheiten, als alte Schuhe zu flicken?"
Er antwortete nicht, sondern setzte in seiner Arbeit fort. Als der Schuh geflickt war,
stellte er ihn fein ordentlich neben den anderen. Nun fragte er mich: „Wie viel sind sie
wert, die Schuhe?"
Ich: „Nichts!"
Er: „Nichts?" Das dürfte ja wohl ein wenig übertrieben sein!"
Ich: „Nun gut, sagen wir, einen Bruchteil von einer Drache."
Er: „Bei Gott! Wenn es nicht so wäre, dass ich als Kalif für das Recht etwas tun oder ein
Unrecht beseitigen könnte, so wäre mir meine Kalifen-Position wertloser als dieser
Schuh hier!"
Und in Medina..., als die Leute zu ihm kamen, um ihm den Treueeid zu schwören,
ordnete er - nachdem er das, was zu sagen war, gesagt hatte - an, das Bayt-ul-Mäl-
Guthaben zu holen und unter den Muslimen zu verteilen.
Als das geschehen war, verrichtete er ein Zwei-Rak'ah-Gebet,holte seine Schaufel und
machte sich auf den Weg nach „Tschäh malak", um seiner täglichen Arbeit
nachzugehen.
Zu deiner Information: „Tschäh malak" ist die Bezeichnung eines Ortsteiles in Medina,
nahe der Moschee „Qubä", wo sich Hadrat -e- Ali (a.s.) mit Pflügen, Säen und
Bewässern beschäftigte.
Recht zu sprechen unter den Leuten und ihre Streitigkeiten aus dem Wege zu schaffen, ist nicht einfach, sondern recht schwierig und mit großer Verantwortung verbunden. Über die erstaunlich gerechte und faire Rechtsprechung Hadrat -e- Ali (a.s.) sind von namhaften Wissenschaftlern und Gelehrten dicke Bücher geschrieben worden. Wir können im Rahmen dieses Büchleins jedoch nur auf einige wenige seiner Urteile hinweisen, wenngleich sie alle informativ, interessant und lesenswert sind. Bei einer Gerichtsverhandlung, bei der Hadrat -e- Ali (a.s.) als Richter fungierte, ging es um die Verteilung von siebzehn Kamelen unter drei Partnern..., eine wahrhaft komplizierte Angelegenheit, nicht wahr? Doch lass dir erzählen, wie es war:
Drei Männer taten sich zusammen. Sie kauften mehrere Kamele und handelten mit ihnen. Als sie siebzehn besaßen, kam es eines Tages zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ihnen. Sie beschlossen, sich zu trennen und die Kamele unter sich zu verteilen. Doch das war eben das Problem... Einer meinte: „Die Hälfte der Kamele gehört mir." Der Zweite sagte: „Ein Drittel der Kamele steht mir zu!"
Und der Dritte meinte schließlich: „Ein Neuntel der Kamele muss mir gegeben werden!" Mit dieser Aufrechnung waren sie im Grunde einverstanden..., nur, gut rechnen konnten sie gerade nicht! Darüber hinaus: Sie standen sich stur und feindselig gegenüber, und anstelle den Geldwert der Kamele auszurechnen und anteilmäßig unter sich zu verteilen, wollten sie siebzehn lebendige Kamele, noch dazu bei den derartig komplizierten Anteil-Verhältnissen, unter drei Personen aufteilen. Nein, das war wirklich kein leichtes Unterfangen.
Alle, die davon hörten, sagten: Das geht nicht. Das ist unmögliche! Kurz: Niemand vermochte ihnen einen Tipp zu geben.
Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu Amir al Mu'minin (a.s.) zu gehen. Mit grimmigen Gesichtern und sich heftig streitend standen sie vor ihm. Sagten: „Urteile du! Sag du, was wir tun sollen!"
Hadrat -e- Ali (a.s.) sah sie und ihre siebzehn Kamele, die sie mitgebracht hatten, an und hörte ihren Erklärungen, Beteuerungen und Vorwänden geduldig zu. Dann sagte er lächelnd: „Ihr habt Recht, euren Anteil zurück zu verlangen. Wartet, ich werde euch dabei helfen!"
Er ließ sein eigenes Kamel herbei holen und stellte es zu den siebzehn. Nun sagte er: „Stellt euch vor, ihr hättet achtzehn statt siebzehn Kamele." Daraufhin wandte er sich dem Ersten der drei Männer zu und sprach: „Du willst die Hälfte von siebzehn Kamelen, nicht wahr? Nimm dir nun die Hälfte von achtzehn, d.h. neun Kamele gehören dir!"
Zu dem Zweiten sagte er: „Du wolltest ein Drittel von siebzehn Kamelen. Ein drittel von achtzehn Kamelen ist mehr. Nimm dir also sechs Kamele!"
Damit waren fünfzehn Kamele vergeben. Nur drei waren übrig geblieben. Zu dem dritten Mann sprach er: „Du wolltest ein Neuntel von siebzehn Kamelen. Stimmt's? Es waren aber achtzehn Kamele zu verteilen. Nimm dir also ein Neuntel von achtzehn. Das
bedeutet, dass zwei dir gehören. - Rechnen wir noch einmal alles durch: neun, sechs und zwei Kamele sind zusammen siebzehn, nicht wahr?"
Alle waren zufrieden und guter Dinge. Hadrat -e- Ali (a.s.) aber bestieg sein eigens Kamel und ritt auf ihm heim...
65. Zwei Reisende und acht Brote...
Zwei Männer gingen gemeinsam auf Reisen. Als sie hungrig wurden, ließen sie sich
irgendwo zum Essen nieder. Der eine hatte fünf Brotfladen bei sich, der andere drei. Sie
legten die Brote auf das Eßtuch. Ein Wanderer kam vorbei und grüßte: „Salam!"
Sie erwiderten seinen Gruß und luden ihn ein, sich zu ihnen zu setzen und ihr Gast zu
sein. „Bitte, setz dich zu uns!"
Er nahm bei ihnen Platz und sagte: „Habt Dank! Ich war hungrig geworden. Geld habe
ich zwar bei mir, doch nirgendwo gab es Brot zu kaufen."
Sie teilten das Brot gleichmäßig unter sich auf und aßen. Als der Mann gesättigt war,
legte er acht Drachmen auf das Eßtuch und sprach: „Ich danke euch noch einmal für
eure Gastfreundschaft. Ich wollte Brot kaufen, was es auch immer kostete. Nun habe
ich bei euch gegessen und will euch das Geld geben."
Mit diesen Worten erhob er sich und ging fort. Nun war es aber so, dass die beiden
Reisenden arme Leute waren. Als sie das viele Geld sahen, gerieten sie mit einem Male
in Streit.
Der, der fünf Brote mitgebracht hatte, sagte: „Fünf Drachmen gehören mir und drei
dir!"
Der andere, dem drei der Brote gehört hatten, protestierte: „Nein, so geht das aber
nicht! Der Mann hat das Brot nicht gekauft. Er hat uns das Geld aus Dankbarkeit
geschenkt! Darum muss es gleichmäßig verteilt werden!"
Kurz: Sie konnten sich nicht einig werden. Da kam Hadrat -e- Ali (a.s.) des Weges. Sie
baten ihn, zwischen ihnen Recht zu sprechen. Imam Ali (a.s.) sagte zu dem, dem drei
Brote gehört hatten: „Gib nach! Sei einverstanden! Du hast drei Brote gehabt, sei nun
mit drei Drachmen zufrieden!"
Der Mann erwiderte: „Nein, ich will Gerechtigkeit! Was Recht und Gerechtigkeit sagen,
werde ich akzeptieren!"
Hadrat -e- Ali (a.s.) sagte freundlich: „Glaub es mir! Drei Drachmen und die
Zufriedenheit deines Reisebegleiters sind für dich vorteilhafter! Willige ein! Sei klug!"
Der Mann aber bestand auf seiner Forderung.
„Nein, ich will Recht und Gerechtigkeit, andernfalls werde ich mich nicht zufrieden
geben!"
Ali (a.s.) daraufhin: „Gut denn, wenn das so ist, so wisse, dass dir nur eine einzige
Drachme zusteht!"
Als der Mann nun dagegen protestierte, fügte Hadrat -e- Ali (a.s.) hinzu: „Ich habe dir
geraten, dich mit drei Drachmen abzufinden. Du aber wolltest Recht und Gerechtigkeit.
Gut so. Diese eine Drachme steht dir von Rechts wegen zu. Nicht mehr!
Lass es dir vorrechnen! Sieh, dein Kamerad hatte fünf Brote mitgebracht und du drei.
Zusammen sind es acht Brote. Wenn wir diese acht Brote mit drei multiplizieren,
erhalten wir vierundzwanzig Brotteile. Ihr drei Personen habt zusammen vierundzwanzig
Brotteile gegessen. Jeder von euch acht. Der, dem fünf Brote gehörten, hat acht Teile
gegessen. Sieben Teile seines Brotes aß der Gast. Du aber, der du nur drei Brote
besaßest, hast ebenfalls acht Teile gegessen und somit nur einen Teil dem Gast
abgegeben. Wenn du gerecht Brot- und Geldanteil berechnest, wirst du selbst
feststellen, dass dir nur eine Drachme zusteht, deinem Reisebegleiter aber sieben.
Nimm dir deine Münze und sei zufrieden, dass deinem Wunsch nach Recht und Gerechtigkeit entsprochen wurde."
Der Mann antwortete: „O Ali! Wenngleich ich nun schlechter abschneide, als ich gehofft hatte, so kann ich es mir erstens selbst zuschreiben, und zweitens will ich mich gern mit Recht und Gerechtigkeit begnügen!"
66. Wer hat schöner geschrieben?
Diese Geschichte erzählt über Imam Hassan und Imam Hussayn (a.s.), als sie beide
noch recht klein waren. Doch zuvor noch dieser Hinweis: Hadrat -e- Hassan (a.s.) war
ein Jahr älter als Hadrat -e- Hussayn (a.s.).
Zu dem, womit sich die beiden Knaben sehr gern beschäftigten, gehörten Wettbewerbe
aller Art. Eines Tages hatten sie etwas geschrieben und brachten es zu Hadrat -e-
Muhammad (s.a.s.).
Sie fragten ihn: „Sag bitte, wer von uns schöner geschrieben hat."
Der Prophet, der nicht die Schrift des einen vor der des anderen bevorzugen wollte,
antwortete: „Ihr habt beide gut geschrieben!"
„Nein", sagten sie, „wir wollen genau wissen, wessen Schrift schöner ist!"
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) entgegnete: „Kinder! Wisst ihr, dass ich nie zur Schule
gegangen bin und nie gelernt habe, wie man schreibt? Schriften zu beurteilen aber ist
Sache von Leuten, die etwas davon verstehen und selber schreiben können. Ich denke,
es wird richtig sein, wenn ihr zu eurem Vater geht und ihn fragt. Er hat eine gute Schrift
und er ist es, der die Offenbarungen, die Gott mir herab sendet, niederschreibt."
Die Knaben liefen zu ihrem Vater und fragten ihn: „Vater, wer von uns hat schöner
geschrieben?"
Hadrat -e- Ali (a.s.) antwortete: „Ihr habt beide eine gute Schrift! Eure Schrift ist
leserlich und fein!"
„Nein", beharrten die beiden, „sag uns, welche besser ist!"
Hadrat -e- Ali (a.s.) meinte: „Kinder, wenn ihr zur Schule gehen würdet, wäre es richtig,
eurem Lehrer diese Frage zu stellen. Er kennt sich in Handschriften von Kindern gut
aus. Ihr aber habt euch das Schreiben selbst beigebracht, habt keinen Lehrer gehabt,
der es euch gezeigt hätte. Darüber hinaus seid ihr noch recht klein.
Wisst ihr was? Geht zu eurer Mutter, sie wird euch sicherlich antworten können. Was
mich angeht, so sehe ich keinen Mangel in euren Schriften, doch lasst eure Mutter
urteilen. Allem, was sie sagt, stimme ich zu! Wenn sie euch aber keine Antwort gibt, die
euch zufrieden stellt, so können wir unsere Freunde fragen!"
Hadrat -e- Hassan (a.s.) und Hadrat -e- Hussayn (a.s.) waren mit dem Vorschlag ihres
Vaters einverstanden und liefen zu ihrer Mutter. Als sie sie fragten, wessen Schrift
schöner sei sagte Hadrate -e- Fätimah (a.s.): „Ihr habt beide sehr schön geschrieben!
Zu entscheiden, wessen Schrift nun aber besser ist, ist wahrhaft schwierig! In einer
Angelegenheit, in der euer Großvater und euer Vater euch zu mir schicken, damit ich
dazu Stellung nehme, heißt es, gut und sorgfältig achtzugeben! Überhaupt, wie wäre es,
wenn wir etwas ganz anderes machen!"
„Gut, lass uns etwas anderes tun! Aber was?"
Hadrate -e- Fätimah (a.s.) besaß eine Halskette aus sieben Elfenbeinperlen. Sie sprach:
„Ich lasse nun die Perlen zu Boden rollen. Wer in kürzester Zeit die meisten von ihnen
aufgesammelt hat, ist Sieger!"
Hassan und Hussayn (a.s.) meinten: „In Ordnung, wenngleich dieses eine Art
„Losziehen" ist, nicht aber eine objektive Beurteilung. Doch gut, machen wir, was du
sagst!"
Hadrate -e- Fatimah (a.s.) löste den Verschluss der Kette und ließ die Perlen zur Erde
fallen. Sie rollten in allen Richtungen davon. Die Knaben liefen, um sie aufzuheben.
Jeder von ihnen fand drei Perlen. Die siebte Perle aber war eigenartiger weise
auseinander gebrochen.
Als sie sie fanden, erhaschten beide eine Perlenhälfte.
Wieder war das Ergebnis völlig gleich. Doch beide gaben sich nun zufrieden und
meinten: „Schließlich ist wieder das gleiche dabei heraus gekommen, was Großvater,
Vater und Mutter schon vorher sagten. Wir haben beide gut geschrieben und die gleiche
Anzahl Perlen gefunden. Also: Unentschieden! Doch dass die Perle zerbrach..., das
wollten wir nicht, Mutter!"
Hadrate -e- Fätimah (a.s.) sagte lächelnd: „Ihr habt sie nicht zerbrochen, sondern Gott
ließ es geschehen, dass sie zerbrach! Und was Gott zerbrechen lässt, ist gewiss
wertvoller als tausend ganze Dinge...!"
Hassan und Hussayn (a.s.) waren noch kleine Jungen. Eines Tages sahen sie bei der
Moschee, dort, wo sich die Leute zum Gebet reinigen, einen alten Mann, der ebenfalls
sein „Wudu", dass heißt seine Gebetswäsche, vornahm. Aber er wusste nicht recht, wie
er es zu machen hatte. Hassan und Hussayn (a.s.) hätte es ihm gerne gesagt, doch
genierten sie sich. Er war immerhin ein alter Mann und sie zwei kleine Jungen. Es
konnte durchaus sein, dass er beschämt sein würde, wenn sie ihn auf seine Fehler
aufmerksam machten. So beschlossen sie, selbst die „Wudu" vorzunehmen und sich
währenddessen darüber zu unterhalten, was dabei zu beachten ist. Auf diese Weise
konnten sie ihm nahe bringen, wie man es richtig macht...
Als sie nun dastanden mit ihren hochgekrempelten Ärmeln, bereit zur Wudu, begannen
sie, miteinander zu diskutieren. Der alte Mann trat zu ihnen und sie fragten ihn: „Bitte
sag du uns, wer von uns es richtig macht! Wir sind uns nämlich nicht ganz einig. Sieh
uns beim Wudu zu und mach uns auf unsere Fehler aufmerksam."
Der alte Mann war einverstanden. Die beiden Knaben aber nahmen, nacheinander, die
Wudu vor. Bedächtig und sorgfältig...
Dann fragten sie: „Haben wir es richtig gemacht?"
Der alte Mann hatte verstanden, er begriff, um was es den beiden Knaben gegangen
war. Tränen traten ihm in die Augen.
Er sagte: „Eure Wudu ist richtig! Beide habt ihr es korrekt vollzogen! Ich wusste es
vorher nicht genau, nun aber habe ich von euch gelernt, wie man es richtig macht. Habt
Dank, dass ihr mich so fein und taktvoll unterrichtet habt."
68. Die Würde des anderen ist zu schützen
Ein Mann kam zu Imam Hassan (a.s.), klagte ihm seine Not und bat ihn, ihm zu helfen.
Der Imam antwortete ihm: „Schreib mir das, was du brauchst, auf und gib mir das
Geschriebene."
Später, als er die Zeilen des Bittstellers las, erfüllte er ihm sogleich seinen Wunsch und
zwar in doppelter Höhe. Einer der Anwesenden meinte: „Wie sehr wurden ihm seine
Zeilen zum Segen!"
Hadrat -e- Hassan Mugtabä (a.s.) entgegnete: „Mir gereichen sie noch mehr zum
Wohle! Deswegen, da sie mir ermöglichten, gottwohlgefällig zu handeln. Du weißt doch,
dass der, der einem anderen das gibt, was er braucht - ohne dass er es ihm gesagt
hätte - gottwohlgefällig handelt. Etwas das gegeben wird, nachdem man in aller
Deutlichkeit darum gebeten wurde, ist angesichts der persönlichen Würde und des
Selbstwertgefühls, das der Bittsteller dabei einsetzte, unbedeutend.
Es kann durchaus sein, dass dieser die Nacht voller Unruhe und von Zweifeln geplagt
zugebracht hat, hin und her gerissen zwischen Bangen und Hoffnung und gequält von
der Frage, ob der, den er um etwas bitten möchte, ihm den Wunsch abschlagen oder
aber diesem gern nachkommen wird.
Wenn er dann zu dir kommt und du ihm lediglich das gibst, worum er dich gebeten hat,
so ist dieses angesichts seiner persönlichen Würde, seines Ansehens und
Selbstwertgefühl, dass er dir gegenüber aufs Spiel setzt, ein geringfügiger Gegenwert."
69. Unser Ziel ist das gleiche...
Masrawaq Ibn Aschras sagte: „Eines Tages ging in zum Hause Hussayn Ibn Alis (a.s.).
Ich sah, dass er mit einigen Muslimen zusammen saß zu Unterricht und Diskussion.
Koranbücher lagen bereit, und Schalen mit Getränken, die offensichtlich zum „Iftar"
bestimmt waren, standen da.
Die Frage, die ich auf dem Herzen hatte, stellte ich an Hadrat -e- Hussayn (a.s.), hörte
seine Antwort und besuchte Imam Hassan (a.s.).
Das Eßtuch war bereits ausgebreitet, Speisen und Früchte wurden aufgetragen. Leute
kamen, setzten sich nieder, aßen und gingen wieder. Ich aber wartete auf den Imam.
Als er eintrat, fragte er mich: „O Masrawaq, warum isst du nichts?"
„Noch ist die Zeit zum Iftar nicht gekommen! Ich faste noch", antwortete ich, „doch
möchte ich euch etwas fragen."
Er: „Was möchtest du wissen?"
Ich: „Gott bewahre mich vor der Vorstellung, dass zwischen dir und deinem Bruder
unterschiedliche Überzeugungsansichten vorherrschen könnten! Aber im Hause Hadrat
-e- Hussayn (a.s.) sah ich, dass er mit seinen Freunden auf die Zeit des „Iftar" wartet,
während in deinem Hause bereits gegessen wird."
Imam Hassan (a.s.) trat auf mich zu, zog mich an sich und sprach: „Mein lieber Freund!
Weisst du nicht, dass unser Ziel und Streben Ein und das Gleiche ist?
Doch wir müssen an alle in unserer Gesellschaft denken, - an die, die fasten und jene,
die nicht fasten können! Das heißt, wir dürfen unser Augenmerk nicht auf einzelne
Gruppen richten. Wenn wir einen engen, schmalen und entbehrungsreichen Weg gehen,
so können diesem nicht alle folgen. Heute faste ich nicht, damit die, die nicht fasten
können, nicht beunruhigt sind und auseinander laufen.
Mein Bruder aber fastet, damit die Fastenden nicht ruhelos werden und auseinander
laufen.""
Etliche arabische wortgewandte Redner waren bei Imam Hassan (a.s.) zu Gast. Einer
von ihnen sagte nach dem Gastmahl: „Lasst mir nun das köstliche Getränk bringen!"
„Was möchtest du trinken?"
Er: „Das, das wenn es nicht zu haben ist, wertvoller als alles andere und so es erhältlich
ist, wertloser als alles andere wird."
Imam Hassan (a.s.) ordnete daraufhin an: „Bringt ihm Wasser!"
Ein Mann, der von der Großherzigkeit und Nachsicht Imam Hassans (a.s.) gehört hatte,
ging zu ihm und sagte: „O Sohn Amir -ul- Mu'minins! Ich beschwöre dich bei Gott, der
euch Seinen Segen in so reichlichem Masse schenkte! Hilf mir und rette mich vor
meinem Feind!
Weißt du, ich habe einen Feind, der bitterböse ist, roh und rücksichtslos. Weder
verschont er die Kinder noch die Alten!"
Hadrat -e- Hassan Mugtabä (a.s.), der gegen eine Wand lehnte, richtete sich auf und
fragte: „Sag mir, wer dein Feind ist, damit ich dir helfen kann."
„Warum er so ist, weiß ich nicht! Doch da du wissen möchtest, wer es ist..., nun, es ist
die Not, die Armut ist es und Ausweglosigkeit..."
Bei dieser ein wenig ungewöhnlichen Antwort senkte der Imam seinen Kopf und
schwieg. Nach einiger Zeit schaute er auf, rief einen seiner Angestellten zu sich und
sagte: „Alles, was wir an Geld im Hause haben, bring her!"
Man brachte ihm 5000 Drachmen.
Der Imam reichte ihm das Geld und sagte zu dem Mann: „Nimm es! Mit diesem Geld
wirst du dich deines Feindes entledigen können. Wenn er dich aber wieder einmal
bedrängt, so komm zu mir und sage es mir. Doch sei besonnen und geh klug zu
Werke!"
Der Mann bedankte sich und entgegnete: „O Enkelsohn des Gesandten Gottes! Ich
verspreche dir, dass ich nicht mir selbst Schaden zufügen und verschwenden werde!
Und auch den Feind will ich nicht herausfordern. Doch wenn er grundlos kommt, ohne
dass ich es verschuldet hätte und er mich unter Druck setzt, so werde ich mich wieder
bei die über ihn beschweren, damit du ihn auf seinen Platz zurückweist!"
Ein Mann kam zu Imam Hassan (a.s.) und sagte: „Ich bin in akuten Schwierigkeiten. Komm und hilf mir!"
Unverzüglich erhob sich Hadrat -e- Hassan (a.s.) und ging mit ihm. Unterwegs sahen sie Hadrat -e- Hussayn (a.s.), der in der Moschee betete. Hadrat -e- Hassan (a.s.) fragte den Mann: „Du bist an dieser Moschee vorbei gekommen, bevor du zu mir kamst. Warum hast du nicht gleich meinen Bruder um Hilfe gebeten, wenn du es so eilig hast?!"
Dieser erwiderte: „Ich sah ihn und wollte ihn darum bitten. Doch die Leute sagten mir, dass dein Bruder den Vorsatz gefasst habe, die Moschee bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht verlassen zu wollen und sich nur der Gottesanbetung zu widmen." Hadrat -e- Hassan Mugtabä (a.s.) erklärte ihm nun: „Einem Glaubensbruder eine Bitte zu erfüllen ist besser, als wenn man auch einen ganzen Monat lang in der Moschee bliebe und in Gebet und Du'a (Bittgebet) versänke! Mein Bruder weiß das! Er hätte dir ganz gewiss geholfen. Es sei denn, er hätte seinen Vorsatz durch einen Schwur oder ein Versprechen unumgänglich gemacht!"
Wenn jemand aus der Steppe nach Medina kam, wusste er, dass die Tür zum Hause Imam Hassans (a.s.) immer für ihn offen stand. Hadrat -e- Hassan (a.s.) stellte den größten Teil seiner Habe Bedürftigen, Obdachlosen und Reisenden aus fernen Gebieten,
die mittellos geworden waren und ohne Hilfe und Schutz dastanden, zur Verfügung. Er
sättigte und kleidete sie und sorgte dafür, dass sie Unterkunft fanden.
Eines Tages kam ein Mann, der recht unansehnlich aussah. Da er hungrig war, brachte
man ihm zunächst einmal zu Essen. Er aß, bis er gesättigt war.
Nun saß er zufrieden da. Sein Hunger war gestillt und ebenso sein Durst. Da fiel sein
Blick auf Imam Hassan (a.s.), der ihn freundlich ansah und fragte: „Woher kommst du?
Bist du allein?"
„Ich komme aus der Steppe und habe hier in der Stadt etwas zu erledigen. Zu Hause
habe ich eine Frau, die mir hintereinander acht Töchter zur Welt gebracht hat. Die
Sache ist aber die: Sie stellen Ansprüche an das Leben, mehr als ich. Und sie erwarten,
dass ich dafür aufkomme. Zudem: Ich bin schöner als sie alle!"
Imam Hassan (a.s.) lächelte, als er den Mann so reden hörte, er tat ihm leid. Und so
gab er ihm eine ansehnliche Summe Geld und sprach: „Hier, nimm es. Du wirst es gut
gebrauchen können! Verwende es für deine Frau und deine Töchter!"
74. Salam..., Friede sei mit dir!
Es dürfte wohl allgemein bekannt sein, dass Muaviah, der damalige Herrscher in
Damaskus, der Bevölkerung ein falsches, schlechtes Bild von Amir -al- Mu'minin Ali
(a.s.) und seinen Kindern vermittelte. Nicht wenige waren es, die ihm glaubten und
daher Ali Ibn Abi Tälib und seinen Söhnen feindselig gesonnen waren.
Eines Tages kam ein alter Mann aus Damaskus nach Medina. Er sah Imam Hassan (a.s.)
in einer der Straßen, schaute ihn unverwandt und dreisten Blickes an und begann, ihn
mit derben Worten anzureden. Hadrat -e- Hassan (a.s.) hielt sein Pferd an und hörte
dem Mann schweigend zu. Nachdem dieser seine unverfrorene Rede beendet hatte,
sprach er zu ihm: „Salam! Friede sei mit dir! Es scheint, dass du fremd hier bist und
mich nicht kennst. Wenn du dich für deine Unhöflichkeit entschuldigen willst, so werde
ich dir vergeben. Wenn du dich führen lassen möchtest, so werde ich dich gerne mit der
Wahrheit vertraut machen. Hast du aber Schwierigkeiten oder eine Bitte, so helfe ich dir
gern. Wenn du obdachlos bist, werde ich dich gerne bei mir aufnehmen und dir Schutz
geben. Du kannst solange wie du möchtest mein Gast sein.
Brauchst du aber Geld, werde ich dir geben, was du benötigst, das heißt, ich werde dich
unterstützen, soweit es mir möglich ist.
Doch mein Freund, bedenke dieses: Ohne Bescheid zu wissen und ohne geprüft zu
haben, beschimpft und beschuldigt ein Muslim nicht seine Mitmenschen!"
Der Mann, der angenommen hatte, dass Hadrat -e- Hassan (a.s.) oder dessen Begleiter
ihn wegen seiner Unverschämtheit zur Rechenschaft ziehen und es ihm heimzahlen
würde, war völlig erstaunt über die Milde und Nachsicht, die ihm stattdessen widerfuhr.
Er brach in Tränen aus und sagte: „O Enkelsohn des Propheten! Ich habe bisher
schlecht von dir und euch gedacht, doch irrte ich mich! Nun weiß ich, dass ihr weitaus
besser seid, als man mir von euch berichtet hat.
Ich bezeuge, dass der Führer, Kalif und Imam der Muslime so sein muss, wie du es bist!
Ich habe jetzt erkannt, dass das, was eure Feinde über euch verbreiten, nichts als
Lügen sind!"
Solange er sich in Medina aufhielt, war der Mann aus Damaskus Gast im Hause Imam
Hassans (a.s.). In Freundschaft mit ihm und Ahl-Bayt, den Nachkommen des Gesandten
Gottes, kehrte er schließlich in seine Heimat zurück.
75. Aus Gutem wird Gutes geboren...
Eines Tages ging Imam Hassan (a.s.) in der Umgebung Medinas - im Schatten einer
Gartenmauer seines Weges. Er sah einen schwarzhäutigen Unfreien, der sich gegen die
Mauer lehnte und as. Ein kleines Esstuch hatte er vor sich ausgebreitet, auf dem ein
rundes Fladenbrot lag. Ein Hund stand dicht dabei, und jedesmal, wenn der Unfreie sich
ein Stückchen Brot in den Mund schob, gab er auch dem Hund einen Bissen.
Der Imam ging näher heran. Dann, als er neben ihm stand, lächelte er den Mann an und
sprach: „Du wirst hungrig bleiben, wenn du von deinem bisschen Brot dem Hund
abgibst!"
Der Unfrei antwortete: „Was bleibt mir anderes übrig? Ich schäme mich, wenn ich esse
und meinen Hunger stille, der Hund aber nichts zu fressen hat, hungrig bleibt und mich
nur still und mit bittendem Blick ansieht!
Ganz abgesehen davon: Ich kann mich gedulden und beherrschen, der Hund aber nicht!
Er wird verlangend bellen und die Kinder mit seinem Gekläff ängstigen!"
Imam Hassan (a.s.) lobte ihn und fragte: „Was tust du hier?"
Er: „Ich arbeite in diesem Garten."
„Bleib hier, bis ich zurückkomme", sagte der Imam, ging zum Eigentümer des Gartens,
kaufte den Sklaven - auf dem Wege Gottes - frei und wollte ihm noch ein wenig
Anfangskapital für den Start in sein neues, freies Leben geben. Der Garteninhaber aber,
der die Großherzigkeit Imam Hassans (a.s.) sah, fühlte sich motiviert, ebenfalls Gutes
zu tun und schenkte seinem ehemaligen Sklaven den Garten. Dabei sagte er: „Aus
Gutem wird Gutes geboren!"
Ein armer Mann kam zu Hadrat -e- Hassan (a.s.) und klagte ihm seine Not. Der Imam hatte jedoch kein Geld im Hause, wollte ihn aber auch nicht mit leeren Händen fortgehen lassen. So sagte er zu ihm: „Ich werde dir etwas sagen, das dir aus deiner Not heraushelfen wird! Weisst du, die Tochter des Richters ist gestorben. Er sitzt nun an ihrem Grabe und weint. Niemand konnte ihn bisher beruhigen und trösten. Geh du nun zu ihm und kondoliere ihm mit den Worten, die ich dir jetzt sage: Sprich: Gott sei Preis und Dank, dass deine Tochter zu einer Zeit zu Grabe getragen wurde, da ihr Vater noch ist. Sie ist nun davor bewahrt, vater- und schutzlos an deinem Grabe zu sitzen!" Der arme Mann lernte die Worte, die ihm der Imam gesagt hatte, auswendig, ging zum Richter und kondolierte ihm. Seine tröstenden Worte wirkten beruhigend auf den Trauernden. Er hörte auf zu schluchzen und ordnete an, den armen Mann fürstlich zu belohnen. Dann fragte er ihn: „Sind die Worte, die du zu mir sprachst, von dir selbst?" Der Mann antwortete: „Nein, Hassan Ibn Ali (a.s) hat sie mich gelehrt." „Sei gesegnet, weil du die Wahrheit sprachst", sagte der Richter. „Ja, Hassan Ibn Ali (a.s.) ist voller Weisheit und Tugend!" Und noch einmal schenkte er ihm eine ansehnliche Summe...
77. Das Geständnis des Feindes
Als Hassan Ibn Ali (a.s.) im Jahre 50 n.d.H. das Schahädat fand, taten sich die Sympathisanten der Bani Umayyah zusammen, um zu verhindern, dass der Leichnam des Imam neben der Gruft des Propheten bestattet würde. Fadenscheinige Vorwände und Begründungen wurden genannt, wie unter anderem das vergossen Blut Uthmäns, des dritten Kalifen.
Eine Frau rief: „Wir wollen nicht zulassen, dass der Sohn Alis neben dem Propheten
begraben wird, wohingegen der Leichnam Uthmäns auf dem Friedhof Baqi' bestattet
wurde."
Kurz: Es ging turbulent zu! Waffen wurden gezogen. Die Situation war bedrohlich...
In jener Zeit herrschte auf Geheiß Muaviahs Marvän als Gouverneur in Medina. Er
schürte die Feindseligkeiten nach Kräften. Schließlich aber gelang es Imam Hussayn
(a.s.), die Freunde und Gefährten Ahl - Bayts, d.h. der nahe stehenden Angehörigen
und Nachkommen des Propheten zu beruhigen, so dass sie so handelten, wie Imam
Hassan (a.s.) es in seinem Testament gewünscht hatte. Sie gingen Kampf und
Blutvergießen aus dem Weg und erklärten sich damit einverstanden, den Leichnam des
Imam auf dem Friedhof Baqi' zu bestatten.
Einer von denen, die an dem Trauerzug teilnahmen und mithalfen, den Sarg zu tragen,
war Marvän. Imam Hussayn (a.s.) fragte ihn: „Du, Marvän? Du trägst den Leichnam des
Imam, obwohl dieser sein ganzes Leben lang deinetwegen in Kummer und Sorge war??"
Marvän antwortete: „Was soll ich sagen?! Was du sagst, stimmt! Ich arbeite mit
Muaviah zusammen und unterstütze ihn!"
Dann, wie es dem politischen Hantieren so mancher Gewaltmächtigen jener Zeit
entsprach, die die Unfehlbaren Imam (a.s.) zwar keines mochten, doch angesichts der
großen Anhängerschar, die diese hatten, scheinbar ehrten, fügte er hinzu: „Immerhin
war Hassan ein Mann der Langmut, Güte und Nachsicht. Seine Großzügigkeit und
Geduld vermochten geradezu Berge zu versetzen! Und diese seine Langmut und
Großherzigkeit sind es, die ich schätze..."
78. Der, der sie gern hat, hat mich gern...
Der Prophet saß auf der Minbar und hielt eine Ansprache. Die beiden kleinen Knaben
Hassan und Hussayn (a.s.) kamen in ihren rosenfarbenen Langhemden angelaufen und
stolperten über eine Matte, die auf dem Boden ausgebreitet war.
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) hatte dieses gesehen, kam hinunter, zog seine
Enkelchen an sich, nahm sie mit hinauf auf die Minbar und ließ sie dort oben auf seinem
Schoss sitzen.
Er sprach: „Gott sagte, dass er euch im Zusammenhang mit euren Kindern, und eurem
Eigentum prüfen wird. Das stimmt. Ich sah, wie diese beiden Kinder beinahe hingefallen
wären. Da ich besorgt um sie war, brach ich meine Rede ab und nahm die Knaben zu
mir. Hassan und Hussayn sind meine lieben Enkel. Der, der ihnen feindselig gesonnen
ist, steht mir in Feindschaft gegenüber, - und der, der sie gern hat, hat mich gern!"
Das Opferfest wie auch das Ramadänfest sind zwei große Feste im Islam. An diesen
beiden Tagen verrichten die Muslime gemeinsam das Festgebet.
Der Begriff „Fest" ist eng verknüpft mit Freude und Frohsinn. Überall auf der Welt ist
das so. Ja, Fest und Freude gehören einfach zusammen! -
Was aber gehört dazu?
Richtig, man zieht das Beste an, das man hat!
Und noch etwas ist typisch für „Fest" und „Festtagsfreude", nämlich, dass Kinder an
solch einem Tag ganz besonders froh und glücklich sind..., oder wenigstens sein sollten!
Unter anderem wird dieses dadurch erreicht, dass man ihnen hübsche, möglicherweise
neue Kleidung für das Fest zurecht legt.
Unsere Geschichte trug sich in jener Zeit zu, als Hassan und Hussayn (a.s.) noch klein
waren. Damals herrschten in Medina Hunger und Not, und die meisten waren nicht in
der Lage, sich zum Fest neue Gewänder zu beschaffen. Und was den Propheten und
seine Angehörigen anbetraf..., nun, auch wenn sie es sich hätten leisten können, so
dachten sie doch mehr an das Wohlergehen ihrer mittellosen, bedürftigen Mitmenschen
als an das eigene. -
Was aber die Kinder betrifft, so wünschte ein jeder Vater und jede Mutter, ihnen
wenigstens eine kleine Festfreude bereiten zu können. Sie taten, was sie vermochten,
um ihrer Kinder froh und glücklich zu sehen, und wenn es nur winzige Kleinigkeiten
waren, mit denen sie sie erfreuten...
Im Hause der Tochter des Propheten jedoch war weder Stoff noch Geld vorhanden, so
dass sie an neue Dinge für die Kinder hätten denken können.
Und wenn es da gewesen wäre, so würde sie es gewiss vorgezogen haben, für die
Ärmsten unter den Muslimen ein Geschenk zum Fest zu ermöglichen. Sie wusste, dass
Hassan und Hussayn, so klein sie noch waren, gewiss Verständnis dafür gehabt hätten.
Jedenfalls aber kamen auch im Hause Alis und Fätimahs (a.s.) mit einem Male neue
Gewänder für die Kinder zur Sprache.
Nur wenige Tage waren es noch bis zum Fest. Die Knaben fragten: „Bekommen wir
auch etwas Neues zum Anziehen?"
Die Antwort lautete: „Ja, wenn Gott will!"
Einen Grund dafür, dass Gott möglicherweise nicht wollte, gab es nicht.
Einige Tage später fragten sie erneut: „Wo sind denn unsere neuen Sachen?"
„Die muss der Schneider noch nähen!"
Zwei Tage vor dem Fest wollten sie noch einmal wissen: „Wo ist der Schneider?"
Die Mutter antwortete: „Er ist in seiner Nähstube. Wenn er die Sachen für seine Kunden
genäht hat, bringt er sie zu ihnen nach Hause!"
Ja, wer unfehlbar, rein und frei von Irrtümern und Mängeln ist wie Hadrat -e- Fätimah
(a.s.), spricht nicht die Unwahrheit. Wenn wir hier in unserer Geschichte auch nicht den
genauen Wortlaut dessen wiedergeben, was gesprochen wurde, so entspricht es do
sinngemäß dem, was in den Hadithbüchern nachzulesen ist.
Der Abend brach an. Es war der Vorabend zum Fest. Einer der beiden, entweder Hassan
oder Hussayn (a.s.), fragte: „Wenn der Schneider unsere neuen Hemden bringen will,
so wird das gewiss heute Abend sein, nicht wahr?"
Die Mutter, die ihre beiden Jungen nicht traurig sehen wollte, sagte: „Heute ist der
Vorabend zum Fest. Morgen aber ist erst das Fest. Eure neuen Sachen werden dann
gebracht, wenn sie fertig sind und ihr sie anziehen könnt! Wir Erwachsenen haben zum
Fest nichts neues, für euch Kinder aber sorgt Gott!"
Der Abend ging dahin. Plötzlich, zu später Stunde, klopfte jemand an die Haustür.
„Wer ist da?"
„Ich bin's, der Schneider!"
Als sie die Tür öffneten, trat ein alter, freundlich lächelnder Mann ins Haus. Er
überreichte ihnen ein Paket, in dem zwei neue Hemden, zwei neue Gewänder, zwei Paar
Sandalen und zwei Stirnbänder waren.
Dazu sagte er: „Dieses sind die Sachen für die Kinder!"
Dann verabschiedete er sich und verließ das Haus.
Niemand kannte den Mann. Es konnte sein, dass der Prophet die Dinge für seine Enkel
in Bestellung gegeben hatte oder einer seiner Freunde.
Sie öffneten das Paket und holten die Dinge heraus. Die eine Garnitur war
rosenfarbenen, die andere laubgrün, keinesfalls auffallend oder grell, sondern
angenehm und fein...
Die Dinge waren im Grunde einfach und sahen aus wie die der anderen Kinder. Doch der
Stoff war nicht von der Art, die man im Bazar kaufen konnte...
Hussayn (a.s.), der ein wenig jünger war als Hassan (a.s.), streckte seine Hand nach
den rosenfarbenen Sachen aus.
Er jauchzte: „So etwas wollte ich! So etwas habe ich mir gewünscht! Welch schöne
Farbe!"
Und Hassan (a.s.) jubelte: „Wie fein ist doch die laubgrüne Farbe! Ein Gewand aus
laubgrünem Stoff, das war schon immer mein Wunsch!"
Am nächsten Morgen, in der Frühe des Festtages, kam Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.),
um seine Kinder und Enkel zu besuchen und ihnen zum Fest zu gratulieren. Die Knaben
trugen ihre neuen Sachen. Nachdem sie einander begrüßt hatten, fragte der Prophet
seine Tochter: „Hast du den Schneider gesehen?"
Hadrat -e- Fätimah (a.s.) antwortete: „Ja Vater! Jemand kam und sagte, er sein
Schneider und habe Dinge für die Kinder angefertigt. Wir aber kannten ihn nicht. Noch
niemals haben wir ihn vorher gesehen!"
Der Prophet Muhammad (s.a.s.) sprach: „Gott lässt Engel in Menschengestalt schlüpfen
und Menschen engelsgleich werden. Wenn Er will, kleidet Er seine Geschöpfe ein durch
jene, die dem Paradies zugehören..."
80. Gute Art, sich zu versöhnen...
Nach Hassan und Hussayn (a.s.) war Muhammad Hanifah der dritte Sohn Ali Ibn Abi Tälibs (a.s.). Ali (a.s.) hatte nach dem Tode Hadrat -e- Fätimah Zahräs (a.s.) JHälah, die dem Stamme Hanifah angehörte, geheiratet. Da die Leute diesen dritten Sohn von Anfang an als Kind der Frau aus dem Stamme Hanifah bezeichneten, bleib ihm dieser Name „treu".
Noch war Muhammad Hanifah nicht herangewachsen, als es eines Tages zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und Hussayn (a.s.) kam. Schnell jedoch erkannte er seinen eigenen Irrtum und begriff, dass sein Bruder im Recht war. Da er aber den Disput selbst heraufbeschworen und miterlebt hatte, wie sich einmal seine Brüder nach einem Wortwechsel verhalten hatten, um sich zu versöhnen, schrieb er ihm nun einen Brief, in dem sinngemäß stand: „Im Namen Gottes! Der Vater von dir und mir ist Ali Ibn Abi Tälib und deine Mutter ist die Tochter des Propheten. Und wenn auch die ganze Welt voller Gold wäre und meine Mutter dieses besäße, so könnte sie dennoch deiner Mutter nie ebenbürtig werden. Sobald du diesen Brief gelesen hast, komm zu mir, damit ich sicher sein kann, dass du mir nicht böse bist."
Nachdem Hussayn (a.s.) diese Zeilen gelesen hatte, ging er unverzüglich zu ihm, um ihm die Hand zur Versöhnung zu reichen.
81. Was ist das beste Geschenk?
Als Marvän Gouverneur von Medina war, wurde ihm berichtet, dass Farzadaq, ein
bekannter Dichter, einen Vers über Tyrannen und Gewaltmächtige verfasst hatte. Da er
annahm, das Farzadaq ihn mit seinen Worten meinte, ließ er ihn aus der Stadt
verbannen.
Farzadaq kam zu Imam Hussayn (a.s.) und klagte ihm sein Leid: „Es ist eine Zeit, da
den Leuten Unrecht und rohe Gewalt angetan wird. Misstrauen und Verdacht herrschen
weit und breit im Lande.
Wenn man allein nur „K" sagt, so wird das gleich so ausgelegt, als hätte man damit
„Korruption" gemeint.
Imam Hussayn (a.s.) sprach ihm gut zu und gab ihm eine höhere Summe Geld, damit
er sich damit fürs erste über Wasser halten konnte.
Ein Mann, der dieses gesehen hatte, kritisierte: „Wie ist das zu verstehen? Der Enkelsohn des Propheten macht einem Dichter, der ein loses Maul hat, ein Geldgeschenk?"
Der Imam antwortete: „Das beste materielle Geschenk ist jenes, das den Beschenkten anspornt, sich zu berichtigen und dazu beiträgt, dass Ansehen und Würde gewahrt bleiben. Wer sich berichtigt, wird auch seine Zunge zügeln. Weisst du denn nicht, wie sich der Gesandte Gottes (s.a.s.) Ka'b Ibn Zuhayr gegenüber verhielt und wie er die Zunge des Abbäs Ibn Mardäs zähmte?"
82. Das Recht sei dem, dem es gehört...
Ishaq Quraschi zählte zu den reichen und angesehen Männern in Kufeh. Er hatte eine
Tochter namens Araynab. Araynab war sehr schön, gebildet und freundlich. Viele der
jungen, wohlhabenden Männer der Stadt wünschten sich Araynab zur Frau.
Als Muaviah einen Vetter Araynabs - es war Abdullah Salam - zu seinem Beauftragten
und Vertreter in Irak ernannte, stieg der Wert der Familie von Ishaq und seiner
lieblichen Tochter.
Auch Yazid, dieser Sittenstrolch, begann - obwohl er verheiratet war- sich für Araynab
zu interessieren. Er trug sich mit dem Gedanken, sie zu heiraten.
Jedoch..., zu spät! Die Nachricht traf ein, dass sich Araynab mit ihrem Vetter Abdullah
Salam vermählt hatte. Yazid war verbittert. Er hatte sie doch zur Frau haben wollen,
nun war ihm Abdullah zuvor gekommen. Zornig und enttäuscht ging er zu Muaviah und
sagte: „Vater! Mit deinem Sohn ist es nun aus und vorbei! Ich bin todunglücklich. Wenn
ich Araynab nicht haben kann, so gehe ich zugrunde!"
Für einen Mann wie Muaviah, noch dazu in dessen Position, war es geradezu
unerträglich, seinen Sohn so unglücklich zu sehen. Er wollte ihm helfen, doch wie??
Kurz: Er sagte ihm kurz und bündig: „Junge, stell dich nicht an und beherrsch dich!
Posaune deinen Kummer vor allen Dingen nicht in alle Welt hinaus! Lass mich nur
machen, ich werde dir die Sache schon regeln!"
Er ließ einige listenreiche Freunde zu sich kommen, unter anderem 'Amr' Äs.
Nachdem er ihnen sein Anliegen mitgeteilt hatte, entwickelten sie einen raffinierten
Plan...
Es dauerte nicht lange und Abdullah Salam wurde nach Damaskus beordert. Man
empfing ihn mit allen Ehren, würdigte ihn, applaudierte ihm, und Muaviah verhielt sich
ihm gegenüber besonders aufmerksam und entgegenkommend.
Eine Zeitlang war Abdullah bereits am Hofe Muaviahs, als ihm der Vorschlag
unterbreitet wurde: „Muaviah schätzt dich sehr und vertraut dir über alle Massen. Er
möchte dir seine Tochter zur Frau geben und dich damit zu einem seiner Angehörigen
machen."
Abdullah war im Grunde ein guter Mann. Er liebte Hadrat -e- Ali (a.s.) und dessen
Söhne (a.s.) und legte auf materiellen Gewinn keinen sonderlichen Wert. Vermögend
war er schließlich selbst, und Ansehen und Würde besaß er zur Genüge in seiner
Heimatstadt. Aber, aber...
Hier, in der Metropole der Macht, geachtet und geehrt vom Kalifen,..., jawohl das sagte
ihm schon zu!
So sehr, dass er vergaß, wer er eigentlich war.
Seine früheren Wertvorstellungen waren in den Hintergrund gerückt. Nein, diese
Gelegenheit wollte er sich nicht entgehen lassen.
Muaviah sagte diesbezüglich nichts zu ihm. Konkret äußerte er sich nicht zu dieser
Angelegenheit, doch sprach er ihn ständig mit: „Mein Lieber, mein Verehrtester!" an.
Jene aber, die ihre Hände im Spiel und das Eisen zu schmieden hatten, machten ihm
begreiflich: „Muaviah kann dir jedoch seine Tochter nicht so einfach anbieten! Du musst
schon um ihre Hand anhalten!"
Abdullah vermochte dem nicht zu widerstehen. So schrieb er letzten Endes einen Brief
an Muaviah, in dem er um die Hand seiner Tochter bat.
Die Ränkeschmieder brachten ihm daraufhin die Antwort von Muaviah: „Jawohl, ich bin
einverstanden, das war nebenbei mein sehnlicher Wunsch! Was noch bleibt ist, dass
meine Tochter ebenfalls einverstanden ist!"
Nach einigen Tagen teilte man Abdullah mit, dass die Tochter des Kalifen in ihrem
Hause nicht mit einer weiteren Frau zusammen leben könne...
Abdullah, dem der Traum von seiner Karriere nicht mehr aus dem Kopf ging, willigte
ein, sich von Araynab zu trennen.
Ein Notar wurde herbeigeholt und die Angelegenheit ins Reine gebracht, das heißt, die
Ehe zwischen Abdullah und der lieblichen Araynab wurde geschieden...
Nun beschäftigte ihn nur noch die Frage, wie er Araynab dieses beibringen könne. Die
„Strategen" Muaviahs wussten auch diesbezüglich eine Lösung und sagten: „Die Sache
geht in Ordnung! Lass uns nur machen!"
Sie berieten mit Yazid. Dieser drückte einem angesehenen Mann Damaskus, der sowohl
Richter war als auch ein brillanter Redner, die Scheidungsurkunde für Araynab in die
Hand und trug ihm auf, ihr kostbare Geschenke und 12000 Golddinar zu bringen. Der
Mann machte sich auf den Weg nach Irak. Sein Auftrag war also, auf „großzügige Art
und Weise" Araynab von ihrer Scheidung in Kenntnis zu setzen, sie auf eine glückliche
Zukunft mit Yazid vorzubereiten und ihr dessen Geschenke zu überreichen.
Zudem war er befugt, als Stellvertreter Yazids die Ehe zwischen ihr und diesem zu
schließen und alle Bedingungen, die sie möglicherweise stellen würde, zu akzeptieren.
Abudurdä, so hieß er, kam unterwegs an Medina vorbei, legte dort eine kurze Rast ein
und besuchte Hussayn Ibn Ali (a.s.). Er erzählte ihm von seiner Mission...
Hussayn Ibn Ali (a.s.) sprach: „Sieh nur, wie sie vorgehen! Eine Frau machen sie
unglücklich und eine Ehe richten sie zugrunde, nur um ihren Begierden zu frönen! Nun
aber bitte ihn dich um folgendes: Abgesehen davon, dass du Araynab Yazids Botschaft
überbringst, teile ihr auch die meine mit. Sag ihr, dass ich mich, so sie einverstanden
ist, mit ihr vermählen möchte.
Sei du darum auch mein Stellvertreter und schließe, wenn sie möchte, unsere Ehe!"
Als Abudurdä in Kufah ankam, ging er sogleich zum Hause Araynabs. Er teilte ihr den
Entschluss Abdullah Salams mit und überreichte ihr die Scheidungsurkunde. Araynab
war sehr traurig. Sie sagte: „Alles kommt von Gott und kehrt zu ihm zurück! Doch seht
nur, was mir angetan wird!"
Abudurdä tröstete, sie, sprach ihr gut zu und meinte: „Das Leben zeigt sich hin und
wieder auch von einer solchen Seite. Derartiges kommt vor, doch geht die Welt
deswegen nicht unter!
Sieh, ich bin beauftragt, dir darüber hinaus zwei Heiratsvorschläge zu unterbreiten. Es
sind die Anträge zweier hochangesehener Männer, deren Rang weitaus höher ist als der
deines untreuen Vetters.
Der eine, der um deine Hand anhält, ist Yazid, der Sohn Muaviahs. Seine hohe Position
kennst du!"
Araynab fragte erstaunt: „Gut, und wer ist der andere?"
„Es ist Hussayn Ibn Ali (a.s.)", erwiderte Abudurdä, „jener Mann, dessen Würde, Größe
und Großherzigkeit alle kennen!"
„Ach, ich wollte die Frau meines Vetters Abdullah sein! Doch lass mir ein wenig Zeit,
damit ich überlege!"
Abudurdä ging. Nach einigen Tagen ließ Araynab ihn wissen: „Yazid ist der Sohn
Muaviahs, und Hussayn der Sohn Amir -al- Mu'minins Ali (a.s.). Beide verheißen mir
eine gute Zukunft. Ich möchte mich nun von dir beraten lassen, wem ich deiner
Meinung nach mein Ja-Wort geben soll."
Abudurdä antwortete ihr: „Da du mich nun zu deinem Berater ernannt hast, möchte ich
dir etwas sagen, dass ich auch meiner Tochter gesagt hätte, und zwar: Wenn es dir um
Position, Gold und Luxus geht, so wähle Yazid. Gibst du aber Aufrichtigkeit, Edelsinn,
Menschlichkeit, einem ruhigen Gewissen und dem Wohlgefallen Gottes den Vorrang, so
entscheide dich für Hussayn. Hussayn ist ein Mann, den der Prophet einst in seine Arme
zog, und was könnte ehrenvoller sein als das?!"
Araynab sprach: „Du hast Recht! Ich werde Hussayn Ibn Ali (a.s.) mein Ja-Wort geben!"
Abudurdä entgegnete: „Ich bin angewiesen worden, dich mit ihm zu vermählen,
vorausgesetzt, dass du einverstanden bist!"
Die Ehe wurde geschlossen und Araynab und ihre Angehörigen reisten gemäß dem Rat
Abudurdäs nach Medina...
Die Nachricht von der Vermählung Araynabs mit Hussayn (a.s.) traf in Damaskus ein.
Umm -e- JHälah, die Frau des Yazid, war gerade bei Muaviah, als dieser davon erfuhr
und ihr nun sagte: „Du kannst dich freuen, Umm -e- JHälah! Darum, weil der Wunsch
dessen, der sich bemühte, nicht in Erfüllung ging, wohl aber der dessen, der sich nicht
bemühte! Du brauchst dich nun nicht mit einer anderen Zweitfrau abzufinden und
kannst ganz beruhigt sein!"
Diese Worte wurden später zu einem gebräuchlichen Sprichwort in arabischen Landen...
Was aber Yazid anbelangt..., nun, man kann es sich denken. Er war zornerfüllt, haderte
mit seinem Schicksal, grollte und schmollte. Doch nichts war dagegen zu machen. Er
musste mit seiner Enttäuschung fertig werden, denn mit Hussayn Ibn Ali (a.s.) konnte
sich Muaviah nicht anlegen...
Andererseits war damit aber auch der Traum Abdullahs ausgeträumt. Da Araynab nun
nicht nach Damaskus kam, war auch von einer Ehe zwischen Abdullah und Muaviahs
Tochter keine Rede mehr. Nach und nach brachte man ihm diesen Sachverhalt bei. Und
als Abdullah Muaviah an sein Versprechen erinnerte, wurde ihm geantwortet: „Weisst
du, dagegen ist nichts zu machen. Deswegen, weil meine Tochter nicht mehr deine Frau
werden möchte. Sie sagt: Wie kann ich die Frau eines Mannes werden, der seiner
eigenen Frau, die dazu noch seine Cousine war und sehr schön und reich, den Laufpass
gegeben hat. Auf ihn kann ich mich nicht verlassen. Woher weiß ich denn, dass es mir
nicht auch einmal ebenso ergehen wird wie Araynab?!"
Abdullah begriff, begriff alles. Die Listen, die sie angewandt hatten, um Araynab von
ihm zu trennen und mit Yazid zu vermählen. Er war traurig, traurig über sich selbst! Wie
dumm und leichtsinnig war er doch gewesen, und wie schäbig hatte er sich Araynab
gegenüber verhalten.
Ein klein wenig froh aber war er auch, deswegen, weil Araynab Hussayn Ibn Ali (a.s.)
gewählt hatte...
Er blieb nicht mehr lange in Damaskus und machte sich enttäuscht und unglücklich auf
den Weg nach Irak. Als er Medina erreichte, legte er dort eine kurze Rast ein. Ein Brief
von Imam Hussayn (a.s.) wurde ihm übergeben. In ihm stand, dass der Imam ihn in
seinem Hause erwarte.
Er suchte also Hussayn Ibn Ali (a.s.) auf, der ihm sagte: „Nun kannst du das, was ich
für dich aufbewahrte, wieder mit dir nehmen.
Wir haben nie wie Mann und Frau zusammen gelebt, sondern ich vermählte mich mit
Araynab, um sie gegen Yazids Zugriff zu schützen. Die Ehe habe ich inzwischen wieder
aufgelöst und gebe dir Araynab nun als Frau zurück. Ich freue mich, dass das Recht zu
dem, dem es gehört, zurück kehrt!"
Der, der diese Geschichte berichtete, fügte hinzu, dass Abdullah und Araynab an jenem
Tag vor Glück, Freude und Erleichterung viele, viele Tränen vergossen.
Zu erwähnen ist noch, dass verlässliche Quellen gemäß Abudurda als Überbringer der Botschaften an Araynab genannt wird, in anderen, ebenfalls anerkannten jedoch Abu Hurayrah. Über diese Begebenheit wurden mehrere Bücher geschrieben und einige nette Geschichten verfasst. Was wir hierzu brachten, ist lediglich eine kurze Zusammenfassung dessen, was geschah und überliefert wurde...
Ein Mann kam zu Imam Hussayn (a.s.) und sagte: „O Sohn (Enkelsohn) des Gesandten
Gottes! Ich habe eine Anleihe von 1000 Dinar gemacht und kann sie nicht zurück
zahlen. Mein Ansehen ist in Gefahr. Ich dachte mir, wenn ich jemanden um Hilfe bitte,
so muss dieser edler und großherziger sein als alle anderen. In dieser Stadt aber kenn
ich niemanden, der so großherzig wäre wie du!"
Imam Hussayn (a.s.) antwortete: „Gut, ich helfe dir, doch stelle ich dir drei Fragen.
Wenn du eine von ihnen beantworten kannst, werde ich für ein Drittel deiner Schulden
aufkommen.
Weisst du auf zwei richtig zu antworten, so zahle ich zwei Drittel, und wenn du alle drei
lösen kannst, übernehme ich deine gesamte Schuldenlast."
„O Sohn des Gesandten Gottes! Wie soll das angehen? Wie könnte ich dir, der du aus
einer Familie kommst, in der das Wissen zu Hause ist, deine Fragen beantworten?"
Imam Hussayn (a.s.) entgegnete: „Mein Großvater sagte, dass von einem jeden nur
das, was er weiß, erwartet wird!"
„Gut, ihr wisst es besser als ich. Ich werde antworten, was ich weiß. Was ich nicht weiß,
werde ich euch fragen und von euch lernen!"
Hussayn Ibn Ali (a.s.) fragte nun: „Was ist das beste, dass der Mensch tun kann?"
Der Mann antwortete: „An Gott zu glauben!"
Der Imam: „ Wie kann man mit Schwierigkeiten fertig werden?"
Der Mann: „Im Vertrauen auf Gott!"
Hussayn Ibn Ali (a.s.): „Was ziert den Menschen?"
Der Mann: „Wissen, das einhergeht mit Langmut!"
„Wenn aber jemand kein Wissen hat, was dann?"
Der Mann antwortete: „Vermögen, gepaart mit Freigiebigkeit!"
„Wenn man aber nichts hat?"
„Armut, gepaart mit Geduld und Hoffnung auf Gott!"
„Und wenn auch das nicht gegeben ist?"
Darauf der Mann: „Nun, dann ist der Betreffende wie ein trockener Zweig, der vom
Baume fällt und verbrannt wird! Zu was wäre er sonst nütze?!"
Imam Hussayn (a.s.) lachte und reichte ihm ein Beutelchen mit 1000 Dinar. Auch
seinen Ring schenkte er ihm. Er sprach: „Mit dem Geld lösch deine Schulden. Den Ring
aber verkaufe und ernähre dich und deine Familie mit dem Erlös..."
Der Mann war überglücklich und sagte: „Gott weiß am besten, in wessen Hände er das
Imämat legte!"
84. Ein Verlöbnis ist kein Geschäft!
Marvän war ein Vetter Uthmäns und stand in keinem guten Ruf. Der Prophet hatte ihn seinerzeit aus Medina nach Ta'if verbannt und gemäß einer Überlieferung gesagt: „Wo immer ihr ihn auf der Minbar (Kanzel) antrefft, tötet ihn!"
Auch Abu Bakr und Umar hatten ihm während ihrer Regierungszeit nicht erlaubt, nach
Medina zu kommen. Uthmän aber gab ihm den Weg frei, woraufhin Marvän Hakam nach
Medina zurück kehrte und Anwalt der Familie Uthmäns wurde.
Einige Zeit nach dem Tode Uthmäns ernannte Muaviah Marvän zu seinem Stadthalter
über Higäz, und dieses Amt bekleidete er viele Jahre.
Muaviah schrieb einesTages an Marvän, dass er für seinen Sohn Yazid um die Hand der
Tochter Abdullah Ibn Ğa'fars, Umm -e- Kultum, bitten solle.
Abdullah aber ließ Muaviah ausrichten: „Umm -e- Kultum ist die Tochter Zaynab -
Kubräs (a.s.) (Schwester Imam Hussayn und Imam Hassans (a.s.)), und Imam Hussayn
ist ihr Onkel. Hussayn Ibn Ali (a.s.) aber ist der Große unserer Familie. Er soll
entscheiden! Wir werden tun, was er empfiehlt!"
Marvän ließ Muaviah diese Antwort zukommen und fügte hinzu: Mach dir keine Sorgen.
Ich werde Hussayn Ibn Ali in den kommenden Tagen sehen und die Angelegenheit
regeln!"
Als sich etliche Muslime in der „Moschee des Propheten" (Masğid un Nabi) eingefunden
und sich um Imam Hussayn (a.s.) geschart hatten, trat Marvän - gekleidet in prächtige
Gewänder, juwelengeschmückt und in Siegerlaune - hinzu. Er setzte sich neben Hadrat
-e- Hussayn und meinte nach einigen heuchlerisch-schmeichelnden Worten: „Muaviah
hat mich angewiesen, für seinen Sohn Yazid um die Hand der Tochter Abdullah Ibn
Ğa'fars anzuhalten.
Was die Morgengabe (Mahriah) betrifft, ist er mit allem einverstanden, was Abdullah
wünscht. Zudem hat er mir aufgetragen, die Anleihen Abdullah Ibn Ğa'fars an dessen
Stelle zurückzuzahlen, womit er seinen guten Willen zur Versöhnung der beiden
Familien zeigen und Frohsinn und Erleichterung herbeiführen möchte. Ich selber bin der
gleichen Ansicht und..., das muss ich ja wohl sagen, ich wundere mich geradezu, dass
sich Yazid mit einer Mahriah und darüber hinaus jedwede Bedingung einverstanden
erklärt. Schließlich ist er eine hohe Persönlichkeit und kann alles, was er will, erreichen,
ohne dass sich ihm jemand widersetzen könnte. Ich bitte dich nun um eine sich
geziemende Antwort, - d.h. um die deine oder die Abdullah Ibn Ğa'fars!"
Als Marvän seine Rede beendet hatte, erwiderte Imam Hussayn (a.s.): „O Marvän! Du
hast gesprochen und ich habe deine Worte gehört. Du sprachst über die Mahriah und
darüber, dass eine jede Höhe, die der Vater für seine Tochter fordert, akzeptiert wird.
Ich schwöre, dass ich niemals mehr als 500 Drachmen, eine Höhe, die der Sunna
(Tradition) des Gesandten Gottes (s.a.s.) entspricht, nennen werde. Doch dass du
sagst, dass du angewiesen bist, die Schulden des Vaters ebenfalls zu begleichen..., nun,
so frage ich dich: Wann war es jemals üblich, dass wir unsere Töchter hergeben, damit
unsere eventuellen Schulden dadurch getilgt werden? Seit wann lassen wir unsere
Frauen und Töchter für unsere Schulden aufkommen?"
Du sagst ferner, dass zwischen den beiden Familien Frieden einkehren solle. Du solltest
wissen, dass - soweit es uns betrifft - unsere Freundschaft wie auch Gegnerschaft
Gottes wegen sind! Wenn verwandtschaftliche Beziehungen nicht Frieden zwischen uns
herbeizuführen vermochten, wie könnte es dann durch Verschwägerung erreichbar sein?
Darüber hinaus: Du wunderst dich, dass Yazid zur Mahriah bereit ist. Wisse, die, die
besser und hochrangiger sind als er und sein Vater, entrichteten die Morgengabe.
Grundsätzlich: Ohne Morgengabe keine Eheschliessung!
Was du jedoch über die Quelle von Frohsinn und Erleichterung sagst, mag für euch
zutreffen, nicht für uns!"
Imam Hussayn (a.s.) fügte hinzu: „O ihr, die ihranwesend seid! Ihr sein Zeuge, das ich
Umm -e- Kultum, die Tochter Abdullah Ibn Ğa'fars, mit ihrem Vetter Qässim Ibn
Muhammad Ibn Ğa'far vermählt habe, bei einer Morgengabe von 500 Drachmen.
Abgesehen davon habe ich ihr mein Feld, das ausserhalb von Medina liegt und jährliche
Erträge von ca. 8000 Gold-Dinar bringt, geschenkt!"
Als Marvan dieses hörte, schämte er sich abgrundtief. Er sagte: „Die Entscheidung liegt bei dir, Hussayn! Aber ich begreife nicht, warum die Bani Häschim sich den Bani Umayyah gegenüber in dieser Weise verhalten...!"
Hadrat -e- Hussayn (a.s.) erwiderte: „Sei gewiss, Marvän! Unser Verhalten ist richtig und gerechtfertigt!"
Hadrat -e- Hassan und Hadrat -e- Hussayn (a.s.) pilgerten zu Fuß zur Kaaba, zum Hağ.
Die kürzeste Strecke zwischen Medina und Mekka betrug etwa achtzig Farsakh.
Nachdem sich die beiden auf den Weg gemacht hatten, brach einige Tage später eine
Karawane von Medina auf, um ebenfalls am Hağ teilzunehmen.
Unterwegs stießen sie auf die beiden Söhne Ali Ibn Abi Tälibs (a.s.). Ihnen zu Ehren
stiegen sie ab von ihren Reittieren, und wie sie hielt ein jeder, der sie einholte. Alle
folgten den beiden Enkelsöhnen des Propheten zu Fuß.
Eine längere Strecke hatten sie bereits hinter sich gebracht. Den Schwächeren unter
ihnen wurde der Fußmarsch zu einer nahezu unerträglichen Strapaze. Niemand aber
war bereit, sein Pferd oder Kamel zu besteigen und Hassan und Hussayn (a.s.) voran
zureiten.
Auch Sa'd Ibn Abi Waqäs befand sich unter den Pilgern. Einige sagten zu ihm: „Der
Fußmarsch ist sehr anstrengend. Doch wir wollen nicht reiten, währenddessen diese
beiden großen Gottesmänner zu Fuß gehen. Kannst du sie nicht bitten, ebenfalls
aufzusitzen und auf dem Rücken ihrer Reittiere nach Mekka zu reisen?"
Sa'd Ibn Abi Waqäs trat auf Imam Hassan (a.s.) zu und sagte: „O Imam! Es ist so, dass
einige nicht länger zu Fuß gehen können. Doch möchten sie auch nicht ihre Tiere
besteigen und reiten, während ihr hinter ihnen her geht. Darum wäre es gut, wenn auch
ihr auf euren Tieren den Weg nach Mekka zurück legtet!"
Imam Hassan (a.s.) erwiderte: „Wir werden nicht reiten. Hussayn und ich haben
abgemacht, dass wir zu Fuß zur Kaaba pilgern. Die Leute aber mögen ruhigen Herzens
ihre Tiere besteigen und nach Mekka reiten. Sie sollen keine Rücksicht auf uns nehmen.
Wir aber werden uns nun von euch trennen, und auf einer Nebenstrecke nach Mekka
wandern, damit niemand in Verlegenheit gerät und unseretwegen Strapazen auf sich
nimmt. Auf diese Weise kann ein jeder ganz unbefangen das tun, was ihm genehm ist.
Keiner von euch aber begleitet uns, - es sei denn, er hätte dieses vorher beschlossen
und ausgemacht. Auf Wiedersehen also in der Heiligen Moschee!"
Zu deiner Information: Die heilige Moschee ist die „Masğid ul Haräm" in Mekka, in deren
Innenhof die Kaaba steht.
Es war zur Zeit des Imamats Hadrat -e- Sagäds (a.s.). Die Studenten saßen zusammen
und diskutierten über dieses und jenes. Einer von ihnen brachte die Empfehlung des
weisen Luqmäns zur Sprache: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!"
Ein anderer wand ein: „Dieses Wort muss näher erklärt werden. Durch Schweigen sind
Fortschritt und Weiterkommen nicht möglich.!"
Ein Dritter erinnerte an die Äußerung Hadrat -e- Muhammads (s.a.s.), der einem
scharfzüngigen Mann aus der Steppe ans Herz gelegt hat: „Halte deine Zunge im
Zaum!"
Jemand gab zu bedenken: „Möglicherweise führte der Mann grobe, verletzende Reden,
so dass der Prophet im dieses sagte."
Wieder ein anderer warf ein: „Eine scharfe Zunge kann unter Umständen den Kopf
kosten!"
Darauf ein anderer: „Wenn alle nur daran denken wollten, dass sie ihren Kopf behalten
wollen und deswegen - aus lauter Furcht vor den Folgen - nichts sagen, so ist der Weg
zu Ermahnung und Beratung weitgehend versperrt, ganz zu schweigen von den
Wahrheiten, die dann ungesagt bleiben!
Zudem: Dem Menschen wurde die Zunge gegeben, damit er sie gebraucht, ebenso wie
die Ohren, mit denen er hört."
Jemand wandte ein, wie man denn wohl ohne zu reden dem göttlichen Gebot: „Gutes
gebieten, Schlechtes verwehren" gerecht werden könne?!
So ging es hin und Her, bis dass einer vorschlug: „Wir wollen zu Imam Sädiq (a.s.)
gehen. Er ist gelehrter und weiser als alle anderen!"
Sie gingen also zu ihm und fragten ihn, was besser sei, zu schweigen oder zu reden...
Hadrat -e- Sagäd (a.s.) antwortete: „Wesentlich ist der Vorsatz, den man hat, d.h. das
Ziel, das man bezweckt. Seht, aufgrund eines einzigen guten und gesegneten Wortes
zur rechten Zeit wenden sich einige Gott zu, andere geben ihren Glauben an Gott, ihre
Religion, unpassender, irreführender oder verderblicher Worte wieder auf.
Imam Ali (a.s.) riet uns: Dümmliche Reden, d.h. Reden ohne erzieherischen,
informativen und konstruktiven Wert sollten unterbleiben.
Gedankenloses, träges Schweigen aber ist Zeichen von Oberflächlichkeit und
Gleichgültigkeit.
In Reden und Schweigen kann Gutes sein, aber auch Nachteiliges. Dennoch: Reden ist
besser als Schweigen.
Bedenkt: Gott hat Seine Gesandten nicht geschickt, damit sie schweigen, sondern er
wies sie an, zu den Menschen zu sprechen! Durch Schweigen ist das Paradies nicht zu
erreichen und der Zorn Gottes nicht abzuwenden.
Dieses alles bedarf der Rede, der Worte, des Sprechens...
Die Vorzüglichkeit des Schweigens tust du mit entsprechenden Worten kund, durch
Schweigen wäre dir das nicht möglich.
Die Rechtleitung des Menschen ist der Koran. Der Koran aber schweigt nicht, sondern er
bringt die Wahrheiten mit seinen Worten nahe...
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.), der Gesandte Gottes, lehrte: Der Wert einer jedweden
Tat ist abhängig von Vorsatz und Motivation, die ihr zugrunde liegt."
Der Sprecher der Studenten sagte: „Hab Dank! Du hast wahr und gut gesprochen und
uns dadurch auf das richtige Gleis geführt!"
87. Dennoch freundliche Worte...
Abi Yaqub Madani berichtet, dass es einmal zwischen Ali Ibn al Hussayn (a.s.) und Hassan Ibn al Hassan Matnä zu einer Meinungsverschiedenheit gekommen sei. Daraufhin trug sich folgendes zu:
Imam Sagäd (a.s.) und einige seiner Getreuen saßen in der Moschee und unterhielten sich. Da kam ein Mann mit zornesrotem Gesicht hinzu, trat auf den Imam zu und sprach ihn mit dreisten Worten an, sagte, was ihm gerade in den Sinn kam. Hadrat -e- Sagäd hörte dem Redeschwall schweigend zu. Seinen Freunden behagte dieses nicht. Sie warteten auf eine Anweisung, den Mann zum Schweigen zu bringen. Nachdem der Mann ihn beschimpft und beleidigt hatte, ging er schließlich davon. Imam Sagäd (a.s.) setzte daraufhin in seiner Rede fort, als wäre nichts geschehen. Danach erhob er sich und fügte hinzu: „Langmut ist eine vortreffliche Tugend! Nun ist es an mir, ihm zu antworten!"
Seine Freunde glaubten, er würde nun hingehen und den besagten Mann zur Rede stellen. Das war genau das, was sie dem Unverschämten wünschten... Sie begleiteten Hadrat -e- Sagäd zum Hause jenes Mannes.
Als sie vor seiner Tür standen und er sie sah, geriet er in Besorgnis. Doch was blieb ihm übrig, er musste schließlich öffnen. Ängstlich wartete er auf das, was kommen würde... Imam Sagäd (a.s.) trat auf ihn zu und sagte freundlich: „Bruder, du hast mir so manches vorgeworfen, und ich habe dir geduldig zugehört. Wenn das, was du sagtest, richtig ist, so bitte ich Gott, mir zu verzeihen und mich vor Schlechtem zu bewahren. Wenn es Unrecht war von dir, so möge Gott dir deine Schmähworte verzeihen, worum ich Ihn bitte...."
Seine Begleiter, die angenommen hatten, dass der Imam den Mann hart zurechtweisen würde, waren erstaunt über sein freundliches, nachsichtiges Vorgehen. Der Unhöfliche aber stand beschämt und bekümmert da, brach in Tränen aus und schluchzte: „O Sohn des Gesandten Gottes! Ich sprach in Zorn und Erregung. Zornige Erregung aber ist wirklich äußerst gefährlich, da sie zu Ungerechtigkeiten verleitet. Nun habe ich begriffen, dass es einen besseren Weg gibt, um Differenzen aus der Welt zu schaffen, und dieser Weg bist du!
Ich hoffe, dass Gott mir mein Verhalten, das ich von Herzen bereue, vergibt. Nie wieder will ich mich so gehen lassen und in Erregung Dinge aussprechen, die ungerecht und unwahr sind!"
Imam Sagäd gab gewöhnlich das, was er besaß, Bedürftigen, um ihre Not zu lindern.
Und abgesehen von jenen Fällen, in denen dieses Geben und Schenken aus
irgendwelchen guten Gründen offenkundig geschah, ließ er den Betreffenden seine
Hilfen und Unterstützungen unerkannt und in aller Heimlichkeit und Verschwiegenheit
zukommen. Möglicherweise unter anderem deswegen, um das ohnehin schon rohe,
rücksichtslose und ungerechte Vorgehen der Bani Umayyah, die die Macht an sich
gerissen hatten und nach einem Vorwand suchten, den Imam und die Muslime noch
schwerer unter Druck setzen zu können, nicht zu forcieren.
Dieser hielt es daher für angebracht, die Aufmerksamkeit der Regierung nicht auf sich
zu ziehen und demzufolge reges Kommen und Gehen in seinem Hause weitmöglichst zu
vermeiden. Ganz abgesehen davon aber war es ihm ein großes Anliegen, Ehre und
Ansehen der Mittellosen - ebenso wie aller anderen auch - zu wahren.
Und so machte er sich in der Dunkelheit der Nacht, einen Sack mit Brot, Datteln und
anderen Dingen auf dem Rücken, auf den Weg zu den Hütten der Armen. Etwa hundert
Familien waren es jede Nacht, denen er - still und verschwiegen - Lebensmittel vor die
Tür legte und ihnen aus ihrer größten Not heraushalf. Er ging dabei vorsichtig zu Werke,
so dass niemand von ihnen ihn erkannte und nicht wusste, wer ihr geheimer Freund und
Helfer war.
Weil er so regelmäßig und verlässlich kam, warteten sie des Abends getreulich auf ihn,
und sahen ihn - verhüllt und vermummt - so riefen sie sich zu: „Er kommt! Er kommt!
Unser Gabenbringer kommt!"
Einer der Verwandten Hadrat -e- Sagäds (a.s.) - ein Mann mit vielen Kindern -
erwartete, dass der Imam ihm finanziell kräftig unter die Arme greifen würde.
Er klagte allen, die es hören und nicht hören wollten, dass Ali Ibn al Hussayn (a.s.), sein
eigener Verwandter, ihn nicht unterstützte. Sagte: „Es gibt Leute, die zu nächtlicher
Stunde die Hütten der Armen aufsuchen und sie mit Lebensmitteln versorgen. Sie
wissen z.B., dass es mir nicht gut geht und bringen mir das Allernotwendigste. Doch
unser eigener Verwandter - der Imam - denkt nicht im geringsten daran, uns zu
unterstützten, er schert sich keinen Deut um uns!"
Imam Sagäd (a.s.) reagierte nicht auf seine Schmähreden. Er wollte nicht, dass jemand
erfuhr, dass er der nächtliche Gabenbringer war. So ging es, bis dass er eines Tages
von seinen Feinden vergiftet wurde und das Schahädat, d.h. den Märtyrertod auf Gottes
Wege fand.
Am Abend jenen Tages begriff der besagte unzufriedenen Mann - und mit ihm viele,
viele andere - das der „gute Engel", der Nacht für Nacht Geld und Brot vor ihre
Haustüren gelegt hatte, niemand anders war als Imam Sagäd (a.s.).
89. Freiheit, Menschenwürde...
Das, was allen Unfehlbaren Imamen (a.s.) am Herzen lag, war, Sklaven und Sklavinnen
zur Freiheit zu verhelfen. Du musst wissen, dass damals Sklavenhandel gang und gebe
war. Man kaufte unfreie Menschen und verkaufte sie...
Jeder, der als Unfreier in das Haus eines der Imam (a.s.) kam, erhielt jedoch seine
Freiheit schnell zurück. Wie viele Sklaven kauften sie doch nur deswegen, um ihnen die
Freiheit zu schenken, und wie viele Unfreie wurden ihnen geschenkt, die dann, nachdem
sie im Hause des jeweiligen Imam Bildung und Wissen erhalten und nichts als Güte und
Wohlwollen erfahren hatte, mit genügend Anfangskapital für den Start in ihr neues,
selbstständiges Leben auf freien Fuß gesetzt wurden.
Imam Hassan - Mugtabä (a.s.) schenkte einer Sklavin, die ihm aus Dankbarkeit für
seine Güte eine Blume überreichte, die Freiheit. Als sie ihn fragte: „Die Freiheit als
Gegenleistung für eine einzige Blume?", antwortete er: „Gott lässt uns durch den Koran
wissen „Das Gute, das man euch zufügt, beantwortet mit noch Besserem!" Was aber
wäre besser als die Freiheit?"
Kurz: Imam Sagäd und alle unsere Unfehlbaren Imame (a.s.) bemühten sich darum,
Unfreien die Freiheit zu ermöglichen und allen Menschen den Wert der Freiheit und
Menschenwürde nahe zubringen.
Hierzu folgende wahre Geschichte: Eines Tages hatte Imam Sagäd (a.s.) Gäste. Eine
Sklavin bewirtete sie. Mit einem Male fiel ihr etwas aus der Hand, wodurch ein kleines
Kind eine Kopfverletzung davontrug. Allen schien der Atem zu stocken. Die Mutter des
Kindes begann zu jammern und war nicht zu beruhigen. Vorwurfsvoll waren aller Blicke
auf das Sklavenmädchen gerichtet...
Was würde nun geschehen? Wie würde der Imam reagieren? Die Ärmste brachte kein
Wort über die Lippen. Bleich und verzweifelt stand sie da.
Der Imam, der ihre Not erkannte, aber auch die Sorge der Mutter begriff, schwieg einen
Moment lang. Um das Kind bemühte man sich. - Gott sein Dank war die Verletzung
nicht schwerwiegend.
Nach einigen Augenblicken Schweigen sprach er dann voller Güte zu der jungen Sklavin:
„Fürchte dich nicht! Niemand tut dir etwas zuleide! Du hast nicht mit schlechter Absicht
gehandelt, du wolltest das Kind nicht verletzen, ich weiß! Nur, du hast nicht aufgepasst,
bist nicht sorgfältig genug gewesen! Ich gebe dir nun deine Freiheit zurück, damit deine
Beschämung nicht andauern möge! Doch gib in Zukunft acht, bei allem was du tust!"
Ein Sklave des Imam beging einen groben Fehler. Er schämte sich und war besorgt, was
nun mit ihm geschehen würde...
Als der Imam kam, rezitierte er (der Sklave) einen Koranvers, in dem es heißt:
„Beschwichtigt, beherrscht eure Verärgerung!"
Der Imam sprach: „Ich habe meine Verärgerung unterdrückt!"
Der Sklave trug weiter vor: „Vergib ihnen!"
„Ich habe dir verziehen", erwiderte der Imam daraufhin.
Der Sklave fügte die restlichen Worte des Verses hinzu: „Gott hat die Gutestuenden
gern!"
Nun sprach der Imam: „Ich schenke dir auf dem Wege Gottes die Freiheit!"
Diese Begebenheit wird auch im Zusammenhang mit Imam Hassan, Imam Hussayn und
Imam Bäqir (a.s.) berichtet. Doch dieses ist kein Grund dafür, eine Unzuverlässigkeit
oder Ungenauigkeit der Überlieferung anzunehmen, sonder vielmehr ein Hinweis auf die
Häufigkeit derartiger Begebenheiten.
Es wird überliefert, dass Ali Ibn al Hussayn (a.s.) seinen Sklaven zweimal hintereinander
rief, ohne dass dieser reagiert hätte.
Erst beim dritten Male antwortete er.
Der Imam fragte ihn: „Hast du mich denn vorher nicht rufen gehört?"
„Doch!"
„Ja, warum hast du dann keine Antwort gegeben? Warum bist du nicht gekommen?"
„Ich war träge und säumig und fühle mich bei dir sicher, deswegen reagierte ich nicht
auf dein Rufen", antwortete der Sklave.
Imam Sagäd (a.s.) sprach: „Preis und Dank sei Gott, dass mein Sklave sich in meinem
Hause in Sicherheit weiß!"
91. Ruhe und Frieden in beiden Welten...
Einer der Gefährten Hadrat -e- Sagäds (a.s.) - er hieß Zahri - kam verstört und
bekümmert zu ihm. Der Imam fragte ihn nach dem Grund. Zahri antwortete: „Was soll
ich bloß sagen über diese Leute! Sie wissen das, was gut und von Wert ist, einfach nicht
zu schätzen! Sie glauben nicht an das Wahre und verhalten sich Güte und Wohlwollen
gegenüber völlig gleichgültig.
Ich bin verärgert über jene, denen ich Gutes tue, die mir aber mit Neid und
Feindseligkeit begegnen."
So und ähnlich klagte er.
Imam Sagäd (a.s.) antwortete: „Mein Freund, legst du nicht einen zu genauen Maßstab
an? Übertreibst du nicht in deiner Verärgerung?
Sag, hütest du deine Zunge vor harten und groben Worten?
Indem du so redest und dich selbst so positiv darstellst, degradierst du da nicht ein
wenig die anderen?
Hast du schon einmal etwas von Bescheidenheit und Langmut gehört?
Als Freund betrachtet und geachtet zu werden, ist das Resultat von eigenem guten
Verhalten und Wohlwollen den Mitmenschen gegenüber!
Geliebt und geschätzt zu werden, ist etwas, das durch „Freundlichkeit" zu erreichen ist!
Ich möchte dir nun einen Tipp geben, wie du dir derartigen Kummer ersparen kannst:
Denke dir, die Leute gehörten zu deiner Familie, seien deine Angehörigen. Die älteren
unter ihnen seien dein Vater bzw. deine Mutter, die kleineren deine Kinder und die
gleichaltrigen deine Brüder und Schwestern. Auf diese Weise wirst du mit ihnen, da du
sie als Vater, Mutter, Kinder oder Geschwister betrachtest, freundlicher und
nachsichtiger umgehen.
Wenn Satan dir einzureden versucht, du seiest besser als die anderen, so sieh dir an,
mit wem du zu tun hast. Wenn er älter ist als du, so sag dir: Wie kann ich besser sein
als er, da er doch gewiss weitaus mehr Erfahrung hat und wahrscheinlich mehr Gutes in
seinem Leben tat als ich.
Ist er jung, so erinnere dich daran, dass er gewiss weniger gesündigt hat als du. Und ist
er gleichaltrig, so mach dir klar, dass du über deine eigenen Fehler und Irrtümer, die du
bisher begingst, wohl Bescheid weißt, über seine aber nicht. Es ist durchaus möglich
und anzunehmen, dass er in seinem Leben weit weniger als du gefehlt hat! Das aber
würde bedeuten, dass du nicht besser sein kannst als er!
Stellst du fest, dass er dich schätzt und respektiert, so wisse dich keinesfalls berechtigt,
ihn geringer als dich einzustufen. Nimm vielmehr an, dass er durch sein Verhalten das
Wohlgefallen Gottes erreichen möchte.
Siehst du, dass man dir verstimmt und abweisend begegnet, so überlege, ob du dieses
nicht vielleicht selbst - durch dein Handeln oder Reden - verschuldet hast? Sei darum
freundlich und nachsichtig und hüte deine Zunge vor krassen Worten!
Beherzigst du, was ich dir riet, wirst du sehen, wie sehr man dich schätzen und
gernhaben wird. Selbst deine Gegner werden sich umgänglicher zeigen.
Kurz: Auf diese Weise wirst du leichter mit deinen Mitmenschen zurechtkommen, froher
sein und es nicht mehr tragisch nehmen, wenn jemand unfreundlich zu dir ist."
„Hab Dank", sagte der Mann, „du hast mir mit deinen Worten den Schlüssel zu Ruhe
und Frieden in die Hand gegeben!"
In Medina lebte einst ein Mann, der durch seine Albernheiten und Gaukeleien die Leute
zum Lachen brachte. Jeder gab ihm dafür irgendein kleines Trinkgeld. Nun ist es aber
so, dass solche Gaukler und Possenreisser bisweilen ihre Grenzen nicht mehr kennen
und etwas tun oder sagen, dass nicht als Spaß zu bezeichnen ist, sondern vielmehr als
Grobheit und Dreistigkeit.
Auch der Mann unserer Geschichte verdiente auf diese Art, das heißt durch triviale bzw.
beißende und taktlose Witzeleien sein Brot.
Einmal sagte er zu jemandem: „Dieser Mann - er meinte Ali Ibn al Hussayn (a.s.) - geht
mir einfach auf die Nerven. Niemals lacht er über meine Späße. Ich muss etwas tun,
damit ich seine Aufmerksamkeit auf mich lenke!"
An jenem Tag kam Hadrat -e- Sagäd mit zwei Freunden durch die Gasse, in der der
besagte Mann seine Possen trieb. Dieser erkannte ihn, schlich auf leisen Sohlen hinter
dem Imam her, zog ihm seinen Abä, d.h. seinen Übermantel von den Schultern, hin ihn
sich um und ging die Straße entlang. Einige Tagediebe, die die Szene mitangesehen
hatten, begannen in ihrer Dummheit hämisch zu lachen.
Imam Sagäd (a.s.) aber unternahm nichts, sondern ging, gelassen und gemessenen
Schrittes, als wäre nichts geschehen, seines Weges.
Seine Begleiter liefen hinter dem Possenreisser her, entwandten ihm den Abä und
brachten ihn dem Imam zurück.
Dieser fragte: „Was wollte er damit erreichen?"
Sie antworteten: „Er ist ein Possenreisser, der durch Späße und Gaukeleien die Leute
zum Lachen reizt und auf diese Weise sein Brot verdient."
„Sag ihm: Pass auf! Es kommt jener Tag, an dem Tagediebe, Schamlose und
Tunichtgute Schaden nehmen und bitter bereuen werden, doch dann ist es zu spät!"
Sie richteten dem Possenreisser die Botschaft des Imam aus.
Dieser aber lachte nur und meinte: „Wann ist dieser Tag, von dem der Imam spricht?"
Man antwortete ihm: „Es mag heute sein oder morgen, vielleicht auch übermorgen oder
danach. Jedenfalls ist es ein Tag, der für dich unerträglicher und schlimmer sein wird als
für jene, die über dich lachen! Was ist das nur für eine Beschäftigung, mit der du dein
Brot verdienst?! Das, worüber die einen lachen, verletzt andere. Es ist wie tödliches Gift
für sie. Und die Schmach und Schamlosigkeit deines Tuns ist Gift für dich!
Ist es nicht blamabel, dass du dich vor anderen wie ein Tölpel erniedrigst?? Du raubst dir mit deinen Possen dein letztes bisschen Menschenwürde und Ansehen. Ganz abgesehen von dem, was am Tage der Abrechung auf dich zukommen wird!" Der Mann begriff, bereute, bat um Vergebung und wurde ein ehrbarer Mensch.
Ein Mann kam zu Imam Sagäd (a.s.) und sagte: „Soundso hat gestern das und jenes
über dich erzählt und dich kritisiert!"
Einer der Freunde des Imam fragte: „Hat er das in Anwesenheit anderer getan?"
„Nein, in aller Verschwiegenheit sagte er es..., nur zu mir!"
Imam Sagäd (a.s.) sprach: „Jene, die verleumden und Gerüchte über andere verbreiten,
wird Gott bestrafen. Am Tage der Auferstehung, an jenem Tage, der uns allen
bevorsteht, wird Gott mit uns abrechnen.
Wisse! Niemand ist gegen Verleumdungen geschützt. Selbst den Propheten bezichtigte
man der Lüge und übte Kritik an ihm. Es wäre jenem Mann sicherlich mehr zum Wohl
gewesen, wenn er zu mir gekommen und mir all das, was er dir gestern zuraunte,
gesagt hätte.
Doch auch von dir war es nicht recht, dass du mir von seinem Verhalten erzählt hast!
Du hast mir das, was er dir in aller Verschwiegenheit zuflüsterte und mir selbst nicht
sagen wollte, weitererzählt."
Ali Ibn al Hussayn (a.s.) liebte es, unerkannt mit den anderen Hağpilgern zur Kaaba
nach Mekka zu reisen und wie die anderen bei den gemeinsamen Arbeiten unterwegs -
wie Zelte aufschlagen, Essen kochen, aufräumen u.a. - mitzuhelfen.
Einmal aber wurde er von einem der Pilger erkannt. Dieser teilte sogleich den anderen
mit: „Wisst ihr, wer jener Mann dort ist?"
„Nein, keine Ahnung!"
„Es ist Imam Sagäd (a.s.)!"
Die Leute umringten nun den Imam und reichten ihm die Hand. Sagten: „O Sohn des
Gesandten Gottes! Wir wussten nicht, wer du bist. Bitte verzeih uns unsere
Ahnunglosigkeit. Warum reist du denn nur inkognito? Warum wolltest du dich nicht zu
erkennen geben?"
Imam Sagäd (a.s.) entgegnete: „Einmal reiste ich mit Leuten, die soviel Rücksicht auf
mich nahmen, dass sie mich bei keiner der anfallenden Arbeiten mitmachen ließen! Da
ich aber auf Reisen wie alle anderen an den gemeinsamen Aufgaben teilhaben möchte,
habe ich mich nicht zu erkennen gegeben!
Selbstverständlich besteht meine eigentliche Aufgabe in der Rechtleitung der Menschen,
doch wie ihr wisst, hat auch der Prophet auf Reisen wie jeder andere zugepackt, wenn
es etwas zu tun gab. Die Muslime hörten auf ihn und ließen ihn gewähren!
Weil jedoch heutzutage einige besondere Rücksichten nehmen wollen, halte ich es für
angebracht, unerkannt zu reisen."
95. Bau doch für die Ewigkeit!
Diese Geschichte erzählte Imam Bäqir (a.s.). Einmal, als er mit seinen Freunden zusammen saß, erzählte er aus irgendeinem Anlass heraus folgende Begebenheit. Vor
langer Zeit, noch bevor Jesus Christus (a.s.) auf Erden war, herrschte über das Volk der
Kinder Israel ein König, dessen besonderes Interesse dem Errichten neuer Gebäude,
Ortschaften und Städte galt. Doch an allem, was er bauen ließ, hatten die anderen
etwas auszusetzen. Auf diese Weise aber kamen zu seinen Erfahrungen immer neue
hinzu.
Eines Tages sagte er: „Nun möchte ich eine Stadt bauen, die ohne jeglichen Fehler ist
und an der niemand etwas bemängeln kann!"
Er lud namhafte Architekten und Bauherren zu sich ein und sagte ihnen, wie er die neue
Stadt gebaut haben möchte.
Sie dachten, überlegten, planten, konstruierten und fingen schließlich frohen Mutes und
guter Dinge mit der Errichtung der Stadt an. Als sie fertig war und alle Häuser und
Gebäude standen, kamen die Leute, schauten sich alles genau an und meinten:
„Erstaunlich! Eine solche Stadt haben wir bisher nicht gesehen!"
Da kam ein Mann zu dem König und meinte: „Wenn du mir versprichst, mir nichts
zuleide zu tun, so will ich dir sagen, was an dieser Stadt nicht so gut ist!"
Der König antwortete: „Du kannst mir unbesorgt sagen, was du an dieser Stadt zu
beanstanden hast."
„Sie hat zwei Schwachstellen", sagte der Mann. „Ersten, du wirst diese Welt verlassen,
bevor diese Stadt nicht mehr ist. Zweitens, sie wird, nachdem du gestorben bist,
verfallen, es wird nicht lange dauern, bis von ihr sämtliche Spuren, die davon Kunde
geben, dass sie einstmals existierte, verweht sind."
Der König war nachdenklich geworden und meinte: „Das schlimmste aber wird sein,
dass dann alle Mühen umsonst gewesen sein werden, wenn die Stadt verfällt. Was
sollen wir machen?"
„Es muss etwas ohne Fehl und Makel gebaut werden,"sagte der Mann, „etwas, dass
ewig ist, nicht zerstört werden kann und deinen Namen in ständiger Erinnerung hält!"
Der König fragte: „Was ist das für ein Gebäude, von dem du sprichst?"
„Es ist das Gebäude 'Gerechtigkeit und Güte'", erwiderte der Mann. „Die Häuser deiner
Stadt haben Architekten, Baumeister und Maurer errichtet. Doch deine eigentliche
Aufgabe ist es nicht, Steine aufeinander schichten zu lassen. Wenn du dich mehr um
deine große Verpflichtung, die du als Herrscher dieses Landes hast, kümmerst und den
Leuten Schutz und Freund bist, so haben sie dich gern. Sie werden sich dann an dich,
auch wenn du nicht mehr da bist, erinnern und gut von dir sprechen. Dann erst hast du
etwas geleistet, dass immer währt."
Der König hatte eine schöne, gute Tochter. Abends erzählte er ihr von dem, was ihm
der weise Mann gesagt hatte. Sie erwiderte: „Niemals hat bisher jemand in deinem
Lande etwas Besseres und Zutreffenderes gesagt!"
Muhammad Ibn Munkadir, ein Theologieschüler aus sunnitischem Hause, gottesfürchtig
und tugendhaft, sagte zu seinen Freunden: „Ich habe Ali Ibn Hussayn (a.s.) als klügsten
und gebildetsten Mann kennen gelernt, doch glaubte ich nicht, dass er einen Sohn
haben könnte, der die Vorzüglichkeiten seines Vaters besitzt.
Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Eines Tages ging ich zu Imam Bäqir (a.s.).
Da ich glaubte, dass sein Verhalten zu wünschen übrig ließe, wollte ich ihn belehren. Er
aber belehrte mich, und ich stand beschämt da..."
Seine Freunde fragten ihn: „Erzähl, was geschah? Warum warst du beschämt?? Was hat
er zu dir gesagt?"
Er: „Nun, so hört! Es war an einem heißen Sommertag. Ich hatte in der Umgebung von
Medina zu tun. Unterwegs begegnete ich Muhammad Ibn Ali (a.s.) (Imam Bäqir). Er war
von kräftiger Gestalt, ein wenig schwerleibig. Zwei seiner Freunde begleiteten ihn. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er sah müde und erschöpft aus, und es schien, als stützten ihn seine Begleiter hin und wieder. Ich hatte zwar schon davon gehört, dass der Imam tagsüber an der Seite seiner Arbeiter auf dem Felde arbeiten würde, doch nie hatte ich es gesehen...
Als ich ihn nun dort sah, sagte ich mir: Da kannst du mal sehen! Einer der Großen aus dem Hause des Propheten begibt sich trotz seiner körperlichen Schwäche und dazu noch bei sommerlicher Hitze hinaus vor die Stadt, um auf seinem Felde zu arbeiten. Alles nur, um der irdischen Reichtümer teilhaftig zu werden! Ich will ihn darauf aufmerksam machen und ihn belehren!
So ging ich auf ihn zu, begrüßte ihn und sagte: „Gott möge dir begreiflich werden lassen, wie du dich zu verhalten hast! Ein angesehener Mann mit gutem Ruf und darüber hinaus noch ein Nachkomme des Gesandten Gottes..., wie kannst du irdischer Güter wegen bei dieser Sommerhitze hinaus aufs Feld gehen und arbeiten?! Das ziemt sich nicht für dich! Wenn dich der Tod in diesem Zustand, in dem du dich befindest, holt, wie willst du dann vor Gott stehen? Was willst du ihm sagen?!" Imam Bäqir (a.s.) richtete sich zu voller Größe auf und erwiderte: „Mein Freund! Wenn der Tod mich in diesem Zustand ereilen und ich so vor Gott treten sollte, als jemand, der seine Gebote befolgte, der seinen Lebensunterhalt sowie den seiner Familie durch seiner eigenen Hände Arbeit und im Schweiße seines Angesichts verdiente und dadurch vermied, seine Hand nach der Hilfe anderer auszustrecken, so brauche ich mich wahrhaftig nicht zu schämen! Dann müsste ich es, wenn ich Gott ungehorsam wäre, sündigte, wenn ich der Gesellschaft zur Last fiele und nicht arbeitete, um mein täglich Brot selbst zu erwerben und darüber hinaus auch andere unterstützen zu können!" „Gott segne dich", antwortete ich, „ich glaubte, dich belehren zu müssen, doch du belehrst mich! Dass ich glaubte, mehr zu wissen als du, beschämt mich zutiefst, und ich hoffe, dass du mir verzeihst!"
Imam Bäqir (a.s.) lächelte und sagte freundlich: „Sei unbesorgt, ich habe dir verziehen! Der große Verzeihende aber ist Gott, Er möge dir Seine Huld schenken!""
Ğahiz, ein arabischer Gelehrter, schreibt in seinem Buch „Al-Bayyän wa -t-Tabiyyin",
dass Imam Bäqir (a.s.) das Geheimnis friedlichen Zusammenlebens mit den
Mitmenschen mit folgenden wenigen Worten deutlich machte:
„Ein Leben voller Frieden und Ruhe ist mit einem Maßbecher zu vergleichen, der zu zwei
Drittel mit Wachsamkeit und zu einem Drittel mit Nachsicht und Langmut gefüllt ist."
Dieser Auffassung entspricht der Lebensstil dieses Imam. Ein Beispiel hierzu:
Ein dreister Mann sagte zu ihm: „Ich hörte, dass dein Name „Baqar" (Kuh) ist."
Imam Bäqir (a.s.), dessen eigentlicher Name „Muhammad Ibn Ali Ibn al Hussayn" ist,
antwortete ruhig: „Nein, ich heiße Bäqir" (der, der den Wissenschaften bis auf den
Grund geht und sie durchdringt).
Daraufhin der Unverschämte: „Ich hörte, dass du der Sohn der Dienstmagd, einer
Köchin bist!"
„Ja", antwortete Imam Bäqir (a.s.), „Meine Mutter war eine Köchin! Einen ehrlichen
Beruf zu haben ist keine Schande!"
Der Mann: „Ich hörte, sie war eine abessinische Sklavin und konnte nur mühsam
sprechen!"
Imam Bäqir (a.s.) erwiderte: „Wenn das, was du sagst, richtig ist..., nun, Gott möge ihr
Sein Erbarmen schenken. Hast du aber gelogen, so vergebe Gott dir! Die Mutter
Ismaels, des Sohnen Abrahams, des Gottesfreundes, war Hağar, eine ägyptische Sklavin."
Nun ging der Mann in sich. Er stand verlegen und schamrot da und bereute, so hässlich geredet zu haben...
Viele weise und gelehrte Männer orientierten sich an dem Vorgehen Imam Bäqirs (a.s.). Unter anderem Chägeh Nasir-iddin Tussi, ein großer iranischer Dichter. Es wird berichtet, dass ihm einst ein Gegner einen Brief schrieb, in dem er ihn mit den Worten: „O du Hund!" anredete. Chägeh Nasir übersah diese Unverschämtheit. Er antwortete ihm in einigen Zeilen und schrieb zum Schluss: „Dass du mich mit „Hund" anredest..., nun, so wisse, dass das nicht richtig ist. Wie du weißt, sind Hunde Vierfüßler mit schmalen Nägeln an ihren Pfoten. Sie essen kein Gemüse und Obst, bellen und können nicht sprechen oder lachen. Ich aber bin von hoher Gestalt, aufrechtem Gang, spreche, lache, habe breite Nägel an Finger und Zehen, esse Obst und Gemüse und schreibe Briefe wie du. Mit einem Hund habe ich keinerlei Ähnlichkeit. Darum rate ich dir, dich zu berichtigen und deine Irrtümer zu korrigieren, - darum, damit niemand von dir sagen kann: 'Er ist töricht, er weiß aber auch gar nichts!'"
In dieser Weise antwortete Chägeh Nasir dem dreisten Schreiberling, ohne ein grobes Wort gegen ihn zu verwenden. Der Mann schämte sich, als er den Antwortbrief las, kehrte in sich, berichtigte sich und wurde einer der treuesten Schüler und Anhänger dieses großen Gelehrten und Dichters.
Abdullah Ibn 'Atä-y-Maki, einer der Freunde Imam Bäqirs (a.s.), berichtet: „Imam Bäqir
(a.s.) führte ein bescheidenes Leben. Eines Tages ging ich zu ihm. Er führte mich in ein
Zimmer. Auf dem Boden lag ein schöner Teppich, feine Kissen lehnten an den Wänden,
und hübsche Vorhänge hingen an Fenstern und Tür. Ich fragte ihn: „Was ist das? Du
hast immer einfach gelebt?"
Er antwortete: „Ja, dieser aufgeräumte, schöne Raum ist der meiner Frau. Was du
siehst, gehört ihr. Dazu Duftwässer, Kosmetika, feine Kleider u.a. Ich möchte, dass sie
sich wohl fühlt...
Mein eigener Raum aber ist, wie du weißt, höchst einfach, ohne Gardinen, ohne feine
Kissen, ohne gute Teppiche."
Ein anderer der Getreuen Hadrat -e- Bäqirs (a.s.) erzählte, dass sich der Imam stets
gepflegt und gut gekleidet seiner Frau zeigte. Als man ihn fragte, warum er das täte,
antwortete er: „Ebenso wie sich die Frau für ihren Mann schmückt und nett kleidet, hat
sie ein Recht darauf, dass auch ihr Mann gepflegt und gut anzusehen ihr gegenüber
tritt. Deswegen, damit es ihr eine Freude bereitet, ihn anzuschauen!"
An jenem Tag, als seine Freunde zu ihm gingen, war eines seiner Kinder krank. Alle im Hause bemühten sich um das leidende Kleine und überlegten hin un her, wie sie ihm helfen könnten. Man sah es Imam Bäqir (a.s.) an, dass er besorgt und traurig war. Seine Freunde sagten einander: „Gott möge verhüten, dass das Kind diese Welt verlässt, nicht allein des Kindes wegen, sondern um Imam Bäqirs willen. So wie er jetzt ausschaut, ist es undenkbar, dass er derartiges ertragen könnte!"
Einige Tage darauf starb das Kind. Das Klagen und Weinen der Frauen im Haus war auf der Straße zu hören. Wir sahen Imam Bäqir (a.s.), der hinausging.
Er wirkte ruhig und gefasst, ganz anders als einige wenige zuvor, als ihn Trauer und Sorge zu übermannen schienen...
Seine Freunde fragten ihn: „Wie ist das möglich?! Nun, da das Kind gestorben ist, bist du ruhig und getrost, ganz anders als vor einigen Tagen, als dein Kind krank auf seinem Lager lag und dein Schmerz und Kummer darüber so groß waren, dass es uns fast unerträglich war, dich anzusehen!"
Der Imam sprach: „Sie Kinder sind den Eltern das Liebste auf der Welt. Auch wir möchten wie alle anderen an der Seite unserer Lieben in Ruhe und Frieden leben und sie vor Krankheit und Not verschont wissen. Auch ich! Als mein Kind krank wurde, war ich besorgt und voller Trauer. Ich überlegte, wie ich es von seinem Leiden erlösen könnte und tat, was ich vermochte. Doch nun, da es Gottes Wille war, dass es aus dieser Welt scheiden müsse und starb, kann ich nichts anderes tun, als mich zu gedulden. Wir alle haben uns der göttlichen Entscheidung zu fügen. Wir alle kommen von Gott und kehren zu Ihm zurück. Wenn etwas nun einmal geschehen ist..., was hilft da noch Weinen und Klagen?! Würde es etwas ändern können?"
Zuraräh Ibn A'yan, Abdul Ibn A'yan und drei weitere Brüder gehörten zu den Freunden Imam Bäqirs (a.s.). Sie überlieferten viele Aussprüche - d.h. Ahädith - von ihm, insbesondere Zuraräh, der auch folgende Geschichte, die ihm sein Bruder Abdul Malik berichtete, weitergab.
„Zwischen Imam Bäqir (a.s.) und einem Enkel Imam Hassans (a.s.) war es zu einer Meinungsverschiedenheit gekommen. Ich (Abdul Malik) hatte beide gern. In etwa wusste ich über die Differenz zwischen ihnen Bescheid und gab Hadrat -e- Bäqir Recht. In der Hoffnung, etwas tun zu können, um sie zu versöhnen, ging ich eines Tages zu Imam Bäqir. Wir unterhielten uns zunächst über dieses und jenes. Noch hatte ich das eigentliche Thema, um das es mir ging, nicht angeschnitten, als der Imam mit einem Male sagte: „O Abdul Malik! Misch dich in diese Angelegenheit besser nicht ein und sage nichts hierzu. Weißt du, hinsichtlich vieler Dinge können wir uns mit unseren Freunden zusammen setzen und uns gegenseitig beraten. Doch diese Sache ist eine andere. Wir sind beide Vettern, und unser Großvater ist der Gesandte Gottes. Sei unbesorgt, was uns zum Wohle gereicht, wissen wir recht gut.
Unsere Geschichte ist wie die jenes Mannes aus dem Volke der Kinder Israel, der zwei Töchter hatte. Die eine gab er einem Bauern zur Frau, die andere einem Töpfer. Eines Tages besuchte er seine Töchter. Er ging zunächst zu der, die mit dem Bauern vermählt war. Als er sie fragte, wie es ihr ginge, antwortete sie: „Gut geht es mir und meinem Mann! Er hat viele Felder bewirtschaftet, und wenn Gott uns genügend Regen schickt, wird es uns besser gehen als allen anderen hier im Dorf!"
Nun suchte der Vater die andere Tochter, die mit einem Töpfer verheiratet war, auf. Auch sie sagte, dass es ihr an nichts fehle und es ihnen gut ginge. Ihr Mann habe fleißig getöpfert. Hof und Garten stünden voller Gefäße, die auf Sonnenschein warteten, damit sie gut austrocknen könnten. „Wenn Gott es eine zeitlang nicht regnen lässt, so werden wir sie alle verkaufen können und fein heraus sein", meinte sie.
Als der Mann abends nach Hause ging, sagte er sich: „Soll es regnen, soll es nicht regnen..., ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, um was ich Gott bitten soll, doch ich wünsche ihnen beiden von Herzen alles Gute! O Gott! Du selber schick ihnen, was gut für sie ist! Du weißt es besser als ich!""
Die Freunde der Unfehlbaren Imame besprachen ihre Schwierigkeiten und Sorgen stets
mit diesen und handelten so, wie diese ihnen rieten. So war es zu Lebzeiten eines jeden
Imam (a.s.). Ihre Anhänger und Getreuen orientierten sich getreulich an deren Wort,
Empfehlung und Verhalten.
Viele Berichte und Ahädith im Zusammenhang mit den Nachkommen des Propheten
(s.a.s.), die im Islamischen Recht (Fiqh) oder der islamischen Ethik berücksichtigt
werden, gehen auf Freunde, Gefährten und Anhänger sowie deren Erfahrungen und
Begegnungen mit einem der Imam (a.s.) zurück. Nun aber zu unserer Geschichte:
Eines Tages kamen einige der Getreuen Imam Bäqirs (a.s.) zu ihm und klagten über die
spitzen Bemerkungen einiger Zeitgenossen.
Um ihnen klar zu machen, dass Schwierigkeiten und Unerfreulichkeiten nun einmal zum
irdischen Leben gehören, erzählte er ihnen folgende Begebenheit:
Zu Zeiten des Propheten Hud standen die Leute einer schweren Dürre gegenüber. So
sehr sie sich auch in Geduld übten..., es kam und kam kein Regen. Einige von ihnen
suchten Hud auf. Sie wollten ihn bitte, Gott um Regen anzuflehen.
Eine alte Frau öffnete ihnen die Tür und fuhr sie sogleich in barschem Tone an: „Was
wollt ihr? Was erwartet ihr von ihm? Seine eigenen Felder sind ausgetrocknet. Die Ernte
ist hin! Warum bittet er nicht um Regen für seine eigenen Felder? Warum wohl nicht?
Geht! Geht zurück! Macht, dass ihr fort kommt! Belästigt mich nicht!"
Die Männer erwiderten: „Wir müssen mit Hud sprechen! Wir haben mit ihm zu tun! Wo
können wir ihn finden?"
Sie: „Er ist draußen auf dem Feld! Aber gebt euch keine Mühe, es hat keinen Zweck!"
Die machten sich auf den Weg zu den Feldern vor der Stadt. Dort sahen sie Hud. Er
hatte einen schmalen Graben ausgeschaufelt, in dem er ein wenig Wasser - einem
Rinnsal gleich - zu seinem Feld leitete.
Das ausgetrocknete Erdreich sog das Wasser gierig auf...
Hud aber war dabei, zu beten. Die Männer warteten, bis er sein Gebet beendet hatte
und sie bemerkte. Er fragte: „Was gibt's?"
Sie: „Wir kommen, um dich zu bitten, uns von Gott Regen zu erflehen! Doch noch etwas
möchten wir dir sagen. Als wir an die Tür deines Hauses klopften, öffnete uns eine alte
Frau. Sie fuhr uns sogleich an, grollte mit uns und mit dir und schickte uns schließlich
hierher!"
Hadrat -e- Hud antwortete: „Sie ist meine Frau. Sie ist so, wie ihr sie erlebtet. Doch ich
bitte Gott, sie zu beschützen und ihr ein gutes, langes Leben zu schenken!"
Die Männer fragten erstaunt: „Aber Hud, was versprichst du dir davon? Warum bittest
du Gott, ihr ein langes Leben zu geben?"
Hud erwiderte: „Niemand ist in dieser Welt ohne Schwierigkeiten und Leid. Kummer und
Sorge gehörten nun einmal mit zum Leben. Ich kann mich nicht beklagen. Darum danke
ich Gott. Es könnte mir ja noch schlimmer gehen, nicht wahr? Und ich bitte Ihn, es
dabei bewenden zu lassen und mir soviel Kraft zu geben, das Schwere, das mich trifft,
ertragen zu können!
Seht, wenn sie nicht wäre, hätte ich womöglich eine Frau, die noch unfreundlicher
spräche und noch übler gelaunt wäre als sie. Immerhin ist das denkbar, oder? Darum,
Gott sei Dank, dass sie so ist, wie sie ist und nicht noch ärger!
Was aber eure Bitte um Regen angeht..., nun, so geht zu euren Feldern, grabt sie um,
zieht schmale Wassergräben, baut Brücken und räumt fort, was von Übel ist.
Verteilt die Wasserläufe gerecht unter euch. Jedes Feld muss versorgt werden, jeder
muss zu seinem Recht kommen. Abgesehen davon: Legt eure Feindseligkeiten beiseite,
vertragt euch und hört auf, Gott zu trotzen. Lernt aus dem Verhalten meiner Frau. Seid
freundlich und wohlwollend untereinander!
Am Tage des Fests kommt dann zu mir, damit wir gemeinsam Gott um Regen bitten. Seid guten Mutes, Gott wird euch Regen schicken!"
Einige der Getreuen kamen zu Imam Sädiq (a.s.) und sagten: „O Sohn des Gesandten
Gottes! Zu Lebzeiten deines Vaters haben wir unsere Fragen ihm gestellt und er hat sie
uns gut beantwortet. Nun fragen wir dich, und auch du gibst uns Antworten, die uns
weiterhelfen.
Doch sag..., war dein Vater gebildeter als du oder hast du mehr Kenntnis als er?"
Imam Sädiq (a.s.) entgegnete: „Mein Vater war gebildeter. Doch sämtliches Wissen, das
er hatte, übergab er mir!"
103. Der Lohn für hässliche Reden
'Amr Ibn Nu'man Ğafi berichtete, dass unter den Anhängern Imam Sädiqs (a.s.) ein
Handelsherr war. Immer, wenn er nach Medina kam, suchte er sogleich Imam Sädiq
(a.s.) auf und nutzte jede Gelegenheit, mit ihm zusammen zu sein. Er begleitete ihn
überall hin, und es war offensichtlich, wie gern er ihn hatte und wie sehr er ihn schätze.
Eines Tages ging er mit Hadrat -e- Sädiq (a.s.) zum Schuhbazar. Sein indischer Sklave
ging hinter ihnen her. Mit einem Male wandte der Handelsherr sich um, um ihm etwas
zu sagen, doch der Sklave war nicht zu sehen. Er rief ihn wieder und wieder. Endlich
erblickte er ihn. Er fuhr ihn an: „Wo warst du, du Hurensohn?!"
Als Imam Sädiq (a.s.) diese Worte hörte, fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und
sprach: „Subhänalläh! Du beschimpft ihn und schiltst seine Mutter eine schlechte Frau?
Ich glaubte, du seiest ein höflicher, gebildeter Mann. Nun aber erlebe ich, dass du
verleumdest und schlechte Reden führst!"
Der Mann entgegnete verwirrt: „Aber seine Mutter ist doch keine Muslimin! Sie kommt
aus Sind, aus Indien, sie ist eine Götzenanbeterin!"
„Ja weißt du denn nicht, dass es in jedem Volk Sitte ist, zu heiraten, damit Unzucht und
Sittenlosigkeit verhindert werden?
Man darf doch die Söhne der Frauen anderer Völker nicht mit solch hässlichen Worten
bezeichnen! Geh fort von mir! Meine Freunde verhalten sich nicht so wie du!"
Der Überlieferer dieser Begebenheit fügte hinzu: „Nie wieder sah ich Imam Sädiq (a.s.)
in Begleitung dieses Mannes!"
104. Auch ein Edelstein ist dennoch nur ein Stein...
Einer der Freunde Imam Sädiqs (a.s.) hörte von diesem eine Äußerung, über die er sich wunderte und fragte: „Das Wort, das du sagtest, ist gleich einem kostbaren Edelstein!" Der Imam erwiderte: „Ein Wort ist besser als ein Edelstein. Schließlich ist ein Edelstein nichts anderes als ein Stein. Ein Wort aber kann von hohem Nutzen und wahrem Wert sein!"
War er zu Hause, trug er einfache, hin und wieder auch geflickte Hemden, - in der Gesellschaft mit anderen aber war er fein und gut gekleidet.
Eines Tages kam einer seiner Freunde zu ihm und sah, dass er ein Hemd trug, an
dessen Halsausschnitt ein Flicken aufgesetzt war. Als Imam Sädiq (a.s.) sein Erstaunen
bemerkte, fragte er: „Warum bist du so verwundert?"
Der Mann antwortete: „Darum, weil du ein geflicktes Hemd trägst!"
Imam Sädiq (a.s.) hatte ein aufgeschlagenes Buch vor sich liegen, in dem er gelesen
hatte. Er wies auf es hin und sprach: „Lies, was hier steht!"
Der Mann las: „Der Glaube dessen, der ohne Würde ist, ist nicht echt. Und der, der nicht
rechnen kann und kein Maß kennt, kommt zu keinem Besitz."
Imam Sädiq (a.s.) fügte hinzu: „Weißt du, das neue Gewand muss neben dem alten
bewahrt werden!"
106. Ein wahres Wort den „Besserwissern"!
Ein Mann sagte zu Hadrat -e- Sädiq (a.s.): „Wir hörten, dass dein Vorvater Ali Ibn Abi
Tälib einfache, grobe Kleidung trug und sich Hemden zu nur vier Drachmen kaufte. Du
aber trägst feine, gute Gewänder!"
Hadrat -e- Sädiq (a.s.) antwortete: „Ja, Ali Ibn Abi Tälib (a.s.) kleidete sich einfach und
bescheiden. Darum, weil die meisten Leute es seinerzeit so hielten, da sie sich besseres
nicht leisten konnten. Damals war es keinesfalls ungewöhnlich, grobe, billige Kleidung
zu tragen. Doch heute würde man auffallen, wenn man sich so kleidete. Es ist nicht
mehr üblich, und die Leute zeigten mit den Fingern auf uns, wenn wir uns in billigen,
groben Hemden zeigten. Es würde die Aufmerksamkeit der anderen auf sich ziehen.
In einer jeden Zeit ist die beste Art, sich zu kleiden, die, die kein Aufsehen erregt und
nicht unsittlich ist!"
Eine andere Überlieferung zu diesem Thema ist folgende: „Sufiän Thuri, der zu Zeiten
Imam Sädiqs (a.s.) lebte, gehörte zu denen, die sich um irdische Dinge nicht mehr
kümmerten und in ihrer Weltentsagung geradezu extrem vorgingen. Eines Tages, als er
die Heilige Moschee in Mekka verließ, sah er Imam Sädiq (a.s.), der ein schönes,
elegantes Gewand trug. Sufiän Thuri sagte sich: „Ich werde hingehen und ihn darauf
aufmerksam machen, dass sich derartiges für einen Gottesmann nicht schickt!"
Er ging auf ihn zu und sprach: „Bei Gott! Der Gesandte Gottes und Ali Ibn Abi Tälib
haben sich niemals so gekleidet!"
Imam Sädiq (a.s.) entgegnete freundlich: „Weißt du mein Freund, sie lebten in einer
Zeit, als die Leute arm waren und Not litten. Darum wollten meine Ahnen nichts
besseres tragen und essen als alle anderen auch.
Danach aber erholten sich die Muslime, ihr Lebensstandard stieg an, und es ziemt sich,
wenn sie die guten Gaben, die Gott ihnen zukommen lässt, in rechter Weise nutzen!"
Daraufhin rezitierte er einen entsprechenden Koranvers und sprach: „O Thuri! Ich trage
diese Gewänder nicht zu meinem eigenen Vergnügen, sondern um die Leute darauf
hinzuweisen, sich vor ihren Mitmenschen nicht ärmlich und elendig zu zeigen."
Dann schlug er seinen Abä (langer Übermantel) auf, ergriff die Hand Sufiäns und hielt
sie gegen das Hemd, das er unter dem feinen Gewand trug. Es war von grobem, rauhen
Stoff. Er sagte: „Dieses Hemd trage ich um meinetwillen, das feine Übergewand aber
wegen der Leute. Ein gepflegtes Äußeres ist ihnen eine Augenfreude!"
Er sah Sufiän Thuri an und fügte hinzu: „Du aber ziehst mit deinem rauhen, wollenen
Gewand die Blicke aller auf dich. Es ist auffallend! Darunter aber ziehst du weiche,
angenehme Hemden an, die niemand sieht! Das aber ist Heuchelei, ist Scheinheiligkeit!"
Sufiän Thuri zog sich beschämt zurück.
Nachdem er gegangen waren, meinten einige seiner Gleichgesinnten, die sich um
irdische Dinge keinen Deut mehr scherten und sich in strenger Askese übten: „Sufiän
hat nicht die richtigen Worte gefunden. Wir wollen hingehen und Hadrat -e- Sadiq (a.s.)
eine vielsagende Antwort geben!"
So gingen sie zu ihm und sagten: „Was Sufiän Thuri sprach..., nun, lassen wir das! Aber
es gibt einige Verse im Heiligen Koran, die uns belehren, uns in Enthaltsamkeit zu üben
und anderen zu geben! Zu Beginn des Islam gab man das, was man hatte, seinem
Nächsten, - selbst das eigene Stückchen Brot, das man essen wollte. Man blieb hungrig
und erlegte sich Entbehrungen und Härten auf, damit andere nicht zu hungern
brauchten. Du kennst sicherlich auch den Koranvers, der in diesem Zusammenhang
hinabgesandt ward!"
Imam Sädiq (a.s.) erwiderte: „O ihr, die ihr so einiges außer acht lasst! Wisst ihr denn
wirklich, was der Koran aussagt, oder ist es nicht vielmehr so, dass ihr einiges lest,
anders aber überseht?! Bedenkt, dass ein jeder unserer Gemeinde, der abirrte,
aufgrund seiner Unkenntnis und Unaufmerksamkeit auf ein falsches Gleis geriet. Ihr
wisst wahrhaftig über die Worte und Gebote Gottes nicht genügend Bescheid!
Ihr sagt, dass Gott die, die selbst hungerten und darbten, um anderen aus ihrer Not
herauszuhelfen, lobt. Das ist richtig! Sie haben gut und recht gehandelt in jeder Zeit, als
überall Hunger und Not herrschten! Sie taten das, was Gott ihnen empfohlen hatte und
zogen damit Sein Wohlgefallen auf sich. Danach trat eine bessere Situation ein, und
Gott sandte weitere Koranverse, in denen er unnötigen Selbstverzicht, unter dem selbst
die eigenen Familien bitter zu leiden und Hunger und große Entbehrungen hinzunehmen
hatten, zurück weist und aufhebt!
In diesem Sinne sagte der Gesandte Gottes: „Wenn du fünf Dinar hast, so ist der beste
und kostbarste von ihnen der, den du für deine Eltern verwendest. Den zweiten Dinar
gib aus für deine Frau, deine Kinder und für dich, den dritten für deine bedürftigen
Verwandten, den vierten für arme Nachbarn und den fünften auf dem Wege Gottes.
Dieser fünfte Dinar findet ganz besonders Sein Wohlgefallen."
In den letzten Lebensjahren des Gesandten Gottes trug sich dieses zu. Einer der Ansär,
d.h. aus jener Bevölkerungsgruppe Medinas, die dem Propheten und den Muslimen nach
ihrer Emigration aus Mekka Obdach und Unterstützung gegeben hatten, starb. Zuvor
hatte er sein gesamtes Vermögen gespendet, so dass er seiner Frau und seinen
minderjährigen Kindern nichts hinterließ und sie nun mit Not und Hunger fertig zu
werden hatten.
Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) sagte: „Wenn ich das vorher gewusst hätte, so würde ich
nicht zugelassen haben, dass man ihn auf dem Friedhof der Muslime bestattet. Indem er
sein ganzes Vermögen spendete, hat er seine Frau und seine unversorgten Kinder in
eine Situation gebracht, dass sie nun die Hand nach den Almosen anderer ausstrecken
müssen!"
Der Imam fügte hinzu: „Sagt, was ihr wollt! Doch einiges ist, dass zu Beginn notwendig
war, dann aber nicht mehr und deswegen aufgehoben wurde. Ebenso wie zu Anfang die
Gebetsrichtung der Muslime die „Bayt -ul- Muqadas" (Tempel) in Jerusalem war, dann
aber die Kaaba in Mekka zu unserer Qibla wurde. Auch was Spenden und Selbstverzicht
anbelangt, ist Übertreibung nicht am Platze und nicht erlaubt!
Gott sagt: „Das Vorgehen dessen ist richtig, der deswegen, weil er spendet und von
seinem Besitz abgibt, nicht verschwendet, doch auch sich und seine Angehörigen nicht
unnötig einschränkt und Entbehrungen aussetzt, sondern die goldene Mitte einhält und
auf Ausgewogenheit und ein gesundes Mittelmaß achtet!"
Es ist nicht recht, dass der Mensch alles, was er hat, hergibt, selbst aber hungrig bleibst
und Gott bittet, ihm sein täglich Brot zu geben. So lautet das immerwährende göttliche
Gebot, wenn sie es nur wüssten!"
Imam Sädiq (a.s.) besuchte einen seiner Freunde und fragte ihn, wie es ihm ginge und was er täte. Der Mann erwiderte: „Mir sind die Hände gebunden. Ich sehe, wie sich die Leute plagen und mühen und habe nichts, was ich ihnen geben könnte, um ihnen zu helfen! Eine Möglichkeit, sie aus ihren Schwierigkeiten heraus zu holen, kenn ich nicht. Das, was mir bleibt, ist mit ihnen zu reden und sie zu trösten mit dem, was Gott den Gutestuenden verheißen hat. Ich erhähle ihnen von dem einfachen bescheidenen Leben der Propheten und Imame und von den Problemen und Härten, mit denen diese zu kämpfen hatten. Wenn ich sie daran erinnere, fühlen sie sich getröstet, und ich kann sie aufrufen zu Gutem und Richtigem, zu dem, das du uns lehrst! Anderes kann ich nicht für sie tun, mehr ist mir nicht gegeben!"
Der Imam antwortete: „Das ist doch sehr gut, was du tust! Gott verlangt von niemandem etwas, das er nicht vermag! Glaubst du denn, zu den Menschen zu reden sei wertlos und nichtig, wenngleich doch das Kapital der Propheten, Weisen und Gottesfreunde in ihren Reden und Predigten bestand?!
Niemand Seiner Gesandten schickte Gott mit einem Sack voller Gold und Silber zu den Menschen, um diese rechtzuleiten. Ihr wertvolles Gut, das sie dazu einsetzten, war ihre zu herzen gehende Rede, waren ihre guten, wahren Worte. Und besser noch als dieses" Gott selbst hat Sich durch Sein Wort den Menschen vorgestellt, - durch Begründungen, Beweise und Weisungen, die Er zur Sprache brachte!
Eine gute Rede, ein wahres Wort ist kostbar! Wisse ihren Wert und danke Gott dafür. Das ist richtiger als über das, was du nicht hast, zu klagen!"
Ein Sattler, der im Dienste Imam Sädiqs (a.s.) stand, erzählte: „Als der Imam in Hayrah
war, schickte er mich und einige seiner Getreuen aus, damit wir etwas für ihn
erledigten. Wir machten uns auf den Weg und kehrten erst gegen Abend zurück, - müde
und erschöpft. Matt und kraftlos wie ich war legte ich mich auf mein Lager. Plötzlich
stand Imam Sädiq (a.s.) vor mir und sagte: „Ich bin zu dir gekommen, um mich nach
dir zu erkundigen!"
Ich setzte mich auf. Imam Sädiq (a.s.) nahm am Fußende meines Lagers Platz. Er
fragte uns, wie es uns ergangen sei und ob wir das, was er uns aufgetragen hatte,
erledigen konnten.
Dann, nachdem ich seine Fragen beantwortet hatte, dankte er mir, pries Gott und
daraufhin unterhielten wir uns noch ein wenig. Wir kamen auf eine bestimmte Gruppe
unserer Gemeinde zu sprechen.
Ich sagte: „Ich bin verärgert über sie, deswegen, weil sie anders denken als ich!"
Hadrat -e- Sädiq (a.s.) entgegnete: „Aber sie haben uns gern! Nur weil sie nicht die
gleiche Meinung haben wie du, bist du verärgert über sie?"
„Ja, so ist es!"
Er: „Auch ich vertrete eine Auffassung, die du möglicherweise nicht teilst. Wäre es nun
wohl richtig, wenn ich deswegen über dich verärgert wäre?"
„Nein, nein! Um Gottes Willen nicht!"
„Siehst du," fuhr er fort, „Gott weiß, was wir nicht wissen. Er hat Ansichten und kennt
Wahrheiten, über die wir nicht Bescheid wissen! Meinst du, Er würde uns deswegen von
uns stoßen!?"
„Nein, nur nicht! Gut, ich bin nicht mehr verärgert über sie!"
Imam Sädiq (a.s.) mahnte nun: „Hab die Muslime gern! Sei über sie nicht verärgert!
Gläubigkeit hat mehrere Stufen. Der Glaube der einen reicht nur bis zur Stufe „eins",
der der anderen bis zur Stufe „zwei" und der einiger weniger bis zur Stufe „sieben".
Erwarte von niemandem etwas, was seine Fähigkeiten übersteigt!"
Er fügte hinzu: „Ein Beispiel hierzu. Ein Muslim hatte einen christlichen Nachbarn. Er
sprach mit ihm über den Islam und zählte dessen Vorzüge auf, so dass der Christ
letztendlich Muslim wurde. Dann, am nächsten Morgen in aller Frühe, ging er zu dem
Hause seines Nachbarn, weckte ihn, forderte ihn zur Gebetswaschung (Wudü) auf, sagte
ihm, ein reines Gewand anzuziehen und sprach dann: „Nun komm mit mir zur Moschee,
zum Morgengebet."
Nachdem sie in der Moschee das Gebet verrichtet hatten, wies er ihn an, nun mit ihm
die verschiedenen Du'äs und Gotteslobpreisungen zu sprechen.
So ging es, bis die Sonne aufgegangen war. Der Neu-Muslim wollte nach Hause. Doch
sein Nachbar hinderte ihn daran und sagte: „Wo willst du hin? Es ist nicht mehr lange
bis zum Mittag."
So saßen sie in der Moschee bis zum Mittag und sprachen das Mittagsgebet.
Als der Neu-Muslim nun gehen wollte, hielt ihn sein Nachbar wieder zurück. „Bleib bis
zum Nachmittagsgebet. Es dauert nicht lange bis dahin."
So blieben sie sitzen, bis es Zeit zum Nachmittagsgebet war. Als sie es verrichtet hatten
und der Neu-Muslim nun aber endlich gehen wollte - er hatte schließlich zu tun - ließ
ihn sein Nachbar immer noch nicht fort. „Warte, es ist bald Sonnenuntergang. Das
Gebet nach Sonnenuntergang wollen wir auch noch hier in der Moschee sprechen, ja?"
Der Neu-Muslim blieb, wenn auch widerwillig. Als sie dann noch zum Abendgebet
geblieben waren, ließ der Alt-Muslim den Neu-Muslim endlich gehen.
Am nächsten Morgen, als das Frühlicht graute, klopfte der Alt-Muslim wieder an der Tür
des Neu-Muslim. „Komm, eil dich, wie wollen zur Moschee!"
Doch war hörte er nun? Sein Nachbar antwortete ihm: „Ich bin arm, habe nicht viel
Geld, aber Frau und Kinder, die ich versorgen muss! Suche dir jemanden, der nicht
arbeiten braucht und sein täglich Brot nicht selbst verdienen muss!"
Imam Sädiq (a.s.) erklärte: „Der Muslim hatte seinen Nachbarn in bester Absicht zum
Islam gebracht. Und ebenfalls in bester Absicht wollte er ihn in seinem Glaubensleben
unterstützen! Doch leider ging er dabei zu weit, er kannte kein Maß und verbitterte den
anderen. Bedenke: Bei allem gilt es: Maßhalten!""
Ein Mann kam zu Imam Sädiq (a.s.) und klagte: „Das Leben ist schwer! Bitte Gott für mich, mein täglich Brot reichlicher ausfallen zu lassen!"
Hadrat -e- Sädiq (a.s.) antwortete: „Wenn du wegen eines reichlicheren Auskommens gekommen bist, so geh besser und bemühe dich, es zu erwerben!"
* * *
Imam Sädiq (a.s.) erkundigte sich bei seinen Freunden nach dem Befinden eines
Mannes. Sie sagten: „Er ist bedürftig und braucht Unterstützung!"
Der Imam fragte: „Was macht er?"
Sie: „Er sitzt zu Hause und betet zu Gott!"
Darauf Imam Sädiq (a.s.): „Wer sorgt für seinen Unterhalt?"
„Einer der Brüder kümmert sich um ihn!"
„Bei Gott," sagte der Imam, „der, der arbeitet und ihn ernährt ist besser als der, der nur
zu Hause sitzt und betet!"
* * *
Man berichtete Imam Sadiq (a.s.) von einem Mann, der gesagt hatte: „Ich sitze zu Hause und verbringe meine Zeit mit Beten, Fasten, Gottslob und bitte zudem Gott, mir mein täglich Brot zu geben!" Der Imam entgegnete: „Seine Bitte wird nicht erhört werden!"
* * *
Ein Mann kam zu Imam Sadiq (a.s.) und sagte: „Ich arbeite und mühe mich, um an irdische Güter zu kommen. Und ich wünsche mir, in meinem Bemühen Erfolg zu haben!" „Was willst du mit dem Besitz, den du erwerben möchtest, anfangen?" fragte der Imam. „Damit möchte ich mir, meiner Frau und meinen Kindern ein ruhiges und angenehmes Leben ermöglichen, anderen davon abgeben und eine Pilgerfahrt zum Hause Gottes (Kaaba) unternehmen!"
„Das, um was du dich bemühst, ist nicht irdischer Art", meinte Imam Sädiq (a.s.). „Du bemühst dich in Wirklichkeit um das Glück jener Welt!"
Hischam Ibn Hakam war einer der besten Redner zu Zeiten Imam Sädiqs (a.s.). Eines Tages fragte Abdullah Daysäni Hischam: „Hast du einen Gott?" „Ja!"
„Ist dein Gott mächtig?" „Ja!"
„Kann dein Gott die ganze Welt in einem Hühnerei unterbringen, aber so, dass das Ei nicht größer wird und die Welt nicht kleiner?"
Hischam erwiderte: „Laß mir ein wenig Zeit, damit ich dir eine gute Antwort geben kann!"
Daysäni sagte: „Ist in Ordnung! Ein Jahr gebe ich dir Zeit!" Mit diesen Worten ging er seines Weges...
Einige meinten, diese Frage sei völlig sinnlos, da derartiges mit dem gesunden Menschenverstand nun wirklich nicht mehr zu vereinbaren sei! Abgesehen davon würde Gott so etwas niemals tun!
Andere sagten: „Genau! Gott ist weise! In solchem Tun aber liegt keine Weisheit und kein Sinn! Einem einfachen Mann aber, der redet, ohne erst lange nachzudenken und der mit Logik und Weisheit nicht viel anfangen könne, müsse jedenfalls eine kurze, bündige und plausible Antwort gegeben werden!"
Hischam fuhr fort: „Ich bestieg mein Pferd und ritt schnurstracks zum Hause Imam Sädiqs (a.s.). Sagte zu ihm: „Abdullah Daysäni hat mich etwas gefragt. Um ihm antworten zu können, brauche ich deine Hilfe!"
Als ich ihm die Frage genannt hatte, antwortete er: „Hischam, sag, wieviele Sinnesorgane hast du?" Ich antwortete: „Fünf!" Er: „Welches von ihnen ist kleiner?" Ich: „Meine Augen." Er: „Wie groß ist das Sehorgan?" Ich: „In der Größe einer Linse, oder?"
Er: „Hischam, geh ein Stück nach vorn und sieh dich um. Was siehst du?" Ich: „Felder, Häuser, Gärten, Wiesen, Auen, Bäche, Berge, Himmel, Erde..." Imam Sädiq (a.s.) sprach nun: „Sieh nur! Das alles hat Gott erschaffen. Und Er hat allem, was du siehst, d.h. einer ganzen Welt sozusagen in deinem Augeninneren Raum
gegeben. In dem Augeninneren, von dem du sagst, daß es in etwa die Größe einer Linse habe. Dabei wurde aber nicht das eine größer als es ist und das andere kleiner. Diese Antwort reicht aus für Daysäni. Für jene aber, die gelehrter und gebildeter sind als Daysäni gibt es bessere und wissenschaftlichere Antworten!"
111. Unter meinem Mißgeschick sollst du nicht leiden!
Ibn Mahbub berichtete von einem Mann, der sagte: „Gemeinsam mit Imam Sädiq (a.s.)
begleiteten wir einen Leichnam, der zu Grabe getragen werden sollte. Plötzlich riß dem
Imam das Band seiner Sandale. So weiterzugehen aber war beschwerlich. Einer seiner
Freunde nahm das Band aus seiner Sandale heraus, damit der Imam seinen Schuh
damit binde.
Dieser aber sprach: „Nein, nein! Vielen Dank! Behalte dein Schuhband für dich! Für den,
dem ein Mißgeschick widerfährt, ziemt es sich, auszuharren und sich in Geduld zu
üben."
Er gab damit zu verstehen: Nun, da mein Schnürband zerrissen ist, ist es an mir, die
Unbequemlichkeit, die damit verbunden ist, zu ertragen. Ich möchte nicht, dass jemand
anderes an meiner Stelle unter meinem Mißgeschick zu leiden hat!
112. Wer trägt den Schaden davon?
Wie es den Erfordernissen seiner Zeit entsprach, war es Imam Sädiqs (a.s.) größte
Aufgabe, seine Mitmenschen zu unterrichten. Er setzte sich mit ihnen zu Gespräch und
Diskussion zusammen, beantwortete ihnen ihre zahlreichen Frage, argumentierte und
erklärte...
Alle, die wollten, machte er mit den Wahrheiten vertraut...
Einer seiner Zeitgenossen, der erstaunlich absurde Auffassungen vertrat, war Ibn Abi
-l- Awgä. Auch er nahm an den Vorlesungen Imam Sädiqs (a.s.) teil. Über manchen
seiner Dispute, die er mit dem Imam führte, ist in etlichen namhaften Büchern
nachzulesen.
Eines Tages saß Ibn Abi -l- Awgä in der Heiligen Moschee in Mekka mit einigen
Männern, unter anderem mit Ibn Muqafa' zusammen und unterhielt sich mit ihnen. Er
machte sich über die Hağpilger lustig und lachte über die, die die Kaaba zur Tawäf
umschritten.
Wie berichtet wird, sagte er: „Ich ging zu Imam Sädiq (a.s.), setzte mich zu ihm. Die
anderen waren schon gegangen. Ich war allein mit ihm. Der Imam wies auf die
Hağpilger und sagte: „Wenn das, was sie sagen, stimmt - und es ist so, wie sie sagen! -
so werden sie errettet sein. Du aber gehst deinem Verderben entgegen! Ist aber das,
was du sagst, richtig - und es ist nicht richtig! - so wird es dir dennoch ebenso ergehen
wie ihnen."
Ich entgegnete: „Gott möge dich segnen! Doch sag, was sagen sie und was sage ich?
Was willst du damit sagen?"
Der Imam antwortete nun etwas ausführlicher und für mich verständlicher: „Der
Gläubige glaubt an Gott und an die Auferstehung. Du aber nicht. Mit zuversichtlichem
Herzen richtet sich der Gläubige in seinem leben und seiner Welt ein, - gestützt auf
seinen Glauben an Gott und die Auferstehung. Sehr viel zufriedener als du ist er! Auch
nach dem Tod wird es ihm wohl ergehen. Und dem Tod und dem, was danach kommt,
wirst du einst ebenso gegenüberstehen wie er.
Die Wahrheit ist die: Es ist nicht schwer, nach den Regelungen der Religion zu leben,
und die Annahme, dass der Gläubige nach dem Tod errettet sein wird, ist richtig!Du
aber bist der, der dann Schaden hinnehmen muss und der Betrogene seiner eigenen Auffassungen sein wird!""
Abdullah Ibn Sanän war Schatzmeister dreier Abbassidenkalifen: Mansur, Mahdi und
Harun ar Raschid. Dennoch gehörte er zu den getreuen Anhängern Imam Sädiqs (a.s.)
und dieser vertraute ihm.
Es wird überliefert, dass er berichtet: „Ich suchte Imam Sädiq (a.s.) in der Moschee auf.
Er hatte das Nach-Sonnenuntergang-Gebet verrichtet und saß nun auf dem Boden, in
Richtung Qibla.
„O Sohn des Gesandten Gottes", sagte ich, „einige Regenten vertrauen mir ihren Besitz
zur Aufbewahrung an. Es mag aber sein, dass sie die religionsgesetzlichen Abgaben
davon nicht entrichtet haben. Muß ich ihnen nun das, was sie mir zur Aufbewahrung
anvertrauten, zurück geben!"
Imam Sädiq (a.s.) antwortete: „Sie haben abzugeben, wozu sie verpflichtet sind! Das
aber hat mit deiner Verantwortung als Treuhänder nichts zu tun! Bei Gott! Wenn diese
mir etwas zu treuen Händen gäben und ich hätte akzeptiert, es für sie aufzubewahren,
so würde ich es ihnen zurück geben, wann immer sie es wollten!"
Ähnlich ist die folgende Überlieferung, die Imam Sagäd (a.s.) betrifft: „Imam Sagäd
hatte zu seinen Freunden gesagt: „Ich ermahne euch, das, was euch anvertraut wurde,
seinem Eigentümer korrekt zurückzugeben!
Wahrlich! Wenn mir auch der Mörder meines Vaters sein Schwert anvertraute und ich
dieses akzeptiert hätte, so würde ich es ihm, sobald er es zurück verlangte,
aushändigen!""
Mufadal Ibn Umar, der Verfasser des Werkes „Tawhid" (Ein-Gott-Gewissheit), gehörte
zu den Freunden Imam Sädiqs (a.s.).
Er erzählte: „Eines Tages sah ich in der „Moschee des Propheten" in Medina (Masğid un
Nabi) Ibn Abi -l- Awgä. Er unterhielt sich mit einigen seiner Kameraden und ließ so
manches gotteslästerliche Wort fallen. Ich konnte seine Reden nicht länger ertragen und
fuhr ihn an: „Du Gottesfeind! Du sprichst gegen die Religion, gegen das Wort Gottes! Du
leugnest Gott und, und, und..."
Ibn Abi -l- Awgä antwortete entrüstet und gleichsam erstaunt: „Mann, wenn du gebildet
bist und Ahnung hast, so komm und setz dich zu mir, damit wir uns unterhalten und
miteinander diskutieren. Sobald deine Argumente mich überzeugen, werde ich mich
deiner Ansicht fügen. Wenn du aber nicht im Bilde bist, so misch dich gefälligst nicht in
meine Rede ein! Dann hat ein Gespräch mit dir keinen Zweck!
Zudem: Gehörst du zu den Gefährten Ğa'far Ibn Muhammads (Imam Sädiq) (a.s.), so
wisse, dass er niemals mit mir in einem solchen Ton spricht. Nie würde er mich
anschreien! Damit du es weißt! Imam Sädiq (a.s.) hat meine Ansichten schon vor
einiger Zeit gehört und mich keinesfalls deswegen beschimpft!
Er hat meine Worte nicht unhöflich unterbrochen! Er ist ein gebildeter Mann mit viel
Geduld, langmütig und behält die Fassung. Durch Gezeter und taktlose Bemerkungen
schadet er seiner Würde und Persönlichkeit nicht!
Er hört, dem, was ich zu sagen habe, geduldig zu und achtet aufmerksam auf sämtliche
Argumente, die ich bringe. So können wir uns alles, was wir zu sagen haben, in Ruhe
vortragen. Er zeigt sich interessiert, dass man meinen könne, er sei von meiner Rede
überzeugt. Dann, wenn ich geendet haben, beginnt er zu sprechen und macht mit logischen, unanfechtbaren Begründungen meine Argumente zunichte. Er antwortet so brilliant, dass ich nichts darauf erwidern kann!
Ich rate dir! Wenn du zu seinen Anhängern zählst, so verhalte dich gefälligst wie er. Sei dir auf jeden Fall klar darüber, dass du bei mir mit Schimpfworten und Schmähreden nichts erreichen kannst!""
Abu Ğa'far Chat'ami berichtet: „Eines Tages reichte mir Imam Sädiq (a.s.) ein Beutelchen mit Geld und sagte: „Bring diese Geld „Soundso". Sag aber nicht, von wem es ist!"
Ich tat, wie er mir aufgetragen hatte. Als ich das Geld jenem Mann gab, meinte dieser: „Gott möge den, der mir das Geld schickt, belohnen! Regelmäßig läßter mir Geld zukommen, so dass ich davon leben kann. Doch weißt du, Hadrat -e- Ğa'far Sädiq (a.s.) hat mir noch niemals auch nur eine einzige Drachme gegeben, obwohl er es könnte!""
Von Abu 'Amr Schaybäni ist folgende Überlieferung: „Ich sah, wie Imam Sädiq (a.s.) in
einem einfachen Gewand seinen Garten umgrub. Er arbeitete emsig, gönnte sich keine
Ruhepause und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.
„Gib mir die Schaufel", sagte ich, „laß mich dir helfen!"
„Nein", antwortete er, „ich halte es für richtig, wenn der Mensch arbeitet und sich seinen
Lebensunterhalt selbst verdient..., und wenn es bei Sonnenhitze wäre!""
Hadrat -e- Sädiq (a.s.) antwortete Abu Hanifah: „Wer ist deiner Meinung nach klug?"
„Der, der Gutes und Schlechtes voneinander unterscheiden kann" erhielt er zur Antwort.
Darauf der Imam: „Auch die Tiere können das! Sie wissen recht gut, was gut ist für sie
und was schlecht und unterscheiden zwischen dem , der sie schlägt und darben läßt und
dem, der freundlich zu ihnen ist und für sie sorgt! Dennoch sagen wir: 'Tiere haben
keinen Verstand!'"
Abu Hanifah fragte nun seinerseits: „Sag du mir, wer klug ist?"
Imam Sädiq (a.s.) antwortete: „Weißt du, klug ist der, der zwischen zwei guten Dingen
und zwei schlechten, zwischen zwei Sachen die ihm schaden und zweien, die ihm nutzen
unterscheiden kann. Das heißt, der weiß, was von zwei guten Dingen das bessere und
von zwei schlechten das schlechtere ist!
Das aber ist etwas, zu dem nur der Mensch, nicht aber das Tier in der Lage ist."
118. Feinde zu Freunden machen!
Imam Mussä Ibn Ğa'far (a.s.) wurde von Freund und Feind „Käzim" genannt. „Käzim" aber bedeutet: Der, der seinen Zorn behrerrscht, zornige Erregung nicht aufwallen oder gar nicht erst aufkommen läßt.
Und man kannte ihn als „Bab ul Hawayig", d.h. als „Haus der Hoffnung für die
Bittenden". Niemals war die Tür zum Hause Imam Käzims (a.s.) verschlossen und
niemand schickte er mit leeren Händen fort. Weit und breit wußten die Leute, wie
freundlich, großherzig und verzeihend er war.
Nun lebte in Medina ein Mann, der trotz allem Imam Mussä Käzim nicht mochte. Wann
und wo immer er nur konnte, beschimpfte und verleumdete er ihn. Seine Garstigkeit
und Unverfrorenheit kannte keine Grenzen. Tag für Tag wurde es schlimmer mit ihm, so
dass die Freunde Imam Mussäs (a.s.) letztendlich so erbost waren über diesen dreisten
Mann, dass sie protestierten und sagten: „Das ist nicht mehr auszuhalten mit diesem
Unverschämten! Was er sich nur alles erlaubt?!"
Empört gingen sie zu dem Imam und baten: „Erlaube, dass wir ihm das Maul stopfen
und mit ihm abrechnen!"
Hadrat -e- Mussä KäzimMann zu unternehmen. Vielmehr erkundigte er sich nach dem
Ort, wo er gewöhnlich anzutreffen sei.
Sie antworteten: „Er arbeitet normalerweise auf seinem Acker, in der Umgebung
Medinas."
Daraufhin bestieg Hadrat -e- Käzim (a.s.) sein Pferd und ritt zu dem besagten Gelände,
geradewegs auf den Mann zu, der auf seinem Acker arbeitete.
Dieser Schrei ihm entgegen: „Paß doch auf! Gib auf meine Saat acht! Was bist du nur
für ein rücksichtsloser Bursche!"
Der Imam aber schien nicht auf sein Zetern zu achten, ritt weiter und hielt erst dann in
seinem Ritt inne, als er bereits vor ihm stand. Nun stieg er ab und setzte sich zu ihm.
Heiter und lachend sprach er mit dem Bauern, als wenn nichts geschehen wäre. Er
sagte: „Du hast ganz recht! Ein paar Pflänzchen sind durch mein Pferd wohl zertreten
worden, ich werde dir den Schaden natürlich ersetzten! Was hast du ausgegeben für die
Saat?"
Der Mann antwortete: „Hundert Dinar!"
Der Imam fragte weiter: „Welchen Ertrag erhoffst du dir von der Ernte, die die Saat
voraussichtlich bringen wird?"
„Was fragst du mich", brummte der Mann, „Ich bin doch kein Hellseher!"
„Ich spreche von 'erhoffen'", erwiderte Imam Käzim (a.s.), „also sag, was erhoffst du
dir?"
Der Mann murmelte. „Ich hoffe, 200 Dinar!"
Imam Käzim (a.s.) zog einen Geldbeutel hervor, in dem dreihundert Dinar steckten und
sprach: „Weil ich über dein Feld geritten bin, wird die Ernte, die du erwarten konntest,
ein klein wenig geringer ausfallen. Nimm das Geld hier und ds, was du noch ernten
wirst, ist auch für dich! Gott möge dir das, was du dir erhoffst, zukommen lassen!"
Der Bauer, der sich völlig im klaren darüber war, wie häßlich er immer über den Imam
gesprochen und wie sehr er ihn beschimpft und verleumdet hatte, stand verdutzt da.
Beschämt bat er ihn, ihm seine Unverschämtheiten zu vergeben.
Der Imam lächelte und meinte: „Dadurch habe ich keinen Schaden genommen. Weißt
du, ich möchte, dass jeder zum richtigen Weg hin findet und ihn dann auch geht!"
Mit diesen Worten ritt er zurück. Am nächsten Tag, als er in der Moschee saß, kam der
Mann zur Tür herein und begann: „Gott weiß sehr genau, wen er mit dem Imamat
beauftragte! Imam Käzim ist ein sehr guter, nobler Mann!"
Die anderen fragten erstaunt: „Was ist los mit dir? Du hast doch sonst ganz anders
gesprochen?"
„Was ich gesagt habe, gehört der Vergangenheit an", meinte der Mann."Aber das, was
ich jetzt sage, stimmt!"
Sie saßen zusammen und redeten miteinander. Eine lange Zeit. Alle waren froh und
zufrieden. Später, als Imam Käzim (a.s.) mit seinen Getreuen, die mit dem Mann
gestern noch 'abrechnen' wollten, die Moschee verließen, sagte er zu ihnen: „Nun, was
glaubt ihr? Ist es nicht besser, dass wir ihn milde stimmten und ihn zu unserem Freund gemacht haben?"
Harun -ar- Raschid kehrte nach einer Hağ-Reise nach Medina zurück. Die Leute der Stadt zogen ihm auf ihren Kamelen, Pferden, Eseln oder auch zu Fuß entgegen, um ihn zu empfangen. Imam Mussä Käzim (a.s.) hielt es unter den gegebenen Bedingungen ebenfalls für angebracht, sich dem Zug anzuschließen. Er ritt auf einem Maultier. Als sie die Karawane des Kalifen erreicht hatten, sagte Rabi' Hâğib, der zum Schutzpersonal Haruns gehörte, zu dem Imam: „Hey, du Sohn des Gesandten Gottes! Auf was für einem armseligen Tier kommst du denn da geritten, um den Kalifen zu begrüßen?! Wolltest du mit ihm einen Feind verfolgen, könntest du diesen niemals einholgen. Wenn der Feind aber hinter dir her wäre, so könntest du ihm auf dem Rücken dieses Maultieres nie entkommen?"
Imam Käzim (a.s.) antwortete ruhig und gelassen: „Weißt du, dieses Tier ist ein Maultier. Es ist nicht hochmütig wie Pferd und Kamel und auch nicht so armselig und hilflos wie ein Esel! Bedenke: Bei allem ist es gut, die goldene Mitte einzuhalten!"
120. Ein irreführender Vergleich!
Sie waren unterwegs nach Mekka und wollten die Kaaba besuchen. In Anwesenheit
Harun -ar- Raschids fragte jemand Imam Käzim (a.s.): „Ist es richtig, wenn ein Pilger,
der bereits im Ihräm-Zustand ist, in einer überdachten Sänfte reitet?"
Zu deiner Information: Der Ihräm-Zustand ist eine Art Weihezustand, der zu den
unbedingten Hağstadien gehört und für den besondere Regelungen gelten. Doch nun
weiter in unserer Geschichte:
„Nein", antwortete der Imam, „Das ist nicht erlaubt, es sein denn, es lägen zwingende
Gründe dafür vor!"
Der Mann fragte weiter: „Ist es richtig, wenn der betreffende Pilger, obgleich er
„muhrim" ist, im Schatten geht?"
„Ja", antwortete Hadrat -e- Käzim (a.s.).
Der Mann begann zu lachen.
Das konnte er nicht verstehen. Was für ein Unterschied sollte denn wohl zwischen
einem Schatten auf der Straße und dem in der Sänfte bestehen?
Imam Käzim (a.s.) erklärte nun: „Du vergleichst Schatten mit Schatten. Dadurch
gerätst du in Verwirrung. Hältst du es denn auch für fragwürdig, dass der Prophet, wenn
er im Ihräm-Zustand in einer Sänfte ritt, deren Schutzdach entfernte, um nicht im
Schatten zu sitzen, andererseits aber, wenn er zu Fuß ging, den Schatten aufsuchte?"
Er fügte hinzu: „Mein Freund, was die Gebote Gottes betrifft, sollte man sich vor
Vergleichen besser hüten, da der, der das eine Gebot dem anderen gegenüberstellt,
leicht in die Irre geht.
Richtig ist auf jeden Fall, der Anweisung und Sunnah (Tradition) des Propheten gemäß
zu handeln!"
Ein Mann ging zu Imam Käzim (a.s.) und sagte: „Ich bin das Leben leid! Ich habe es satt! Ich mag nicht mehr! Darum bitte ich Gott, mir den Tod zu schicken."
Der Imam antwortete: „Wünsch dir lieber, zu leben! Bitte Gott, dir den Erfolg zu schenken, so zu leben, dass Er mit dir zufrieden ist, - indem du Sein Wort befolgst und gute Werke tust! Wenn du lebst und gut bist, so ist das gewiß vorteilhafter für dich. Viel besser, als wenn du stürbest und zu nichts mehr fähig bist, weder zu Gutem noch zu Schlechtem!"
122. Finanzierung auf verschiedenen Gebieten...
Imam Mussä Ibn Ğa'far überlieferte: Eines Tages kam ein Mann, der meinem Vater
wohlgesonnen war. Meinte: „Warum hältst du deinen Besitz nicht zusammen? Warum
läßt du dein Geld nicht im Ganzen für dich arbeiten? Würde es dir dann nicht mehr
Gewinn bringen und einfacher zu berechnen und anzulegen sein?"
Es war offensichtlich so, dass der Imam sein Geld in verschiedenen Bereichen wie Kauf,
Verkauf, Landwirtschaft und dergleichen anlegte und arbeiten ließ. (Um mit dem Gewinn
Armen und Bedürftigen helfen zu können u.ä.!)
Dieser Mann aber, der es gut meinte, ging davon aus, dass ein größeres Kapital in einer
einzigen Angelegenheit verwendet, größeren Gewinn bringt. Er wollte daher dem Imam
einen Tipp geben, sein Geld besser anzulegen!
Dieser aber antwortete: „Weißt du, ich lege meinen Besitz in verschiedenen Sparten an,
um diese dadurch zu kräftigen. Andererseits aber auch deswegen, damit dann, wenn es
in einer Sache zu keinem Gewinn, sondern möglicherweise sogar zu Verlust kommen
sollte, nicht alles Geld auf einen Schlag verloren ist und aus den anderen Sparten, in
denen ich ebenfalls finanziert habe, genügend Einkünfte hervorgehen."
123. Vom couragierten Unbekannten...
Fadl Ibn Rabi', ein Bediensteter Harun -ar- Raschids, erzählte: „Als Harun sich
entschloß, zum Hağ nach Mekka zu reisen, machte er sich mit 100 000 königlichen
Gardisten, die in prächtige Uniformen gekleidet waren, auf den Weg. Alle sollten
Majestät und Glanz seines Kalifats bestaunen.
Es handelte sich um die offizielle Hağpilgerung eines Abbassidenkalifen. Das bedeutete,
dass niemand seiner Karawane voraneilen durfte..., bis zu jenem Ort in der Nähe von
Mekka, an dem alle Pilger „muhrim" werden.
Zu deiner Information: „muhrim" zu sein besagt, dass man sich in einer Art
Weihezustand vefindet, die mit besonderen Regelungen und Bedingungen verbunden ist
und zu dem unbedingt einzuhaltende Hağstadien zählen. Doch nun weiter in unserer
Geschichte:
An jenem Tag, als Harun die Heilige Moschee betrat, in deren Innenhof sich die Kaaba
befindet, war es jedoch mit der Gleisnerei vorbei.
Alle waren nun in ihre vorgeschriebenen, einheitlichen Ihräm-Tücher gehüllt und
unterschieden sich somit, was ihre Kleidung und äußere Aufmachung betraf, nicht mehr
voneinander.
Haruns Begleiter aber machten durch die Menschenmenge hindurch einen Weg für den
Kalifen frei und ließen niemandem den Vortritt. Zumindest hegten sie diese Absicht...
Doch einer war unter den vielen Pilgern, der sich nicht schrecken ließ. Immer war er
Harun einen Schritt voraus.
Blieb dieser stehen, hielt auch er in seinem Gehen inne. Selbst den „Schwarzen Stein" in
der Kaaba-Wand berührte er als erster, noch bevor Harun es tun konnte.
Einer der Offiziere Haruns wurde zornig. Er fuhr den fremden Pilger an: „Hey, Mann!
Verschwinde!"
Der Mann antwortete: „Hier herrscht Gleichheit! Hier und heute ist niemand dem
anderen vorrangig. Kalif und Nicht-Kalif..., das sind Begriffe, die hier keine Gültigkeit
haben! Gott sprach: Ob Städter oder Steppenbewohner, sie alle sind einander gleich!
Darum: Kalif zu sein oder nicht, ist hier völlig bedeutungslos!"
Harun meinte: „Laßt ihn, er hat recht!" Als er dann beim „Male Abrahams" das Gebet
verrichten wollte, stand der Mann schon da und betete.
Harun, der die Courage des Mannes erkannte, befahl seinen Leuten später: „Bringt den
Mann her zu mir! Ich will mit ihm sprechen!"
Einer der Wachgardisten Haruns sah den Mann, der in einem Winkel der Heiligen
Moschee in Gottesanbetung versunken war. Er ging zu ihm und sagte: „Der Kalif
wünscht dich zu sprechen! Komm!"
„Ich sagte bereits, 'Kalif' oder 'Nicht-Kalif', sind hier völlig bedeutungslose Begriffe! Ich
habe mit niemandem etwas zu schaffen. Wenn jemand mit mir reden will,so soll er zu
mir kommen!"
Diese Antwort wurde Harun überbracht. Dieser meinte: „Er hat schon wieder recht!" Mit
diesen Worten stand er auf, ging hin zu ihm, grüßte und erhielt den Gegengruß.
Dann fragte er: „Erlaubst du, dass ich mich zu dir setze?"
„Dieses Haus ist nicht das meine und nicht das deine", entgegnete der Mann. „Es ist ein
Ort der Sicherheit und Zuflucht. Setz dich, wenn du willst oder geh, wenn dir das lieber
ist!"
Harun setzte sich also und meinte: „Ich weiß nicht, was dich veranlaßt, so kühn mit mir
zu sprechen und mir stets ein paar Schritte voraus zu sein! Warum belästigst du mich,
indem du ständig vor mir her gehst?! Ist es denn richtig, dass jemand wie du mir
einfach den Vortritt nimmt??"
Der Mann erwiderte: „Dieser Vortritt, von dem du sprichst, ist das Recht eines jeden,
der früher da ist! In diese Ihräm-Tücher hüllen wir uns, damit der Unterschied zwischen
König und Bettler fortfällt, damit sie einander gleich sind!"
„So, nun beantworte mir folgende Frage", sagte der Kalif, „wenn du mir eine gute
Antwort geben kannst, so ist die Sache in Ordnung, - wenn nicht, kannst du was
erleben!"
„Ist deine Frage in der Art wie die des Schülers an seinen Lehrer oder gleich der der
hochmütigen Eigenstolze?"
Harun entgegnete: „Sie ist wie die eines Schülers!"
„Nun gut", sagte der Fremde, „dann setz dich wie ein Schüler hin, - d.h. höflich und
gesittet, wie es sich für einen Schüler geziemt, der vor seinem Lehrer steht!"
Der Kalif wunderte sich immer mehr. Er fragte: „Ich möchte gern wissen, welche
religiösen Aufgaben unbedingt erfüllt werden müssen!"
Der Mann antwortete: „1, 5, 17, 34, 94, 135, von 12 eines, von 14 eines, von 205
eines, im Leben eins und eins gegen eins."
Harun begann laut zu lachen. „Ich frage nach den Pflichten, du antwortest mit Zahlen",
sagte er.
Der Mann entgegnete: „O Kalif! Weißt du denn nicht, dass die ganze Welt auf einer
genauen Berechnung aufgebaut ist? Dass die Religion ebenfalls genau durchkalkuliert
gegeben wurde, dass Gott der große Mathematiker aller Mathematiker ist? Dass er
geschwind rechnet, dass der Tag der Auferstehung der Tag der Abrechnung ist, dass der
Weltordnung eine präzise Kalkulation zugrunde liegt und Chaos und Verwirrung durch
Nichtbeachtung dieser Kalkulation hervorgerufen werden?"
Der Mann sprach nun über die Notwendigkeit des genauen Rechnens und Berechnens
des Schadens, der hervorgerufen wird, wenn die Verse des Koran nicht beachtet und
nicht mit einkalkuliert werden!
Harun kam aus dem Stauen nicht mehr heraus. Schließlich meinte er: Du hast recht,
doch sag mir nun, was die Zahlen, die du nantest, bedeuten! Wenn sie ohne Sinn
waren, dann gnade dir Gott!"
Der Wachgardist, der sich alles mitangehört hatte, riet dem fremden Pilger: „Fürchte
Gott, bitte Ihn um Beistand! Vielleicht hilft er dir!"
Der Mann lachte leise. Harun fragte: „Was gibt's denn da zu lachen?"
Er: „Ich wüßte gerne, wer von euch beiden oberflächlicher und ahnungsloser ist?"
Harun antwortete ungeduldig: „Los, sag endlich, was es mit den Zahlen auf sich hat!"
Der Fremde erklärte nun: „Die Zahl 1 bedeutet: eine Religion: Islam.
Die Zahl 5 bedeutet: 5 Gebete jeden Tag. Diese fünf Pflichtgebete beinhalten zusammen
17 Rak'ahs. 34 Sağdahs, 94 Takbirs (Allah u Akbar) und 135 Tasbih (Subhäna-Ilah).
Dann sagte ich: von 12 eins. Damit meine ich, dass von zwölf Monaten einer der
Fastenmonat Ramadan ist, in dem alle zu fasten haben.
Von 40 eins und von 205 eins. Damit sind Zakat und Spenden gemeint (Sadaqah), die
uns ebenfalls zur Pflicht gesetzt wurden. Im ganzen Leben eins, damit meine ich die
Pilgerung zur Kaaba, zu der wir einmal in unserem Leben verpflichtet sind. Und eins
gegen eins: Nun, das betrifft die Qisäs, die Vergeltung, von der Gott spricht. Wenn du
jemanden tötest (ermordest), musst du ebenfalls getötet werden."
Harun sprach: „Du hast gut geantwortet. Ich weiß nun Bescheid!"
Er befahl, ihm einen Beutel voller Goldmünzen zu bringen. Als er diesen dem
Unbekannten geben wollte, entgegnete dieser: „Kalif, wofür willst du mir das Gold
geben? Ich habe doch von niemandem etwas gewollt?"
Harun erwiderte: „Es ist eine Belohnung für deine witzig-gescheite Rede, die sowohl
wahr ist als auch belehrend."
Darauf meinte der Mann: „Nun will ich dich etwas fragen. Wenn du richtig antwortest,
will ich dir das Gold als Belohnung geben. Wenn deine Antwort falsch ist, so laß noch ein
Säckchen mit Goldmünzen bringen, damit wir alles unter den Armen verteilen."
Harun ließ also noch ein weiteres Goldbeutelchen bringen. „Nun frag" sagte er dann.
Der Mann fragte: „Jenes Tier, das als Chunfusä (schwarzer Käfer) bezeichnet wird...,
säugt es seine Brut oder steckt es ihr mit seinem Rüsselchen die Nahrung in den Mund?"
Harun wußte keine Antwort auf die Frage und meinte kleinlaut: „Mann, so etwas fragst
du jemanden wie mich, deinen Kalifen?"
Der Mann daraufhin: „Mir wurde gesagt, dass der Prophet äußerte: 'Jemand, der
Herrscher der Gläubigen sein will, muß klüger sein und mehr wissen als die anderen.'
Du aber, der du dich 'Kalif' nennst, mußt alles, was man dich fragt, richtig geantworten
können!"
„Nein", sagte Harun, „bei Gott, das weiß ich nicht! Weißt du es denn? Wenn du es mir
sagen kannst, sollen beide Goldsäckchen dir gehören!"
„Gott richtete es so ein, dass einige Lebewesen ihre Nachkommenschaft weder säugen
noch ihr die Nahrung in den Mund stopfen, sondern: Einige bringen, wenn sie zur Welt
kommen, ihre Nahrung schon gleich mit. Sie ist in ihnen selbst vorhanden. Auf diese
Weise wachsen, ernähren und entwickeln sie sich. Wie die Chunfusä, die im Sand leben
und sich von dem ernähren, was in ihnen ist.
Chunfusä ist die arabische Bezeichnung für eine Käferart. Sie ist halb so groß wie eine
Walnuß und unter anderem in Kirmän und Yazd anzutreffen.
Man sagt, dass diese Käfer beissen und einen unangenehmen Geruch verströmen.
Harun sagte: „Ich habe von ihnen noch nie etwas gehört. Nun gut, diese beiden
Goldbeutechen gehören dir!"
Der fremde Pilger verteilte die Goldmünzen an Ort und Stelle unter den Armen der Stadt
und ging seines Weges. Harun sah ihm nach und meinte: „Ein gebildeter Mann, obwohl
er aus der Steppe kommt!"
Dann wies er seine Leute an, nachzuforschen, woher der Mann komme und wer er sei. Nach einiger Zeit wurde ihm die Nachrichtgebracht, dass der Mann gar nicht aus der Steppe komme. Sein Name sei 'Mussä Ibn Ğa'far'. Er sei ein Nachkomme des Propheten Muhammads (s.a.s.) und lebe in Medina.
„So etwas ähnliches habe ich mir gedacht", meinte Harun. „Weil er unbekannt bleiben wollte, wollen wir die Sache ruhen lassen, bis auf weiteres!"
124. Paß auf, mit wem du Umgang hast!
Zu Zeiten Imam Mussä Ibn Ğa'fars (a.s.) lebte ein Mann namens Abdul Rahmän Ibn
Yaqub. Er unterrichtete Schüler und Studenten und war ein Gegner des Imam. Sein
Neffe dahingegen, der Sohn seiner Schwester, der Ğa'far Ğa'fari hieß, zählte zu den
Freunden Hadrat -e- Mussä Ibn Ğa'far.
Eines Tages fragte Imam Käzim (a.s.) Ğa'far Ğa'fari: „Warum besuchst du die
Vorlesungen des Ibn Yaqubs?"
Ğa'far Ğa'fari antwortete: „Er ist mein Onkel und hin und wieder gehe ich zu ihm."
Imam Mussä Ibn Ğa'far (a.s.) entgegnete: „Aber er spricht gegen Gott und ist ein
korrupter, übler Bursche! Entweder gehst du zu ihm und kommst nicht mehr zu mir
oder verläßt ihn!"
Ğa'far wand ein: „Wenn ich mich von seinen Ansichten nicht in die Irre führen lasse...,
was macht es dann, wenn ich zu ihm gehe?"
Darauf der Imam: „Jemand, der sich mit einem Verirrten zusammen setzt, kann nicht
sicher sein, nicht auch in die Irre zu gehen!
Hast du nicht von jenem Mann gehört, der einer der Gefährten des Propheten Moses
(a.s.) war, sein Vater aber ein Freund des Pharao? Als das Volk Mose das Meer
durchquert hatte, lief der Sohn noch einmal schnell hinüber zu seinem Vater, der mit
den pharaonischen Soldaten die Kinder Israels verfolgte. In jenem Moment stürzten die
Wasser über Pharao und seinen Leuten zusammen, und der gute Junge ertrank mit
ihnen in den Fluten. Als Moses davon erfuhr, sprach er: „Er ist in den Fluten
untergegangen. Gott möge ihm Sein Erbarmen schenken. Er vertrat nicht die
Überzeugung seines Vaters, aber als diesen der Zorn Gottes traf, war nichts und
niemand da, bei dem der Sohn hätte Schutz und Sicherheit finden können. Zu jenem
Zeitpunkt war er bei seinem Vater und dessen Gleichgesinnten und versank demzufolge
gemeinsam mit ihnen."
125. Warum sollten wir nicht von ihnen lernen?
Einige schwarze Arbeiter -Unfreie- schafften in einem großen Garten. Hin und wieder unterhielt und beriet Imam Käzim (a.s.) sich mit ihnen . Seine Freunde fragten ihn: „Du berätst dich mit schwarzhäutigen Unfreien?"
Der Imam erwiderte: „Sie haben viel Erfahrung in Gartenbau und Landwirtschaft. Vielleicht kann ich aus ihrem Munde Wissenswertes hören. Ich frage sie nach dem, über das sie Kenntnis haben, nicht nach dem, was sie nicht wissen! Klugheit, Kenntnis und Erfahrung sind nicht abhängig von der Hautfarbe, das solltet ihr wissen!"
Mu'tab berichtet: Imam Mussä Ibn Ğa'far (a.s.) beschnitt in seinem Dattelhain die Zweige einiger Palmen. Ich sah, wie einer der Arbeiter ein großes Büschel voll reifer
Datteln nahm und hinter die Gartenmauer warf. Verärgert und empört brachte ich den
Mann zum Imam und sagte: „Ich habe gesehen, wie er ein großes Büschel voller Datteln
aufhob und hinter die Mauer warf, um sie dort für sich aufzuheben!"
Hadrat -e- Käzim (a.s.) fragte daraufhin: „Mein Freund, warst du hungrig?"
„Nein, hungrig war ich nicht!"
„Hast du nicht genug zu essen bekommen?"
„Doch!"
„Brauchst du sie zu einem anderen Zweck?"
„Nein!"
„Ja, warum hast du sie denn genommen?"
„Einfach so, ich wollte sie gern haben!"
Darauf der Imam: „Besser wäre gewesen, wenn du es mir gesagt hättest! Doch geh, die
Trauben sollen dir gehören. Laß sie dir gut schmecken, doch handle nicht wieder so!"
Als der Mann gegangen war, sagte er zu mir: „Mu'tab, lass ihn! Sprich nicht mehr mit
ihm über diesen Vorfall und erzähle niemandem davon!"
127. Gleichheit und Brüderlichkeit
Ein Mann aus Balch erzählte: „Ich begleitete Imam Ridä (a.s.) nach Khorässän. Als wir dort Quartier bezogen hatten, lud er eines Tages Gäste ein. Alle kamen, seine Mitarbeiter, Bediensteten, Freunde, Schüler und wir. Wir saßen um ein großes Eßtuch herum und aßen. Mit einem Male konnte ich meine Kritik nicht länger für mich behalten und sagte: „O Imam! Hättest du doch für die schwarzen Sudanesen ein Extra-Eßtuch decken lassen!"
„Pst, sei still! Rede nicht so", erwiderte dieser. „Der Gott aller Menschen, ob schwarz oder weiß, ist ein und der gleiche! Die Ur-Eltern aller sind ebenfalls die gleichen, und auch die göttliche Belohnung trifft alle, welcher Rasse und Hautfarbe sie auch sein mögen, in gleichem Maße. Sie ist nicht abhängig von derlei Dingen, sondern lediglich von der Tugendhaftigkeit und Ehrfurcht vor Gott (Taqwä) der Betreffenden.""
Sulayman Ğa'fari berichtet: „Ich hatte Imam Ridä (a.s.) begleitet. Gegen
Sonnenuntergang erreichten wir sein Haus. Einige Arbeiter waren gerade damit
beschäftigt, Blumen in seinem Garten einzupflanzen, während andere einen Stall für die
Haustiere bauten.
Unter ihnen war einer, den der Imam nicht kannte. Er fragte: „Was tut dieser Mann
hier? Was hat er für eine Aufgabe?"
„Wir hatten einen Arbeiter zu wenig. Darum haben wir ihn geholt, damit er uns hilft! Wir
werden ihm irgend etwas dafür geben!"
Der Imam fragte: „Was habt ihr über seinen Lohn miteinander ausgemacht?"
„Nichts", antwortete der Vorarbeiter, „der Mann ist mit allem einverstanden!"
Hadrat -e- Ridä (a.s.) war erstaunt und empört über diese Antwort, weswegen er den
Vorarbeiter tadelte.
Ich sagte zu ihm: „Regt euch nicht auf! Das ist die Sache nicht wert! Sie werden schon
miteinander klar kommen!"
Der Imam erwiderte: „Das ist nicht das erste Mal, dass ich von ihm so etwas höre.
Immer und immer wieder habe ich ihm gesagt, dass er den Lohn für einen jeden, der
bei ihm arbeitet, festzulegen hat, und zwar vor Arbeitsbeginn. Aber er hört einfach nicht
und springt mit den Leuten um, wie es ihm paßt!
Wenn der Lohn nicht von Anfang an bestimmt wird, glaubt der Arbeiter nach getaner Arbeit - müde und erschöpft wie er ist - dass es zu wenig ist, was man ihm als Lohn gibt, auch wen es das Doppelte wäre von dem, was seine Leistung wert ist. Unzufrieden und verstimmt wird er fortgehen. Das ist aber nicht gut!
Wird ihm jedoch bevor er zu arbeiten beginnt, gesagt, wie hoch sein Lohn sein wird, ist er zufrieden, wenn er ihn nach Beendigung der Arbeit erhält. Und gibt man ihm ein bisschen mehr als das, was abgemacht war, so wird er glücklich und dankbar sein. Ich möchte, dass der Arbeiter froh und zufrieden heimgeht!""
Einmal sagte Imam Ridä (a.s.) zu seinen Gefährten: „Erinnert euch so oft wie möglich
an Gott, laßt Ihn nicht aus euren Gedanken und tut Gutes! Wenn ihr heute gut seid,
Gott gegenüber demütig und im Miteinander mit euren Nächsten bescheiden, die Gaben
Gottes zu schätzen wißt und dankbar für sie seid, so ist das eine Sparanlage für euer
Morgen. Hört dieses Beispiel hierzu:
Ein Mann aus dem Volke der Kinder Israel hatte einen Traum. Ihm träumte, dass ein
Engel zu ihm kam und sagte: „Eine Hälfte des Lebens, das du noch vor dir hast, ist für
dich voller Glück, Freude und Wohlergehen. Es liegt jetzt nur bei dir, ob du die erste
Hälfte wählst oder die zweite."
Der Mann antwortete: „Ich habe eine Frau. Mir ihr möchte ich mich zuerst beraten, ehe
ich mich entscheide!"
Als der Morgen anbrach, erzählte er seiner Frau: „Mir wurde ihm Traum gesagt, das eine
Hälfte des Lebens, das noch vor mir liegt, voller Glück und Freude ist. Ich weiß nicht,
soll ich die erste Hälfte wählen, die erfreulich ist oder die zweite, die Alter und
Hilflosigkeit mit sich bringt."
Seine Frau riet ihm: „Wähle die erste Hälfte. Für die zweite laß mich nur sorgen!"
„Gut, wie du meinst", sagte er.
Die Welt zeigte sich ihm von ihrer besten Seite. Als er zu Reichtumg gekommen war,
sagte seine Frau zu ihm: „Unser Nachbar lebt in Not. Wir wollen ihm unter die Arme
greifen!"
Und so halfen sie ihm. Am anderen Tag kam seine Frau mit einem anderen Vorschlag,
meinte: „Einem unserer Verwandten geht es nicht gut. Komm, unterstütze ihn!"
Er tat, wie sie ihm empfohlen hatte und befreite den Verwandten von seinen Sorgen.
Kurz: Sie halfen, wo sie konnten, spendeten, taten Gutes und schickten niemanden, der
zu ihnen kam, mit leeren Händen fort.
Sie waren bescheiden, bildeten sich auf ihren Reichtum nichts ein, schätzten und
achteten die Gaben Gottes, die Er ihnen zuteil werden ließ und hatten ein gutes Wort
und eine helfende Hand für jeden.
So ging es, bis dass eines Nachts der Engel wieder zu ihm kam und sagte: „Jene Hälfte,
die voller Glück, Freude und Wohlergehen für dich war, ist nun zu Ende. Was sagst du
nun?"
Er: „Bevor ich etwas sagte, muß ich mich erst mit meiner Lebenspartnerin, d.h. meiner
Frau, beraten!"
Als es Morgen wurde, sprach er zu ihr: „In der Nacht erhielt ich die Nachricht, dass jene
Hälfte meines Lebens, die angenehm und erfreulich war, nun vorüber ist!"
Seine Frau antwortete: „Sei unbesorgt! Gott hat uns von Seinen Gaben reichlich
gegeben, und wir haben soweit wir konnten unseren Mitmenschen Gutes getan. Gott ist
erhabener, als dass Er dieses nicht anerkennen würde!"
In der darauffolgenden Nacht kam der Engel erneut. Er richtete dem Mann aus: „Bisher
wart ihr Gäste Gottes! Und weil ihr gute Gäste wart, die göttlichen Gaben zu schätzen
wusstet und euch dankbar verhalten habt, seien euch Glück und Wohlergehen auch weiterhin beschert."
130. Wessen Worten kann ich Glauben schenken?
Ibrahim Ibn Abi Mahmud berichtet, dass er Imam Ridä (a.s.) folgendes gefragt habe:
„Von euren Feinden hörte ich über Vortrefflichkeiten jener aus dem Hause des
Gesandten Gottes, von denen ich aus eurem Munde bisher nichts vernahm. Kann ich
dem, was sie diesbezüglich sagen, Glauben schenken?"
Imam Ridä erwiderte: „O Sohn des Abi Mahmud! Unsere Widersacher haben uns sehr
viel Unrecht zugefügt und über uns allerlei Unwahrheiten gesagt bzw. überliefert. Sie
erfinden Begebenheiten und Worte, die wir gesagt haben sollen (Ahadith), die jedoch
keineswegs von uns sind. Drei Arten dieser falschen Berichte und Ahadith gibt es:
Einmal die, in denen im Zusammenhang mit uns über alle Maßen übertrieben wird, zum
anderen die, in denen unsere Worte und Aussagen nur zur Hälfte wiedergegeben
werden und drittens jene, in denen unsere Feinde maßlos beschimpft werden. Mit
folgendem Resultat:
Wenn die Leute über jene Berichte und Ahadith hören, in denen im Zusammenhang mit
uns so stark übertrieben wird, dass der Eindruck ensteht, wir seien Gottheiten, führt das
dazu, dass unsere Anhänger der Gotteslästerei bezichtigt werden.
Hören die Leute von jenen Berichten, in denen unsere Worte nur zur Hälfte
wiedergegeben werden, so lernen sie uns nicht richtig kennen.
Das Ergebnis der dritten Form der Überlieferungen aber, in denen unsere Feinde in stark
übertriebener Weise beschimpft werden, ist, dass die Leute glauben, wir hätten
tatsächlich so über unsere Widersacher gesprochen.
Haß und Widerwillen gegen uns werden dadurch geschürt, Feindseligkeiten herauf
beschworen und letztendlich sind wir es, die beschimpft werden. Gott aber sagte:
„Beschimpft nicht jene, die Gott nicht kennen bzw. nicht anerkennen, damit diese nicht
in ihrer Ahnungslosigkeit Gott beschimpfen!" (aus dem Heiligen Koran, Sure An'äm,
Vers 109).
O Sohn des Abi Mahmud! Welchen Weg andere auch gehen mögen, gehe du unseren
Weg, damit du nicht abirrst!
Richtiges ist von denen, die es wissen und zudem gottesfürchtig und tugendhaft sind, zu
erfahren, nicht von einem wissenden Feind und auch nicht von einem unwissenden
Freund! Darum bewahre in deinem Herzen das, was ich dir sage und berichte, und sieh
darin das Wohl dieser und jener Welt."
Zu jener Zeit, als Imam Ridä (a.s.) in Marw, Khorassän, lebte und Ma'mun, der
derzeitige Abbassidenkalif, ihm dem Schein nach Respekt und Hochachtung
entgegenbrachte, traf die Nachricht vom Siege der Truppen des Kalifen über Kabol
(Afghanistan) ein. Ma'mun las dem Imam voller Stolz und Freude die Siegesmeldung
vor.
Hadrat -e- Ridä (a.s.), dem Schmeichelei und Loben am falschen Platz nicht lag,
meinte: „Bist du deswegen so froh, weil deine Krieger ein Gebiet, in dem Götzenanbeter
zu Hause sind, erobert haben?"
Ma'mun antwortete: „Ja, ist denn diese Mitteilung kein Grund zu Jubel und Freude?"
Der Imam entgegnete: „Weißt du, du solltest dir leiber einmal über das, was die
Muslime angeht und wie du ihnen helfen kannst, Gedanken machen. Geh in dich und
fürchte Gott! Den Belangen der Bevölkerung in deinem Herrschaftsbereich schenkst du
keinerlei Beachtung. Das wofür du verantwortlich bist, überläßt du anderen, damit sie
das für dich erledigen. In Mekka, Medina und Irak wird nicht nach dem Wort Gottes
gehandelt. Die Muslime leben dort unter Druck! Du selbst aber sitzt hier in Marw, hast
Medina und Mekka, jene Orte, wo die göttlichen Offenbarungen hernieder gesandt
wurden und die die Higrä (Auswanderung des Propheten und der Muslime von Mekka
nach Medina) miterlebten, verlassen. Aber du denkst daran, andere Länder
einzunehmen.
In Medina sind die Nachkommen der Muhägirän (Emigranten) und Ansär (jene, die die
Emigranten aufnahmen) Gewalt und Unrecht ausgesetzt. Die Gläubigen werden
drangsaliert und unterdrückt. Güte und Brüderlichkeit haben dort keine Raum mehr,
ebensowenig Ruhe, Frieden und Freude. Das Leben der Menschen dort ist erdrückend
und schwer.
Die, denen du vertraust, lassen derartige Nachrichten nicht zu dir dringen und hindern
dich daran, Abhilfe zu schaffen. Kümmere dich um die Probleme der islamischen
Gemeinde, lass diese nicht im Stich! Sieh, was in Medina, in jener Stadt des Gesandten
Gottes, an jenen Ort, an dem die Auswanderer Aufnahme fanden durch die Ansär,
geschieht?! Weißt du denn nicht, dass der Kalif, das Oberhaupt der Muslime, diesen
Stütze und Halt zu sein hat wie der Pfahl dem Zelt?
Er muss für jeden ein Offenes Ohr haben und eine hilfreiche Hand!"
Ma'mun fragte zerknirscht: „Sag, was soll geschehen?"
Imam Ridä (a.s.) riet ihm: „Es ist notwendig, dass vom „Geburtsort" des Islam aus
regiert wird, dass die Muslime nicht länger unter der Tyrannei deiner Beamten zu leiden
haben und du dich selbst um sie und ihre Schwierigkeiten kümmerst, - dass du deine
Pflichten persönlich wahrnimmst und nicht andere damit beauftragst! Wisse: Vor Gott
bist du verantwortlich!
Du wirst zur Rechenschaft gezogen werden!"
Ma'mun meinte: „Du hast Recht!"
Unverzüglich ordnete er an, seine Gardisten zusammenzurufen.
Sein Wezir, Fadl Ibn Sahl, war baß erstaunt über diesen Befehl und geriet in arge Sorge.
Wenngleich Ma'mun ihm völlig freie Hand ließ und sich in sein Walten und Schalten nicht
einmischte, ging er dennoch zu ihm und fragte: „O Emir! Was ist denn das für eine
Entscheidung, die du da getroffen hast?!"
„Ich handle nach dem Vorschlag Imam Ridäs (a.s.) und das, was er sagte, ist völlig
richtig!"
Fadl, gepeinigt von Neid und Eifersucht, mochte Hadrat -e- Ridä nicht. Darum
entgegnete er grimmig: „Ich glaube keinesfalls, dass das, was er dir sagt, zu deinem
Wohle ist! Hast du vergessen, dass du deinen Bruder des Kalifats wegen täten ließest
und damit sämtliche Abbassiden zu deinen Feinden machtest? Und nicht nur das! Alle
Iraker und sonstigen Araber warten darauf, es dir heimzuzahlen! Zudem: Indem du Abu
-l- Hassan Ali Ridä zu deinem Thronfolger ernanntest, hast du ihren Hass gegen dich
geschürt. Schließlich hast du deinen Brüdern damit die Möglichkeit genommen, einmal
die Thronfolge antreten zu können. Weder die aus dem Hause der Abbassiden noch die
anderen sind damit einverstanden. Sie sind deswegen schwer verbittert über dich und
haben sich von dir getrennt. Wie kannst du nun hingehen und die wenigen, die dir noch
geblieben sind, auch noch enttäuschen!?
Ich bin der Meinung, du solltest in Khorässän bleiben. Solange wenigstens, bis Gras
über den Mord an deinem Bruder gewachsen ist und die Leute nicht mehr daran denken.
In dieser Stadt gibt es einige erfahrene Männer, die schon zu Zeiten der Herrschaft
deines Vaters gelebt haben. Sie wissen, wie es damals war und wie es heute ist. Sie
sind erfahren in Sachen Politik und klug. Es wird gut sein, wenn du auch ihre Ansicht
hörst und dich mit ihnen berätst. Sie werden dir bestimmt gute Tipps geben können!"
Ma'mun fragte: „Kannst du mir ihre Namen nennen?"
„Beispielsweise Ali Ibn Imrän", entgegnete Fadl, „auch Munis und Ğaludi. Es sind jene
Politiker, die sich damals gegen die Thronfolge Ridäs aussprachen und diese Abmachung
nicht unterzeichneten. Sie wurden auf deine Anordnung hin deswegen in den Kerker
geworfen, wo sie immer noch sind."
„Genau", meinte Ma'mun, „ich hatte seinerzeit angewiesen, sie festnehmen zu lassen,
weil sie mir widersprachen! Doch nun gebiete ich, sie morgen zu mir zu bringen!"
Am nächsten Morgen wurden die drei alten Männer zu Ma'mun gebracht. In
Anwesenheit Imam Ridäs (a.s.) fragte er sie: „Was haltet ihr heute, nach all der Zeit,
die verging, von dieser Thronfolgebestimmung?"
Zwei von ihnen, Ali Ibn Imrän und Ibn Munis, entgegneten: „Wir sind nach wie vor der
gleichen Meinung. Gott hat das Kalifat in die Hände der Abbassiden gelegt. Du aber
übergibst es deinem Gegner. Er gehört zu denen, die von deinen Vätern getötet oder
verbannt wurden. Dieser Ridä ist für die Leute zu einem „Abgott" geworden. Sie
vergöttern ihn. Und du willst hingehen un an den Abbassiden dennoch auch weiterhin
Verrat begehen?!"
Ma'mun war empört! Solch eine unverschämte Antwort! Hatte ihnen denn die Zeit in
finsteren Verließen immer noch nicht gereicht?!
Zähneknirschend und hochrot vor Zorn fuhr er sie an: „Eure Worte beweisen, dass ihr
immer noch nicht zur Einsicht gekommen seid und Verrat an mir begeht!"
Seinem Adjutanten befahl er: „Laß den Henker holen!"
Nachdem er die beiden armen Wichte dem Scharfrichter übergeben hatte, wandte er
sich nun Ğaludi zu, der bis zu diesem Augenblick noch kein Wort gesagt hatte. Ğaludi
war alt und hatte, was Imam Ridä (a.s.) anging, keineswegs eine weiße Weste.
Als sich seinerzeit Muhammad Ibn Ğa'far in Medina gegen Ma'mun erhob, hatte dieser
Ğaludi dorthin geschickt und ihm aufgetragen, Muhammad Ibn Ğa'far den Kopf
abzuschlagen und zudem sämtlichen Besitz derer aus dem Hause Abu Tälibs zu
beschlagnahmen.
Ğaludi ging genau so vor, wie Ma'mun es ihm gesagt hatte. Und da er ein Mann mit
„harten Prinzipien" war, machte er Nägel mit Köpfen.
An jenem Tag, als er zum Hause Hadrat -e- Ridäs kam, um dessen Habe fortzutragen,
hatte der Imam zuvor seine Frau und seine Kinder in Sicherheit gebracht.
Vorsichtshalber, da er von dem üblen Vorgehen Ğaludis zur Genüge wußte. Dann, als
dieser mit Gewalt in das Haus eindringen wollte, stellte sich der Imam ihm in den Weg.
Er sagte: „Es ist nicht notwendig, dass du mit deinen Helfershelfern in mein Haus
eindringst. Wenn du mein Eigentum willst, so verspreche ich, alles selbst dorthin zu
bringen, wo du willst. Nichts das von Wert ist, werde ich für mich, meine Frau und
meine Kinder zurücklassen."
Ğaludi, ein durchtriebener Bursche, hegte gegenüber allem Argwohn. Er selbst arbeitete
gewohnheitsmäßig mit List und Tücke und konnte sich nicht vorstellen, dass jemand so
ehrlich und aufrichtig sein konnte, ihm freiwillig sein Eigentum zu übergeben. Sicherlich
würde in einem solchen Fall jeder nach Ausflüchten suchen und Tricks und Wege finden,
seine habe in Sicherheit zu bringen...
Aus diesem Grunde wollte er auf den Vorschlag Hadrat -e- Ridäs (a.s.) nicht eingehen
und alles, das im Hause von einigem Wert war, selbst zusammentragen und fortbringen.
Doch da der Imam ihm sein Wort gegeben hatte und Ğaludi befürchtete, dass Ma'mun
ihm später bittere Vorwürfe machen würde, falls er gewaltsam gegen den Sohn Imam
Mussä Ibn Ğa'fars (a.s.) vorginge, war er dennoch geneigt, nachzugeben.
Doch nein, es konnte seinem Image wiederum schaden, wenn er nicht so roh und brutal
wie üblich handelte. Seine Kumpanen, die ihn begleiteten, würden merken, dass er vor
Ma'mun Angst hatte. Kurz: Er befand sich in einer Zwickmühle. Er war hin und
hergerissen und wußte nicht, wie er sich verhalten sollte.
Aber das ist nicht weiter verwunderlich, denn jemand, der sich vor Gott nicht fürchtete,
fürchtete sich - zwangsläufig - vor allem anderen, nicht wahr?
Schließlich aber willigte er ein, wenn auch grimmig und verbittert. Imam Ridä ging ins
Haus zurück, trug alles, was irgendwie von Wert war, zusammen und legte es vor
Ğaludi nieder. Dieser ließ es einpacken, fortbringen und verließ das Haus...
Das war damals. Nun stand Ğaludi also vor Imam Ridä (a.s.) und Ma'mun. Er war
sicher, dass der Imam ihm hart zusetzen würde, nach allem, was vorgefallen war. Doch
es kam alles ganz anders...
Der Imam war voller Güte und Hochherzigkeit. Hadrat -e- Ridä (a.s.) erinnerte sich an
jenen Tag in Medina, als Ğaludi ins Haus eindringen wollte, um sämtliche
Wertgegenstände zu beschlagnahmen. Doch obwohl Ğaludi in unrechter Absicht kam,
obwohl er vor seinen Kameraden den kürzeren ziehen musste, verhielt er sich dennoch
so einsichtig, dass er nicht rohe Gewalt anwendete und nach langem Hin und Her dem
Imam vertraute.
Imam Ridä (a.s.) flüsterte Ma'mun leise ins Ohr: „Ich hoffe, dass du von dem alten
Mann absiehst und ihn mir überläßt!"
Ma'mun antwortete ebenso leise: „Hast du es denn vergessen? Dieser alte Mann hier ist
jener Unverschämte, der in dein Haus eindringen wollte! Soll etwa Alter vor Strafe
schützen? Soll ich seine Untaten vergeben, nur weil er alt ist?!"
Imam Ridä (a.s.) betonte noch einmal, dass er ihm vergeben habe. Doch Ma'mun
erinnerte - als Antwort - noch einmal an Ğaludis düstere Vergangenheit. Alles im
Flüsterton.
Kurz und gut. Ğaludi sah, wie die beiden miteinander sprachen und diskutierten. Doch
er verstand nicht, was sie sagten. Er wußte nicht, dass Imam Ridä (a.s.) ein gutes Wort
für ihn einlegte. Da er jedoch über seine eigenen Untaten Bescheid wußte und von sich
auf andere schloß, dachte er bei sich: „Dieser Prophetennachkomme redet aller
Wahrscheinlichkeit schlecht über mich und hetzt Ma'mun gegen mich auf!"
Darum warf er sich nun Ma'mun flehend und schluchzend zu Füßen und jammerte: „O
du mein Gebieter! Ich bitte dich, bedenke, was ich alles für deinen Vater Harun -ar-
Raschid getan habe! Hör um Gottes willen nicht auf das, was dieser Ridä dir da sagt!"
Ma'mun wandte sich Imam Ridä (a.s.) zu und sagte: „Hast du gehört, um was er mich
bittet? Er will, dass ich deine Empfehlung unberücksichtigt lasse! Er hat mich bei Gott
beschworen, und ich werde dagegen nichts tun können!"
Dann sah er Ğaludi mit einem vielsagenden Blick an und meinte: „Ğaludi! Ich schwöre
bei Gott, dass ich den Worten Hadrat -e- Ridäs gemäß nicht vorgehen werde, sondern
tue, um was du mich anflehst und beschörst! -
Doch ach, du Armseliger! Du ahntest wohl nicht, dass dieser für dich ein gutes Wort bei
mir eingelegt hat, obwohl du dich so häßlich gegen ihn verhalten hast. Nun, da du aber
dein Geschick selbst in die Hand genommen hast und ich mich deinem Wunsch nicht
wiedersetzen will, koste nun, was du wolltest!"
Daraufhin rief er nach dem Henker und befahl ihm: „Hier, führe diesen argwöhnischen
Mann hier ebenfalls ab! Ihn soll das Gleiche treffen, was den beiden anderen, die du
vorher mit dir nahmst, bestimmt ist!"
132. Das Vermächtnis des Zarathustriers
Zu jener Zeit, als Imam Ridä (a.s.) in Khorassän lebt, schrieb man aus Neyschabur an Ma'mun, den derzeitigen Kalifen: „Ein zarathustrischer Mann hat, als er im Sterben lag, bestimmt, dass sein Vermögen an die Armen und Bedürftigen zu verteilen sei. Der Richter unserer Stadt hat das Geld unter den bedürftigen Muslimen verteilt, was zu Gerede in unserer Gegend führte. Was sollen wir machen?"
Ma'mun wußte es auch nicht. Darum fragte er Imam Rida (a.s.). Dieser antwortete: „Wie soll der Zarathustrier dazu kommen, seine Hinterlassenschaft muslimischen Bedürftigen zu vermachen? Schreib dem Richter von Neyschabur, dass er aus dem Hilfsfond, auf den die muslimischen Bedürftigen Anspruch haben, einen Geldbetrag in Höhe jenes Betrages, den er unter den Muslimen verteilte, nehmen und diesen unter den zarathustrischen Bedürftigen verteile."
Als Imam Ridä (a.s.) sich - unter Berücksichtigung der gegebenen Situation - genötigt
sah, die Thronfolge, die ihm Ma'mun aufdrängte, zu akzeptieren, verlangte er unter
Nachdruck, in der schriftlichen Abmachung festzuhalten, dass er lediglich den Titel
anerkenne, sich jedoch in Regierungsangelegenheiten und alles, was mit diesen
zusammenhängt, keinesfalls einmischen werde.
Ma'mun jedoch versuchte immer wieder, ihn mit derlei Aufgaben zu betrauen. Dennoch:
Der Imam blieb bei seinem Entschluss, erinnerte an das entsprechende Abkommen
undhielt sich von Politik und Regierung fern...
Ma'mar Ibn Fuläd berichtet, dass Imam Ridä (a.s.) ihm folgendes erzählt habe:
„Eines Tages sagte Ma'mun zu mir: „O Sohn des Gesandten Gottes! Nenne mir den,
dem du vertraust, damit ich ihn als Gouverneur in eine der Städte, in denen Unruhe
herrscht, schicke!"
Ich antwortete ihm: „Halte dich an das Abkommen, das wir getroffen haben. Darin habe
ich festgelegt, dass ich nur unter der Bedingung den Titel „Thronfolger" anerkenne,
wenn ich hinsichtlich der Regierungsbelange weder anzuordnen brauche noch zu irgend
etwas anderem verpflichtet bin. Dazu gehören auch Entlassungen oder Einstellungen
von Beamten in den oder aus dem Staatsdienst.
Dieses gilt bis zu jenem Tag, da Gottes Wort - auch staatlicherseits - befolgt wird.
Wisse! Das Kalifat ist bei Gott nicht etwas, an dem ich gerne teilhaben würde! Dieser
Titel, den du mir verliehen hast, erweitert oder vermindert meine Befugnisse und
Verpflichtungen, die Gott mir gegeben hat, nicht im geringsten. Als ich in Medina war,
kamen die Leute mit ihren Bitten und Wünschen zu mir, und ich erfüllte sie ihnen. Sie
waren für mich wie Angehörige, brachten mir ihre Zuneigung entgegen. Meine Worte
und Schriften waren in allen Städten verbreitet. Darum sieh selber besser davon ab,
dass ich micht in deine Politik einmische!"
„Gut, gut", sagte Ma'mun, „ich habe verstanden. Ich werde mich von nun an an unsere
Abmachung halten und dich diesbezüglich um nichts mehr bitten.""
Fadl Ibn Sahl war Wezir Ma'muns. Eines Tages suchte er gemeinsam mit Hischäm Ibn Ibrahim Hadrat -e- Ridä (a.s.) auf. Sie baten ihn, seine Besucher aus dem Zimmer hinauszuschicken, damit sie sich mit ihm in aller Ruhe und Verschwiegenheit unterhalten könnten. Die Besucher verließen den Raum.
Sie begannen: „O Sohn des Gesandten Gottes! Wir wisen, dass du Anspruch auf das Kalifat hast. Wir haben aufrichtigen Herzens und in der Gewissheit, dass wir recht handeln, beschlossen, Ma'mun zu töten, um dir den Weg zur Herrschaft zu ebnen. Gib du nur deine Einwilligung dazu, alles andere machen wir dann schon!" Imam Ridä (a.s.) erwiderte: „Schweigt! Niemals werde ich mit derartigem einverstanden sein. Ich bin nicht für Listen, Intrigen und dergleichen. Wenn ich mein Ja-Wort dazu gäbe, wäre das nicht zu eurem Wohle und nicht zu meinem!"
Sie begriffen, dass sie Imam Rida (a.s.) nicht überlisten konnten. So sagten sie
scheinheilig: „Wir wollten dich nur auf die Probe stellen! Niemals hatten wir vor, Ma'mun
zu töten. Warum sollten wir auch?!"
Imam Ridä (a.s.) entgegnete: „Ihr lügt! In euren Herzen hegtet ihr das, was ihr sagtet.
Doch wisset, ich gehöre nicht zu denen, die Intrigen und Komplotte gutheißen,
akzeptieren oder daran teilnehmen. Wenn wir kämpfen und Gihäd führen, so nur unter
der Voraussetzung, dass es richtig und gut ist. Zudem erfolgt unser Kampf nicht mittels
List und Tücke!"
Sie verließen das Haus des Imam und gingen schnurstracks zu Ma'mun. In Gegenwart
der Anwesenden sagten sie zu ihm: „O Kalif! Wir gingen zu Hadrat -e- Ridä, um ihn auf
die Probe zu stellen..."
Und sie erzählten ihm von ihrem Gespräch.
Ma'mun antwortete: „Das habt ihr gut gemacht. Nun wißt ihr, wie er denkt!"
In der gleichen Stunde noch suchte Imam Ridä (a.s.) ebenfalls Ma'mun auf und
berichtete ihm über den Besuch der beiden bei ihm und ihrem Vorschlag. Imam Ridä
(a.s.) wußte, dass ihr Vorschlag ernstgemeint war und sie aus gewissen Gründen
tatsächlich eine Verschwörung gegen Ma'mun im Sinn gehabt hatten.
Ma'mun erwiderte: „Von deiner Aufrichtigkeit bin ich überzeugt, mehr als von der ihren.
Ich kenne die beiden recht gut. Wenn sie mir gegenüber ehrlich wären, so würden sie
nicht derartige Pläne gegen mich im Schilde führen. Und wenn sie dir gegenüber
aufrichtig gewesen wären, so hätten sie mich nicht über die Angelegenheit in Kenntnis
gesetzt.
Da ich jedoch nicht allein regieren kann, finde ich mich mit ihrer Mitarbeit ab!"
Imam Muhammad Taqi (a.s.) war sieben Jahre alt, als ihm das Imamat übertragen wurde. Diejenigen, deren Glaube tief und fest war, überlegten selbst und erkannten, dass es recht und gut war. Jene aber, die nicht so ganz sicher waren, wunderten sich darüber, fragten die, die es wissen mußten und hörten, dass Prophetentum und Imamat nichts mit dem Alter zu tun haben, wohl aber mit geistiger Reife. Jesus Christus (a.s.) z.B. war noch ein kleines Wickelkind, als er seine Prophetenschaft bekanntgab. Dennoch: Es gab auch die, die nicht so gescheit und verständig waren und erst später dahinter kamen, dass sie sich auf dem Holzweg befanden.
Sie hatten nämlich angenommen, dass Kinder keinesfalls die geistigen Voraussetzungen für Prophetentum und Imamat besitzen könnten. Kinder seien eben Kinder und alle Kinder einander gleich.
Zu diesen Leuten gehörten auch Ali Ibn Hissän aus der Stadt Wässet, obgleich er zu den Freunden der Nachkommen aus dem Hause des Gesandten Gottes zählte. Er erzählte: „Als sich die Leute auf den Weg zu Imam Gawäd (a.s.), d.h. Hadrat -e- Muhammad Taqi, machten, schloß ich mich ihnen an. Einige wertvolle Dinge zum Spielen hatte ich mitgenommen, um sie ihm zu schenken und ihm damit eine Freude zu machen. Eines Tages dann, als die Muslime ihre Fragen an ihn gestellt und er sie ihnen bestens beantwortet hatte, erhob sich der Knabe und begab sich hinaus zu den Feldern „Sariyä" ausserhalb der Stadt.
Ich folgte ihm und bat einen seiner Begleiter, mir zu ermöglichen, ein paar Minuten unter vier Augen Imam Gawäd (a.s.) sprechen zu können. Es wurde mir gewährt, und ich ging zu ihm, stellte meine Fragen an ihn und er beantwortete sie mir. Daraufhin holte ich meine Geschenke für ihn hervor, reichte sie ihm und sagte: „Diese Kleinigkeiten hier habe ich aus dem Irak für dich mitgebracht." Ich hatte nun wirklich gehofft, dass er sich freuen würde, doch es kam ganz anders. Er sah mich erstaunt an,
legte die Dinge zu Seite und sagte: „Es freut mich zwar, dass du mich gern hast, auf
meiner Seite stehst und mir mit diesen Sachen eine Freude machen möchtest, doch für
derlei Spielereien hat Gott mich nicht erschaffen. Was soll ich mit dem Spielzeug
anfangen? Meine Aufgabe ist doch eine ganz andere! Weißt du das denn nicht?"
Völlig verdutzt stand ich da und bat ihn, mir meine Ahnungslosigkeit zu vergeben.
Er erwiderte: „Mach dir keine Sorgen! Geh unbesorgt heim! Ich hege keinen Groll gegen
dich! Sei guten Mutes!"
Ich wußte nicht, wie ich mich am schnellsten verabschieden und fortgehen konnte, so
beschämt war ich. Eines aber war mir klar geworden: Einem großen Irrtum war ich
erlegen, als ich den Imam wie ein Kind - gleich anderen Kindern - eingestuft hatte!
An der Art der Fragen ist der Bildungsstand der Betreffenden recht gut zu erkennen,
wenigstens oft ist es so. Und es ist wohl allen klar, das auf einfache Fragen, d.h. auf
Fragen, die von Personen mit einem nicht ganz so hohen Wissensniveau gestellt
werden, keine hochwissenschaftlichen Antworten erfolgen können, da sie nicht
verstanden würden. Das gilt auch für die Antworten der Propheten und Unfehlbaren
Imame (a.s.). Sie antworten auf Fragen einfacher, ungebildeter Leute ebenfalls einfach,
damit sie sich verständlich machen konnten und der jeweilige Fragesteller eine Antwort
erhielt, mit der er etwas anzufangen wußte. Anders verhielt es sich natürlich bei Fragen
gebildeter Menschen, die ebenfalls brilliant und gekennzeichnet von geistiger Schärfe
beantwortet wurden.
Unter denen, die zu den Imamen kamen, um ihnen ihre Fragen zu stellen, gab es
seinerzeit recht viele, die weder gebildet waren noch redegewandt, aber sie kamen zu
ihnen, fragten sie irgendwas, nur um mit ihnen reden zu können oder auch um sie zu
„testen", wie sie meinten.
Wenn zum Beispiel jemand kam und seltsame, absurde Fragen an Imam Gawäd (a.s.)
richtete, wie zum Beispiel: „Wieviele Barthaare habe ich", so mahcte dieser ihn
freundlich darauf aufmerksam, dass derartige Fragen ja nun wohl wirklich nicht am
Platze seien. Andere Fragen aber, die in aufrichtigem Interesse um der Sache willen
gestellt wurden, beantwortete er mit aller Genauigkeit.
Ein Mann namens Umar Rachaği, der aus Qandihar stammte, aber in Irak lebte,
berichtete: „Zu jener Zeit, als sich Imam Muhammad Taqi (a.s.) in Bagdad aufhielt, sah
ich ihn einmal ganz dicht in meiner Nähe, am Ufer des Tigris. Ich ging zu ihm und
fragte: „Einige behaupten, dass ihr wüßtet , wieviel Wasser im Tigris und wie schwer es
insgesamt sei!"
Er antwortete: „Hat Gott wohl die Macht, einer Mücke dieses Wissen einzugeben oder
nicht?"
„Natürlich hat er die Macht dazu", entgegnete ich.
Er: „Doch ich frage dich, warum möchtest du Menge und Gewicht des Tigriswassers
wissen?""
Der Mann schloß seinen Bericht mit den Worten: „Ich war so perplex über die Antworten
des Imam, dass ich nicht wußte, was ich darauf sagen sollte!"
Folgende Begebenheit berichtete Hadrat -e- Abdul Azim Hassani, dessen Grabmal zu einer Wallfahrtstätte der Anhänger der Nachkommen des Gesandten Gottes wurde.
Er erzählte also: „Imam Gawad (a.s.) berichtete, dass eines Tages Abudar Ğa'fari zu
Gast bei Salmän Färsi war. Zur Essenzeit holte Salmän ein paar Stückchen trockenes
Brotes und einen Krug mit Wasser. Das Brot tunkte er in das Wasser ein, damit es
feucht und weich wurde. Als sich Abudar ein Stückchen eingeweichtes Brot in den Mund
schob, stellte er fest, dass es ungesalzen war. Er meinte: „wie gut würde das Brot
schmecken, wenn es ein wenig gesalzen wäre!"
Salmän entgegnete: „Du hast recht!" Mit diesen Worten stand er auf und ging hinaus.
Ja, der Gast hatte völlig recht. Doch Salz hatten sie nicht im Haus, und Geld war auch
nicht vorhanden, so dass sie hätten Salz kaufen können. So trug er den Krug zu einem
Händler, verpfändete ihn, erstand ein wenig Salz und kehrte zurück.
Sie aßen das Brot nun mit Salz. Nachdem sie gegessen hatten, sprach Abudar: „Gott sei
Preis und Dank dafür, dass Er uns Bescheidenheit schenkte."
Salmän fügte hinzu: „Ja, Gott sei Preis und Dank! Doch wenn wirklich Bescheidenheit im
Spiele gewesen wäre, wäre der Krug nicht verpfändet worden!"
Man schrieb, dass der Abbassidenherrscher Ma'mun, nachdem er nach Bagdad
zurückgekehrt war, Imam Gawäd (a.s.) zu sich einluc. Der Grund war der, dass er die
Freunde und Anhänger Imam Ridäs (a.s.), der er hatte vergiften lassen, damit
beschwichtigen und seine Wertschätzung für Hadrat -e- Ridä - wenn auch nur zum
Schein - zum Ausdruck bringen wollte.
Einen Tag vor der Einladung bei Ma'mun ging Imam Gawäd (a.s.) in Bagdad eine Straße
entlang, in der Kinder spielten. An genau jenem Tag aber ritt auch Ma'mun aus, um
außerhalb der Stadt zu jagen. Als er - hoch zu Roß - die Straße entlang galoppierte,
stieben die Kinder in alle Richtungen davon. Nur der Imam, der damals neun Jahre alt
war, lief nicht fort.
Ma'mun ritt heran und wunderte sich über den Knaben auf der Straße. Warum war er
nicht ebenfalls fortgerannt? Er, der nicht wußte, dass der Knabe Imam Muhammad Taqi
(a.s.), der Sohn Imam Ridäs (a.s.) war, fragte ihn: „Warum bist du nicht fortgelaufen
wie die anderen?"
Imam Gawäd (a.s.) antwortete: „Ich blieb, weil ich sah, dass die Straße breit genug ist
und uns allen Raum gibt. Es war also nicht notwendig, fortzugehen, um dir und deinen
Begleitern Platz zu schaffen. Anderseits aber habe ich auch nichts verbrochen, weshalb
ich mich vor jemandem fürchten müßte. Zudem nehme ich nicht an, dass du Hand an
unschuldige Menschen legen wirst!"
„Wie gut du zu antworten weißt", entgegnete Ma'mun. „Wie heißt du?"
„Muhammad", antwortete der Junge.
Ma'mun: „Wessen Sohn bist du?"
„Ich bin der Sohn Ali Ibn Mussä ar Ridäs (a.s.)."
Ma'mun zeigte sich erfreut und meinte: „Wunderbar, das trifft sich gut! Niemand außer
dir versteht es, so treffliche Antworten zu geben! Ich möchte dich schon früher sehen
als morgen. Wenn ich zurückkomme, wollen wir ein wenig miteinander plaudern,
einverstanden?"
Mit diesen Worten galoppierte er davon...
Es war keine erfolgreiche Jagd. Nichts vermochte er an jenem Tag zu erjagen. Kein
wildes Tier, kein Rebhuhn, keine Wachtel..., nichts.
Nur einen kleinen mageren Fisch fing er. Ma'mun hatte keine Lust mehr, er verlor die
Geduld, brach die Jagd ab und ritt zu seinem Palast zurück.
Unterwegs, als sie die gleiche Straße auf der ihm einige Stunden zuvor Hadrat -e-Gawäd (a.s.) begegnet war, entlang galoppierten, befahl Ma'mun seinen Begleitern, nach dem Knaben Ausschau zu halten.
Noch immer hielt er das Fischlein in der Hand. Als er den Jungen sah, rief er ihm lachend zu: „Sieh, was ich in meiner Hand habe?!"
Einen winzigen Augenblick lang überlegte der Imam. Dann antwortete er: „Der Allmächtige Gott hat in Meeren, Flüssen und anderen Gewässern kleine Fische erschaffen, die von den Wasservögeln gejagt werden und mit denen die Sultane die Nachkommen des Propheten auf die Probe stellen."
Ma'mun staunte immer mehr. Dieser junge Imam war gescheiter und wissender, als er gedacht hatte! Er hob ihn zu sich auf sein Pferd und nahm ihn mit sich ins Schloß. Dort bewirtete er ihn mit so großer Aufmerksamkeit und brachte ihm soviel Ehrerbietung entgegen, dass er damit den Neid so mancher Freunde und Nahestehenden erregte... Um ihnen das geistige Niveau sowie den besonderen Rang Imam Gawäds (a.s.) deutlich zu machen, sah er sich genötigt, große Gelehrte jener Zeit wie Yahya Ibn Aktham und andere zu einer wissenschaftlichen Diskussion mit ihm aufzufordern. Doch dieses ist eine andere Geschichte...
Ma'mun war von allen Abbassidenherrschern der schlauste. Es wird berichtet, dass er
selbst sagte: „Schlauer als alle anderen Kalifen war zum einen Muaviah, der -
unterstüzt durch 'Amr - regierte und zum anderen Abdul Malik, der mittels List und
Gewalt das Staatsruder führte. Ich aber herrsche unter Nutzung meines Verstandes.
Mein Vater Harun war wie ich, doch er wußte nicht, wie er sich den Nachkommen des
Propheten gegenüber verhalten sollte. Ich aber weiß, wie ich mit ihnen umzugehen habe
und sorge dafür, ihre Anhänger zufrieden zu halten."
Noch eins: Ma'mun war der einzige Abbassidenherrscher, der den Koran auswendig
wußte und sich mit Sternenkunde und islamischer Philosophie (Hikmat) befasste. Er
liebte wissenschaftliche Gespräche und Diskussionen und zeigte sich - dem Schein nach
- als Freund „Ahl ul Bayts" (Nachkommen aus dem Hause des Gesandten Gottes). Er
bestätigte - ebenfalls dem Schein nach - die Rechtmäßigkeit des Imamats Imam Ridäs
(a.s.) und Imam Gawäds (a.s.). Dabei ging er so geschickt vor, dass eine Reihe seiner
eigenen Angehörigen und Mitarbeiter ihn als „Schiit", als Anhänger der Imame und der
Ahl ul Bayts bezeichneten.
Etliche aber durchschauten ihn und wußten, dass er ein arger Heuchler und politischer
Trickspieler war...
Jedenfalls, nachdem er Khorassän wieder verlassen hatte und nach Bagdad
zurückkehrte, seine Macht gefestigt und seine Gegner aus dem Felde geräumt waren,
beschloß er, seine Tochter Umm-ul-Fadl Imam Muhammad Taqi (a.s.) (Imam Gawäd)
zur Frau zu geben. Ma'mun hatte lange Jahre in Khorassän gelebt, hatte mit eigenen
Augen die Zuneigung der Iraner für Imam Ridä (a.s.) miterlebt und hielt diesen Schritt
für wichtig, um seine Herrschaft dadurch noch mehr „stärken und schützen" zu können.
Immerhin gab es viele Anhänger Ahl ul Bayts, - sowohl in Iran, Irak als auch Hiğaz.
Mit diesem Schachzug wollte er also für bessere Beziehungen zwischen sich und den
Anhängern Ahl ul Bayts sorgen.
Einige seiner eigenen einflußreichen Angehörigen aber warnten ihn und sagten: „Paß
auf! Bring deinen Thron nicht in Gefahr! Sei auf der Hut! Das könnte ins Auge gehen,
mein Lieber! Denk an die alte Feinschaft zwischen ihnen und uns!"
Ma'mun aber erwiderte selbstsicher: „Keine Sorge, Freunde! Diese alten
Feindseligkeiten haben andere hervorgerufen, nicht ich! Niemand der Imame hat uns
bisher das Zepter aus der Hand genommen! Wir waren es, die die Macht an uns
gerissen haben! Letzten Endes wißt ihr so gut wie ich, dass sie, die Nachkommen des
Gesandten Gottes, weit mehr Anspruch auf das Kalifat haben als wir! Ich für meinen Teil
gehöre nicht zu jenen, die so mir nichts, dir nichts einfach alles übersehen! Familiäre
Bande, Gewissen, Verstand, Vorteil und Politik..., sie alle sagen mir, Imam Gawäd
gegenüber wohlwollend und entgegenkommend zu sein und seine Familie mit der
meinen zu liieren."
Als sie sahen, dass ihm nicht beizukommen war, begannen sie, auf sein Alter
hinzuweisen. Er sei ja noch fast ein Kind. Sie sagten: „Was Imam Ridä anbelangt, ist
das, was du sagst, schon ganz richtig. Gawäd aber ist noch viel zu jung. Er hat weder
Wissen noch Erfahrung seines Vaters. Gibt es denn unter den Abbassiden niemanden,
der es wert wäre, dein Schwiegersohn zu werden?!"
Ma'mun lachte nur und sagte: „Genau an diesem Punkt irrt ihr euch! Bei denen aus dem
Hause des Propheten spielt das Alter keine Rolle. Ihre Bildung und geistige Reife hat mir
Schulwissen nichts zu tun! Ich bin es, der sich geehrt fühlen muß, wenn ich mit ihm in
ein engeres verwandtschaftliches Verhältnis komme.
Ich sehe in diesem Jungen etwas, das ihr allem Anschein nach nicht seht. Wenn ihr mir
nicht glaubt, so überzeugt euch doch selbst!"
Sie riefen aufgebracht: „Genau das werden wir auch tun! Erlaubt, dass wir jemanden,
der kompetent ist, zu einem wissenschaftlichen Gespräch mit dem Knaben einladen und
alles vorbereiten. Wenn wir zu der Einstellung gelangen, dass das, was du sagst, richtig
ist, so werden wir nicht mehr dagegen oppunieren."
„Ich bin immer für so etwas gewesen! Fragt ihn, was ihr wollt! Prüft ihn, testet ihn,
meinen Segen dazu habt ihr!"
Sie alle stimmten dafür, dass Yahyä Ibn Aktham der Diskussionspartner sein sollte!
Yahyä war ein bekannter Richter in Bagdad und Basrah. Im Hinblick auf das Islamische
Recht und juristische Fragen galt er als höchste Kapazität weit und breit.
Niemand der anderen Richter und Juristen war so versiert wie er. Abgesehen davon war
er ein Nahestehender und enger Berater Ma'muns.
Als alles vorbereitet war, begann die wissenschaftliche Diskussion. Wie sie verlief,
kannst du dir denken.
Niemals wird jemand in der Lage sein, einem Unfehlbaren Imam (a.s.) Fragen zu
stellen, die er nicht beantworten könnt! Kurz: Was immer Yahyä Ibn Aktham auch
fragte - und es waren, wie die Anwesenden sagte, sehr komplizierte Fragen - Imam
Gawäd gab so brilliante Antworten, dass die Anwesenden baß erstaunt waren und
kleinlaut schwiegen. Sie konnten nicht umhin, auch sie mußten zugeben: der junge
Imam war nicht zu „schlagen"! -
Ma'mun hatte Oberwasser. Er rief erfreut: „Prima! Erstklassig! Vorzüglich hast du
geantwortet, a Abu -l- Ğa'far."
Damit war die Sache erledigt. Niemand konnte mehr etwas gegen die Vermählung
zwischen Imam Gawäd und Umm-ul-Fadl, der Tochter Ma'muns, einwenden. -
Darüber, wann die Hochzeit stattfand, gibt es unterschiedliche Auffassungen.
In den Geschichtsbüchern werden Jahreszahlen zwischen 304 und 310 n.d.H. genannt.
140. Warum sollte es der Tag der Schuld sein?
Hassan Ibn Mas'ud, einer der Freunde Imam Hädis (a.s.), berichtet: „Ich hielt in einer Versammlung voller Hitzköpfe eine Rede. Mit dem Ergebnis, dass man mir das Hemd zerriss und ein Fingerglied ausrenkte. Als ich sah, dass mein Bleiben sinnlos war, ging ich fort. Unterwegs versetzte mir ein Pferd einen Hieb und verletzte mich an der
Schulter. Verwirrt suchte ich Imam Hadi (a.s.) auf und sagte: „Das war aber heute ein
verflixt finsterer Tag für mich! Gott möge das Übel dieses Tages von mir abwenden!"
Der Imam entgegnete: „Hassan, mein Freund, was ist mit dir? Sogar du, der du oft mit
mir zusammen bist und dich mit mir unterhältst, willst die Schuld einem Unschuldigen
zuschreiben?"
Ich riß mich zusammen und meinte: „Ich hoffe, dass ich dich nicht verärgert habe,
wenn ich Ungereimtes daherredete."
Er: „Warum sollte ich verärgert sein? Nur bin ich verwundert, dass du so sprichst!
Welche Schuld sollte denn wohl ein Tag an deinem Mißgeschick haben?!
Sieh, der Mensch selbst paßt nicht auf, ist unachtsam, macht Fehler, und wenn er dann
die Folgen für seine Irrtümer und Nachlässigkeiten zu spüren bekommt, sagt er: „Welch
schlechter Tag!"
So zu reden aber ist beinahe „Schirk" (Vielgötterei). Darum, weil Tag und Nacht selbst
gar nichts ausrichten können und zu nichts fähig sind. Sie haben keinerlei Einfluß auf
das göttliche Gebot, die Schöpfungsordnung und das Geschick des Menschen."
Ich erwiderte: „Um Gottes Willen! Gott möge mich davor bewahren, durch solche
Redensarten in den Sog von Schirk und Gotteslästerei zu geraten. Doch weißt du, heute
habe ich soviel Unerfreuliches erlebt, dass ich einfach die Geduld verlor!"
Der Imam antwortete: „Weißt du, Hassan, Unerfreulichkeiten und Bitternisse im Leben
machen uns mit unserer eigenen inneren Stärke bzw. Schwäche bekannt und zeigen
uns, wie weit unsere Fähigkeiten, uns selbst zu kontrollieren, gediehen ist!""
Eines Tages machte sich Imam Ali Naqi (a.s.) in einer Angelegenheit auf den Weg in ein
kleines Dorf. Kaum war er angekommen, suchte ein Mann aus der Steppe ihn auf und
wollte mit ihm sprechen. Der Imam fragte freundlich: „Was kann ich für dich tun?"
Der Mann antwortete: „Ich bin aus der Umgebung von Kufah und gehöre zu den
Anhängern deines Vorvaters Ali Ibn Abi Tälib (a.s.). Mein Problem ist, dass ich stark
verschuldet bin. Meine Schulden sind so hoch, dass ich sie nicht begleichen kann.
Niemand außer dir kann mir helfen!"
Imam Hädi antwortete: „Mach dir keine Sorgen!"
Dann nahm er ein Blatt Papier und schrieb, dass er dem Mann 30000 Drachmen zu
geben habe.
„Nimm diesen Beleg und komm morgen zu mir in die Stadt, dach Samara," sagte er
daraufhin zu ihm, „komm aber zu einer Zeit, da die Leute mich besuchen. In ihrer
Gegenwart fordere mich auf, dir das Geld unverzüglich zu geben. Wenn ich es dir nicht
geben kann, so sprich in lautem, hartem Ton mit mir. Sag, saß du selbst Schulden hast,
die du zurückzahlen musst, dass du darum das Geld sofort brauchst!"
„Ist in Ordnung, ich werde tun, was du sagst!" Mit diesen Worten ging der Mann fort.
Am nächsten Tag, als viele Besucher zu Imam Hädi (a.s.) kamen und sich um ihn
scharten, trat der Mann hinzu, hielt den Beleg in der Hand und forderte das Geld.
Hadrat -e- Hädi (a.s.) antwortete mit ruhiger Stimme, dass er ihm das Geld noch nicht
geben könne. Er bat den Mann um Entschuldigung und versprach, ihm den Betrag so
schnell wie möglich aushändigen zu wollen.
Dieser schrie: „Ich will es sofort! Ich brauch es! Wenn einer der Angehörigen des Kalifen
mir Geld schuldete, würde er es mir sofort zurückgeben. Warum schiebst du die Zahlung
hinaus, du bist doch unser Imam?!"
Von diesem Vorfall hörte Mutiwakil. Um sich ins rechte Licht zu setzen, ordnete er an,
dem Imam 30000 Drachmen zukommen zu lassen.
Als man Hadrat -e- Hadi (a.s.) das Geld überreichte, gab dieser es dem Mann und sprach: „Gib mir nun den Beleg zurück, nimm das Geld und tue Gutes, soviel du nur kannst!"
Der Mann aus der Steppe antwortete: „O Imam! Soviel Geld schulde ich nicht! Doch hab Dank! Gott weiß wahrhaftig am besten, in wessen Hände er das Imamat legt!" Folgender Zusatz ist hier angebracht: Über das öffentliche Guthaben (Bayt ul Mal), das in die Hände des Kalifen gelangte, hatte von Rechts wegen der Imam zu verfügen. Dieser versuchte daher, den Muslimen auf friedlichem Wege zu ihrem Recht am „Bayt ul Mal" zu verhelfen. Somit verhinderte er u.a., dass das Geld für Sinnlosigkeiten ausgegeben, verpraßt und vergeudet wurde und erreichte, dass die rechtmäßigen Eigentümer - soweit es möglich war - zu ihrem Recht kamen.
Mutiwakil war schwer erkrankt. Die Ärzte warem am Ende mit ihrem Latein und wußten
nicht, wie sie ihm helfen konnten. Tag für Tag ging es ihm schlechter, bis er schließlich
so elendig dalag, dass alle glaubten, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Seine
Mutter, die einst ein kleines Sklavenmädchen aus Churäzm (eine Gegend nördlich von
Maschhad) war und von guter Gesinnung, versprach Gott, Imam Hädi (a.s.) eine
ansehnliche Geldsumme zur Verfügung zu stellen, falls ihr Sohn wieder gesund würde.
Hierzu mußt du wissen, das die Gelder und Werte, die den Imamen übergeben wurden,
für wohltätige Dinge ausgegeben wurden. Nun aber witer in unserer Geschichte.
Abgesehen davon hatte die Mutter Mutiwakils Faht Ibn Chäqän, den Wezir, gebeten, den
Imam im Zusammenhang mit der Erkrankung ihres Sohnes um Rat zu bitten.
Fath Ibn Chäqän fragte daraufhin Mutiwakil: „Wenn du einverstanden bist, werde ich
einen Gelehrten zu dem Nachkommen des Propheten schicken. Vielleicht kennt er ein
Heilmittel, dass dir helfen kann.!"
Mutiwakil meinte: „Gut! Schaden kann es ja nicht!"
So schickten sie jemanden zu dem Imam und legten ihm den Sachverhalt dar. Dieser
nannte eine sehr einfache Arznei. Alle am Hofe, die von der Antwort Imam Hädis (a.s.)
hörten, begannen laut zu lachen.
Fath Ibn Chäqän aber meinte: „Dieses Heilmittel auszuprobieren, kann jedenfalls nicht
schaden!"
Als sie Mutiwakil mit der Arznei behandelten, wurde er sofort gesund.
Seine Mutter hielt ihrem Gelöbnis die Treue, tat 10000 Dinar in einen Beutel,
verplombte seinen Verschluss und schickte ihn durch zwei Unbekannte zu Imam Hädi
(a.s.).
Nachdem Mutiwakil völlig genesen war und wieder aufstehen und laufen konnte, kamen
einige seiner Regierungsspitzel zu ihm und sagten: „Was sitzt du noch immer untätig
herum und unternimmst nichts! Die Freunde Hädis sind dabei, ihm beutelweise Geld
sowie Waffen über Waffen zukommen zu lassen. Er mobilisiert sich und seine Anhänger
zu einem Krieg gegen dich!"
Mutiwakil bekam es mit der Angst zu tun. Er ließ Sa'id Hägib zu sich rufen und sagte zu
ihm: „Gegen Mitternacht schleicht unerkannt zum Hause des Imam und bringt alles,
was sich in seinem Hause an Geld und Waffen befindet, her!"
Sa'id Hägib berichtete später: „Gegen Mitternacht schlichen wir uns mit einer Leiter
zum Hause des Imam. Wir stiegen auf das Dach und drangen von dort aus in das Haus
ein. Der Imam kniete auf einer Matte und betete. Wir sagte ihm, was wir wollten. Er
antwortete ruhig und höflich: „Geht nur und durchsucht das Haus! Nehmt mit, was ihr
findet!"
Wir durchsuchten alles, sämtliche Zimmer, Kammern und Winkel. Überall, wo etwas sein konnte, suchte wir nach. Jedoch wir fanden nichts. Bis auf das Geldsäckchen, das mit dem Siegel der Mutter Mutiwakils verschlossen und noch nicht geöffnet worden war und einem anderen, ebenfalls noch versiegeltem Geldbeutel.
Dort, wo der Imam kniete, lag gleich neben ihm ein Schwert mit einem Holzgriff. Dieses und die beiden Geldbeutel nahmen wir mit und brachten alles Mutiwakil. Als dieser den Geldbeutel mit dem Siegel seiner Mutter sah, ließ er sie zu sich kommen und fragte, was das zu bedeuten habe. Seine Mutter antwortete ihm: „Als du krank warst, habe ich Gott gelobt, Imam Hädi (a.s.) - zu Wohltätigkeitszwecken - einen großen Geldbetrag zu schicken. Als du gesund wurdest, erfüllte ich mein Gelöbnis. Das Geld legte ich in dieses Säckchen, versiegelte es und schickte es ihm. Ich sehe aber, dass es noch nicht geöffnet wurde. In dem anderen Beutel, der ebenfalls fest verschlossen ist, befinden sich vierhundert Dinar. Auch dieses Geld hatte ich ihm zu irgendwelchen karitativen Zwecken geschickt, aber wie du siehst, ist es ebenfalls noch nicht angebrochen worden. Ja, so war es, mein Sohn!" Mutiwakil ließ das Geld Imam Hädi zurückbringen.
Sa'id erzählte: „Als ich es Hadrat -e- Hädi brachte, ihn um Entschuldigung bat und ihm erklärte, dass im Palast etliche seien, die gegen ihn intrigierten und Feindseligkeiten und Haß gegen ihn schürten, antwortete er lediglich: „Jene, die Unrecht tun, werden bald wissen, welche Strafe sie ereilt."" (Koran, Sure 26, Vers 277)
143. Ein geliebter Gefangener...
Imam Hassan Askari (a.s.) verbrachte einen Großteil der Zeit seines Imamats im Militärgefängnis zu Samara. Der Gefängnisdirektor wara damals ein Mann namens Sälih Ibn Wasif. Eines Tages begegneten einige der engen erater des Kalifen Sälih und sagten: „Setze ihn unter Druck, so sehr du kannst! Nimm keine Rücksicht auf ihn! Gönn ihm keine Ruhe und mach ihm das Dasein schwer!"
Sälih meinte: „Noch schlimmer als ich ihm jetzt schon zusetze, geht es nicht. Wir lassen ihn keinen Augenblick unbewacht, und was Härte und Rohheit anbelangt..., nun, so haben wir alles Erdenkliche getan. Ich habe die übelsten Aufseher, die mir zur Verfügung standen, zu seiner Bewachung angeordnet, nämlich Yäramasch und Aqtämasch.
Doch diese beiden sind angesichts seines guten und freundlichen Verhaltens nun völlig verändert. Sie sind gottesfürchtig geworden, gut und tugendhaft und verbringen jede freie Minute mit Gebet und Du'ä.
Wir haben ehrlich gesagt auch keinen Grund, den Gefangenen noch schlimmer zu behndeln, denn er tut nichts, was uns dazu veranlassen könnte. Niemand darf ihn besuchen. Er ißt nur gerade soviel, um nicht zu sterben, fastet jeden Tag und versinkt des Nachts in Gottesanbetung. Niemals fordert oder wünscht er etwas von uns. Er redet nicht, protestiert nicht, schimpft und flucht nicht. ER macht uns keinerlei Mühe und Arbeit. Sein Blick ist der der Propheten und großen Gottesmänner und sein Verhalten ist engelsgleich. Jeder, er ihm irgendeine Frechheit an den Kopf wirft, geht beschämt und zerknirscht davon. Und jeder, den wir ihm bisher als Wärter schickten, ist auch wenn er zuvor noch so grausam und rabiat war, nach einigen Tagen Kontakt mit dem Imam lammfromm und weichherzig. Zudem befürchte ich, dass wir beim Kalifen in Ungnade fallen könnten, wenn wir das Maß überschreiten. Immerhin ist zu grundloser Härte und Folter eine Sondergenehmigung notwendig. Der Kalif hat Vertrauen zu mir und das größte und bedeutendste Gefängnis mir überantwortet. Bis jetzt ist noch keine Anweisung an mich ergangen, den Imam noch mehr zu quälen, als wir es schon tun. Wenn ihr wollt, so geht zum Kalifen und sprecht mit ihm.
Wenn er einverstanden ist, bringt mir eine schriftliche Anordnung von ihm, nach der ich
mich dann richten werden."
Sie antworteten: „Genau das werden wir auch tun", gingen fort und kamen nie wieder
zurück!
Wie schon gesagt: Imam Askari (a.s.) verbrachte die Zeit seines Imamats entweder im
Gefängnis oder unter strenger Bewachung in seinem Haus, das sich -
gezwungenerweise - auf dem Militärgelände zu Samara befand. Sechs Abbassiden-
Kalifen: Mutiwakil, Muntasir, Musta'in, Mu'taz Muhtadi und Mu'tamid herrschten -
nacheinander - zu seiner Zeit. Die beiden letztgenannten wie auch Mu'tadid, der auf der
Warteliste stand, hegten ganz besondere Feindseligkeit und Haß gegen den Imam. Sie
zeigten ihre Abneigung deutlich und unverblümt. Durch Spitzel ließen sie ihn
beobachten und lebten ständig in Sorge, dass jemand mit ihm Kontakt aufnehmen
könnte.
Auch wenn sie seine Anhänger und Freunde fürchteten, so bestanden sie darauf, ihn
unter irgendwelchen fadenscheinigen Vorwänden gefangen bzw. in seinem Hause unter
strengem Arrest zu halten.
Eines Tages, als sie Imam Hassan Askari (a.s.) und seinen Bruder Ğa'far Ibn Ali ins
Gefängnis brachten, hatte der kalif sie Ali Ibn Chazin überantwortet und erkundigte sich
hin und wieder nach ihrem Befinden.
Ali berichtete dann: „Außer mit Beten, Fasten und Koranrezitationen beschäftigt sich der
Imam mit nichts."
Eines Tages dann, als Mu'tamid Kalif war, sagte er: „Ali, geh zu Hassan Ibn Ali und sage
ihm: Du bist frei! Du kannst nach Hause gehen! (Allerdings stand dieses Zuhause - wie
wir bereits erwähnten - unter ständiger Kontrolle. Dennoch, es war sein Zuhause, in
dem er mit seiner Familie lebte...)
Ali Ibn Chazim erzählte: „Ich kam ans Gefängnistor und sah, dass Imam Hassan Askari
(a.s.), gekleidet in seine üblichen Gewänder, dort stand, - bereit zum Fortgehen. Als ich
ihm die Botschaft Mu'tamids ausrichtete, blieb er dennoch abwartend stehen.
Ich fragte: „Warum wartest du noch?"
Er: „Ich warte auf Ğa'far, damit er mit mir kommt."
Ich: „Der Kalif hat mir aufgetragen, dich freizulassen, nicht Ğa'far!"
Er: „So kehre um zu dem Kalifen und sag ihm: Wir, Ğa'far und ich, sind aus einem
Hause gekommen und allein werde ich nicht zurückkehren! Wenn Ğa'far nicht mit mir
kommen kann, wird es in der Stadt zu Gerede kommen, in das du verwickelt sein wirst!"
Ali Ibn Chazin ging und kam nach einiger Zeit zurück. Sagte: „Der Kalif läßt dir
ausrichten, das du unschuldig bist, aber nicht Ğa'far! Er ist zwar dein Bruder, aber dir in
keinster Weise gleich. Doch deinetwegen will er ihn ebenfalls auf freien Fuß setzen."
So kam es, dass beide gemeinsam zu ihren Familien zurückkehren konnten.
Noch eins: Dieser Ğa'far Ibn Ali, ein Bruder Imam Hassan Askaris, ist der gleiche Ğa'far
der nach dem Schahädat des Imams seinen selbstsüchtigen Verlangen nicht
widerstehen konnte und sich fälschlicherweise als Nachfolger Imam Hassans (a.s.)
ausgab.
Aus diesem Grunde wird er auch als „Ğa'far , der Lügner" bezeichnet. Der Zwölfte
Imam, Imam Mehdi (a.s.), machte die Leute auf die erlogene Behauptung aufmerksam.
145. Der Imam und der „arabische Philosoph"
Es lebte zu jener Zeit ein Mann namens Ishäq Kandi, der sich in den Wissenschaften
Literatur, Medizin, Sternkunde und Philosophie auskannte. Er war Anhänger einer
sunnitischen Sekte, und die derzeitigen Kalifen schätzten ihn sehr.
Da er die griechische Sprache beherrschte und einige Werke griechischer Denker ins
Arabische übersetzt hatte, bezeichnete man ihn als „arabischen Philosophen". Er
unterrichtete, hielt Vorlesungen und schrieb einige Bücher.
Nach und nach bildete Ishäq Kandi sich etwas auf sein Wissen ein. Er wurde hochmütig
und legte sich seltsame Ansichten zu. Eines Tages kam er auf die Idee, ein Buch über
die „Widersprüche des Koran" zu schreiben. Er begann damit, und als einige Gelehrte
ihn deswegen rügten, stellte er seinen Unterricht ein und blieb zu Hause, um sein Buch
zu Ende zu bringen. Dieses war zur Zeit des Kalifats Mu'tamids.
Einer seiner ehemaligen Studenten, der zugleich ein Anhänger Imam Askaris (a.s.) war
und über diese Angelegenheit Bescheid wußte, berichtete dem Imam davon und sagte:
„Kandi ist dabei, ein solches Buch zu schreiben! Seine Ansichten können Anlaß zu
Unruhe, Zerwürfnis, Spaltung und Verwirrung sein! Ist es nicht besser, wir gehen zu
ihm, um ihn daran zu hindern?"
„Nein", sagte der Imam. „Er ist Fachmann auf dem Gebiet der Literatur und anderer
Wissenschaften. Würden wir das tun, könnte sein Image in den Augen Ahnungsloser um
etliches anwachsen. Um ihn von seinem Irrweg, den er für sich gewählt hat, wieder auf
den rechten Weg zurückzubringen, ist ein kluger, umsichtiger Mitarbeiter für ihn
notwendig!"
Der Student meinte: „Ach, er ist zu selbstgefällig geworden und bildet sich auf sein
Wissen etwas ein. Er wird überhaupt niemandem, der etwas gegen ihn sagt, zuhören.
Und auch wir, die wir seine Schüler waren, können ihn nicht kritisieren. Er ist ein
redegewandter Philosoph, so leicht ist ihm nicht beizukommen!"
„Wenn du ihm auf seinem gedanklichen Weg begegnest, so ist es möglich", sagte der
Imam.
„Ich werde dir sagen, wie du das bewerkstelligen kannst."
Er lehrte ihn einige Geheimnisse zur Rechtleitung der Menschen und fügte noch hinzu:
„Mit Leuten, die auf einen Irrweg geraten, aber gebildet und redegewandt sind, ist in
dieser Weise umzugehen."
Der Student hatte sich die Tipps des Imam gut gemerkt und ging zu Ishäq Kandi. Er
verhielt sich diesem gegenüber freundlich und entgegenkommend, war bescheiden und
fragte ihn vieles. Schließlich schlug er ihm vor, ihm gerne bei dem Buch helfen zu
wollen...
Nach einer Weile, als Kandi begann, diesem einzigen Schüler, der ihm noch geblieben
war, zu vertrauen, sagte dieser zu ihm: „Eine Frage geht mir nicht aus dem Kopf. Ich
würde sie gern nennen, aber ich befürchte, sie könnte dreist und unverfroren sein!"
„Warum sollte es unverfroren sein, zu fragen? Unsere Arbeit ist eine wissenschaftliche.
Wenn Fragen ausgeschaltet würden, könnte es sein, dass mir arge Fehler unterlaufen.
Niemals hätte ich dann die Gelegenheit, meine Arbeit vor ihrer Veröffentlichung zu
korrigieren! Darum frag alles, was du wissen möchtest. Vielleicht bringt uns das einen
Schritt weiter oder wir stoßen auf einen interessanten Punkt, der mit einzubeziehen ist!"
Der Schüler sagte: „Du hast hier und da die Worte des Koran zu deuten versucht und
das, was du zu erkennen glaubtest, niedergeschrieben bzw. u.a. auch heftig kritisiert.
Ich weiß nicht, aber seit der Hinabsendung des Koran bis heute sind 250 Jahre
vergangen. Alles, was die Gegner bisher an Kritik anbrachten, ist ihnen beantwortet
worden. Bisweilen irrten sie sich hinsichtlich einiger Aufhebungen koranischer
Weisungen, die zuvor notwendig waren, danach aber nicht mehr..., beziehungsweise in
Bezug auf erforderliche Ergänzungen.
Manchmal übersahen sie, in welchem Zusammenhang ein betreffender Vers hinabgesandt ward. Dann kam es vor, dass sie den Sinn nicht richtig begriffen oder sie verließen sich auf das, was andere sagten und berichteten, ohne selbst nachzudenken, ohne selbst nachzuprüfen und festzustellen, ob das, was man ihnen sagte, überhaupt der Wahrheit entsprach oder aber die Überlieferungen, die sie wiedergaben, korrekt waren oder nicht??
Bist du sicher, dass das, was du hier in deinem Buch zu den Versen des Heiligen Koran schreibst, genau das ist, was Gott gemeint hat?! Ist es ausgeschlossen, dass du dich bei deiner Auslegung, wenn auch nur geringfügig, geirrt haben kannst??" Ishäq entgegnete: „Was du sagst, ist richtig. Die Wahrscheinlichkeit, dass hin und wieder Irrtümer unterlaufen, besteht immer. Auch Sokrates und Platon halten es für wahrscheinlich, dass in ihren Arbeiten einige Fehler enthalten sein können. Sokrates ging sogar noch weiter und sagte: 'Ich will niemanden etwas lehren, sondern frage nur. Mittels meiner verschiedenen Fragen bemühe ich mich, der Wahrheit näher zu kommen'."
Der Student meinte: „Hat er das gesagt? Dann kann Sokrates kein gewissenloser und selbstherrlicher Mensch gewesen sein! Doch immerhin: Die göttliche Offenbarung zu untersuchen, ist mit weitaus mehr Verantwortung verbunden, als die Themen zu bearbeiten, mit denen sich Sokrates befaßte. Darum möchte ich etwas vorschlagen: Wie wäre es, wenn auch du - wie Sokrates - deine Gedanken und Meinungen einem Gremium in Form von Fragen vorstellst und erlaubst, dass auch andere ihre Ansichten dazu äußern. Auf diese Weise kannst du, wenn sie ebenfalls deiner Auffassung sind, sicher sein, dass das, was du sagst, stimmt. Und wenn Fehler vorhanden sind, können sie berichtigt werden.
Jedenfalls wird somit unter deinem Namen kein Buch veröffentlicht werden, das fehlerhaft ist und mit dem du dir einen schlechten Ruf einhandelst." Ishäq wand ein: „Das, was ich in diesem Buch schreibe, kann ich nicht zur Diskussion stellen, da die meisten dagegen sind. Damit werde ich nur böses Blut schaffen." „Aber, aber", entgegnete der Student, „wenn du weißt, dass die meisten mit deinen Ansichten nicht einverstanden sind und deine Arbeit ablehnen..., nun, für wen willst du dann dieses Buch schreiben? Warum willst du die wertvolle Zeit deines Lebens dann mit solchen Abhandlungen vertun?
Wenn du es für dein jenseitiges Leben tust, so weißt du selbst, dass du es dir mit deinem Krieg gegen das Wort Gottes selbst zerstörst. Tust du es aber irdischen Ruhms oder dergleichen wegen, so sagst du selbst, dass die meisten dagegen sind. Du wirst also wenig Leser und Käufer für dein Buch finden. Was für einen Nutzen hätte es also?! Ich bitte vielmals um Entschuldigung, dass ich so spreche, doch da ich dich schätze, rate ich dir, davon abzusehen! Diese Arbeit erfordert viel Zeit und Mühe. Wenn sie beendet ist, hast du auch keinen Seelenfrieden. Dein Jenseits hst du dir damit verdorben, und auch in dieser Welt stößt du auf Ablehnung und Feindschaft. Wenn du stattdessen über, sagen wir einmal, die geographische Lage Chinas oder das Leben einer blinden Maus schreiben würdest, so wäre das weitaus vernünftiger. So könntest du wenigstens auf deine eigenen Nachforschungen stolz sein und deine Ergebnisse der Öffentlichkeit unbesorgt mitteilen. Niemand wird dich verdammen, Probleme schaffst du dir damit nicht an den Hals und - darüber hinaus - wirst du niemanden auf einen Irrweg führen. Du erhälst dir ein friedliches Leben in dieser Welt und verdirbst dir nicht das jenseitige! Stimmts??"
Ishäq Kandi erwiderte: „Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit Philosophie und dergleichen beschäftigt. Aus deiner Rede spüre ich ein wenig Weisheit heraus. Bitte, wiederhole sie, damit ich sie noch einmal genau höre und über sie nachdenke." Noch einmal sagte der Student das, was er vorher bereits gesagt hatte, nur mit einfacheren Worten und weiteren Erklärungen.
Als er geendet hatte, dachte Ishaq ein wenig nach und meinte dann: „Was du sagst,
stimmt. Doch sag mir eins: Von wem hast du deine Worte?"
Der Student antwortete: „Ich sagte, was ich auf dem Herzen hatte!"
Darauf Ishäq :"Ich habe es gehört. Es drang in mein Herz hinein. Doch es ist nicht von
dir! Jemand, der klüger und weiser ist als du und ich, muß es dich gelehrt haben!"
„Du hast recht! Die Wahrheit ist die, dass mich Imam Hassan Askari (a.s.) zu dir
schickte. Er riet mir, dir bei deiner Arbeit zu helfen und zuzuschauen. Da ich eine
Zeitlang dein Schüler war, mußte ich dein Recht, das du als mein Lehrer an mir hast,
wahren, doch dich ebenfalls zu gegebener Zeit und zwar mit richtigen Worten auf das,
was zu sagen war, hinweisen!"
Ishäq darauf: „Jetzt mein Sohn, hast du die Wahrheit gesagt! Weißt du, niemand kennt
das Geheimnis zu Rechtleitung so gut wie jene aus dem Hause des Gesandten Gottes."
Mit diesen Worten holte er alles, was er zu dem Thema geschrieben hatte, herbei,
zündete es an und meinte: „Ich selbst litt unter diesem Geschreibsel! Nun fühle ich mich
befreit. Geh und grüß den Imam herzlich von mir!"
Wenngleich die Abbassiden-Kalifen die Unfehlbaren Imame nicht mochten, sie
insgeheim oder auch offenkundig unter Druck setzten und ihnen das Leben schwer
machten, so versuchten sie dennoch weitgehend, sie dem Anschein nach zu würdigen...,
der Leute und ihrer trügerischen Politik wegen.
Aus diesem Grunde täuschten sie, sobald sie einen Imam (a.s.) auf irgendeine Weise
ums Leben gebracht hatten, große Trauer vor und gaben sich alle erdenkliche Mühe,
sein Schahädat (Märtyrertod auf Gottes Wege) als natürlichen Tod darzustellen.
Sogar nach Imam Askari (a.s.), zu Zeiten des großen Gaybats - d.h. der Zeit des
Verborgenseins Imam Mahdis (a.s.) - verfuhren die Kalifen nach dieser Methode und
besuchten die Grabmäler der dahingegangenen Imame.
Mustansir war der 36. Abbassidenkalif, der von 623 bis 640 n.d.H. regierte. Folgende
Begebenheit berichtet Ali Ibn Issä Arbali, ein großer schiitischer Gelehrter und Verfasser
des Buches „Kaschf ul Gumah", der im Jahre 693 n.d. H. Starb.
Er berichtet: „Einer meiner Freunde erzählte mir, dass der Abbassidenkalif Mustansir zu
Beginn seiner Regentschaft nach Samara (Haram Käzimayn) ging, um die Grabstätten
Imam Hädis (a.s.) und Imam Askaris (a.s.) zu besuchen.
Anschließend suchte er die Grabmäler der ihm vorausgegangenen Kalifen, seines Vaters
und seiner Vorväter auf.
Ihre Mausuleen befanden sich in einem ziemlich schlechten Zustand. Wände und Türen
waren verwittert, teilweise verfallen und beschmutzt mit Vogeldreck.
Ich selbst gehörte zu jenen, die den Kalifen dorthin begleitet hatten. Jemand sagte zu
ihm: „O Kalif! Du bist der Herrscher eines riesigen Gebietes. Alles ist in deiner Hand und
deine Macht ist groß! Dennoch sind die Grabmäler deiner Väter in einem solch
miserablen Zustand?? Niemand besucht sie und niemand aus der Bevölkerung erinnert
sich an sie!
Die Grabstätten der Nachkommen des Propheten aber..., seht nur, wie prächtig und gut
sie erhalten sind. Leute sind da, die sie pflegen und instandhalten, und viele kommen,
um die Gräber der Imam (a.s.) zu besuchen, um bei ihnen zu beten und Du'äs
(Bittgebete) zu sprechen!"
Der Kalif antwortete: „Ja, ich weiß auch nicht, warum das so ist. Aber das es so ist, sehe
ich auch! Die Leute lieben die Imame, das ist offensichtlich! Meine Väter aber haben sie
gar nicht gern! So ist das nun einmal, dagegen kann man nichts machen. Wollte ich die
Leute dazu zwingen, die Gräber meiner Väter zu besuchen, so kämen sie womöglich, aber in ihren Herzen wüchse der Groll gegen uns noch stärker an!
Eins ist sicher! Man kann durch Gewalt und Macht die Herrschaft zwar an sich reißen, doch Liebe und Zuneigung ist eine Angelegenheit des Herzen. Mit Gewalt und Zwang ist da nichts zu erreichen!""
147. Vom wahren Imam und seinem Lügenonkel...
Der Gesandte Gottes, Hadrat -e- Muhammad (s.a.s.) hatte einen bösen Onkel namens
Abu Lahab. Auch der zwölfte Imam, Imam Mahdi (a.s.), war mit einem solchen Onkel -
Ğa'far - konfrontiert. Abu Lahab wurde möglicherweise von den Gegnern des Propheten
anerkannt, doch Ğa'far war weder Freund noch Feind als ehrlicher Mann bekannt,
weshalb man ihn „Ğa'far, den Lügner" nannte.
In der islamischen Geschichte sind zwei Männer als Lügner populär geworden, einmal
„Mussaylamah", der sich als Prophet ausgab und sich als „Mussaylamah, der Lügner"
einen Namen gemacht hatte, und zum anderen „Ğa'far, der Lügner", der behauptete,
Imam und Nachfolger - Hadrat -e- Askaris (a.s.) zu sein. Von diesen beiden Männern ist
nichts geblieben als ihr schlechter Ruf.
Wir wissen, dass Imam Hassan Askari (a.s.) während der Zeit seines Imamats mehr im
Gefängnis zubrachte als in der Gemeinschaft der Muslime. Doch dieses, so traurig und
bedauerlich es war, hatte auch etwas Positives, bereitete es doch die Ummah, die
islamische Gemeinde, auf das „Gaybat Kubrä" Imam Mahdis (a.s.) vor.
Zu deiner Information: „Gaybat Kubrä" ist jene Zeit, in der sich der Zwölfte Imam auf
Geheiß Gottes hin den Menschen verborgen hält, um sich zu einem Zeitpunkt, den Gott
bestimmt, zu erkennen zu geben und die große Weltrevolution anzuführen, die Recht
und Gerechtigkeit auf Erden zum Siege verhilft.
Und noch eins: Der Zwölfte Imam (a.s.) lebt „inkognito" unter uns, das heißt in der
Gemeinschaft der Menschen und wirkt insgeheim.
Imam Mahdi (a.s.) wurde am 15. Tag des Monat Scha'bän, im Jahre 255 n.d.H.
geboren. Bis zur Zeit des Schahädats seines Vaters, des elften Imam, Imam Askaris
(a.s.), sahen nur sehr wenige Imam Mahdi (a.s.), d.h. nur einige besonders aufrichtige
Gottesfreunde. Die Allgemeinheit hatte keine Gelegenheit dazu. Diese
Vorsichtsmaßnahmen waren notwendig, da jene Zeit sehr trübe und finster, voller
Gefahren und Intrigen war. Der Feind lauerte im Hinterhalt, und Gottes Wille war, dass
das Geheimnis seiner Existens gewahrt bliebe.
Als dann im Jahre 260 Imam Hassan Askari (a.s.) das Schahädat fand, glaubte sein
Bruder Ğa'far, dass die Stunde des Glücks für ihn geschlagen habe. Er behauptete: „Ich
bin der Nachfolger meines Bruders, ich bin der neue Imam der Muslime!"
Doch das einzige, was ihm zufiel, war sein Erbanteil aus der Hinterlassenschaft des
Imam.
Da Gott wollte, dass der Zwölfte Imam unerkannt blieb, wahrten die Anhänger und
Freunde des Imam wie auch die speziellen Vertreter Imam Hassan Askaris (a.s.), die
nach diesem ebenfalls in Vertretung Imam Mahdis (a.s.) die Angelegenheiten der
Muslime regelten, das Geheimnis.
Schließlich teilte der Kalif Mu'tamid in Absprache mit seinen offiziellen Notaren den
Besitz Imam Hassan Askaris (a.s.) - laut Testament Hadrat -e- Hassans (a.s.), das
dessen Mutter in Händen hatte - gemäß Sitte und Brauch unter ihr und Ğa'far auf.
Ğa'far jedoch wollte nicht mehr...
Dennoch, so sehr er auch hin und her überlegte..., er hatte keine Chance. Das Imamat
blieb ihm verwehrt. Die Gegner der Nachkommen des Gesandten Gottes (s.a.s.) waren
sowieso gegen das Imamat, - die Freunde des Imamats aber akzeptierten Ğa'far nicht.
Sie wußten immerhin über die Existenz des rechtmäßigen Nachfolgers Imam Hassan
Askaris (a.s.) Bescheid.
An jenem Tag, als man am Leichnam Imam Askaris das Totengebet verrichten wollte,
hüllte sich der derzeitige Kalif dem Schein nach in Trauer, und ganz Samara schluchzte
und klagte...
Abu Issä, der Sohn des Abbassidenkalifen Mutiwakil, sollte offiziellerseits das Gebet
zelebrieren.
Da kam Ğa'far hinzu und erhob Anspruch auf diese Ehre. Er sagte, diese Aufgabe und
Verpflichtung gebühre ihm!
Zu deiner Information: Das Totengebet am Leichnam eines der Imame (a.s.) zu
sprechen, oblag dessen Nachfolger.
Und genau das war es, was Ğa'far damit bezweckte, nämlich das Imamat an sich zu
reißen.
Kurz: Ğa'far wollte, um sich als Imam vorzustellen, das Totengebet am Leichnam seines
Bruders sprechen. Er wollte damit in den Freunden und Anhängern Mahdis Zweifel und
Unsicherheit wachrufen.
Der Überlieferer dieser Begebenheit - Abu-I-Adiyän - berichtet: Mit einem Male sah ich
ein Kind auf Ğa'far zutreten. Es zog ihn an seinem Ärmel beiseite und sprach: „Geh zur
Seite, Onkel, und bleib dort hinten stehen! Das Totengebet am Leichnam meines Vaters
zu sprechen gebührt mir, nicht dir!"
Daraufhin verrichtete er das Totengebet. Ğa'far geriet in höchstes Erstaunen, als er mit
einem Male den Knaben vor sich sah. Dieser aber, Imam Mahdi (a.s.), entschwand
genau so plötzlich wieder den Blicken der Anwesenden.
Einige Tage darauf ging Ğa'far zum Kalifen und sagte: „Das Imamat, das dir
möglicherweise nicht sonderlich wichtig erscheint, ist jedoch von großem Einfluß. Paß
auf! Sieh zu, dass es in deine Hände kommt! Setz mich als Imam ein, und ich
verspreche dir, dir die Anhänger Alh-ul-Bayts (Schiiten) gefügig zu machen und zudem
jährlich zwanzigtausend Dinar in deine Taschen fließen zu lassen."
Mu'tamid antwortete: „Dieses eine hängt nun nicht von uns ab. Keinen der Imame hat
bisher einer von uns eingesetzt. Sie waren alle von vornherein zu diesem Amt
vorgesehen worden und die Muslime kannten sie. Da diese sie kannten, waren auch wir
Kalifen gezwungen, sie ebenfalls als Imame anzuerkennen, ob es uns nun paßte oder
nicht. Hätten wir das nicht getan, so hätten wir einen schweren Stand in der Ummah
(Islamische Gemeinde) gehabt.
Wenn du aber das Zeug dazu hast, so versuche, die Leute auf deine Seite zu bringen
und ihnen einzureden, dich als Imam zu akzeptieren. Das wäre mir schon recht, und
Schwierigkeiten gäbe es dann für das Kalifat nicht mehr. Tu, was du kannst. Viel
Erfolg!"
Ğa'far meinte: „Ich allein kann nichts bewerkstelligen. Die Leute werden nicht auf meine
Worte hören! Ich brauche dazu einen offiziellen Posten und deine Bestätigung!"
Mu'tamid entgegnete: „Weißt du, der offizielle Posten, von dem du da sprichst, hat nun
aber mit dem Imamat nichts mehr zu tun, sondern vielmehr mit dem Kalifat. Und das
Kalifat ist nun einmal in meiner Hand. Ich aber werde dir selbst das Amt eines Richters
nicht zubilligen.
Deswegen, weil du das, was ein Richter wissen muß, nicht weißt. Du als Richter würdest
mein Image in der Gesellschaft ruinieren!
Nein, nein! Geh und such nach einer anderen Lösung für dich!"
Man brachte Ğa'far aus dem Palast hinaus und solange er lebte, erhielt er nicht mehr
die Erlaubnis zu einer Audienz beim Kalifen. Überall erging es ihm so. Niemand wollte
oder duldete ihn! Er war und bleib „Ğa'far, der Lügner", bis zu seinem Lebensende...
Ğa'far war das schwarze Schaf der Familie, ebenso wie der Sohn des Propheten Noah
das schwarze Schaf seiner Familie war.
In dem Buch „A'läm ul Warä", das uns Scheich Tabarassi zur Verfügung stellte, gibt es einige Ahädith unserer Unfehlbaren Imame, in denen von Gemeinsamkeiten zwischen Imam Mahdi (a.s.) und einiger Propheten gesprochen wird. Da es interssant ist, darüber Bescheid zu wissen, wollen wir abschließend auf einige hinweisen.
Gemeinsamkeiten
mit dem Propheten Moses (a.s.):
Ihrer Geburt trug sich in aller Verschwiegenheit zu, da der gewaltmächtige Herrscher
ihrer Zeit beabsichtigte, sie zu töten. (Sa'id Ibn Ğubayr, nach Imam Sagäd (a.s.),
nachzulesen auf Seite 551 des Eingangs genannten Buches. Zudem ein diesbezüglicher
Hinweis von Imam Askari (a.s.), der auf Seite 543 zu finden ist.)
Gemeinsam ist ihnen also ihre insgeheime Geburt als auch die Vorsicht, die sie zu
Beginn ihres Wirkens walten ließen.
Zudem: Etliche der Anhänger Moses wandten sich von ihm und der göttlichen Lehre ab,
als er sich vorübergehend zurückzog. (Abi Basir, nach Imam Bäqir (a.s.), S. 552)
Auch die Freunde und Anhänger Imam Zamäns (Imam Mahdi (a.s.)) haben während
seiner langwährenden Abwesenheit so manchem Druck und Unrecht ihrer Feinde
standzuhalten, bis dass dieser auf Gottes Anordnung hin erscheinen wird, um die große
Weltrevolution anzuführen.
(Muhammad Ibn Muslim, nach Imam Bäqir (a.s.), S. 553)
Mit Gottes Willen werden die Voraussetzungen zu seinem Erscheinen plötzlich gegeben
sein. Ebenso wie bei Moses, der sich auf den Weg machte, unterwegs in der Steppe -
unter dem brennenden Baum - von seiner Prophetenschaft erfuhr und dann nach
Ägypten zog, um sich gegen Pharao zu erheben und seinem Volk zur Freiheit zu
verhelfen. (Abdul 'Azim Hassani, nach Imam Gawäd, S. 560)
Daraufhin, als sich Moses von den Kindern Israel vierzig Tage lang zurückzog, um auf
dem Berge Tur in Gottesanbetung zu versinken, wandten sich etliche von ihnen von
ihrem Ein-Gott-Glauben wieder ab und gerieten in arge Verirrung.
Auch unter den Muslimen gibt es die, die während der Zeit des „Ğaybat Kubrä" Imam
Mahdis (a.s.) auf ein Irrgleis gerieten. Dann, nach seinem langen Verborgensein, dessen
Ende Gott bestimmt, wird er gleich einem strahlenden Stern erscheinen.
(Abu Basir, nach Imam Sädiq (a.s.))
Mit Jesus Christus (a.s.):
Imam Mahdi (a.s.) wurde schon als kleines Kind zum Imamat berufen, ebenso wie Jesus
Christus (a.s.) noch in der Krippe lag, als er auf seine Prophetenschaft hinwies. Es gab
jene, die sowohl das Imamat Imam Mahdis (a.s.) leugneten, als auch die
Prophetenschaft Jesu Christi (a.s.). (S. 541)
Einige Betrogene und in die Irre Gegangene zweifeln an so manchen Wahrheiten, die
Imam Zamän und Jesus betreffen. Stattdessen beharren sie z.B. darauf, dass jesus den
Kreuzestod starb, wohingegen er lebt, wie uns der Koran wissen läßt.
(Abu Basir, nach Imam Bäqir (a.s.) S. 552)
Hinzuweisen ist auf die Pro- und Kontra-Ansichten im Zusammenhang mit der Geburt
Jesu Christi als auch auf die Überzeugung so mancher, dass er ans Kreuz geschlagen
und auf diese Weise gestorben sei.
(Muhammad Ibn Muslim, nach Imam Bäqir (a.s.), S. 553)
Mit Johannes, dem Täufer (a.s.):
Beide wurden schon in ihrer Kindheit mit der göttlichen Mission beauftragt. (S. 541)
Mit Noah (a.s.):
Gemeinsam ist ihnen beiden ihr langes Leben. Noah (a.s.) wirkte 950 Jahre in seinem
Volk, wie uns der Koran wissen läßt.
(Sa'id Ibn Ğubayr, nach Imam Sagäd (a.s.), S. 55)
Mit Adam:
Auch er brauchte sich niemals einem anderen Menschen zu fügen. Kein
Gewaltmächtiger, dem er sich hätte beugen und kein Herrscher war, auf den er hätte
Rücksicht nehmen müsen.
(Abdul 'Azim Hassani, nach Imam Gawäd (a.s.), S. 560)
Mit Abraham (a.s.):
Er hielt sich von den Überzeugungen und Bräuchen der Leute seiner Zeit fern.
(Sa'id ibn Ğubayr, nach Imam Sagäd (a.s.), S. 55)
Bis zu seinem Lebensende war er geschützt gegen jegliches irrige Denken, - ebenso,
wie auch das Feuer, das Nimrud anzünden und in das er ihn werfen ließ, ihm nichts
anhaben konnte.
(Abi Dalaf, nach Imam Gawäd (a.s.), S. 561)
Mit Dulqarnayn (a.s.):
Etliche brachten ihm Zweifel und Mißtrauen entgegen. Er hielt sich eine zeitlang
verborgen.
Letztendlich wird der Imam erscheinen und seine Anordungen in Ost und West befolgt
werden.
(Mussä Bagdädi, nach Imam Askari (a.s.), S. 568)
Mit Hiob (a.s.):
Er erscheint nach langem, geduldigen Warten. Auch Hiob zeigte im Ertragen seiner
schweren Leiden unendlich viel Geduld, bis er endlich von ihnen erlöst wurde.
(Sa'id Ibn Ğubayr, nach Imam Sagäd (a.s.), S. 55)
Mit Chidr (a.s.):
Ebenso wie Chidr in jenes Schiff ein Loch bohrte, so dass es zu sinken begann, eine
schiefe Wand aufrichtete u.ä., und Moses (a.s.), der ihn begleitete, den Grund seines
Tuns nicht verstand, sind auch uns nicht alle Hintergründe und Geheimnisse des
Verborgenseins Imam Mahdis (a.s.) bekannt.
(Abu Sa'id, nach Imam Hassan Mugtabä (a.s.), S. 550)
Auch Chidr lebte unerkannt unter den Menschen, half ihnen, unterstütze die in Not
Geratenen, ebenso wie Imam Mahdi (a.s.), der inmitten der menschlichen Gemeinschaft
wirkt, doch sich nicht zu erkennen gibt, - es sei denn, Gott erlaubt es ihm. (Abdul 'Azim
Hassani, S. 560)
Mit Yunos (a.s.):
Nach langem Verborgensein erscheint er den Menschen - trotz hohen Alters - als junger
Mann. (Muhammad Ibn Muslim, nach Imam Bäqir (a.s.), S. 552)
Mit Josef (a.s.):
Auch er wartete, bis dass Gott seine Wartezeit beendete.
(Abu Basir, nach Imam Bäqir (a.s.), S. 552)
Er lebt unerkannt unter den Menschen. Ebenso wie Josef, dessen Brüder ihn nicht
erkannten, bis dass er sich selbst zu erkennen gab.
(Muhammad Ibn Muslim, nach Imam Bäqir (a.s.), S. 552)
Die Brüder erkannten Josef nicht, obgleich sie die Söhne eines Propheten und aus dem
Geschlecht der Propheten hervorgegangen waren. Als Josef erklärte: „Ich bin Josef und
das dort ist mein Bruder", begriffen sie.
(Sudayr Sayrafi, nach Imam Sädiq (a.s.), S. 555)
Auch Imam Mahdi (a.s.) ist in Straßen, Gassen, auf Plätzen usw. anzutreffen, doch die
Leute kennen ihn nicht, - bis dass die Zeit seines Erscheinens anbricht und er sich zu
erkennen gibt. (gleiche Angabe)
Mit dem Gesandten Gottes, Hadrat -e- Muhammad ( s.a.s .):
Sein Name ist der seine, ebenfalls sein Beiname. Die Art seines Redens, Verhaltens und
Vorgehens ist ebenfalls die des Propheten (s.a.s.). Gemeinsam ist ihnen ihr Gehorsam
Gott gegenüber.
(Abdul 'Azim Hassani, nach Imam Gawäd (a.s.), S. 560)
Das gleiche bringt Abu Dulaf zum Ausdruck.
(Abu Dulaf, nach Imam Gawäd (a.s.), S. 561)
Er wird mit dem Schwert gegen die Feinde Gottes zu Felde ziehen, und Gott wird ihm
helfen und ihm Erfolg schenken. Er schreitet unentwegt voran und setzt nicht einen
Schritt zurück.
(Muhammad Ibn Muslim, nach Imam Bäqir (a.s.), S. 553)
Wie verheißen wurde, wird sein Erscheinen in Mekka sein.
(Nach Imam Ridä (a.s.), S. 559)
Er wird für Gerechtigkeit in aller Welt sorgen und sein Wort wird in allen Ländern befolgt
werden. Er ist beispiellos in der gesamten Menschheitsgeschichte.
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