Das Wahre und das Falsche

Schahid Ajatollah Prof. Morteza Motahhari

Ursprünglich Herausgegeben von:

Islamisches Führungsministerium
Seminar für die Renaissance des islamischen Denkens
anläßlich des dritten Jahrestages des Martyriums von Schahid Morteza Motahhari, Teheran April 1982

Überarbeitet und neu herausgegeben von:

Islamischer Weg e.V., Delmenhorst 1999

 

Inhaltsverzeichnis

Seite

Abkürzungen

Ansprache Imam Khomeinis (r.a.) an das Volk einen Tag nach dem Martyrium Schahid Morteza Motahharis

Ansprache Imam Khomeinis (r.a.) anläßlich des ersten Jahrestages des Martyriums Schahid Motahharis

Ansprache Imam Khomeinis (r.a.) anläßlich des zweiten Jahrestags des Martyriums Schahid Motahharis

Lebenslauf Schahid Morteza Motahharis

Das Wahre und das Falsche

Bemerkungen zur Veröffentlichung der Werke Motahharis

Das Wahre und das Falsche im Universum allen Seins

Wahres und Falsches in Gesellschaft und Geschichte

Die reformatorische These

Kernsätze - Zitate

Warum präsentieren die Marxisten die Geschichte als etwas Ungewisses und Suspektes?

Die Theorie des Islam

Wahres und Falsches im Heiligen Qur’an

Die Verse der 37. Sure des Heiligen Qur’ans (Die in Reihe und Glied stehen)

Die Verse der 21. Sure des Heiligen Qur’ans (Die Propheten)

Die Verse der 13. Sure des Heiligen Qur’ans (Der Donner)

Abkürzungen

a.s. Frieden sei mit ihm bzw. ihnen [caleyhis-sal~ m, caleyhumma sal~ m]

r.a. Gottes Barmherzigkeit sei mit ihm [ramatull~ h caleyh]

s.a.s. der Friede sei mit ihm und mit den Reinen seiner auserwählten Familie [ allall~ hu calayhi wa ~ lih§ wa sallam]

Herausgeber und Vertrieb:

Islamischer Weg e.V.

Postfach 1321 - D-27733 Delmenhorst

ISBN-Nr.: 3-9804844-4-0

Ansprache Imam Khomeinis (r.a.) an das Volk einen Tag nach dem Martyrium Schahid Morteza Motahharis

Im Namen Allahs des Gnädigen, des Barmherzigen

"Wir gehören Gott, und zu ihm kehren wir (dereinst) zurück"

(Heiliger Qur’an 2:156)

Zu dem erschütternden Verlust an unserem strebsamen Märtyrer, Denker, Philosophen und Theologen höchsten Ranges, Hadsch Scheich Morteza Motahhari, einem der Reinsten und Opferbereitesten, gratuliere ich zugleich mit dem Ausdruck des tiefsten Beileids dem Islam, den auserwählten Imamen (a.s.), dem islamischen Volk und insbesondere dem kämpferischen Volk Irans.

Ich möchte meinem Beileid zum Märtyrertod einer Autorität Ausdruck verleihen, die ihr wertvolles Leben dem Weg hin zu den höchsten Zielen des Islam gewidmet hat und gegen Irrwege und Abweichungen jeglicher Art unverdrossen gekämpft hat. Mein Beileid zum Märtyrertod eines Menschen, der auf dem Gebiet der Islamwissenschaften und unter der Kennern des Heiligen Qur’ans kaum seinesgleichen hatte. Ich habe mit ihm einen geliebten Sohn verloren, eine Persönlichkeit, die Frucht meines Lebens war, und trauere tief um ihn.

Der Märtyrertod dieses wertvollen Kindes und unsterblichen Weisen hat dem Islam einen tiefen Schaden zugefügt, und niemand kann seine Stelle wieder füllen.

Ich gratuliere unserem Volk, daß es solche aufopferungsbereite Autoritäten hervorbringt, deren Existenz in diesem Leben und nach dem Tod reine Strahlen verbreitet. Ich gratuliere dem großen Islam, dem Lehrer der Menschheit, und dem islamischen Volk, die gemeinsam solche Söhne hervorgebracht haben, in deren Lichtkreis die Finsternis weicht und die Toten neu belebt werden. Ich habe einen Sohn verloren aber trotzdem erfüllt es mich mit Freude, daß es Sprößlinge dieser Nation gibt, die so aufopferungsbereit sind wie er.

Motahhari, dessen Seele an Reinheit und dessen Glaubenskraft an Stärke die anderer weit übertraf und dessen Rede eine einzigartige Wirkung ausströmte, ging von uns und erreichte damit die höchste Stufe des Menschseins; aber die böswilligen Menschen müssen sich darüber im klaren sein, daß mit seinem Gehen seine islamische, wissenschaftliche und philosophisch denkende Persönlichkeit nicht gegangen ist. Ein Terror kann nicht die islamische Persönlichkeit eines Muslims treffen. Sie müssen wissen, daß unser Volk, wenn Gott, der Allmächtige hilft, durch den Verlust solch großer Persönlichkeiten für den Kampf gegen Verderbnis und Tyrannei und Kolonialismus nur neue Kraft gewinnt. Unser Volk hat seinen Weg gefunden, und es wird nicht ruhen, bis alle verfaulten Wurzeln des ehemaligen Regimes und dessen verabscheuungswürdige Anhänger ausgetilgt sein werden. Martyrium und Opferbereitschaft sind es, die den Islam groß gemacht haben. Den Weg des Islam prägt seit der ersten Offenbarung Gottes an den Propheten (s.a.s.) bis heute Mut und Martyrium. Der Kampf um die Sache Gottes und der Unterdrückten willen ist ein Hauptziel des Islam. "Warum wollt ihr (denn) nicht um Gottes willen und (um) der Unterdrückten (willen) kämpfen, (jener) Männer, Frauen und Kinder, die (in Mekka zurückbleiben mußten und) sagen: 'Herr! Bringe uns aus dieser Stadt, deren Einwohner frevlerisch sind, und schaffe uns deinerseits einen Freund und einen Helfer'?" (4. Sure, Vers 75). Diese Terroristen, die selbst bald den Tod und Untergang fühlen müssen, die glaubten, sich durch solche Taten rächen zu können um damit den Gotteskämpfern Angst einzuflößen, haben sich getäuscht. Jedes Haar, jeder Blutstropfen unserer Märtyrer, der fällt, bringt neue kampfbereite, selbstlose Menschen hervor. Sie müßten das gesamte mutige Volk ermorden, denn der Mord an einer Person, so groß sie auch sei, bleibt für die Erreichung ihrer Ziele ohne Nutzen. Ein Volk, das sich mit dem Vertrauen auf den Allmächtigen Gott erhoben hat, um dem Islam neues Leben zu geben, kann durch derartig vergebliche Anstrengungen der Feinde nicht zum Rückzug gezwungen werden. Wir sind immer bereit für die Aufopferung von uns selbst und den Märtyrertod um Gottes willen.

Den 13. Ordibehescht (3. Mai) erkläre ich zu einem Trauergedenktag für eine Persönlichkeit, die bereit war, für den Islam und das Volk zu kämpfen und sich zu opfern, und ich selbst werde am Donnerstag und am Freitag in der Feyziyeh-Schule eine Trauerveranstaltung abhalten.

Gott, der Allerhöchste, schenke diesem geliebten Sohn des Islam Gnade und Vergebung und dem Islam Größe und Ruhm.

Friede sei mit den Märtyrern, die um der Gerechtigkeit und der Freiheit willen gestorben sind.

Ruhullah Al-Musawi Al-Khomeini

Qum, den 4. Mai 1979

Ansprache Imam Khomeinis (r.a.) anläßlich des ersten Jahrestages des Martyriums Schahid Motahharis

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen

Der Sieg der Islamischen Revolution im Iran, der mit Gottes Hilfe stattgefunden und zur Trauer der Böswilligen geführt hat, und die ruhigen und erfolgreichen Aktivitäten der revolutionären islamischen Organisationen während des vergangenen Jahres werden überschattet durch von Terroristen und Revolutionsgegnern verursachte unersetzliche Verluste, wie den durch einen verräterischen Terroranschlag hervorgerufenen Verlust des großen Gelehrten und Islamkenners, unserem Märtyrer Hodschat-ul-Islam Scheich Hadsch Morteza Motahhari (r.a.).

Es fällt mir schwer, in dieser Lage meinen Gefühlen und meiner Zuneigung zu dieser geliebten Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen. Was ich sagen kann ist, daß er für Islam und die Wissenschaft wertvollste Dienste geleistet hat; es ist zutiefst bedauerlich, daß die Hand von Verrätern diesen fruchtbaren Baum der islamisch-wissenschaftlichen theologischen Schule entrissen hat und damit allen den Nutzen dieser unersetzlichen Früchte vorenthalten hat. Motahhari war mir ein lieber Sohn und eine Stütze der islamisch-wissenschaftlichen theologischen Schule, ein nutzbringender Diener des Landes und des Volkes. Ich hoffe, daß Gott ihm vergeben und ihn an die Seite der großen Diener stellen möge.

Die Gegner des Islam und der Revolution versuchen, unsere Studenten durch ihre Propaganda gegen den Islam von der Lektüre seiner Schriften abzuhalten. Studenten und Intellektuelle, achtet darauf, daß die Bücher dieses Meisters nicht wegen dieser unislamischen Verschwörungen in Vergessenheit geraten!

Ich bitte Gott um Erfolg für Euch alle.

Friede sei mit all denen, die Gutes tun.

Ruhullah Al-Musawi Al-Khomeini

Qum, den 3. Mai 1980

Ansprache Imam Khomeinis (r.a.) anläßlich des zweiten Jahrestags des Martyriums Schahid Motahharis

Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen

Dieses ist der Trauergedenktag an das Martyrium eines reinen Märtyrers, der mit seinem kurzen Leben eine unvergängliche Spur zurückgelassen hat. Er besaß die Strahlen eines Lebens in Wachsamkeit und eine Seele, die von Liebe zu ihrer Ideologie erfüllt war. Er hat mit geschmeidiger Feder und Geistesstärke durch seine Erläuterungen der islamischen Gesetze und die Auseinandersetzung und Darlegung der philosophischen Wahrheiten in allgemeinverständlicher Sprache und ohne Umschweife zur Erziehung und Bildung der Gesellschaft große Beiträge geleistet. Was aus seiner Feder geflossen und von seiner Zunge geäußert worden ist, ist ausnahmslos erbaulich und lehrreich. Seine Reden und Ratschläge, die einem von Glauben erfüllten Herzen entsprangen, sind für die Hochgebildeten wie für die Normalbevölkerung von großem Nutzen. Wir hatten gehofft, daß wir von diesem ertragreichen Baum mehr Früchte ernten könnten als die, die wir nun in Händen haben, und dadurch mehr Menschen der Gesellschaft zu Denken und Weisheit gelangen könnten. Aber die Hände von Verbrechern haben es verhindert, daß unsere Jugend die reinen Früchte dieses reifen Baumes genießen durfte.

Gott sei Dank, daß uns das, was uns von diesem Märtyrer hinterlassen worden ist, in seiner Vollkommenheit selbst als Lehrer dienen kann. Der selige Märtyrer, Meister Motahhari, hat die Ewigkeit erreicht. Gott sei ihm gnädig und stelle ihn an die Seite der großen Dienern des Islam.

Ruhullah Al-Musawi Al-Khomeini

Teheran, den 29 April 1981

Lebenslauf Schahid Morteza Motahharis

Motahhari wurde am 2. Februar 1920 in Fariman in der östlichen Provinz Irans, Khorasan, geboren. Sein Vater war ein an Tugenden sehr reicher Mann, der unbeirrt die Vorschriften und Grundsätze des Islam befolgte. In einer solchen Familie wuchs Motahhari auf und unterschied sich offensichtlich schon seit seiner Kindheit von anderen. Er liebte Reinheit und Gottergebenheit über alles und schreckte vor schlechtem Benehmen zurück. Morteza war ausgesprochen lernbegierig, suchte die Bildung und zeigte große Talente. Nach der Beendigung der Volksschule in seinem Heimatort ging er nach Maschhad, um sich dort religiöse Erziehung angedeihen zu lassen, denn ihm lagen die islamischen Studien sehr. Im Alter von 13 Jahren, 1933, begann Morteza in Maschhad seine Islamstudien; er studierte Logik, Philosophie, Islamische Jurisprudenz sowie arabische Literatur. Während dieser Zeit beobachtete sein Denken eine Transformation, deren Ergebnisse sich in seinem Denken, Handeln und Benehmen lebendig niederschlugen. Diese Transformation bezog sich auf die Existenz Gottes bzw. deren Leugnen, ein Thema, das seit dem Anfang der Geschichte eines der empfindlichsten und interessantesten geblieben ist. Im Hinblick auf dieses Thema sagt Motahhari: "So, wie ich mich erinnere, überschattete dieses Gefühl, als ich 13 war, mein ganzes Wesen, und ich empfand eine seltsame Empfindlichkeit den Themen über die Existenz Gottes gegenüber. Die verschiedensten Fragen, natürlich meinem Alter entsprechend, stürmten auf meinen Geist ein. Während der ersten Jahre, die ich in Maschhad verbrachte, wo ich mich mit dem Studium der Einführung ins Arabische beschäftigte, war ich so in diese Gedanken versponnen, daß ich schließlich nicht einmal mehr die Anwesenheit meines Zimmernachbarn ertragen konnte. Daher teilte ich mein Zimmer auf und machte meinen Teil zu einer dunklen Zelle, wo ich mit meinen Gedanken allein sein konnte. In dieser Zeit mochte ich auch während meiner Freizeit über nichts anderes nachdenken. Ich empfand es tatsächlich als Zeitverschwendung, wenn ich mich mit anderen Problemen beschäftigte, bevor ich die Antwort auf diese lebenswichtige Frage gefunden hatte. Islamische Jurisprudenz und Logik studierte ich allein zu dem Zweck, daß ich allmählich dazu fähig würde, die Ideen der großen Philosophen in dieser Hinsicht zu verstehen."

Hier tritt ein wesentlicher Faktor in das Leben Motahharis, der ohne Zweifel eine bezeichnende Rolle bei der Ausformung seiner wissenschaftlichen und philosophischen Persönlichkeit gespielt hat: die Beharrlichkeit, mit der er philosophisch und mystisch zu denken lernte. Er ist schließlich selbst zu einem großen Helden auf dieser Stufe des Denkens geworden. "Ich erinnere mich, daß ich von dem Zeitpunkt an, da ich in Maschhad Arabisch zu studieren begonnen hatte, den Philosophen und Denkern größeren Wert und große Überlegenheit zumaß, obwohl ich in ihrer Gedankenwelt noch nicht zuhause war. Ich interessierte mich für sie mehr als für alle Erfinder, Forscher und andere Wissenschaftler. Und das nur deshalb, weil ich die Ersteren als die Helden der Welt des Denkens betrachtete". Die alte theologische Schule in Maschhad war eine der theologischen Schulen des Landes, die große Schwierigkeiten auszuhalten hatten während der Zeit, als der sogenannte Schah Reza Khan, der erste Tyrann der Pahlawi-Dynastie, das Land beherrschte. Und die Situation der Schüler und Studenten war sehr schlimm, so daß die Schule am Rande der Verwaisung und des Zusammenbruchs stand. In dieser Zeit entschloß sich Motahhari dazu, seine Islamstudien in der heiligen Stadt Qum fortzusetzen. So verließ er im Alter von 18 Jahren Maschhad und blieb von da an für 15 Jahre in Qum. Er erhielt eine wertvolle Ausbildung durch große Lehrer, insbesondere durch Imam Khomeini (r.a.), der, mit Worten Motahharis, jene verlorengegangene Person war, nach der er gesucht hatte. Motahhari sagt in diesem Zusammenhang: "Der Unterricht in Ethik, den mir diese geliebte Person jeden Donnerstag und Freitag erteilte, war ein Unterricht, der sich wirklich um den göttlichen Weg und Gnostik (Lehre der Gotteserkenntnis) drehte; es war nicht nur Ethik in ihrer leblosen, wissenschaftlichen Form. Sein Unterricht überwältigte mich so sehr, daß ich mich noch bis Montag und Dienstag von seinem Einfluß beherrscht fühlte. Meine intellektuelle und geistige Persönlichkeit formte sich zum größten Teil während dieser und ähnlicher Unterrichtsstunden, die ich zwölf Jahre lang von jenem göttlichen Lehrer erhielt. Ich fühle mich daher immer ihm gegenüber schuldig."

Im Jahre 1942 fand in Motahharis Leben ein weiteres Ereignis statt, das mithalf, seine geistige und wissenschaftliche Persönlichkeit auszuformen: Er lernte den Gelehrten Hadsch Mirza Ali Schirazi Isfahani (r.a.) kennen. Durch dieses Zusammentreffen lernte er die Sammlung "Nahj-ul-Balagha" der Worte von Imam Ali (a.s.) kennen, was für ihn zu einem sehr wertvollen Buch wurde. Er fand an diesem Buch und dessen vieldimensionalen Aspekten spezielles Interesse. Ein Buch mit dem Titel: "Ein Überblick über Nahj-ul-Balagha" stellte einen kleinen Teil derjenigen Arbeiten dar, die er nicht mehr imstande war zu vollenden. Das Jahr 1942 war einer der Meilensteine auf Motahharis Lebensweg: neben dem Besuch der Unterrichtsstunden bei seinen großen Lehrern - unter ihnen Imam Khomeini (r.a.), Ajatollah Burudscherdi (r.a.) und Allamah Sayyid Mohammad Hussain Tabatabai (r.a.) - erteilte er auch selbst Unterricht auf verschiedenen Gebieten.

Im Jahr 1947 lernte Motahhari die Denkschulen des Materialismus kennen. Dank seiner Begeisterung für das philosophische Studium widmete er sich diesen sorgfältig. Die Studien sowohl der göttlichen Philosophie als auch der materialistischen setzte er bis zum Ende seines Lebens fort, und auf diesem Weg war es ihm möglich, die beiden Philosophien voneinander zu trennen und sie miteinander zu vergleichen, wodurch er die Authentizität der allumfassenden Sicht des Islam gegenüber den materialistischen Gedanken aufrechterhalten und bewahren konnte. 1951 besuchte Motahhari die späten Vorlesungen von Allamah Tabatabai und begann das Buch "Grundsätze der Philosophie und Methode des Realismus" zu schreiben, das während der vergangenen 20 Jahre eine entscheidende Rolle gespielt und die Basislosigkeit der materialistischen Denkschulen bewiesen hat.

Im Laufe seiner Studien an der Theologischen Schule in Qum eröffnete sich für Motahhari ein weiteres Kapitel: das des Umgangs mit Problemen der islamischen Gesellschaft und mit politischen wie sozialen Aktivitäten. Für einen Menschen, wie Motahhari, der die Probleme genaustens zu studieren pflegte und sich um Lösungen für sie bemühte, und für eine Person, die den Islam und die islamische Gesellschaft liebte, war alles, was sich auf das Schicksal der Muslims und den Islam bezog, von großer Bedeutung. Auf der anderen Seite war die Erziehung durch Vorlesungen von Persönlichkeiten wie Imam Khomeini (r.a.), der seine Studenten immer dazu anhielt und aufrief, für eine gerechte und aufrichtige Gesellschaft zu kämpfen und den Islam lebendig und in Bewegung zu erhalten, ein weiterer Faktor dafür, daß Motahharis Aufmerksamkeit auf die Beschäftigung mit der islamischen Gesellschaft gelenkt wurde. Das Ergebnis war, daß der große Gelehrte während der Jahre 1949-51, als die Wellen der Freiheitsbewegung im ganzen Land immer höher schlugen, auch in diese Bewegungen verwickelt war. Er stand mit den meisten islamischen Gruppen in Kontakt, welche die Verbesserung der islamischen Gesellschaft forderten. Eine dieser Gruppen trug den Namen "Fedayin-e-Islam" (Opferbereite für den Islam).

Während der Zeit seiner Studien legte Motahhari immer, wenn sich Zeit fand, z.B. bei Treffen mit den anderen Studenten oder bei anderer günstiger Gelegenheit, die sozialen Probleme offen, und bei den meisten Versammlungen war er der Hauptredner. Seine Worte wirkten anziehend und besaßen starke Einflußkraft. 1953 kam Motahhari nach Teheran und heiratete die Tochter eines muslimischen Geistlichen aus Khorasan. Er mietete sich ein Zimmer zum Leben. Von diesem Zeitpunkt an begann er, zahlreiche Bücher zu schreiben. Seine erste Arbeit war "Grundsätze der Philosophie und Methode des Realismus", die 1954 erschien. 1956 wurde er eingeladen, an der Fakultät für Theologie und Islamwissenschaften zu unterrichten. So begann er dort für 22 Jahre Unterricht zu erteilen. In dieser Zeit studierte er neben seinen Vorlesungen und Forschungen sehr genau verschiedene Gebiete der islamischen Kultur und nahm an mehreren Vortragsreihen über islamische Jurisprudenz, Literatur, Philosophie, soziale und historische Themen teil. Er kämpfte für die Erziehung und Bildung der jungen Generation, und darum hielt er an diversen Universitätszirkeln und wissenschaftlichen Körperschaften häufig Vorträge über die verschiedenen Themen des Islam. Prinzipiell wählte er die Universität als Haltegriff, um immer Kontakte zu den religiösen Intellektuellen und zu den Uninformierten vom Westen vergifteten zu haben. In den Jahren von 1958 bis 1971 und auch noch später war er fast andauernd Sprecher der "Vereinigung muslimischer Gelehrter". Die meisten Bücher, die Motahhari verfaßt hat, entstanden in dieser Periode. Die Arbeit an der Universität half ihm, Verbindungen zwischen der Universität und den theologischen Schulen zu knüpfen; viele Universitätsmitglieder wurden von ihm in die theologischen Zentren geschickt, damit sie dort lehrten oder unterrichtet wurden. Motahhari kämpfte hart zur Überbrückung des Spaltes zwischen diesen beiden Organen.

Folgende Werke Ajatollah Motahharis sind veröffentlicht worden:

Gründe für die Neigung zum Materialismus

Materialismus im Iran

Unsichtbare Hilfe im Leben des Menschen

Die Sonne der Religion geht nie unter

Management und Führerschaft im Islam

Die Rechte der Frau im Islam

Das Thema „Hidschab" (islamische Bekleidung)

Sexualmoral im Islam und im Westen

Islam und Iran und ihre wechselseitigen Dienste (2 Bände)

Göttliche Gerechtigkeit

Übersicht über Nahj-ul-Balagha

Menschen und Schicksal

Fesselungs- und Anziehungskraft Imam Alis (a.s.)

Aufstand und Revolution Imam Mahdis aus der Sicht der Geschichtsphilosophie

Islamische Bewegungen während der letzten 100 Jahre

Sozialentwicklung des Islam

Geschichten der Wahrhaftigen (2 Bände)

Gesellschaft und Geschichte

Das ewige Leben oder das Leben im Jenseits (hier in Auszügen übersetzt)

Zusätzlich zu den erwähnten Werken hat Motahhari noch eine große Anzahl Vorträge und Essays hinterlassen, die auf Tonträgern erhalten sind. Die politischen Aktivitäten Motahharis gewannen an Bewegungskraft am 5. Juni 1963 während der Vorbereitung zur Islamischen Revolution, in der die muslimischen Geistlichkeit eine sehr bedeutende Rolle gespielt hat und viele aus ihren Reihen verhaftet und ins Gefängnis gebracht wurden. Motahhari wurde mitten in der Nacht des 5. Juni festgenommen und kam für 43 Tage ins Gefängnis. Später wurde er auf Druck des Volkes und infolge eines Protestmarsches vieler muslimischer Geistlicher nach Teheran freigelassen. Zu jener Zeit war Imam Khomeinis (r.a.) Verbindung zum Volke vollkommen abgeschnitten, und Menschen wie Motahhari trugen in dieser Hinsicht eine schwere Verantwortung auf ihren Schultern. Im November 1964 wurde Imam Khomeini (r.a.) zunächst in die Türkei, später in den Irak ins Exil geschickt. Um dieser Situation zu trotzen, trachtete die muslimische Geistlichkeit danach, sich zu organisieren. Das Ergebnis dieser Bestrebungen war die "Gemeinschaft kampfbereiter Geistlicher", Motahhari war ein Schlüsselglied dieser Vereinigung und Imam Khomeinis Vertreter in der Gesellschaft.

In den Jahren 1964 bis 1977 führte Motahhari einen langen Kampf für die Wiederbelebung der islamischen Grundsätze durch seine zahllosen Vorträge an verschiedenen Universitäten und islamischen Vereinigungen. Motahhari spielte eine wichtige Rolle bei der Führung und Leitung der islamischen Koalitionsparteien, die gegen das diktatorische Regime des inzwischen gestorbenen (Vater des) Schah zu den Waffen gegriffen hatte. Zu dieser Aufgabe war er von Imam Khomeini (a.s.) bestimmt worden. Nach der Vorlage des Kapitulationsentwurfs und dessen Annahme durch das Iranische Parlament verdammte Imam Khomeini in einer Rede diesen verräterischen Akt. Diesem neuen Gesetze nach sollten alle amerikanischen Militärberater im Iran gegen jegliche Art legaler Verfolgung immun sein, so daß sie alles tun konnten, was ihnen einfiel. Ein Ergebnis der Verdammung von seiten Imam Khomeinis war seine Verhaftung und sein Exil in der Türkei. Das vergrößerte Motahharis Verantwortung sehr.

Die Denkmethode und die wissenschaftlichen Aktivitäten des Märtyrers Motahhari besaßen besondere wesentliche Merkmale, die teils seiner Natur entsprachen, teils Produkt jahrelanger harter Arbeit und Selbstreinigung waren. Einige der Eigenschaften dieses Meisters waren:

1) Tiefgründiges und sorgfältiges Erforschen und Studium der ideologischen und sozialen Angelegenheiten der Menschen. Diejenigen, die ihn kannten oder mit seinen Schriften und Reden Umgang hatten, wußten sehr gut, daß die Themen seiner Gespräche alle sorgfältige Untersuchungen und ein großes Maß an Nachdenken erforderten. Diese Themen waren sowohl sozialen als auch religiösen Ursprungs. Motahhari sagt hierzu: "Seit der Zeit, als ich zu der Feder gegriffen hatte, um zu schreiben - was nun fast 20 Jahre zurückliegt - war das einzige Ziel meines Schreibens das, eine Lösung für die Probleme zu finden, auf die man in unserer Zeit in den verschiedenen Bereichen des Islam stößt. Einige meiner Schriften sind philosophische, andere ethische, soziale oder gehören zum Gebiet der islamischen Jurisprudenz und Geschichte. Obwohl jedoch die Themen all dieser Schriften voneinander verschieden sind, sich sogar in manchen Fällen widersprechen, war doch das Ziel, das mit ihnen allen verfolgt wurde, nur ein einziges". "... Die heilige Religion des Islam ist eine unbekannte Religion, und die Wahrheiten, die ihr innewohnen, sind den Leuten auf den Kopf gestellt vorgeführt worden. Die Gründe dafür liegen in unkorrekten Lehren, die den Leuten im Namen der Wahrheit erteilt wurden; gerade von denjenigen, die schreien, sie unterstützen diese heilige Religion mehr als alle anderen, erfährt sie heute die übelsten Schläge. Die Angriffe, die durch den Kolonialismus des Westens durch seine offenbaren oder verstecken Agenten einerseits und Nachlässigkeit und Trägheit derjenigen, die behaupten, den Islam zu unterstützen, andererseits auf diese Religion verübt wurden, schlugen sich in Angriffen auf das islamische Denken in vielen Gebieten - seien es fundamentale oder aufbauende Gebiete des Islam - nieder. Darum fühlte ich mich verantwortlich, meine Pflicht in dieser Hinsicht, so gut ich konnte, zu erfüllen."

Motahhari begann die Bücher "Die Rechte der Frau im Islam" und "Das Thema "Hidschab" " zu schreiben und hielt außerdem Vorlesungen zu einer Zeit, als er beobachtete, wie der Kolonialismus sich darum bemühte, die Kultur des Volkes zu verändern und die islamische zurückhaltende Bekleidung in Verruf zu bringen, um die freie muslimische Frau zu einem leeren Gegenstand zu machen, der nur den tierischen Begierden des Mannes genügt, zu einer Zeit, als Anstrengungen unternommen wurden, die Familie aufzuspalten und von ihnen die ihr innewohnenden islamischen Werte zu trennen und die muslimischen Iraner in Kreaturen zu verwandeln, denen es nichts ausmachte, ausgebeutet, ausgeräubert oder versklavt zu werden. Motahhari, der es nicht ertragen konnte, Zeuge solcher Entwicklungen zu sein, erhob sich zum Widerstand und begann zu schreiben, zu reden und viele Vorträge in dieser Beziehung zu halten. In seinem Buch: "Das Thema "Hidschab" " schreibt er: "Nacktheit ist ohne Zweifel die Krankheit unserer Tage, und diese wird früher oder später eingeführt werden. Gesetzt den Fall, wir imitierten blind den Westen, so werden die westlichen Pioniere selbst die Natürlichkeit dieses Phänomens verkünden. Aber ich fürchte, es wird zu spät werden, wenn wir darauf warten, bis sie es verkünden." "... Die Bezeichnung 'Hidschab' für die Bedeckung der Frau ist ein relativ neuer Ausdruck. Die islamischen Juristen haben eher das Wort 'Sitre' anstelle von 'Hidschab' verwendet, welches 'Bedeckung' bedeutet. Das Wort 'Hidschab' hat zwei Bedeutungen: erstens 'Bedeckung' und zweitens 'Vorhang', und es wird mehr im letzteren Sinn verwendet und nicht für die Bedeckung des Körpers. Die Bedeckung der Frau meint, daß Frauen in ihrem Umgang mit Männern sich selbst bedecken und sich den Männern nicht zur Schau stellen sollten. Die Bedeckung im Islam hat eine generelle und fundamentale Grundlage, nämlich die, daß alle sexuellen Leidenschaften und fleischlichen Genüsse nur auf den Kreis der Familie und den Rahmen der legalen Ehe beschränkt bleiben müssen, so daß die Gesellschaft für die Arbeit und für soziale Aktivitäten rein erhalten bleibt. Dieser Schritt des Islam richtet sich vollständig gegen das westliche System, in dem gegenwärtig fleischliche Begierden und soziale Aktivitäten miteinander vermengt werden." In dem Buch "Die Rechte der Frau im Islam" greift Motahhari eines der lebendigsten und empfindlichsten Gesellschaftsthemen auf, das des Systems und der Ordnung der Frauenrechte. Motahhari versucht zunächst, die Wurzeln und Gründe dieses Themas offenzulegen, und danach bezieht er sich auf den Standpunkt des Heiligen Qur'ans hierzu, wobei er das Frauenrechtssystem von verschiedenen philosophischen, psychologischen und soziologischen Gesichtspunkten aus betrachtet.

Motahhari gibt in seinem Buch: "Islam und Iran und ihre wechselseitigen Dienste" Antwort auf eine Entwicklung, die zu jener Zeit existierte und das Ziel verfolgte, eindimensionale Gefühle des Nationalismus und der Entfremdung von Islam und Iran hervorzurufen, um die Anziehungskraft des Islam und die Liebe des Volkes zu ihm zu schwächen. Er stellte deutlich heraus, daß sich unser Glaube und unsere Überzeugung nicht gegen die Liebe zum Vaterland wendet, und daß unsere Vorfahren deshalb in vielerlei Hinsicht dem Islam wertvollste und größte Dienste erwiesen haben. Motahhari schreibt in einem Abschnitt dieses Buches: "Der Kolonialismus fand in seiner Politik des "divide et impera (teile und herrsche)" keinen besseren Weg als den, die Aufmerksamkeit der islamischen Staaten und Nationen auf ihre Nationalitäten und ethnischen Eigenheiten zu lenken und sie somit damit zu beschäftigen, mit Stolz auf irgendwelche unklaren Ruhmesinhalte der Vergangenheit zu blicken. Sie erzählten den Indianern, daß ihre Vergangenheit den und den Hintergrund habe; der türkischen Jugend injizierten sie die Bildung einer pan-türkischen Bewegung und erzählten den Arabern, die mehr als alle anderen Völker Anlagen zu diesem Vorurteil zeigen, daß sie auf den Pan-Arabismus zurückkommen sollten, und schließlich sprachen sie den Persern von ihrer Arier-Rasse und daß sie daher den Arabern überlegen seien, die von semitischer Rasse abstammen..." "Die Gemeinsamkeiten des Islam und des Iran sind Gegenstand des Stolzes sowohl für den Islam als auch für den Iran. Was den Islam angeht, so ist er eine Religion, die dank ihrer inhaltlichen Reichhaltigkeit in der Lage war, eine zivilisierte Nation zu sich anzuziehen, und was den Iran betrifft, so ist er eine Nation, die Wahrheit ohne jegliche Vorurteile liebt und bereit ist, sich auf ihrem Pfad zu opfern." Ein anderes Thema jener Zeit war das des Materialismus. Motahharis Kampf gegen den Marxismus begann mit seinem Buch: "Prinzipien der Philosophie und Methode des Realismus". Dieses Buch beschäftigt sich mit den Vorstellungen der islamischen Philosophen, und zu jedem Punkt fügte Motahhari Fußnoten an, welche die Vorstellungen der anderen Denkschulen einschließlich des Marxismus in Betracht zogen, und diese kritisierte er. Der Marxismus war ein Spezialgebiet Motahharis, und er verbrachte einen großen Teil seines Lebens mit Studien und Forschungen über diese Denkschule. Er wußte genau Bescheid über die Differenzen zwischen diesen Denkschulen und einer göttlichen Philosophie. Motahhari setzte sich mit den Wurzeln der Neigung zum Materialismus im Iran sowie der Welt auseinander, was sich in seinem Buch: "Gründe für die Neigung zum Materialismus" manifestierte. Darin stellte er die verschiedenen Aspekte dieses Problems vom philosophischem, religiösem, historischem, sozialem und ökonomischem Standpunkt aus dar. In diesem Buch schreibt er: "Mit der zunehmend verbreiteten Tendenz und den Faktoren, die früher unter der Bezeichnung 'Versagen der Kirchenmeinung und des Kirchenverständnisses sowie der europäischen philosophischen Dogmen' erwähnt wurden, ist eine neue Welle aufgebracht worden, die entweder Wissenschaft oder Religion, entweder Wissen oder Gott proklamierte. Aber diese falsche Welle wurde zerschlagen und es wurde offensichtlich, daß sie keine Basis besaß. Die Anziehungskraft des Materialismus entstammt in unserer Zeit einer anderen Quelle, und diese bildet seine sogenannte revolutionäre Kampfnatur." Mit dem Ausbruch der Revolution und dem Anwachsen des Kampfgeistes kam die Tendenz auf, westliche mit östlichen Philosophien zu vermischen, und um diesen Verirrungen entgegenzutreten, schrieb Motahhari ein Buch mit dem Titel "Weltsicht des Monotheismus". In diesem Buch wird das Weltbild des Islam erklärt und dabei wird auf die Themen Monotheismus und Gerechtigkeit eingegangen. Zunächst wird das Wort "Weltsicht" definiert, dann wird seine Bedeutung studiert. Es wird über die Tatsache nachgedacht, daß alle Religionen und Schulen des Denkens und Handelns sowie die Sozialphilosophien jeweils eine Art Weltsicht zur Grundlage haben. Motahhari kommt zu dem Schluß: "Eine Weltsicht bildet die Pfeiler einer Ideologie oder eines Glaubens, wenn sie religiös wird." Schließlich kommen die Themen Menschheit und Annäherung an die Einheit der Realität der menschlichen Natur sowie Annäherung der menschlichen Gesellschaft an Einheit und Solidarität innerhalb eines harmonischen Sozialsystems, das sich auf dem Weg zur Vervollkommnung befindet, zur Diskussion. In diesem Zusammenhang kommen die drei Ansichten: Materialismus, Idealismus und Realismus zur Sprache und werden jeweils miteinander verglichen, und die Ansicht des Realismus, die zugleich die des Islam ist, wird akzeptiert. "Eine klassenlose islamische Gesellschaft bedeutet eine Gesellschaft ohne Diskriminierung, Entrechtung, Abgötter, und sie ist gerecht und kennt keine Unterdrückung. Sie bedeutet nicht: gleichgültige Gesellschaft, denn das Verharren in der Gleichgültigkeit ist selbst eine Art von Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Es gibt einen Unterschied zwischen Diskriminierung und Verschiedenheit, genauso wie Unterschiede bereits in der Schöpfung der Welt existiert haben, die Schönheit, Verschiedenheit, Fortschrittlichkeit und Perfektion hervorgebracht hat. Das islamische Ideal ist ein Ort ohne Diskriminierung und nicht einer ohne Verschiedenheit. Eine islamische Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Gleichheit und Brüderlichkeit." "... Eine islamische Gesellschaft ist eine natürliche Gesellschaft und keine diskriminierende, auch keine Gesellschaft, die sich auf negativer Gleichheit begründet. Man arbeitet in ihr nach seinen Fähigkeiten und man bekommt entsprechend seiner Arbeit seinen Lohn."

Motahhari studierte auch tiefgründig Ökonomie und Eigentum. In Bezug auf den Besitz an Maschinen glaubte er an das Dekret von der höchsten religiösen Führung (Idschtihad), denn nach seinen Worten war die Erfindung von Maschinen ein neues Phänomen, das in der islamischen Jurisprudenz zuvor nicht existiert hatte, genausowenig wie Zoll, Versicherung oder Bankwesen. In Bezug auf diese Gebiete sollten schrittweise religiöse Dekrete herausgebracht werden. Er glaubte, daß die Maschine kein Produktionsmittel sei, da alle Werkzeuge eine Definition und eine Begrenzung besäßen. Werkzeuge sind von diesem Gesichtspunkt aus gesehen diejenigen Dinge, die dem Menschen ermöglichen, besser zu arbeiten, wie z.B. der Spaten, mit anderen Worten, sie befolgen die Arbeit und erleichtern sie dem Arbeitenden, während die Maschine keine Werkzeug ist und sich naturgemäß von ihm unterscheidet, da sie nicht den Arbeitenden befolgt. Sie stellt viel eher eine produktive Kraft dar, die selbst Arbeitsvollzug schafft. Eine Maschine arbeitet, wobei der Mensch ihr zuschaut. Darüberhinaus gibt es Maschinen, die andere Maschinen erschaffen, wie Menschen, die andere Menschen zeugen. Motahhari kommt daher zu dem Schluß, daß eine Maschine wegen ihrer Natur nicht als Werkzeug zu definieren ist. Wie er es ausdrückt, korrespondiert die Situation der Maschine mit derjenigen der Sklaverei im Islam; im Islam haben die Werkzeuge einen Besitzer, die Maschinen dagegen nicht, denn es gibt im Islam keine ökonomische Sklaverei. Diese Betrachtungen über die Maschine und über die Mechanisierung wurden bis dahin von niemand anderem diskutiert. Viele - einschließlich derer, die am Sozialismus hingen - haben den öffentlichen Besitz von Maschinen erwähnt, aber Motahhari ist der Überzeugung, daß keiner von ihnen sich dabei auf eine logische Basis beruft, und die Gesichtspunkte der Marxisten und der anderen seien vielmehr rein gefühlsmäßig erstellt. Sie verneinen den Privatbesitz an Maschinen entsprechend ihrer natürlichen Neigung dahingehend, daß es keine ökonomische Ausbeutung und Unterdrückung geben sollte.

2) Motahhari besaß eine ausgeprägte Fähigkeit zuzuhören und alle Gesichtspunkte und Aussagen philosophischer, religiöser und sozialer Natur zu verstehen. Das ist notwendig für jeden, der sich bemüht, engagiert und verantwortlich zu sein. Er sollte zuerst die Glaubensinhalte und Vorstellungen der verschiedenen Religionen und Denkschulen unparteiisch studieren und diejenigen, welche die Quellen für Irreleitung bilden, zurückweisen. Dann sollte er die korrekten Antworten und Wege vorstellen. Diese Methode, die in fast allen seinen Werken nachvollzogen werden kann, wurde von Motahhari angewendet.

3) Wenn er die Opposition zitierte, trachtete er nie danach, die Zitate zu verfälschen, sondern zitierte exakt und genauso, wie sie lauten mußten. Da er sich immer beim Forschen befand, mußte er die Ideen und Glaubensüberzeugungen der verschiedensten Denkschulen zitieren, und das tat er in seinen Büchern, ohne sie im geringsten zu verändern.

4) Er war ein unverwüstlicher Kämpfer für den freien Ausdruck und die Denkfreiheit. Er hatte klar begriffen, daß die Kraft der Wissenschaft und die Ausdrucksfreiheit für die Opposition die einzigen Mittel waren, den Islam zu schützen und zu bewahren. In seiner Rede, die er im Februar 1979 an der Theologischen Fakultät hielt, sagte er: "Jede Denkschule, die an ihre eigene Ideologie glaubt, muß unbedingt die Ausdrucks- und Denkfreiheit unterstützen. Jede Denkschule dagegen, die nicht an ihre Ideologie glaubt, verbarrikadiert den Weg hin zur Denk- und Ausdrucksfreiheit. Solche Schulen versuchen, das Volk innerhalb eines begrenzten Rahmens zu halten und das Wachsen ihrer Gedanken zu verhindern." "... Ich verkünde hiermit, daß in der Islamischen Republik den Gedanken keine Grenzen auferlegt werden, und es wird nichts der Kanalisierung des Denkens ähnliches geben. Alle müssen selbstverständlich frei sein, die Ergebnisse ihres Denkens zu äußern. Ich muß hier allerdings betonen, daß das nichts mit den Plänen und den Ausarbeitungen von Verschwörungen zu tun hat. Keiner hat das Recht und die Erlaubnis, verschwörerische Pläne zu schmieden, die Äußerungen geistreicher Gedanken aber bleibt frei." "... Hiermit verkünde ich allen nicht-muslimischen Freunden, daß das Denken aus islamischer Sicht für alle frei ist. Jeder kann denken, wie er will und seine Gedanken zum Ausdruck bringen, vorausgesetzt, es sind seine eigenen Gedanken. Jeder ist frei, die eigenen Gedanken zur Niederschrift zu bringen, und keiner wird ihn daran hindern."

"... Der Islam war in der Lage, seine Existenz bis heute zu bewahren dank seiner Freiheit. Wenn in der Frühzeit des Islam jeder, der gesagt hat, er glaube nicht an Gott, geschlagen und umgebracht worden wäre, so existierte heute etwas dem Islam ähnliches nicht mehr. Der Islam überlebte, weil er sich den Gedanken in ihrer Vielfalt mit Mut und Standhaftigkeit gestellt hat."

5) Motahhari machte Gebrauch von seinen neuen Gedanken, indem er Lösungen für die Probleme und Fragen, die sich aus Philosophie, Religion, Gesellschaft und Moral ergaben, anbot. Er benutzte auch logische Methoden, um die islamischen Grundsätze zu beweisen, was sich anhand seiner Werke nachvollziehen läßt. Allamah Tabatabai, Motahharis Lehrer, sagte in Bezug auf seine Fähigkeiten: "Was auch immer ich sagte und über die verschiedensten Gebiete lehrte, ich war sicher, daß ich meinen Atem nicht verschwendete, wenn Motahhari unter den Studenten saß".

6) Es ist eigentlich selbstverständlich, daß alle Anstrengungen eines Menschen hin zum Erlangen der Wahrheit zwecklos sind, solange er nicht geistig und moralisch befreit ist und solange er sich selbst nicht erzogen und von Selbstsucht und Egoismus gereinigt hat. Motahhari war das lebende Beispiel einer freien Persönlichkeit, die sich verstandesmäßiger und mystischer Fähigkeiten erfreute. Während ihn Gnosis und spirituelle Einsicht anzogen, ließ er sich nicht von sozialen und politischen Problemen ablenken. Er fühlte sich verpflichtet, die Einladungen zum Unterrichten an verschiedenen Orten anzunehmen und sich dabei verschiedenen Themengebieten zu widmen, und er hielt sich auch nicht von der Teilnahme an privaten Diskussionen, wo immer er sie für sinnvoll hielt, zurück. Er war ein aktiver Schriftsteller und glaubte, daß durch harte Arbeit Nachlässigkeiten überwunden werden könnten. 1978, als die Islamische Revolution an Stoßkraft gewann, stufte Motahhari seine politischen Aktivitäten noch höher und verließ Teheran, um in Paris Imam Khomeini (r.a.) zu treffen. Während seines Besuches wies Imam Khomeini ihm die Aufgabe zu, einen Revolutionsrat zu gründen, und dieser Aufgabe kam er in bestmöglicher Weise nach. Nach Imam Khomeinis Rückkehr in den Iran war Motahhari ununterbrochen mit ihm zusammen.

Am 1. Mai 1979 schließlich erlangte er durch den verbrecherischen Anschlag der Gruppe namens Furqan, als er von einer Versammlung des Revolutionsrats kam, das Martyrium. Sein reines Blut belebte die Islamische Revolution wieder, denn wie er selbst gesagt hatte: "Das Blut der Märtyrer ist nie verschwendetes Blut, denn jeder Tropfen dieses Blutes bringt Tausende frischer Tropfen, ja Tonnen von Blut hervor, und dieses wird dem Körper der Gesellschaft injiziert. Martyrium bedeutet Injektion frischen Bluts in den Körper der Gesellschaft, besonders in einer Zeit, wenn die Gesellschaft an Blutmangel leidet."

Am folgenden Tag sagte Imam Khomeini (r.a.) unter Tränen: "Ich habe mit ihm einen geliebten Sohn verloren, eine Persönlichkeit, die Frucht meines Lebens war, und ich trauere tief um ihn... Ich habe einen Sohn verloren - aber trotzdem erfüllt es mich mit Freude, daß es Sprößlinge dieser Nation gibt, die so aufopferungsbereit sind wie er. Motahhari, dessen Seele an Reinheit und Glaubenskraft an Stärke die anderer weit übertraf und dessen Rede eine einzigartige Wirkung ausströmte, ging von uns und erreichte damit die höchste Stufe des Menschseins. Aber die böswilligen Menschen müssen sich darüber im klaren sein, daß mit seinem Gehen seine islamische, wissenschaftliche und philosophische Persönlichkeit nicht gegangen ist. Ein Terror kann nicht die islamische Persönlichkeit eines Muslims treffen. Sie müssen wissen, daß unser Volk, wenn Gott, der Allmächtige, hilft, durch den Verlust solch großer Persönlichkeiten für den Kampf gegen Verderbnis, Tyrannei und Kolonialismus nur neue Kraft gewinnt. Unser Volk hat seinen Weg gefunden, und es wird nicht ruhen, bis alle verfaulten Wurzeln des ehemaligen Regimes und dessen verabscheuungswürdiger Anhänger ausgetilgt sein werden. Martyrium und Opferbereitschaft sind es, die den Islam groß gemacht haben. Den Weg des Islam prägt seit den ersten Offenbarungen Gottes an den Propheten (s.a.s.) bis heute Mut und Martyrium".

So bezeugte Imam Khomeini (r.a.) seine Wertschätzung für die islamische Persönlichkeit Märtyrer Motahharis, eines lebendigen Märtyrers, der während der Zeit seines Lebens mit mächtigen Gedanken und einflußreicher Feder die islamischen und philosophischen Probleme analysiert und Werke von unschätzbarem Wert hinterlassen hat.

Möge man sich seiner immer erinnern!

Seine Seele ruhe in Frieden,

und sein Weg möge reich sein an Nachfolgern.

Das Wahre und das Falsche

Bemerkungen zur Veröffentlichung der Werke des Märtyrers Motahhari

"Diejenigen, die vom Wort Gottes verkünden, fürchten nur Gott."

Vor Ihnen liegt ein Artikel unseres Meisters Märtyrer Motahhari, entnommen seinen eigenen Aufzeichnungen und Notizen und nun, Dank der Bemühungen unserer Geschwister, zum ersten Male veröffentlicht. Ein Artikel über das aus dem Geist und der Feder des Meisters Motahhari entstandene Werk zu verfassen ist leicht und gleichzeitig unmöglich. Leicht - weil es eine der Haupteigenschaften dieser großen Persönlichkeit ist, uns die schwierigsten Texte und Artikel in einfachem Stil und in einer für das Volk verständlichen Sprache zu präsentieren. Das verdanken wir seiner Tiefgründigkeit und seinen ausgedehnten und sonst wenig verbreiteten Kenntnissen. Unmöglich - weil dieser Fisch des Meeres der Wissenschaft so daran gewöhnt ist, in den tiefsten Bereichen dieses Meeres zu tauchen, wo man kein Ufer mehr sieht, daß es unmöglich wird, ihn in weniger tiefen Gewässern in Küstennähe zu finden. In diesem weiten Meer der Wissenschaft lag das Reich seiner Wanderungen so tief, daß niemand dorthin vorgedrungen war, um ihn zu erreichen, und kein Mensch fähig war, seinen Fuß dorthin zu setzen. Darum ist es für denjenigen, der beabsichtigt, über Motahhari zu reden oder zu schreiben, selbst wenn er einer der mystischen Pilger sein sollte, wirklich schwierig, über halsbrecherische Stege diese hohen Gipfel zu erreichen oder in die Tiefen seines Denkens vorzudringen. Trotz allem: Wie man vom Meerwasser nur wenig gegen seinen Durst trinken kann, und wenn man es auch nicht vollständig mitzunehmen vermag, so läßt der Mensch dennoch nicht ganz fallen, was er nicht vollkommen versteht.

So lassen Sie uns nun einige Worte zu dem letzten Werk unseres Meisters sagen. Wie uns Motahharis Aufzeichnungen offenbaren, hat er keinen Augenblick aufgehört nachzudenken, um Lösungen für ideologische und geistige Probleme unter den Jugendlichen und in der Öffentlichkeit der Gesellschaft zu finden. Auf diesem Gebiet gleichen seine Anstrengungen einem Kampf, der um der Verbreitung der Wahrheit willen geführt wurde - tapfer ein ganzes Leben lang. Das Resultat dieser ununterbrochenen Anstrengungen sind zahllose Notizen, Untersuchungsaufzeichnungen, viele Bücher und Essays, von denen ein Teil bereits veröffentlicht worden ist; der Rest wird baldigst folgen - so Gott will. In dem vorliegenden Essay spricht er über ein bedeutendes philosophisches Problem, über das Wahre und das Falsche. Es existieren nur wenige Schulen und Ideologien, die sich mit diesem Gebiet nicht befaßt hätten, so daß man, ohne dabei zu übertreiben, sagen kann, daß dieses Thema als Maßstab zur Beurteilung der inhaltlichen Aussagen der verschiedenen Ideologien gelten kann. Bei der Behandlung dieses Themas wählt Motahhari eine Methode, die als die beste Unterrichtsmethode betrachtet werden kann. Zunächst trennt er die verschiedenen Bereiche voneinander ab. Dann bestimmt er innerhalb eines jeden Bereichs den Zweig, über dem das Thema sich entwickelt. So ermöglicht er dem Leser, aus weiter, überschauender Perspektive über die verschiedenen Gesichtspunkte Vergleiche anzustellen und deren Vor- und Nachteile dabei heraus zu arbeiten. Die drei Bereiche, die dieses Thema umfaßt, sind nach Motahharis Aufteilung:

Das Wahre und das Falsche in der Ordnung des Seins

Das Wahre und das Falsche in der Erschaffung des Menschen

Das Wahre und das Falsche im Heiligen Qur’an

Motahhari vergleicht dann innerhalb der Bereiche die verschiedenen Zweige und Teile miteinander, kritisiert und analysiert die Ideologie, die vorgibt, die perfekteste und vollständigste zu sein und sich selbst sozusagen für göttlich hält. Motahhari deckt ihre Mängel und Schwierigkeiten auf. Die Marxisten sind es, die auf diesem Gebiet lautstark Propaganda treiben; Motahhari kritisiert weise, zeigt auf, was an ihren Parolen und in ihren Diskussionen wahr und was falsch ist und geht dabei unparteiisch und ohne jeglichen Chauvinismus vor. Das Ende dieses Aufsatzes ist der Aussage des Heiligen Qur’ans zu diesem Thema gewidmet. So kommentiert Motahhari für diejenigen, die auf der Suche nach dem Wahren und der Wahrheit sind, in einer sehr schönen, jedem verständlichem Sprache die wesentlichen Teile des Heiligen Qur’ans. Man könnte selbstverständlich stundenlang über jedes Werk Motahharis reden und seitenweise darüber schreiben - aber "in den Gefilden, wo der Adler seine Kreise zieht, ist es für ein mageres, kleines Insekt sinnlos, zu manövrieren." (Diese Bemerkung bezieht sich auf einen Satz Imams Ali (a.s.) - auf dem Gottes Segen ruhe - der den Leuten rät, sich nicht in das Meer der komplexen Schwierigkeiten von Theologie und islamischer Erkenntnis zu stürzen, sie sollten diese Gefilde lieber den "Fischen" überlassen, die fähig sind, in solchen Tiefen zu schwimmen.)

Man muß das Wort von der Wahrheit aus dem Mund der Kenner des Wahren Hören, und wer wäre ein besserer Kenner als Meister Motahhari?

Zitate - Kernsätze

Das Wahre und das Gute sind authentische Größen, das Falsche ist Sekundärerscheinung, etwas Aufgesetzes. Eine solche Konzeption basiert auf einem Optimismus der menschlichen Natur gegenüber und ordnet Wahrheit und Gerechtigkeit Authentizität zu; Abirrungen vom rechten Weg sieht sie als zufällige, durch äußerliche Ursachen hervorgerufene Tatsachen an.

Man beurteilt das Wahre und das Falsche in ihrem sozialen und historischen Kontext, nicht in Bezug auf ihre Authentizität, auch nicht im Bezug auf die Ökonomie. Aber man spricht beiden eine Authentizität rein menschlicher Essenz entsprechend zu.

Der Marxismus gesteht innerhalb seiner Ontologie dem Menschen weder Instinkt noch Wesenhaft oder Individualität zu und negiert jegliche Innerlichkeit. Er lehnt jede Autonomie des Menschen ab, betrachtet ihn nur als der Gesellschaft und den Produktionsmitteln der Wirtschaft unterworfenes Objekt. Autonomie und Freiheit aber finden ihren Sinn in der Anerkennung dessen, was der Islam mit "menschlicher Natur" bezeichnet.

Das Wahre und das Falsche

Eines der bedeutendsten Kapitel des Weltanschauung ist die Diskussion über das Wahre und das Falsche. Dieses Thema nimmt der Heilige Qur’an wiederholt auf, wobei er es unter zwei verschiedenen Aspekten vorstellt:

1 - Das Universum allen Seins

2 - Gesellschaft und Geschichte

Im vorliegenden Aufsatz wird bevorzugt der zweite Aspekt in Betracht gezogen, aber trotzdem wird nicht versäumt, vom Wahren und vom Falschen innerhalb des Universums allen Seins zu sprechen.

Das Wahre und das Falsche im Universum allen Seins

Beruht die Ordnung des Universums auf der Wahrheit? Stützt sie sich auf die Wahrheit? Gibt es einen Ordnung, wie es sie geben muß und müßte? Befindet sich innerhalb dieser Ordnung jedes Ding an seinem ihm eigenen Platz? Oder ist es umgekehrt die Order des Falschen, das regiert? Hat das Falsche freien Zutritt zum Universum? Gibt es dort Dinge, die es nicht geben dürfte? Ist die Ordnung in ihrer Gesamtheit absurd, ohne Ziel und ohne Ende?

Vor diesen Fragen haben sich die Geister der Waisen in verschiedene Gruppen geschieden. Manche stimmen mit dem ersten Teil der Fragen und entsprechenden Antworten überein. Andere wieder wählen den zweiten Teil. Wieder andere vertreten eine von den anderen Gruppen völlig abweichende Auffassung.

Gewisse Philosophen wie beispielsweise die Materialisten verhielten sich immer pessimistisch dem Universum (und dem Menschen) gegenüber und sahen das Universum in seiner Gesamtheit als etwas Unangenehmes, blind und stumm und ziellos Vergehendes an, das überhaupt nicht zu existieren bräuchte.

Theologen, Religionen und göttliche Doktrinen hingegen, vor allen Dingen der Heilige Qur’an, stellen die Schöpfung der Welt auf eine klare und überragende Weise auf die Basis der Wahrheit. Diese Anschauung sieht in der Welt nur Gutes und Schönes, kein Exzeß findet einen Weg, um in diese Welt vorzudringen. Das, was sich in ihr an Falschem befindet, geht vorüber und wird von ihr nur als Spielzeug benutzt. Im System des Seins gibt es nichts, das nicht verdient hätte zu sein. Gott hat alles im besten Zustand erschaffen, jedem Ding hat er seine eigene Gestalt gegeben. Dann hat er ihm seine Richtschnur gegeben.

Die dritte Gruppe glaubt, Universum und ebenso der Mensch seien eine Kombination aus Gutem und Schlechtem; halb angenehm, halb unangenehm. Die Hälfte des Universums muß bestehen bleiben, die andere Hälfte darf nicht existieren.

Wir sehen in der Welt ein Dualsystem: Es gibt sowohl Gut als Schlecht, sowohl Wahres als auch Falsches. Man beobachtet in der Welt Mängel und Vollkommenheit, und Gesundheit, Sterben und Leben, Ordnung und Chaos, Unterdrückung, Gerechtigkeit, Korruption, Reform, Aufblühen, Ruin, Wachstum... Dieser Dualismus existiert schon seit dem Augenblick der Erschaffung der Welt, aber es ist unmöglich, daß das ganze Universum sich nach einem einzigen Prinzip und aus ein und demselben Ursprung entwickelt hat und daß dieser Dualismus Existenz hat. Der dualistische Gedanke, der im antiken Persien kursierte, entstammte der Tatsache, daß die alten Perser die Vorstellung hatten, die Welt stehe auf zwei Füßen: Dem Guten und damit dem Licht einerseits und der Niedertracht und damit der Finsternis und Bosheit andererseits. Ebenso glaubten sie, die Heere dieser beiden Mächte, das Heer Gottes und das des Satans, führten einen kontinuierlichen Krieg gegeneinander (obgleich von vornherein vorgesehen war, daß der Erstgenannte den Sieg davontragen und der Letzteren für immer schlagen würde).

Obwohl wir in dem Buch über "Die göttliche Gerechtigkeit" (Adli-Ilahi) genügend über das Gute und das Böse, die Güte und die Bösartigkeit gesprochen haben, ist es auch hier notwendig, daß wir ein wenig dabei verweilen. In der göttlichen Theologie ist Authentizität des Daseins jene des Wahren, des Guten, des Vollkommenen und des Schönen. Falsches, Bösartigkeit, Mangelhaftigkeit, Häßlichkeit, sie alle befinden sich am anderen Extrem, um bald zu Nichts zu vergehen. Existiert das Schlechte, so deshalb, weil es der Ursprung des Nichts für etwas anderes ist. Niedrigkeiten sind notwendig für die Existenz des Guten und Wahren. Sie sind einer Reihe natürlicher Mittel vergleichbar, zwar von gut und wahr untrennbar, die aber keinerlei Authentizität besitzen. Im Vergleich zu den guten und wahren Dingen sind sie gleich dem „Nicht-Seienden". Das "Nicht-Seiende" ist für das Überdauern des "Seienden" notwendig. Wesentlich ist die Erschaffung einer von der Realität abhängigen und mit ihr zusammenhängenden ausgeglichenen Lage. Absolute Existenz bedeutet absolutes Gutes, das außerhalb von Gemeinheit, Häßlichkeit und Undurchsichtigkeit jeglicher Art steht. Bei dieser Existenzstufe, die des höchsten Wesens ist, gibt es weder die Ausgeglichenheit noch das Nichts. Aber die Geschöpfe Gottes, die von dem absoluten Wesen abstammen, weisen von Natur aus Schwächen auf, denn damit ein Werk zum Existieren kommt, ist es nötig, daß sein Urheber vorher existiert: Und da Gott der absolute Urheber ist, sind alle Kreaturen, sein Werk, mit Schwächen und Mangel behaftet. Soll ein Werk also Existenz gewinnen, so muß es seinem Urheber folgen. Spricht man nun im Bezug auf Urheber und Werk von dem Werk des "Werkes", so nimmt es eine noch zweitrangiger Position ein.

Das "Nicht-Seiende" also bahnt sich, obgleich es keine Authentizität besitzt, seinen Weg hin zum "Seienden", um zur menschlichen Natur hin zu gelangen, die nach Aussagen der Theologen das Schwächste und am meisten mit Mängeln behaftete unter allen Existierenden ist. Deshalb manifestieren sich die Schwächesymptome des menschlichen Wesens, die in einer Gestalt verpackt sowohl die Schwächesymptome seiner Natur als auch die des "Nicht-Seienden" sind, immer mehr und mit immer offensichtlicher.

Schlechtes und Falsches sind, obwohl sie keinerlei Authentizität besitzen, von den sekundären Notwendigkeiten des Existierens untrennbar. Betrachtet man das Seinssystem als etwas Existierendes, so sehen wir, daß Falsches, Authentizität und Nicht-Seiendes ihren Weg finden, in es einzudringen.

Von oben betrachtet sieht man nichts als Licht. Aber schaut man von unten nach oben, so zeigen sich Schatten. Denn jeder Körper muß einen Schatten haben. Obwohl dieser Schatten keine Authentizität hat, fällt er uns ins Auge und legt sich auf unseren Geist. Schatten ist nur Mangel an Licht an einem bestimmten, von Licht umgebenen Fleck. Die göttliche Religion resümiert all das unter dem Wort "Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes", das heißt unter einer erhabenen Konzeption, die nur Gott, seine Gnade und Barmherzigkeit kennt. Es ist schwierig, sich all diese Dinge geistig vorzustellen. Aber gelangt unser Denken einmal zu dieser Vorstellungsfähigkeit, so werden alle Probleme gelöst sein. Die Welt trägt nach dieser Konzeption zwei Gesichter, in zwei Richtungen gewandt; eines kommt vom Absoluten Wesen her, eines richtet sich darauf hin. Das erste ist Seine Gnade und das zweite Seine Barmherzigkeit. Alle übrigen Attribute Gottes sind Sekundärbezeichnungen. Gott ist z.B. der Rächer - aber diese Bezeichnungen leiten sich nur von seinen (oben genannten) Attributen her, die Authentizität liegt in seiner Gnade und Barmherzigkeit. Gnade hat eine gewisse Authentizität, die für die Ungnade nicht existiert. Bei dieser Beschreibung handelt es sich um eine monotheistische Sicht, einer wahrhaft philosophischen Konzeption und eine wirkliche Ontologie (die Lehre vom Sein).

Wahres und Falsches in Gesellschaft und Geschichte

Der zweite Teil der Diskussion über das Wahre und das Falsche betrifft die Menschheit, die Gesellschaft und die Geschichte. Lassen wir das Problem, ob die Existenz eine gute, perfekte Ordnung hat oder ob das Gegenteil der Fall ist, beiseite. Die Frage stellt sich vielmehr im Bezug auf die Erschaffung des Menschen selbst. Wie ist er, eine Kreatur, die das Wahre und die Gerechtigkeit sucht, den Wert, das Licht? Oder das Gegenteil - ist sie bösartig, verderbt, ungerecht, mörderisch gesinnt? Oder haben bestimmte Menschen eine Neigung zur Wahrheit, und bestimmte andere sind Verteidiger des Falschen, und beide Gruppen bekämpfen einander, so wie es Molawi sagt?

"Gott hat zwei Flaggen gehißt, die eine weiß, die andere schwarz. Die erste, das ist das Sinnbild des Menschen, die zweite das des Teufels."

Es gibt hierzu verschiedene Theorien. Eine davon lautet: Instinktiv ist der Mensch eine bösartige Kreatur, tyrannisch und mit bösem Willen, die nur nach Diebstahl, List und Betrug strebt. Bösartigkeit, Verderbtheit, Ausbeutung, Unterdrückung bilden einen Teil seiner Natur. Im Laufe der Geschichte hat es gute Menschen gegeben, mit allen menschlichen Werten gesegnet, das waren aber nur Ausnahmen, die Natur hat sie so sein lassen. Innerlich aber treibt es den Menschen zu Herzlosigkeit und Gemeinheit. Nur hin und wieder veranlaßt ihn die Natur dazu, gut zu sein. Als der Mensch sich der Natur und den wilden Tieren gegenüber sah, konnte er nichts weiter tun als sich gezwungenermaßen einem Sozialkontakt zu unterwerfen, um sich verteidigen zu können. So haben sie sich selbst dazu gezwungen, ein soziales Leben zu führen, Gerechtigkeit im Umgang miteinander zu respektieren, denn ihr eigenes Interesse forderte das von ihnen. Eine äußere Kraft also veranlaßt uns dazu, gut zu sein. Genauso sind die schwachen Staaten genötigt, untereinander Friedens- und Freundschaftsverträge gegenüber einem mächtigen Staat zu schließen, um seinen Bösartigkeiten auszuweichen; sobald der gemeinsame Feind verschwindet, bricht unter den schwachen Staaten ein Krieg aus. Immer, um gemeinsam gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen zu können, arbeiten die Menschen zusammen. Im Grunde ist jedes Glied bei der Zusammenarbeit gegen das andere eingestellt, darum bricht, sobald der gemeinsame Feind verschwindet, innerhalb der Gemeinschaft ein gewisser Widerspruch auf, der sie in zwei Gruppen scheidet. Wenn wieder eine dieser beiden Gruppen verschwindet, entsteht erneut eine Spaltung innerhalb der anderen Gruppe, so setzt sich der Teilungsvorgang fort, bis nur noch zwei Personen übrig bleiben, die einander noch immer weiter bekriegen. Diese Theorie ist abgeleitet aus der des Kampfes ums Überleben, entwickelt von Darwin, die irrtümlicherweise verallgemeinert auf den Menschen bezogen wird. Der größte Teil der alten Materialisten sowie einige moderne Materialisten vertraten diese Auffassung, wobei sie die Menschheit mit viel Pessimismus beurteilten. Nach ihrer Meinung ist der Mensch unverbesserlich. Sie glauben nicht an die reformative These. Ihren Vorstellungen entsprechend, ist das Vorstellen dieser These ein nutzloses Unterfangen. Es ist für sie so, als wollte man ein Gesetz für den Skorpion erlassen, damit er in Zukunft nicht mehr die Menschen steche: Der Stich des Skorpions beruht nicht auf Rachsucht. Es ist ein Teil seiner Natur selbst. Fordert die Natur des Skorpions, daß er steche, so ist es Unsinn, ein Gesetz gegen ihn zu erlassen. Ähnlich liege der Fall beim Menschen. Solange er auf der Erde lebt, werde er durch das Schlechte angezogen, ohne daß man ihn verbessern könnte. Darum betrachten die meisten Denker dieser Sorte den Selbstmord als den letzten Ausweg und sagen: Da das Leben des Menschen nichts als Niedertracht ist, ist es besser, diesem Dasein ein Ende zu setzen, den Menschen aus diesem Universum, das voll von Häßlichkeit ist, zu erretten. Diese irrige Denkweise wurde von Sadiq Hidayat aus dem Okzident (in den Iran) eingeführt. Er zeigt uns in seinen Werken nur die abscheulichen Aspekte des Lebens, als einen Morast von Schlamm und Schmutz, in dessen Schlick nur ein paar Würmer überleben können. Hidayat beendete selbst unter dem Einfluß seiner Schriften sein Leben durch Selbstmord. In der Zeit, als er unter den Jugendlichen Erfolg hatte, endete für die meisten von ihnen das Leben im Selbstmord. Auch der Manicheismus begründete sich auf der Idee, das Leben des Menschen sei nur Gemeinheit und Niedrigkeit. Aber er glaubte an die Dualität von Geist und Körper und sagte, Körper und materielles Leben beruhten nur auf einer Hinterlist. Dem Manicheismus zufolge ist der Geist Gefangener des Körpers. Derjenige, der sich selbst tötet oder stirbt, entrinnt diesem Leben wie der Vogel, der dem Käfig entflieht. Obwohl Manès an ein jenseitiges Leben glaubte, hielt er das Leben, das in dieser Welt abläuft, für einem bösen Witz. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist der Mensch eine instinktiv bösartige Kreatur, die Bösartigkeit ist Teil seiner Natur und seines innersten Wesens. So ist er immer gewesen, so ist und bleibt er. Es besteht keine Hoffnung, daß der Mensch sich bessere, eine Hoffnung auf eine gute Zukunft des Menschen ist reine Illusion.

Der Heilige Qur’an sagt:

"Dein Gott sprach zu den Engeln: 'Ich werde euch meinen Vertreter auf die Erde schicken.' - Sie sagten: 'Willst du auf ihr jemand einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt, wo wir dir lobsingen und deine Heiligkeit preisen? - 'Ich weiß,' erwiderte der Herr, 'was ihr nicht wißt.'"

Das heißt, Gott wies nicht einfach den Vorschlag der himmlischen Geister zurück, er antwortete ihnen jedoch, daß er mehr wisse als sie. Anders ausgedrückt, sagte Gott zu ihnen: "Ihr seht nur die eine Seite, ihr kennt nicht die Wahrheit der Natur des Wesens, das ich erschaffen will. Ihr könnt sie nicht kennen. Sie übertrifft das, wofür ihr sie haltet." Die himmlischen Geister kannten nur die Hälfte des Buches über das menschliche Wesen, und darum waren sie zu pessimistisch in Anbetracht der Erschaffung des Menschen. So ist es nicht erstaunlich, daß manche Denker nur die Schattenseiten des menschlichen Lebens sehen und dann solche Ratschläge erteilen.

Eine andere Theorie, die der vorhergehenden widerspricht, sagt, die Natur des Menschen beruht auf dem Guten, dem Wahren, der Gerechtigkeit. Der Mensch sei moralbewußt, gut, suche den Frieden. Der Ursprung der Natur des Menschen sei Licht, Gerechtigkeit, Tugend, Ehrenhaftigkeit. Was ist es, das ihn verderbt werden läßt? Es wird geantwortet, ein äußeres, dem Menschen aufgezwungenes Motiv sei es, das ihn auf Irrwege dränge. Die Gesellschaft verderbe den Menschen. J.J. Rousseau vertritt diese Meinung. In seinem Werk "Emile" will er uns zeigen, daß der Mensch, sobald er sich von der Gesellschaft absondert und in freier Natur lebt, ein gesundes, ehrenhaft und tugendhaft handelndes Wesen wird; alle Verderbtheit, Ehrlosigkeit, Bosheit sind Folgen der Gesellschaft, denen er gezwungenermaßen unterliegt. Der Gesellschaft und dem Sozialleben gegenüber ist Rousseau demnach sehr pessimistisch eingestellt. Als reformatorische These schlägt er dem Menschen vor, sich immer mehr in die Natur zu flüchten. Rousseau stellt sich gegen die moderne Zivilisation, weil er glaubt, diese entferne den Menschen von der Natur. Je mehr er sich der Natur annähere, desto besser bewahre er seine menschlichen Qualitäten, seine Ehrbarkeit, seine Tugend. Die Theorie Rousseaus nähert sich in einer Beziehung der Theorie über die Natur, die der Islam vertritt, an, und sie läßt uns an das Wort des verehrten Propheten (s.a.s.) denken, der sagt:

"Jedes Kind hat, wenn es geboren wird, eine reine moslemische Natur. Die Eltern machen es dann zum Juden, Christen oder Zoroastrier."

Judentum und Christentum dienen hier nur als Beispiele, und die Eltern sind nur Sinnbild der beiden sozialen Motive, d.h. die Natur des Menschen ist gesund, die Gesellschaft ist es, die ihn krank werden läßt. In einer der Erklärungen zu diesem überlieferten Zitat gibt der Prophet (s.a.s.) folgendes Beispiel:

"Ihr seid es, die euren Tieren die Ohren abschneiden. Ist es möglich, daß sie mit abgeschnittenen Ohren geboren werden?"

Sie kommen ganz gesund zur Welt, der Mensch schneidet ihnen die Ohren ab. Genauso ist es mit dem Menschen, von Natur und Geburt aus ist er ein tugendhaftes, gutes Wesen, geneigt zur Gerechtigkeit. Später dann wird er zu Abirrungen, Lügen, Unterdrückung, Verrat, Niedertracht, Ehrlosigkeit und Verderbtheit verleitet. Nach dieser Theorie also sind Wahrheit und Gutes authentisch, das Falsche ist nur eine sekundäre, dem Menschen auferlegte Sache. Diese Theorie gründet sich auf einer optimistischen Haltung der menschlichen Natur, dem Menschengeschlecht, der menschlichen Struktur gegenüber. Das Prinzip ist also Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit, Wahrheit, Aufrichtigkeit, und jegliche Abirrung ist Folge äußerer und zufälliger Ursachen, philosophisch gesagt, "eventueller Ursachen". Das bedeutet, das Fortschreiten der Menschheit in Richtung Gerechtigkeit basiert auf natürlichen, innerlichen, dynamischen Motiven, aber dank äußerlicher, zufälliger mechanischer Veränderungen werden dem Menschen Niederträchtigkeit und Übel auferlegt.

Es gibt eine andere Theorie, die lautet: Innerhalb einer Gesellschaft sind die einen Verteidiger der Wahrheit, die anderen suchen das Falsche. Der Engel inspiriert das Gute, und der Satan provoziert das Böse. So teilen sich die menschlichen Wesen in zwei Gruppen. Jene, die sich in Richtung Wahrheit bewegen, folgen dem Propheten (s.a.s.) und gelangen zum Glauben, und die, die dem Satan Folge leisten, hören nicht auf den Appell des Propheten (s.a.s.) und bleiben ungläubig. "Gott hat zwei Flaggen gehißt, die eine weiß, die andere schwarz. Die erste, das ist das Sinnbild des Menschen, die zweite das des Teufels." Die Gesellschaft ist demnach ein Gemisch aus Gut und Böse, aus Wahrheit und Falschheit; der Mensch ist ein Komposition aus Güte und Boshaftigkeit, und der Kampf zwischen Wahrem und Falschen dauert im Menschen wie in der Gesellschaft an; welches von beiden den Sieg davontragen wird, ist ein anderes Thema, das noch zu behandeln sein wird. (Unserer Ansicht nach gehört der Endsieg dem Wahren und der Wahrheit. Das Gute wird das Böse schlagen. Die Gerechtigkeit wird über die Unterdrückung siegen. Das Licht beseitigt die Dunkelheit, und die Religion triumphiert über den Unglauben.) Gott schickte den Propheten (s.a.s.), damit er die Menschen zur Religion und zur Wahrheit hin führe, auf daß die Religion den Sieg davontrage, selbst wenn das den Heiden mißfallt. Gott versprach den Gläubigen großartige Werke und, daß er für sie einen Vertreter auf Erden wählen würde - so wie er es auch zuvor getan hatte. Er ließ ihre Religion die erhabenste werden, weil sie seine bevorzugte ist. Anstatt sie in Schrecken und Angst zu versetzen, bot er ihnen Sicherheit, auf daß sie weiterhin zu Gott beteten und sich nicht dem Heidentum zuwendeten.

Die nächste materialistische Doktrin ist eine historische. Im 19. Jahrhundert trat eine materialistische These auf; diese Doktrin hielt sich für optimistisch gegenüber der Geschichte, der Zukunft und der Gesellschaft. Das war der Marxismus. Hegel begründete eine Logik und eine Philosophie, die auf einem Revolutionismus basierten. War auch Hegel kein Materialist, so baute doch Marx, indem er von Hegels dialektischer Philosophie und Logik profitierte, seine eigene materialistische Konzeption (den dialektischen Marxismus) darauf auf. Er beschrieb die Geschichte als materialistisch. Die grundlegenden Thesen des Dialektischen Materialismus sind:

1. Negation von Natur und Instinkt des Menschen

Der Marxismus spricht dem Menschen jeglichen Instinkt und jegliche Wesenheit und Individualität ab und negiert menschliches Bewußtsein und menschliche Natur jeder Art. Vor dem Marxismus hatte die Soziologie des 19. Jahrhunderts bereits dieses Thema behandelt und dabei behauptet, die Soziologie des Menschen überrage seine Psychologie. Alles, was wir beim Menschen für instinktiv und natürlich halten, so wie alles, was der Mensch besitzt, verdankt er allein der Gesellschaft. Die Gesellschaft formt sämtliche spirituelle und psychologische Systeme des Menschen. Die Gesellschaft erlegt dem Menschen moralischen Instinkt auf. Der Mensch hält ihn bei sich für naturgegeben. Wie Rohmaterial ohne Kraft und ohne Fähigkeiten wird der Mensch in die Fabrik eingeliefert, und diese macht aus ihm dann das, was ihr gefällt. Oder wie ein Magnetband registriert der Mensch alles, was man darauf spricht; später gibt er dann sämtliche Reden unverändert wieder. Wenn man ihm den Heiligen Qur’an vorliest, so wird er wieder den Heiligen Qur’an zu Gehör bringen, tragen Sie ihm Gedichte vor, wird er ihnen Ihre Poesie wiedergeben, und rezitieren Sie Prosa, werden Sie diese sofort wieder hören können. Der Mensch ist also in seinem Innersten weder gut noch böse. Die sozialen Gegebenheiten lassen ihn gut oder schlecht werden.

2. Der ökonomische Aspekt des Marxismus

Aus dem soziologischem Blickwinkel des Marxismus heraus nehmen die Organisationen und Institutionen der Gesellschaft nicht alle denselben Rang ein. Die Gesellschaft gleicht einem Gebäude, das eine Basis und einen Unterbau aufweist, auf die sich die übrigen Teile der Gesellschaft aufbauen, und ihr Fortleben und -bestehen hängt allein von jenen Ersteren ab. Basis und Unterbau ist die Ökonomie. Die Veränderung der ökonomischen Verhältnisse bringt auch die Veränderung der sozialen Elemente mit sich, und dadurch wird das Verhalten des Menschen verändert. Es ist also die Gesellschaft transformiert, und diese ist ihrerseits Frucht des Produktion oder, in anderen Thermen der Produktionsmittel. Also sind die Produktionsmittel die Produzenten der Gesellschaft, und die Gesellschaft bildet den Menschen. Will man nun den Menschen im Lauf der Geschichte kennenlernen, so ist es zuerst notwendig, die wirtschaftlichen Bedingungen und die Produktionsmittel ihrer Gesellschaft zu kennen. Ob der Mensch gut oder böse ist, hängt allein mit dem speziellen Zustand dieser Produktionsmittel zusammen. Gutes, Licht, Gerechtigkeit einerseits, Böses, Finsternis und Unterdrückung andererseits sind nicht vom Menschen abhängig. Sie sind allein verknüpft mit dem Produktionssystem, das manchmal absolute Gerechtigkeit und Gutes für die Gesellschaft fordert und ein anderes Mal das Gegenteil. Davon ausgehend, nimmt der Marxismus an, daß es für sämtliche Gesellschaften nur einen Entwicklungsverlauf gebe, und daß die Gesellschaft innerhalb dieses gewisse Etappen zurücklegen müsse: Urkommunismus, Sklavenhalterschaft, Feudalismus, Bourgeoisie, Kapitalismus, Sozialismus und Endkommunismus. Der Urkommunismus stellt den Ursprung des Soziallebens des Menschen dar, der zu jener Zeit Landwirtschaft und Sklavenhaltung noch nicht entdeckt hatte. Er kannte noch nicht seine Industrie und seine Produktionsmittel. Er kannte nur zugespitzte Steine, mit Hilfe derer er Jagd auf Tiere machte. Alle jene einfachen und gewöhnlichen Hilfsmittel sowie seine Produktion genügten nur gerade so seinen eigenen Bedürfnissen. So glich sein Leben dem der Vögel, die des Morgens ihr Nest verlassen, um auf Nahrungssuche zu gehen, des Abends dann, wenn sie satt geworden sind, suchen sie es wieder auf. Das wiederholt sich Tag für Tag. Eine solche Art von Produktion veranlaßt die Menschen dazu, untereinander gutes Benehmen zu pflegen wie eine Herde Gazellen, die nie unter sich Auseinandersetzungen haben. Morgens gehen sie auf die Weide, abends kehren sie zurück und leben freundlich zusammen. Der Kampf mit der Natur und den wilden Tieren war ein Grund mehr, Freundschaft und Zusammenhalt unter den Menschen zu stiften. Es gab keinen Grund für Krieg oder Mißverständnis unter ihnen. Der Produktionsstand des Urkommunismus forderte Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Langsam, aber sicher jedoch macht der Mensch Fortschritte. Er erlernte den Ackerbau, Viehzucht, fabrizierte perfektere Werkzeuge, damit er bessere Produktionsergebnisse erzielte. So entdeckte er z.B. den Weizen und andere Getreidesorten, und die säte er nun. Besaß er nur 70 Diener, so genügte das reichlich für ein Dutzend Personen. So begann die Ausbeutung innerhalb der Gesellschaft aufzutauchen. Das heißt, einige arbeiteten, und andere profitierten von dieser Arbeit, ohne daß sie einen Finger rührten. Früher hatte jeder für sich arbeiten müssen, nun aber, wo es die Möglichkeit gab, daß einer auf Kosten der Arbeit des anderen leben konnte, entstand das Privateigentum, Grundbesitz, Sklavenhaltung. So ließen manche ihre Sklaven für sich arbeiten, während sie selbst ihre Zeit damit verbrachten, gut zu essen und zu schlafen. Sie beuteten diese Sklaven aus. Von dem Zeitpunkt an, da sich die Produktionsmittel entwickelten, erschien auch das Privateigentum auf der Bildfläche, und dieses gebar Ausbeutung und Unterdrückung. Die Destruktion des Unterbaus verdarb demnach den Menschen und machte ihn zum Ausbeuter oder Ausgebeuteten. Nach Marx sind beide, Ausbeuter und Ausgebeuteter, vollkommen selbstentfremdet, entfernt von der Menschlichkeit, denn der Ursprung der Menschlichkeit lautet "Wir". Vorher war alles Eigentum öffentlich oder gemeinschaftlich gewesen, aber das Auftreten des Privateigentums wandelte das "Wir" in das "Ich" um und setzte einen in Opposition zum anderen. So offenbarten sich Verderbtheit, Böses, Unterdrückung und Ruin. Im Urkommunismus hätte es nur das Gute, Frieden, Wohltaten, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit gegeben, denn das Problem des Reichtums existierte noch nicht. Sobald das Privateigentum sich manifestierte, provozierte es nur noch Unterdrückung, Korruption, Ungleichheit. Nur im Urkommunismus dominierte demnach das Wahre der Gesellschaft, und war diese Epoche vorüber, so gab es keine Wahrheit und keine Gerechtigkeit mehr.

Nach Marx besitzt der Mensch keine Echtheit, keine Natur, kein Bewusstsein, keine Macht. Denken, Geist, Geschmack, Bewusstsein und alles andere, was der Mensch haben kann, hängt nur von der Gesellschaft ab. Die Basis der Gesellschaft ist die Produktionsorganisation, und Produktionsstand und Unterwerfung unter die Geschichte machen aus dem Menschen das, was sie wollen. Geben sie ihm Licht, wird er leuchten, und in der Finsternis wird er nicht taugen. "Wie eine Eule, die vor dem Spiegel steht, so werde ich alles wiedergeben, was das Ewige mir einflößt." Hier ist der Spiegel die Produktionsmittel. Böses, Verderbtheit und Falschheit sind gezwungenermaßen Früchte dieser Produktionsmittel, und diese bestehen solange fort, bis letztere sich erneut entwickeln, bis das Privateigentum verschwindet, und bis das öffentliche, gemeinschaftliche Eigentum erscheint. Dann werden die Menschen wieder gezwungenermaßen gut, das Wahre wird uns wieder seinen Schutz bieten, Brüderlichkeit wird sich manifestieren, die "Ichs" verwandeln sich in "Wir", es entstehen Gutes, Licht und Gerechtigkeit. Der Mensch ist durch die Macht der Geschichte dieser Konzeption unterworfen, die Produktionsmittel sind ihm überlegen. Der Mensch kann gut oder böse sein, je nach dem, was diese Mittel verlangen. Im Augenblick leben wir in einer Zeit, wo der Mensch bösartig ist. Werden die Produktionsmittel in Zukunft von ihm verlangen, daß er gut sei, so wird er es mit Sicherheit. So muß man der Menschheit weder optimistisch noch pessimistisch gegenüberstehen.

Die reformatorische These

Wir haben gesagt, diejenigen, die glauben, der Mensch sei bösartig von Geburt an, und die der menschlichen Natur pessimistisch gegenüberstehen, haben keine reformatorische These aufzuweisen, denn sie halten ja den Menschen für unverbesserlich, und man braucht nicht in Utopien zu schwelgen. Auch Marx glaubte nicht an die reformatorische These. Er betrachtete jede reformatorische These zu der Zeit, als das Privateigentum existierte, als reine Illusion. Nach Marx ist jeder moralische Ratschlag die Menschen zu Gerechtigkeit zu ermuntern und zu Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft aufzurufen, nur ein imaginärer Sozialismus, denn der Materialist spricht dem Menschen jede Macht ab und unterwirft ihn der Gesellschaft und den Produktionsmitteln und hält ihn für einen Gefangenen der Geschichte. Marx sagt, die Entwicklung der Gesellschaft sei der Geburt eines Kindes zu vergleichen, das nicht zur Welt gebracht werden kann, bevor die Zeit nicht gekommen ist. Man müsse abwarten, bis die Produktionsmittel diesen Entwicklungsgrad erlangt hätten, der erlaubt, daß das Privateigentum verschwindet. Es ist mit einer schwangeren Frau zu vergleichen, die im dritten Schwangerschaftsmonat keinem normalen Kind das Leben schenken kann. Es gäbe nichts weiter als eine Fehlgeburt. Sie muß abwarten, bis der vorgesehene Zeitpunkt gekommen ist. Das einzige, was man tun kann, ist, die Schmerzen bei der Niederkunft zu verringern. Diejenigen, die im Menschen keinerlei Wesenheit sehen und glauben, alles sei durch die Gesellschaft fabriziert, sind Deterministen. Sie verwerfen die reformatorische These, denn will man sie akzeptieren, so muß man glauben, daß der Mensch sich der Restauration, der persönlichen Reform hingibt und das Wahre, die Gerechtigkeit und Ehrenhaftigkeit wiedereinführt. Durkheim beispielsweise glaubte fest an die sozialen Tatsachen, von denen er die moralischen ableitet, und er nimmt ganz einfach an, die Macht der sozialen Gegebenheiten beherrsche den Menschen. Autonomie und Freiheit sind reine Illusion. Alle, die seine Ansicht vertreten, glauben, der Mensch sei wie ein Magnetband, das alles aufzeichnet, was man will. Da das Band nichts anderes tun kann, wiederholt es das, was man darauf aufgenommen hat. Das Ergebnis dieses Glaubens an die Authentizität der Gesellschaft ist: Autonomie und Freiheit gewinnen nur einen Sinn, sobald man das anerkennt, was der Islam mit menschlicher Natur bezeichnet, was dem Menschen bei seiner Erschaffung in den Schoß gelegt worden ist, bevor überhaupt irgendeine Gesellschaft in Erscheinung getreten ist. Die reformatorische These steht also auf zwei Pfeilen:

der Tatsache, daß man die Natur des Menschen nicht für böse hält;

der Tatsache, daß man Freiheit und Autonomie des Menschen respektiert, das, was ihm erlaubt, die Gesellschaft zu überwinden, sich zu reformieren und die Gesellschaft so zu gestalten, wie er es möchte.

Kernsätze - Zitate

Das Wahre ist wie das Wasser, das in seinem Bett dahinfließt und dabei auf eine Menge Abfall stößt.

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Indem das Falsche die Macht der Wahrheit an sich reißt, überflutet und bedeckt es sie vollkommen.

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Der Islam sagt: Wir werden die Unterdrückten erretten, nicht nur ihren Hunger stillen.

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Die Mehrheit der Gesellschaft insgesamt setzt sich aus Leuten zusammen, bei denen die Tugend mächtiger als die Verderbtheit ist. Und sollten doch einmal in ihren Reihen gewisse Mängel auftreten, so ist das eine Auswirkung ihrer Unwissenheit.

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Würde sich das Falsche nicht unter die Wahrheit mengen, werden die Verteidiger der Wahrheit nie in die Irre geführt, denn die meisten Menschen neigen zur Gerechtigkeit.

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Der Satan bedient sich des Wahren als Instrument, mischt es aber dem Falschen unter, so daß das Wahre im Gewande das Falschen erscheint.

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Der Heilige Qur’an sagt: Erweitert und vertieft Euren Blick, damit Ihr die Gesellschaft erkennt. Urteil nicht nach dem Erscheinungsbild.

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Bleibt eine Gesellschaft bestehen, so wisset, daß die Mehrzahl der Leute nicht verderbt sind, nur eine verschwindend kleine Minderheit, die nichts weiter als eine angeschwemmte Eintagsfliege ist.

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Alles Nützliche besitzt Dauerhaftigkeit. Das Nutzlose und Unfruchtbare ist sterblich und vergänglich und verurteilt zum Nichtsein.

Die reformatorische These und der Marxismus unter der Betrachtung als Wissenschaft

Man sagt, der Marxismus sei eine Wissenschaft; das bedeutet, er ist keine These. Ein Gärtner kennt genau die botanischen Gesetze, die der Reproduktion, der Krankheiten und des gesunden Zustands der Pflanzen. Dieser Gesetze bedient er sich, um die Vorgänge der Natur zu erkennen und sich ihnen anzupassen. Die Natur zu beherrschen bedeutet nichts weiter, als sie erkennen zu können. Aber der Gärtner kann nicht in vierundzwanzig Stunden ein Bäumchen großziehen, um die gewünschten Früchte davon zu ernten. Das steht außerhalb seiner Macht. Genauso befindet sich der Lauf der Natur außerhalb der menschlichen Willkür. Das Maximum wozu der Mensch fähig ist, ist die Natur zu erkennen und sich entsprechend anzupassen. Die Marxisten geben vor, ihre Ideologie sei eine Wissenschaft, die den Lauf der Gesellschaft entdecken könnte. Aber wie der Baum gezwungenermaßen einen unveränderbaren Prozeß durchmacht, befindet auch die Gesellschaft sich in einem unableugnebaren Prozeß begriffen. Wie die Natur vier Abschnitte durchlaufen muß, um den fünften zu erlangen, und diese vier notwendigen Etappen nicht aus dem Wege räumen kann, wie der Fötus sich im Mutterleib entwickelt, indem er verschiedene Entwicklungsstadien durchläuft, so kann auch die Gesellschaft nicht die Abschnitte ihres Entwicklungsprozesses, die sie passieren muß, umgehen. Ein Arzt vermag nur die Gesundheit des Fötus zu garantieren, seine Lage im Mutterleib zu regulieren, die Schmerzen der Mutter bei ihrer Niederkunft zu verringern, er kann verhindern, daß die Geburt sich zu sehr verzögert, damit das Kind nicht zu groß wird und ein Kaiserschnitt vermieden werden kann. Er kann sich also mehr oder weniger in die Angelegenheiten der Natur einmischen, aber ohne dabei eine gewisse Grenze zu überschreiten.

Die Gesellschaft durchläuft auch einen ähnlichen vorgeschriebenen Prozeß. Sie muß unbedingt gewisse Abschnitte passieren: Vom Urkommunismus zur Sklavenhalterschaft, dann zum Feudalismus, um schließlich bei Bourgeoisie und Kapitalismus anzulangen. Nachdem sie diese Etappen durchgemacht hat, wird sie den Endsozialismus erreichen. Wollte man die Gesellschaft vom Feudalstaat in den Sozialstaat versetzen, ohne daß sie diese Zwischenstufen passierte, so wäre das genauso, wie wenn man einen Fötus plötzlich in ein Kind verwandeln wollte, das kurz vor der Geburt stünde, was unmöglich ist.

Die Gesellschaft ist nicht in der Lage, mit Siebenmeilenstiefeln davonzueilen. Eine These, die unter Annahme der Freiheit und im Rückgriff auf Wissenschaft und Glaube dem Menschen zum vollkommenen Frieden, zur Vollkommenheit und zum absoluten Wohlergehen verhelfen will, ist unrealisierbar. Eine reformatorische These muß eine These sein, die ein Beispiel gibt, nach welchem der Mensch sich reformieren kann. Der Marxismus gibt vor, so etwas nicht zu besitzen. Er gibt vor, keine praktische Idee, keine praktische Philosophie zu haben. Er sagt: "Im Feudalstaat ist es nutzlos, wenn du dich anstrengst, versuche diese Etappe rascher als vorhergesehen zu lassen, daß du den Zustand des Bourgeoisie Staats erreichst. Befindet sich die Gesellschaft in der kapitalistischen Phase, versuche, sie mehr und mehr Opfer innerer Auseinandersetzungen werden zu lassen, damit die Revolution schneller zum Ausbruch kommt." So also kann man erklären, daß man keine reformatorische These aufzuweisen hat.

Eine reformatorische These zu haben bedeutet, den Menschen mit Hilfe des Menschen zu reformieren. Das basiert auf zwei fundamentalen Ideen: Erstens, daß in der Natur des Menschen eine Neigung zur Wahrheit existiert; zweitens, daß der Mensch frei und autonom ist, selbst wählen zu können. Prägte den Menschen nichts außer Niedertracht, so könnte man den Menschen nicht in die Obhut des Menschen geben. Die Propheten (a.s.) kamen, um den Menschen mit Hilfe des Menschen zu reformieren. Sie kamen nicht, daß der Mensch mit Hilfe von Engeln reformiert würde. Der Heilige Qur’an sagt:

"Wir haben die Gesandten geschickt, daß sie die Wahrheit predigen; wir gaben ihnen die Gesetze und die Waage, damit sie die Menschen auf dem Weg der Gerechtigkeit leiten möchten."

Er sagt nicht, die Gesandten sollten die Menschen zum Weg der Gerechtigkeit hinstoßen, sondern, die sollten sie leiten. Das heißt, die Gesandten wollten die Gesellschaft mit Hilfe der Menschen dieser Gesellschaft selbst reformieren. So etwas ist eine reformatorische These. Aber jene sogenannte "wissenschaftliche Hypothese" stimmte nicht einmal mit den Erfahrungen ihrer eigenen Begründer überein. Selbst zu ihrer Zeit kamen sie nicht damit zurande, die Hypothese experimentell zu bestätigen. Sie haben sogar das Gegenteil davon behauptet. Nicht nur die Gesellschaftsgeschichte stand nicht Zeuge für sie, sondern im Gegenteil, die Geschichtsschreiber bewiesen sogar, daß die Situation der Welt nicht der Vorstellung der Marxisten entsprach. Außerdem widersprachen sich Marx und Engels selbst gegen Ende ihres Lebens, nachdem sie Evolutionen und Revolutionen in Europa analysiert hatten. Lenin in Rußland bewies sogar genau das Gegenteil dieser Theorie und zeigte auf, daß das Wesentliche unter den sozialen Fundamenten die Politik und nicht die Ökonomie sei. Er begründete Marxs Sozialismus also in einer Gesellschaft, deren ökonomische Infrastruktur ihn gar nicht mehr erforderte. Er begründete eine Armee, also Macht, und eine Regierung, also Politik, eine Partei, immer noch Politik. Marx hatte im Traum nicht an solche Dinge gedacht. Nach Marx mußte die Klasse die Priorität erlangen, nicht eine Partei: Er sagte, die Partei würde kommunistisch, sobald sie sich der Arbeiterklasse annähere. Lenin sagt: "Indem sich die Klasse der Partei annähert, wird sie zur Klasse. Wir können dabei auch Mitglieder haben, die nicht der Arbeiterklasse angehören."

Mao verwarf diese Grundsätze noch mehr. Er zeigte in China, wie ein Kind mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts zu schreiten imstande ist. Marx hatte erwartet, daß die Zeitumstände ihr Kind zur Welt bringen würden. Diese Zeitumstände sah er in England, Deutschland, Amerika und Frankreich voraus, wo der Kapitalismus an das Höchstmaß heranreichte. Sie befanden sich im neunten Monat ihrer Schwangerschaft, sie mußten also in Bälde ihr Kind, den Sozialismus von England, von Frankreich, von Amerika zur Welt bringen. Aber man wartete neun Monate, neun Jahre, neunzehn, neunundzwanzig und schließlich neunundachtzig Jahre, ohne daß diese "Länder in anderen Umständen" ihre Kinder zur Welt gebracht hätten. Kann man je darauf warten, daß sie eines Tages dieses Kind gebären werden? Im Gegenteil wurden die sozialistischen Länder am ersten Tag geboren, als der Embryo sich noch im Mutterleib zu formen hatte. Im Augenblick nun sind es diese zurückgebliebensten Länder, die Tendenzen zum Sozialismus haben.

In seinen vier Thesen sagt Mao mit einer absoluten Freiheit und ohne dabei den Namen von Marx zu zitieren: "Es ist nicht richtig, daß überall die wesentlichen Widersprüchlichkeiten als wirtschaftliche betrachtet werden. Einmal ist der wesentliche Widerspruch ein intellektueller, ein anderes Mal ist der Überbau mit einem Rückgriff auf die Ökonomie zu korrigieren." In einer Gesellschaft muß die Sozialordnung verändert werden, damit die ökonomische Ordnung modifiziert werden kann, d.h., es gibt heute nichts Absurderes als die Vorstellung von Überbau und Unterbau. Unglücklicherweise betrachteten die Jungen dieses Argument als wissenschaftlich. Noch erstaunlicher ist, daß gewisse Leute den Islam diesen Vorstellungen zuordnen wollen: Sie sagen, auch der Islam betrachte die Ökonomie als Unterbau. Diese Leute kennen aber überhaupt nicht den Islam und im übrigen genausowenig den Marxismus. Diese Vorstellungen haben ihre Glaubwürdigkeit verloren und nur noch einen publizistischen Aspekt übrigbehalten. Ihre Fürsprecher jedoch wollen ihre Beziehungsgrößen Führer und Ideologie nicht verleugnen. Darum sind die gezwungen, sie in ihren Veröffentlichungen zu zitieren.

Warum präsentieren die Marxisten die Geschichte als etwas Ungewisses und Suspektes?

Die Marxisten versuchen, die Menschheitsgeschichte als etwas Ungewisses, Vieldeutiges hinzustellen. Allein den Urkommunismus betrachten sie als eine glanzvolle Periode der Geschichte. So müßte ihrer Meinung nach die Periode der Zweiten Kommune und die gesamte Menschheitsgeschichte seit dem Auftreten des Privateigentums eine Zeit der Herrschaft des Falschen, der Ungerechtigkeit, der Korruption, der Niedertracht, des Massakrierens, des Betrugs, der List und Tücke gewesen sein. So erklären sie den Vormarsch der Wahrheit im Laufe der Menschheitsgeschichte: Dieser Vormarsch sei nichts anderes gewesen als Arglist, eine suspekte Ungewißheit über den anderen. Selbst Religionen und Propheten spielten keine Rolle, sie hätten den Menschen nicht verändert, der Mensch selbst hätte sie sich nur erschaffen. Sie seien Werkzeuge in den Händen des Menschen gewesen, damit Obskuritäten, Unwissenheit und Verdummung produziert werden könnten, eine Droge, um das Volk seiner Denkfähigkeit zu berauben. Hat jemand wirklich einmal von Gerechtigkeit und Wahrheit gesprochen, so war bestimmt etwas Verdächtiges dabei. Ist es denn möglich, daß jemand in einer Zeit des Privateigentums tatsächlich Verteidiger des Wahren, der Wahrheit und der Gerechtigkeit sei? Hin und wieder akzeptieren die Marxisten Bewegungen von seiten der Unterdrückten, die in der Geschichte stattgefunden haben (die Unterdrückten haben revoltiert, um ihr Recht zu bekommen, nicht um die Gerechtigkeit zu installieren. Aber sie bekommen ihr Recht nur, wenn Gerechtigkeit geübt wird). Aber diese Bewegungen, die zu einer Zeit stattfanden, als die Produktion privates Eigentum, Bourgeoisie, Feudalismus, Sklaverei erforderlich machte, konnten zu keinem idealen Resultat führen. Der Überbau kann nur eine gewisse Zeit gegen den Unterbau laufen, nicht auf unbeschränkte Dauer. Hat es eventuell in der Geschichte ein Aufleuchten gegeben, provoziert durch das Interesse für die Humanität, so war es nur ein vorübergehendes. Es wurde zum Erlöschen gebracht, und Finsternis herrschte erneut, und das, was gekommen war, den Menschen zu erretten, hat ihn doch wieder mehr und mehr in sein Elend getaucht. Haben die Religionen auch begrenzte Wirkungen verzeichnen können, so konnten sie doch keinen Knoten des Menschlichen Lebens entwirren. Sie sind wie Platons Utopie geblieben, die nur einen idealen Plan vorstellte, geistig, unrealisierbar. Niemand konnte sie zur Verwirklichung bringen. Nicht einmal Plato selbst konnte auch nur ein einziges Dorf nach seinem eigenen Plan begründen, und so widerrief er am Ende seines Lebens seine These. Diese Vorgänge werden also nur als historische Momente angesehen.

Regierte auch der Fürst der Gläubigen fünf Jahre mit wahrer, echter Gerechtigkeit, so beträgt seine Regierungszeit im Vergleich zu der Dauer der Menschheitsgeschichte nur eine kurze Sekunde. Daher kann man sie nicht als "Periode der Wahrheit und Gerechtigkeit" anrechnen. Was also die Geschichte regiert hat, ist allein Dunkelheit und Ungewißheit. Es handelt sich hierbei um eine Sorte listiger Argumentation, die manchmal selbst Gläubige betrügt. Es ist einer jener verräterischen Pläne, die Religion in Mißkredit zu bringen. Denn das, was die Unterdrückten und Freiheitskämpfer verteidigen, ist die ganze Geschichte hindurch immer der Verkünder von Freiheit und Gerechtigkeit gewesen: Die Religion. Selbst die alten Philosophen haben nicht an derartige Probleme gedacht. Es war die Religion, die Gerechtigkeit geübt hat, sie hat vom Kampf gegen die Unterdrückung, von Freiheit und Ehrenhaftigkeit, von Gleichheit und Brüderlichkeit gesprochen. Es ist die größte Verleumdung gegen die Geschichte, das alles abzuleugnen. In einem meiner Vorträge, der den Titel "Das Hussain Epos" trägt, habe ich gewisse Prediger kritisiert, Leute, welche die Passion unseres dritten Imams (a.s.) vortragen, und habe dabei gesagt:

Aschura, der zehnte Tag des Monats Muharram, hat zwei Aspekte, zwei Seiten, zwei Gesichter: ein weißes und ein schwarzes, wie eine Geldmünze, die zwei Seiten hat. Die eine Seite repräsentiert Unterdrückung, Verbrechen, Grausamkeit, Feigheit und Härte. Die Helden dieser Seite sind Omar-ibn-Sa'd, Schimr, Sinan-ibn-Anas, Harmale Kufi usw. Während diese Seite die finsterste der Geschichte ist, ist die andere eine der glanzvollsten. Sie repräsentiert die reine Wahrheit: Hingabe, Begeisterung, Geduld und Einwilligungsbereitschaft. Die Helden dieser Seite sind Imam Hussain (a.s.), seine Brüder, seine Kinder, seine Neffen, seine Freunde. Vergleicht man die Schönheit dieser Seite mit der Häßlichkeit jener anderen, so läßt sich klar die Überlegenheit der Ersteren erkennen. Diejenigen, die die Geschichte von Aschura vortragen, pflegen jedoch den Zuhörern immer seine finstere Seite darzustellen. Man kommt fast dazu zu sagen, es gäbe im Prinzip gar keine weiße Seite. Es wird so getan, als wären Imam Hussein (a.s.) und seine Kameraden nur zugrunde gegangen, als wären sie nur unterdrückt worden und hätten keinerlei Heldentum erlangt. Obwohl, wie ich sagte, diese Geschichte zwei Aspekte hat und ihr schöner Aspekt wesentlich bemerkenswerter ist als ihr häßlicher.

Diese Kritik ist jener ähnlich, die man den materialistischen Historikern vorhalten könnte, die nur von den dunklen Seiten der Geschichte zu berichten versuchen. Denn von ihren Schönheiten zu sprechen, ist nicht im Interesse ihrer Philosophie. Zeigten sie die Schönheiten der Geschichte auf, würde der historische Materialismus ad absurdum geführt. Denn sie sagen, seit das Privateigentum auf der Bildfläche der Geschichte erschienen ist, haben die Menschen ihre menschlichen Seite vollkommen vergessen, und, wie Marx vorgibt, der Mensch sei entfremdet und in Umwandlung begriffen. Sowohl Ausbeuter als auch Ausgebeuteter sei von sich selbst entfremdet. Nur in der Zeit, als der Urkommunismus herrschte, sei der Mensch ein echt menschliches Wesen gewesen; und am Tag, an dem er den Zustand des Endkommunismus erlangt haben würde, würde er wieder zum "menschlichen Wesen". Zwischen diesen beiden Perioden verlasse der Mensch die Menschlichkeit, und seine Geschichte weise daher keinen einzigen strahlenden Moment mehr auf. Was ist nun zu tun? Es muß abgewartet werden, bis der Wagen, der uns durch die Geschichte fährt, alle auf dem Wege liegenden vorgeschriebenen Stationen passiert hat und die Endstation erreicht. Diese korrespondiert mit dem Zeitpunkt, an dem die Produktionsmittel den Sozialismus und den Kommunismus fordern. Denn im Bezug auf das In-Erscheinung-Treten des Sozialismus, begleitet von Wahrheit und Gerechtigkeit, spielt der Mensch keine Rolle, er kann es nicht beschleunigen oder verzögern. Der Sozialismus muß spontan und natürlich seine Fortschritte nehmen, bis er im vorgesehenen Augenblick in Erscheinung tritt.

Die Theorie des Islam

Die Theorie des Islam widerspricht der des Marxismus. Wie ich bereits gesagt habe, basiert der Lauf aller Existenz auf der Wahrheit, und diese stellt der Islam als etwas Authentisches vor. Das Falsche lehnt er nicht ab, betrachtet es jedoch nicht als etwas Authentisches. Darum verhält sich der Heilige Qur’an in Bezug auf die Geschichte optimistisch und gesteht dem Menschen eine gewisse Vornehmheit zu. Der Heilige Qur’an behauptet nicht, daß der Mensch ein Werkzeug sei, das dem Lauf eines blinden Determinismus Folge zu leisten hätte. Er gesteht dem Menschen nämlich sowohl auf Grund der Fähigkeit zum Glauben als auch wegen seiner Erschaffung und seiner Neigung zu Wahrheit und Gerechtigkeit eine bestimmte Authentizität zu. Er glaubt an eine natürliche Neigung des Menschen zu Aufrichtigkeit, moralischem Pflichtbewußtsein und Gerechtigkeit.

Dem Heiligen Qur’an zufolge ist der Mensch ein von seinem Ursprung gläubiges Wesen. Er neigt zu Wahrheit, das bedeutet: Er hat die vollkommene Zuneigung zum Guten und zur absoluten Wahrheit. Gleichzeitig besitzt er Freiheit und Autonomie, wenn es damit auch gut möglich ist, daß er von seinem Weg abkommt. Das sieht der Heilige Qur’an jedoch als vorübergehend an. Damit wird das Abwegige, Falsche als Relativum entlarvt, als Phänomen, als Hindernis. Woher kommt Unterdrückung? Daher, daß der Unterdrücker seine göttlichen Sinne, anstatt sie auf göttliche Weise zu nutzen, auf nicht-göttliche nutzt, vielmehr auf satanische Weise. Die Falschheit wird durch eine notwendige Richtungsänderung des menschlichen Werts geboren, das heißt, der Tatsache, frei und autonom zu sein.

Die Wahrheit ist etwas Authentisches; das Falsche ist nicht authentisch. Es besteht immer ein Kontrast zwischen dem Authentischen und Nicht-Authentischen. Aber nicht immer wird die Wahrheit besiegt, nicht immer geht das Falsche als Sieger hervor. Was immer überdauert hat und das Fortbestehen aller Existenz und Zivilisation garantiert hat, ist die Wahrheit. Das Falsche war nur ein Vorzeigestück von kurzem Glanz, verurteilt zum Untergang. Die menschliche Natur ist überall die gleiche, auch in der UDSSR. Wir sprechen nicht von jenen zehn Millionen Kommunisten, von denen die Hälfte vielleicht nur Opfer einer Täuschung ist. Wenn wir von den übrigen 190 Millionen sprechen, so handelt es sich bei ihnen nur um instinktiv humane Wesen, das heißt, um instinktiv Moslem seiende, schließlich, um gesunde Menschen. In der Gesellschaft, wie sie die Marxisten vorgestellt haben, überschattet Finsternis das Licht, siegt die Niedertracht über das Gute, lügen alle Menschen, betrügen sich alle, weist niemand einen tugendhaften Punkt auf, hat keiner Glauben oder Wahrheit. Solch eine Gesellschaft könnte sich nicht mehr halten. Es besteht ein Unterschied zwischen einer kranken Gesellschaft und einer, in der der Mensch Sieger bleibt. Man braucht ja nicht die grossen Ausnahmen zum Maßstab zu nehmen.

Die Gesellschaft ist wie ein Individuum. Die Ärzte sagen: Der Zustand, der die Existenz des Körpers garantiert, muß sich zwischen zwei Grenzen halten. Ihnen zufolge oszilliert also das Temperament: Blutdruck beispielsweise hat eine Maximalgrenze und eine Minimalgrenze. Überschreitet der Blutdruck seine Grenzen, kann der Mensch nicht mehr weiterleben. Er muß also im Gleichgewicht bleiben. Der Mensch sucht sein Temperatur im Gleichgewicht zu halten. Ebensowenig darf die Harnsäure gewisse Grenzen nicht überschreiten. Weiße und rote Blutkörperchen dürfen nicht aus ihren Grenzen treten. Auch Glucose darf ihre Grenzen nicht überschreiten. Genauso ist es mit der Gesellschaft. Überschreiten Wahres und Wahrheit eine gewisse Grenze, so wäre die Gesellschaft tot. Die Tatsache, daß die Gesellschaft sterblich ist, zeigt, daß sie zwischen zwei äußersten Grenzen oszilliert. Bewahrt sie Mäßigung, so handelt es sich um eine fortschrittliche Gesellschaft. Umgekehrt ist es gut möglich, daß von beiden Seiten ein gewisser Bruch eintritt. Welche Gesellschaften sind laut Heiligem Qur’an bereits zugrunde gegangen? Diejenigen, in denen das Falsche gesiegt hat. Der Heilige Qur’an besteht darauf, daß eine Gesellschaft ihr Gleichgewicht bewahren soll. Man darf eine kranke Gesellschaft nicht mit einer verwechseln, in der das Falsche Sieger geworden ist. Schon immer hat es einen Kampf gegeben zwischen dem Wahren und dem Falschen. Man beobachtet, wie das Falsche das Wahre vorübergehend zugedeckt hat, ohne Macht zu besitzen und längere Zeit fortdauern zu können.

Ich habe einmal eine Geschichte gehört, die ich für geeignet halte, daß ich sie hier wiedergebe: Ein Geistlicher aus der Provinz Fars sucht sich, als er sich in Teheran aufhält, ein Hotel, in dem man ihm sein Geld stiehlt. Niemanden kennt er und weiß nun nicht mehr, was er tun soll; da denkt er an die "Empfehlung des Führers der Gläubigen an Malik-al-Aschtar" (einen der Gefährten) mit schöner Schrift auf ein Luxuspapier zu schreiben und sie dem Premierminister zuzusenden, einerseits, um ihm damit eine neue Orientierung zu verschaffen, und andererseits, um sich selbst aus dieser Schwierigkeit zu retten, indem er vielleicht sein Geld zurückbekommen würde. Er gibt sich die größte Mühe beim Schreiben, und dann macht er sich auf zum Premierminister. Dieser fragt ihn, um was es sich da handle. "Um die Empfehlung des Führers der Gläubigen an Malik-al-Aschtar", antwortet er. Der Minister unterbricht seine Arbeit einige Augenblicke und setzt sie dann wieder fort. Der Geistliche wartet eine Zeit lang, und wie er sich anschickt zu gehen, sagt der Minister zu ihm: "Warten Sie, mein Herr." Er setzt sich also wieder. Leute kommen und gehen. Der Premierminister hält ihn fest. Alle verlassen das Büro. Nur ein paar Bedienstete bleiben zurück. Wieder will der Mann gehen, aber der Minister hält ihn auf und sagt: "Setzen Sie sich, ich habe Ihnen etwas zu sagen." Dann befiehlt er dem Portier, die Tür zu schließen, damit niemand lauschen könnte. Er wendet sich dem Geistlichen zu und fragt ihn, indem er sich zu ihm beugt: "Warum haben Sie das geschrieben?" "Weil Sie Premierminister sind und ich dachte, daß der beste Dienst, den ich Ihnen erweisen könnte, der wäre, die "Empfehlung des Führers der Gläubigen" auf ein Papier zu schreiben, denn es ist eine Empfehlung, wie man besser regiert, und welche die islamischen Normen beim Regieren berücksichtigt." Indem der Premierminister ihn bittet, sich noch weiter vorzubeugen, flüstert er ihm leise ins Ohr: "Hat Ali selbst diese Empfehlungen auch realisiert?" "Selbstverständlich." "Aber hat er nicht, indem er sie realisierte, die Herrscher in Zorn versetzt? Was hat er selbst davon gehabt, daß Sie nun kommen und mir diese Empfehlungen überbringen?" Der Geistliche antwortete ihm: "Warum haben Sie mir diese Fragen nicht vor den Leuten gestellt? Warum haben Sie gewartet, bis alle weggegangen waren? Sie haben die Bediensteten weggeschickt, Sie haben mich gebeten, mich Ihnen zu näheren - warum haben Sie so leise gesprochen? Wovor fürchteten Sie sich? Vor diesen Leuten da draußen? Was haben die denn schon? Ist es etwas anderes als der Einfluß Alis über ihre Geister, der Sie fürchten macht? Wo befindet sich jetzt Muawiya? Sie selbst müssen ihn ja verfluchen. Nicht Imam Ali (a.s.) also hat versagt, denn noch heute hat Imam Alis (a.s.) Logik Partisanen. Noch heute ist es die Wahrheit, die über alles siegt." Das ist nur eine Geschichte, aber sie erklärt die Wirklichkeit. Das Falsche hat eine relative, störende Existenz. Es ist nur etwas Vorübergehendes; das, was immer da ist, ist das Wahre. Jedesmal, wenn sich eine Gesellschaft in Richtung zum Falschen hin orientiert hat, war sie zum Nichtsein verdammt. Das heißt: Das Wahre abzulehnen und uns zum Falschen hinzuwenden, bringt uns nur in den Untergang. Das Falsche ist etwas Sterbliches, zum Nichtsein verurteilt. Es stirbt von innen her, genauso wie man heute sagt: Die und die Zivilisation ist zum Tode verurteilt, womit man meint: Sie stirbt von innen her. Manche Sorten fortschreitendem Sterbens müssen notwendigerweise nicht unvorhergesehen eintreten.

Wahres und Falsches im Heiligen Qur’an

An diesem Punkt ist es nun nötig, daß wir unsere Aufmerksamkeit auf einige Verse des Heiligen Qur’an richten, die vom Wahren und vom Falschen handeln. Zu Beginn dieser Abhandlung haben wir über die Wendung "Im Namen des barmherzigen, gnädigen Gottes" gesprochen. Die Gnade Gottes ist also wahr. Es ist allmächtig. Auch Zorn, und Rache zählen zu den Attributen Gottes. Dabei handelt es sich bei diesen Attributen um Sekundärerscheinungen, die Seiner Güte entspringen. Es gibt dieser edlen Auffassung zufolge nur einen gnädigen und barmherzigen Gott. Alles, was existiert, sind nur Güte, Vervollkommnung und Sein. Dabei sind Böswilligkeit, Zerstörung und Auflösung sowie Nichtsein nur relative Erscheinungen, Reflexe und Folgen der Welt der Finsternis. In der Daseinsordnung siegt die Güte, die Wahrheit ist etwas Authentisches, die Falschheit ist, sobald sie auftritt, nur etwas Nicht-Authentisches, verdammt zum Nichtsein. Die Falschheit ist vergänglich. Das, was bestehen bleibt, ist die Wahrheit.

"Alles ist vergänglich außer der göttlichen Erhabenheit, die immer majestätisch und großmütig bestehen bleibt."

Diese Auffassung postuliert in unserer Menschheitsgeschichte den Sieg des Wahren und den Triumph der Pflege des Wahren über die des Falschen. "Gott schickte seine Gesandten, daß sie die Menschen zum Pfad der Wahrheit führten, auf daß das Wahre siege, auch wenn das den Ungläubigen mißfällt." (Im Heiligen Qur’an in der 2. Sure: Die Kuh). Schon zu Beginn dieses Kapitels aus dem Heiligen Qur’an werden uns drei Gruppen vorgestellt:

Gläubige
Ungläubige
Heuchler

Die Gläubigen glauben an Gott, beten aufrichtig und legen den Armen einen Anteil der Güter, die ihnen gegeben worden sind, in den Schoß. Sie glauben an ihre Doktrin, jene, die von Gott stammt, und sind fest dem Glauben an das Jenseits verhaftet. Der Herr wird sie führen, und ihnen wird die Glückseligkeit zuteil.

Der Heilige Qur’an beschreibt die Ungläubigen wie Schüler, die immer in blinder Unwissenheit verharren. Der Lehrer hat alles unternommen, aber kein Ratschlag und keine Strafe hat die Schüler leiten und instruieren können. Kommen dann schließlich die Väter und wenden sich um Hilfen an den Lehrer, so sagt letzterer zu ihnen: "Lassen Sie ihn, es nützt nichts mehr, das ist ein verlorenes Wesen." Der Unglaube folgt genau jener Darstellung durch den Heilige Qur’an. Jeder Rat ist nutzlos für diejenigen, die das Buch erhalten haben und sich weigern, ihm Glauben zu schenken. "Gott hat ihren Herzen und Ohren sein Siegel aufgedrückt, und ihre Augen sind mit einem Schleier verhängt; ihnen ist die Auslieferung an die unerbittlichen Bestrafungen bestimmt."

Was aber die letztgenannte Gruppe angeht, so gibt es im Heiligen Qur’an zahllose Verse, die den Heuchlern gewidmet sind. Die Heuchler bedienen sich der Religion als Mittel gegen die Religion. Sie sagen: "Wir glauben an Gott und an das Jüngste Gericht"; aber sie besitzen nicht die Spur von einem Glauben. Sie wollen damit Gott und den Gläubigen imponieren; aber sie betrügen in Wirklichkeit allein sich selbst, und das begreifen sie nicht. Sie haben ein korruptes Herz. Gott hat ihren Schmerz noch vergrößert; eine zerfleischende Qual wird der Preis für ihre Lügen sein. Der Heilige Qur’an bezieht sich auf List und Betrug, wenn er sagt: Gegen die Verteidiger der Wahrheit Betrug und List walten lassen, bedeutet folgendes:

Der Mystiker spannte seine Falle und begann mir seiner Runde des Becherspiels.

Er begann gegen das Himmelsgewölbe hin zu zaubern.

Die Spiele mit dem Schicksal haben ihn völlig verkommen lassen.

Denn er hatte damit begonnen, eine Runde die "Grossen Einweihungen ins Mysterium" zu spielen.

Sie halten sich für Taschenspieler.

"Wenn sie Gläubige treffen, sagen sie: Wir haben dieselbe Religion wie ihr. Mit ihren lügenhaften Ketzereien halten sie sich dabei an einen anderen Sprachgebrauch; sie erklären sich als zu ihrer Partei gehörig und spielen dabei nur die Gläubigen." Genauso sagt der Heilige Qur’an: "Gott wird sich über sie lustig machen, er wird sie in tiefere Irrtümer stürzen, und in dieser Irreführung werden sie bleiben." Dann fügt der Heilige Qur’an hinzu: "Sie gleichen jenen, die ein Feuer entfachen, um ihre Umgebung zu erhellen. Gott löscht ihr Feuer aus, macht sie damit Blinden gleich und hält sie in der Finsternis, damit sie nichts sehen."

Die Heuchler haben Irrtum gegen die Wahrheit eingehandelt. Sie bedienen sich ihrer Intelligenz nur, um ihre Sinnlichkeit und ihre Boshaftigkeit zu befriedigen. Die Vernunft ist wie eine Leuchte und ein Führer für den Menschen; genauso wie der Instinkt. Aber diejenigen, die ihre Vernunft und Intelligenz in einem der Religion entgegengesetzten Sinn benutzen, gleichen denen, die das Feuer entfacht haben. Wenn Gott die Flamme zu Erlöschen bringt, welche die Gegenstände rundum erhellt, bleiben sie im Finstern, und sie können nichts sehen. Nicht nur, daß Gott für sie in der Dunkelheit untertaucht, sie werden zu Stummen, Tauben und Blinden. "Stumm, taub und blind werden sie nie mehr zurückfinden." Denn wenn sie Augen hätten, die klar blicken könnten, könnten sie in der Ferne ein Licht entdecken und sich dorthin wenden. Wenn sie Ohren hätten, die hörten, könnten sie in der Dunkelheit die Halsglöckchen eines Dromedars hören oder das Hupen eines Autos, und so wäre es ihnen möglich, den Weg der Wirklichkeit wiederzufinden. Und schließlich, könnten sie sich ausdrücken, so könnten sie jemanden zu Hilfe rufen, daß er sie führe. Aber sie können nichts tun. Der Heilige Qur’an sagt: "Sie gleichen denen, die sich, wenn ein Sturm vom Himmel losbricht mit Finsternis, Blitz und Donner, in Furcht vor dem Bild des Todes mit den Fingern die Ohren verstopfen, um den Lärm des Donnerschlags nicht zu hören; aber der Allmächtige kreist die Ungläubigen ein." So werden sie also nie den Weg der Wirklichkeit finden.

Der Heilige Qur’an gesteht Lug und Trug nicht einen einzigen Sieg zu. Er sagt nicht, daß es List und Betrug seien, die die Welt regierten. Er schenkt der Argumentation, der Lauf der Geschichte sei immer durch Gewalt bestimmt, durch List vorwärtsgetrieben und durch Bestimmungslosigkeit geführt worden, keinen Glauben. Generell ist es mit der qur’anischen Vernunft nicht vereinbar, daß Unterdrückung, Korruption und Niedertracht in der Gesellschaft den Sieg davontrügen und jene dabei nicht untergingen. Wenn der Prophet (s.a.s.) sagt: „Ein Land kann trotz des Unglaubens, der in ihm verbreitet ist, bestehen, aber die Ungerechtigkeit wird es in den Untergang treiben," so will das sagen: In der Geschichte treffen wir manchmal auf Unterdrückerregierungen, z. B. Nader, den persischen König von 1688 bis 1747, der die Unterdrückung in Person war, aber dieser präsentierte ja nicht die gesamte Gesellschaft. Eine Gesellschaftsstatistik, in jener Epoche aufgestellt, wo Nader ein Minarett aus Menschenköpfen erbaute, würde uns die Feststellung erlauben, daß im Herzen des Volkes Aufrichtigkeit, Ehrenhaftigkeit und Tugend die List, Verräterei und moralische Verkommenheit übertrafen. Man muß die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit erfassen, vor allem in ihrer Originalstruktur.

Die Verse der 37. Sure des Heiligen Qur’ans (Die in Reihe und Glied stehen)

Gegen Ende dieser Sure wird vom Sieg der Propheten (a.s.) und ihrer Botschaft gesprochen. Das kommt in verschiedenen Ausführungen zum Ausdruck:

"Als wir den Völkern unsere Propheten schickten, versprachen wir ihnen unseren Schutz; wir versicherten ihnen, daß unsere Armeen siegreich sein würden."

"Unser Wort (der Verheißung) für unsere (als Übermittler der Botschaft zu den Menschen) gesandten Diener liegt ja bereits vor. Sie sind es, denen Hilfe geleistet wird, und unsere Heerschar wird Sieger sein."

Spricht er hier vom militärischen Sieg? Soll das heißen, daß jedesmal wenn es einen Krieg zwischen dem Propheten (s.a.s.), seinen Freunden, den Menschen, die die Wahrheit verteidigen, und ihren Feinden gibt, es sie sind, die siegen? Sicherlich nicht. Denn der Heilige Qur’an selbst berichtet von Propheten (a.s.), die von ihren Feinden ungerechtfertigt getötet worden sind:

"Sicher töten die, die Gottes Zeichen leugnen, ungerechtfertigt Propheten und die, die um die Gerechtigkeit kämpfen."

Demnach können dem Heiligen Qur’an zufolge Propheten, Verteidiger der Wahrheit und Kämpfer für die Gerechtigkeit getötet werden. Also meint der Heilige Qur’an hier nicht den militärischen Sieg, sondern jenen der Verteidiger der Wahrheit, er meint den Sieg der göttlichen Heerschar. Denn dieses Heer ficht einen Glaubenskampf, einen Kampf der religiösen Prinzipien. Sein Sieg ist der Sieg der religiösen Prinzipien. Es ist zwar richtig, daß es militärische Kriege gibt, aber manchmal sind sie es auch nicht. Manchmal nimmt ein Krieg politischen Rang ein sowie derjenige der Perser mit den Römern, deren Intention nur die Eroberung feindlichen Bodens und dessen Eingliederung in das eigene Territorium war. Dabei siegte jedesmal eines der beiden Länder. Manchmal nimmt ein Krieg auch ökonomischen Rang ein, das heißt ein Land versucht, Zugriff auf die Quellen des Reichtums des anderen Landes zu bekommen. Dazu lassen sich zur Zeit zahlreiche Beispiele finden, besonders in Zonen von strategischer Wichtigkeit. Welchen Grund hätten die Supermächte, einen solchen Wert auf Aden zu legen, was doch nur ein winziger Staat ist, oder auf Südjemen, was nach ihren Worten gar kein besonders wichtiges Land ist? Länder, die Quellen des Reichtums, die Öl haben, ziehen die Aufmerksamkeit der Supermächte auf sich. Der größte Teil aller Kriege ist ökonomischen Ranges, d.h. das Motiv ist, Zugriff zu den wirtschaftlichen Ressourcen zu nehmen, nicht, die Herrschaft, das Königreich zu stürzen. Wenn Großbritannien mit Indien kämpft, dann nicht, um seinen eigenen Grund und Boden auszudehnen; es will sich dieses Landes als Verbrauchermarkt für englische Produkte bedienen und seine Bodenschätze ausrauben. Es gibt auch Kriege und Kämpfe, die einen prinzipiellen, ideologischen Aspekt aufweisen. Da sie ein Doktrin oder eine Ideologie zum Inhalt haben, ist ihre Absicht die, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und einen Weg für die Verbreitung dieser Doktrin in der Welt zu bahnen.

Imam Ali (a.s.) sagt, die Kriege während der Frühzeit des Islam hätten ideologischen Rang besessen. Jene Menschen, die kämpften, trugen ihre Klarsicht, ihr Verständnis und ihre Erkenntnis auf der Spitze ihres eigenen Schwertes. Das bedeutet: Sie wollten die Leute mit dem Schwert zur Überzeugung bringen. Sonst nichts. Sie wollten nichts erbeuten, sondern nur etwas anbieten. Das, was sie anbieten wollten, war Erleuchtung und Klarsicht. Wenn man sagt, die Propheten bleiben siegreich, so handelt es sich bei diesem Sieg nicht um einen militärischen Sieg. In dem Krieg, den Imam Hussein (a.s.), der Sohn Imam Alis (a.s.) gegen das Heer von Yazid und Ibn-Ziyad führte, wird offensichtlich Imam Hussein (a.s.) besiegt, und die anderen sind die Sieger. Aber aus der Sicht der Doktrin und der Ideologie ist es umgekehrt. Yazids Regierung war Sinnbild einer Prozession, welche die islamische Ideologie bekämpfen wollte. Imam Hussein (a.s.) kämpfte jedoch für ihre Erneuerung und Bestätigung. Konnte er dieses Ziel erreichen? Ja. Seit dreizehn Jahrhunderten erringt diese "Bewegung" alljährlich einen neuen Sieg. Man kann demnach sagen: Jedes Jahr wiederholt sich Aschura, und der Sinn von: "Jeder Tag ist Aschura" liegt darin, daß jeder Tag im Namen Imam Hussains (a.s.) ein Kampf gegen Falschheit und Unterdrückung zur Wiederbefestigung des Wahren und der Gerechtigkeit stattfindet. Gibt es einen besseren Sieg als diesen? Die Yazids, die Ibn-Ziyads vergehen, aber die Hussains, die Abbas, die Zainabs, sie bleiben immer lebendig, nicht als Menschen natürlich, aber als Idee. Genauso wie ein Herrscher der Gesellschaft, Yazid, stirbt, lebt Imam Hussein (a.s.) ewig.

Die Verse der 21. Sure des Heiligen Qur’ans (Die Propheten)

Im sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Vers dieser Sure spricht der Heilige Qur’an von der Erschaffung von Himmeln und Erde. Die Ordnung des Existierenden gründet sich innerhalb des Universums auf das Wahre, nicht auf das Falsche.

"Wir haben Himmel und Erde und (alles), was dazwischen ist, nicht zum Zeitvertreib geschaffen. Wenn wir uns eine Zerstreuung hätten verschaffen wollen, hätten wir das von uns aus gemacht (ohne die kreatürliche Welt zu benötigen) - wenn wir (überhaupt) vorgehabt hätten, etwas (Derartiges) zu tun. Nein. Wir werfen die Wahrheit auf das, was erlogen ist. Da macht sie ihm den Garaus, und auf einmal ist nichts mehr von ihm da. Wehe Euch im Hinblick auf das, was Ihr aussagt (wo es doch gar nicht wahr ist)!"

Diese Verse demonstrieren uns die Macht des Wahren und die Schwäche von Falschheit und Lüge. Das Falsche kann nur oberflächlich und vorübergehend den Sieg erlangen. Aber das Wahre kommt hinter seinem Schutzwall hervor, um es mit einem Schlag zu vernichten. Genauso wie wenn man eine Kugel herstellt und sie gegen das Falsche schießt, so daß sein Gehirn zerbirst. Also ist festzustellen, daß das Falsche sterblich ist seit dem Zeitpunkt seiner Geburt. Es ist nie etwas Wirkliches gewesen. Manche Leute haben diese Verse so interpretiert, daß das Wahre, eine gewisse Zeit durch das Falsche verdeckt, sich dagegen auflehnt und somit zum Kampf mit dem Falschen schreitet. Gott veranlaßt diesen Kampf durch den Menschen selbst. Plötzlich revoltiert das Wahre, bekämpft das Falsche und vernichtet es. Bemerkenswert ist also, wie optimistisch der Heilige Qur’an den Kampf des Wahren gegen das Falsche sieht. Das Phänomen "Falschheit" muß einen gar nicht beängstigen, und seine vielfältigen Erscheinungsformen müssen einen nicht zur Verzweiflung treiben. Das Wahre siegt, es hat immer gesiegt.

"Gott hat denjenigen, die glauben und tun, was recht ist, ein blühendes Reich versprochen."

Im Verlauf der Geschichte haben sich Wahres und das Falsches immer bekämpft. Aber der Heilige Qur’an prophezeit uns den endgültigen Sieg, der dem Wahren gebührt, und der durch die völlige Auslöschung jeglicher Spur des Falschen gekennzeichnet ist. Dem Heiligen Qur’an zufolge ist das auch das endgültige Los der Geschichte. Nun wird uns geraten, Glauben zu haben und uns um nichts zu sorgen. "Verliert nicht den Mut und beunruhigt Euch nicht." Wenn Ihr Glauben besitzt, gehört Euch die Überlegenheit. Fürchtet nicht die Übermacht des Feindes und die zahlenmäßige Unterlegenheit von Euch und Euren Freunden. Fürchtet nicht ihren Besitz und habt keine Angst vor der Tatsache, daß sie alle Reichtümer der Welt gesammelt haben, noch vor ihren Waffen und ihrer Macht. Bewaffnet Euch nur mit der Wahrheit und mit dem Glauben. Seid wahre Gläubige, wirklich menschliche Wesen, und reformiert Euch, so werdet Ihr den Sieg davon tragen.

Dieser Vers erklärt uns weiterhin, daß diese revolutionäre Bewegung auf der Wahrheit und dem Kult der Wahrheit basiert. Die Revolution wird von den Dürstenden unternommen, nicht von den Hungernden. Die Verteidiger der Wahrheit lehnen sich auf, um die Gerechtigkeit zu erlangen, nicht, um eine Hungersnot zu überwinden. Manche Leute denken, daß der Heilige Qur’an, da er die Unterdrückten stützt, demnach als These die Bildung eines Heeres von Hungrigen hätte, denn nur deren Hunger könnte er stillen. Als wenn der Heilige Qur’an sagen würde: "Unsere Bewegung geschieht im Interesse der Unterdrückten. Die Umgestürzten jedoch können unterdrückt werden oder nicht." Das Gegenteil ist der Fall: Der Heilige Qur’an verwirft den Unterdrückten, der nur mit der Absicht kämpft, seinen Hunger zu stillen, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Der Prophet (s.a.s.) sagt:

"Wenn mit der Absicht, Reichtümer zu erwerben oder eine Frau zu finden, die er dann heiratet, seine Pilgerfahrt zu Gott unternimmt, wird vom Islam überführt werden. Wer zu Gott und seinem Gesandten auswandert, kann göttliche Kompensation empfangen."

Der Islam sagt: "Wir werden die Unterdrückten erretten; aber wir werden nicht nur ihren Hunger stillen. Wir proklamieren die Einheit Gottes und die Pflege der Wahrheit. Wir bilden aus der Wahrheit eine revolutionäre Macht, die schicken wir gegen das Falsche los." Diese revolutionäre Macht bohrt sich wie eine Kugel in das Herz des Feindes. Mit der Macht der Wahrheit und mit Hilfe ihrer Verteidiger formen wir eine Kugel und schicken sie in das Hirn des Falschen, um es zu Fall zu bringen. Dann wirst du sehen, daß das Falsche untergegangen sein wird und nichts weiter gewesen ist außer einem einfachen Gespenst, das dir Schrecken eingejagt hat. Der Heilige Qur’an sagt: "Wir setzen das Wahre an die Stelle des Falschen." Er sagt nicht, das Falsche werde sterben, er sagt, daß es schon immer am Sterben ist.

Die Verse der 13. Sure des Heiligen Qur’ans (Der Donner)

Im Vers 17 definiert der Heilige Qur’an anhand eines schönen Beispiels, was das Wahre und das Falsche ist.

"Er hat vom Himmel Wasser herabkommen lassen, und da strömen (ganze) Wadis (mit Wasser), so viel ihnen zugemessen war. Und die Flut trug an der Oberfläche Schaum. Und bei dem, was man im Feuer erhitzt in der Absicht, Schmuck oder Gerät zu erhalten, gibt es Schaum, der dem Schaum auf der Flut ähnlich ist. So prägt Gott das Wahre und das Nichtige. Was den Schaum betrifft, so vergeht er als Abfall. Was aber das betrifft, was für die Menschen von Nutzen ist (d.h. einerseits das Wasser als Grundstoff aller Vegetation, andererseits die in Gußformen hergestellten Schmuckstücke und Gebrauchsgegenstände), so bleibt es in der Erde. So prägt Gott die Gleichnisse."

Manche Interpreten sagen, so gebe uns Gott ein Beispiel vom Wahren und Falschen. Andere sagen, Gott habe, indem er uns so das Wahre und das Falsche erkläre, uns zeigen wollen, welche Beziehung zwischen Wahren und Falschem bestehe, welche der von Wasser und Schaum gleiche. "Was den Schaum betrifft, so vergeht er als Abfall. Was aber das betrifft, was für die Menschen von Nutzen ist, so bleibt es in der Erde." Hier will Er sagen, was dem Menschen nützt, also Wasser und Metall, bleibt, und das, was diese Nützlichkeit beschränkt, also das Nutzlose, verschwindet wie Schaum. Nutzlosigkeit, Nichtigkeit sind also zum Nichtsein verurteilt. So prägt Gott die Gleichnisse. Wir können aus diesem Beispiel einige nützliche Folgerungen ableiten. Das Falsche und die Nichtigkeit sind nur Phänomene, das Wahre jedoch ist etwas Authentisches. Schaum bedeckt das Wasser derart, daß ein Unwissender, der es betrachtet, nur den Schaum klatschen sieht; er achtet also nicht weiter auf das Regenwasser, das darunter fließt. Obgleich es letztendlich das Wasser ist, welches klatscht, und nicht der Schaum. Aber weil hier das eine das andere verdeckt, sieht ein Auge, das nur die Erscheinung registriert, ohne den Versuch zu unternehmen, die Wirklichkeit aufzuspüren, eben nur den Schaum. Genauso übersteigt das Falsche die Macht des Wahren und deckt es zu, vollkommen, so daß jemand, der einen oberflächlichen Blick auf die Gesellschaft wirft, nur die Eitlen sieht.

Wenn man beispielsweise in der iranischen Geschichte in das 13. Jahrhundert der Auswanderung des Propheten (s.a.s.) zurückgeht, ist die erste Gestalt, die unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt, Nasreddin Schah, und möglicherweise könnten wir vermuten, alle Menschen jener Epoche hätten ihm geglichen. Aber wären alle Iraner Nasreddin Schahs gewesen, existierte heute auf Erden das Land Iran nicht mehr. Wären genauso in der Zeit, zu der Harun-ar-Raschid regierte, alle Menschen wie er gewesen, hätten alle seine Natur besessen, hätte sich mit Sicherheit die islamische Gesellschaft nicht zu halten vermocht. Denn Harun-ar-Raschid war Sinnbild von Unterdrückung, Betrug, Verleumdung, List, Lüsternheit, Unmoral und Schamlosigkeit. Wären wir zu jener Zeit in alle islamischen Dörfer gegangen, wären wir nur auf Harun-ar-Raschids gestoßen? Das heißt: Hätten wir lauter Menschen des gleichen Geistes und der gleichen Qualität gefunden wie ihn? Waren zu jener Zeit der Bauer, der Arbeiter, der Händler, der Künstler jeder in seinem Genre alle zweite Harun-ar-Raschids? Logen zu jener Zeit alle einander an? Betrog jeder den anderen? War jedermann damals unmoralisch? Unmöglich. Harun-ar-Raschid lebte dank der Aufrichtigkeit, der Ehrbarkeit, der Gutgläubigkeit und der Wahrheit, die diesen Leuten innewohnte. Angenommen, es hätte eine Milliarde Menschen wie Harun-ar-Raschid und seine Kompagnons gegeben, darf uns dennoch nicht zur Norm werden, so daß wir zu dem Schluß kämen, in jener Epoche habe die Niedertracht das Gute übertrumpft.

Betrachten Sie ein wenig das gewandelte Christentum und machen Sie dann eine Runde durch die Dörfer und Städte der christlichen Länder. Ist jeder Pfarrer, den Sie treffen, korrupt? Sicher nicht. Sicher sind die meisten Christen tugendhaft, aufrichtig, unberührt, widmen sich Gott im Namen Christi und der Heiligen Maria. An diesen Leuten ist nichts auszusetzen. Das Paradies erwartet sie, ihre Pfarrer und Priester werden ebenfalls ins Paradies eingehen. Man darf den Klerus, korrupt und herrschsüchtig, und die Päpste nicht mit dem Großteil der Missionare und Christen verwechseln. Diejenigen, die uns zu Gesicht kommen, sind nichts weiter als der (Ab-)Schaum auf der Wasseroberfläche. Dringt man jedoch in den Kern der Gesellschaft vor, treffen wir auf Leute, denen man nicht einmal Beachtung schenkt; dabei sind sie aufrichtige, ehrbare Leute. Übertrumpft denn bei jenem Chauffeur, der zwischen der einen und der anderen Stadt hin- und herfährt, um pro Tag 150 bis 200 Tuman zu verdienen, oder bei jenem Bauern, der pausenlos arbeitet, die Niederträchtigkeit das Gute? Sicher nicht. Die meisten Leute besitzen doch immer ihr humanes moslemisches Wesen. Geht man, die Arbeiter in den Fabriken zu treffen, so ist man erstaunt, sie trotz all ihrer Entbehrungen in Bezug auf ihre Gesellschaft, auf ihre Religion (und die Revolution) ungetrübt optimistisch zu finden. Ihre Beunruhigung gilt dem Glauben und der Religion. In der Gesellschaft befinden sich diejenigen, bei denen das Gute über die Korruption herrscht, in der Mehrzahl. Und wenn in ihren Reihen tatsächlich jemals ein Fehler auftauchen sollte, so liegt dieser in ihrer Unwissenheit begründet. Sie sind dafür nicht verantwortlich und tragen keine Schuld. Ein Unwissender wird nicht für schuldig erklärt, und man darf ihn nicht mit den Korrumpieren, den Verschwörern und Gottlosen über einen Kamm scheren.

Die Wahrheit ist also eine authentische. Sie ist wie das Wasser, das unter dem Schaum fließt, und sie ist der Motor der Gesellschaft. Aber Falschheit und Lüge überdecken sie und setzen sich an die Oberfläche. Ein anderer Aspekt zur Interpretation des Verses des Heiligen Qur’ans ist der, daß das Falsche fortschreitet, indem es sich am Wahren festhakt und seine Kraft ausnützt. Die wirkliche Kraft gehört nämlich der Wahrheit, und sie transportiert das Falsche wie das Wasser den Schaum, wo jenes diesen mit sich trägt. Wenn da in der Geschichte ein gewisser Muawiya als Übeltäter auftaucht, so repräsentiert er noch lange nicht die ganze Gesellschaft. Im Herzen der Gesellschaft regiert der Prophet (s.a.s.), nicht Muawiya. Immer sind es Gott, der Glaube, der Heilige Qur’an, die Spiritualität, die die Gesellschaft tragen. Muawiya hat sich diese Macht oben aufgesetzt. Yazid, der Mörder Imam Hussains (a.s.) sagt: "Hussein wurde mit dem Schwert seines eigenen Vorfahren, des Propheten (s.a.s.), getötet." In einem speziellen Sinn können diese Worte zutreffen, denn die Genossen des Yazid profitierten von der Macht des Propheten (s.a.s.), um ihn zu töten und um die Menschen zu jenem Verbrechen zu ermutigen. Er rief aus: "Gottesreiter, besteigt Eure Rosse, damit das Paradies Euch günstig sei." Imam Baqir (a.s.), der 5. Imam sagt: "3000 Menschen hatten sich versammelt, um Imam Hussein zu ermorden, den Sohn Alis, auf dem der Segen Gottes liegen möge. Jeder dachte, indem er ihn tötete, wurde er sich vor Gott rechtfertigen. Sie meinten, Yazid sei der Khalif des Propheten, und Alis Sohn Hussein habe sich gegen ihn aufgelehnt, darum müßten sie nun gegen ihn kämpfen." Das Falsche schlägt das Wahre mit dessen eigenem Schwert. Es profitiert von der Kraft und Energie des Wahren wie ein Parasit, der sich vom Fleisch und Blut seines Gastgebers ernährt. Es ist gut möglich, daß er sich gut ernährt, daß er sogar kräftiger wird und der Gastgeber seine Kraft verliert und immer magerer und blasser wird, und daß seine Augen ihren Glanz verlieren. Der Heilige Qur’an sagt: "Wenn der Strom über die Ufer tritt, so ist das, was fließt, das, was Kraft hat und alles, was es unterwegs findet, mit sich reißt, das Wasser." Aber wir sehen nur den Schaum. Wäre das Wasser nicht, so könnte der Schaum sich nicht einmal um einen Schritt vorwärts bewegen. Aber auf dem Rücken des Wassers profitiert er von dessen Kraft.

Das Falsche hat immer von der Kraft des Wahren profitiert. Die Wahrheit ist vernünftig und wirft das Falsche ab. Gäbe es keine Wahrheit, so könnte die Lüge nicht existieren. D.h., gäbe es auf der ganzen Welt niemanden, der die Wahrheit sagte und alle Welt löge (der Vater belöge den Sohn, der Sohn den Vater, die Frau den Ehemann, der Mann seine Ehefrau, der Freund den Freund, der Kamerad den Kameraden), könnte die Lüge sich gar nicht mehr verbreiten, weil niemand dem anderen Glauben schenken würde. Warum rettet heutzutage die Lüge manchmal den Menschen? Weil es auf der Welt viele Menschen gibt, welche die Wahrheit sagen, und da man die Gewohnheit hat, Wahres zu hören, liegt es nahe, daß man auch einer Lüge glaubt und sich irrt. D.h., das Wahre nährt die Lüge und verleiht ihr die notwendige Kraft.

Auch mit der Unterdrückung ist es ähnlich: Gibt es keine Gerechtigkeit auf der Welt, vertraut keiner dem anderen und versucht jeder, den anderen zu bestehlen. So findet der größte Unterdrücker keinen, den er ausrauben könnte. Denn Ehrgefühl und Vertrauen, die Tatsache, daß man Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit respektiert, ermöglicht es ihm, seine bösen Absichten zur Ausführung zu bringen. Sie bewachen ihrerseits die Gesellschaft, und der Unterdrücker seinerseits setzt seine Ausbeutung fort.

Wenn Sie die Radiosendungen aus verschiedenen Ländern der Welt hören, so werden Sie nicht vernehmen, daß von Tyrannei gesprochen würde oder das diese Radiosender sagen würden, ihre Regierung hätte die Absicht, die Interessen der anderen Länder zu unterdrücken oder auszubeuten. Alle reden dagegen vom Frieden, von der Freiheit, von den Menschenrechten. Obwohl der größte Teil, wenn nicht sogar alle diese Radiosender, nur Lügen verbreiten. Die Regierenden dieser Länder leben unter der Decke dieser Lügen. Unter dem Deckmantel "Freiheit" ermorden sie die Freiheit. So wie ein wohlbekannter Ausspruch lautet: "Ach, Freiheit: Welche Verbrechen sind nicht schon alle in deinem Namen begangen worden." Das bedeutet: Ernährung des Falschen auf Kosten des Wahren.

Auch Nasreddin Schah, Harun-ar-Raschid oder Muawiya haben ihre falsche Gewalt mit der machtvollen Wahrheit des Volkes genährt, sonst hätten sie selbst nicht die geringste Macht besessen. Die 51. Rede Imam Alis (a.s.) im Nahj-ul-Balagha stellt sehr schön den Profit dar, den das Falsche aus der Wahrheit zieht. In dieser Rede sagt Imam Ali (a.s.):

"Unordnung und Durcheinander treten auf, sobald die Menschen ihren sexuellen Neigungen zu folgen beginnen. Anstatt sich Gott zu widmen, weihen sie sich ihren sinnlichen Bedürfnissen und folgen ihren eigenen Wünschen. Und dann erlassen sie, um ihrem Benehmen Glaubwürdigkeit zu verleihen, Dekrete, denen sie einen religiösen Schein zu verleihen suchen."

Wessen bedient sich einer, der nur seinen eigenen Wünschen folgt? Der Macht des Wahren. Die Dekrete, die er gegen jede religiöse Tradition neu einführt, tragen den Anschein von Religiosität, denn es ist ihm klar, daß die Religion die Macht innehat und alles schützt. Wenn er es dagegen als eigene Parole ausgibt, wird niemand sie akzeptieren. So beginnt er im Namen der Religion und sagt so uns so und erklärt diesen und jenen Vers des Heiligen Qur’ans in dieser und jener Weise. Auch sein Vorfahre hätte berichtet, der Prophet (s.a.s.) hätte das gesagt, oder Imam Dschafar-as-Sadiq (a.s.), der 6. Imam, hätte jenes gesagt, und auf diese Weise profitieren er und sein Vorfahre von der Kraft des Heiligen Qur’ans, des Propheten (s.a.s.), des Imams (a.s.), um seiner Sache, die vollkommen falsch ist, den Siegel der Wahrheit aufzuprägen.

Die neu eingeführten Dekrete, die sich gegen die religiöse Tradition richten, widersprechen den göttlichen Dekreten, die im Heiligen Qur’an offenbart sind. Da treffen gewisse Leute zusammen, einigen sich und verbinden sich zu einer Partei oder einer Gruppe, und unter dem Schein der Bekehrung verbreiten sie Propaganda für ihre eigenen Absichten und ihre Neuerungen, die sich der religiösen Tradition widersetzen. Der Heilige erklärt dann die Philosophie, die in diesem Thema steckt, und deutet sie vollkommen aus: "Wenn also das Falsche nicht mit dem Wahren verwechselt wird, werden die, die auf der Suche nach der Wahrheit sind, keinem Irrtum unterlaufen." Denn die meisten Menschen sind anfangs ursprünglich-gläubig. (Neueinführung von Dekreten innerhalb der Religion bedeutet: Ein Dekret neu einzuführen, das im Widerspruch zur religiösen Tradition steht. Gegen solche Neuerungen wehrt sich die Religion, sie werden von ihr verdammt. Dazu findet sich in der Geschichte eine schöne Begebenheit: Zur Zeit als Abu Huraira Gouverneur in Mekka wahr, kam ein armer Mann aus Ata. Er hatte Zwiebeln mitgebracht und wollte sie in Mekka verkaufen. Da wandte er sich an Abu Huraira, daß er ihm helfe und ihn davor bewahre, ins Unglück zu stürzen. Abu Huraira stellte sich am folgenden Freitag hinter des Rednerpult auf der Tribüne und verkündete: "Das Paradies erwartet diejenigen, die in Mekka Zwiebeln kaufen!" Da sehen wir, was Neuerungen sind!)

Aber man hat das Wahre und das Falsche vermischt, so daß die Menschen Irrtümer eingehen, indem sie beides miteinander verwechseln, und sie bemühen sich um das Falsche, das den Siegel des Wahren trägt. Wäre das Wahre vom Falschen getrennt, bliebe es denen, die nach der Wahrheit suchen, und den bewußt Gläubigen nicht verborgen. Wäre eines Tages das Wahre vom Falschen abgeschält, so fänden die Nörgler keinen Vorwand mehr zur Kritik. Denn manche betrachten dieses Gemisch als das absolut Wahre, und wenn sie dann seine Folgen betrachten, sehen sie nur, was Ärger erregt. Daraus leiten die Gegner dann die Gelegenheit für sich ab, Kritik zu üben und zu sagen, Eure Religion und Eure religiösen Prinzipien seien verfälscht, ohne zu wissen, daß der Urheber der Verfälschung allein das Falsche ist. Das Wahre dagegen erlaube nie, daß seine Gegner es kritisieren. Die Geschichte mit Muawiya erklärt das. Wie wurde er Khalif? Indem er sich auf die Macht des Wahren stützte, auf jene ursprünglich-gläubigen Menschen und auf jene Wahrheitssuchenden, die sich erst neu zum Islam bekehrt hatten, für den nun ihr Herz schlug.

Als Osman am Ende seiner Irrwege ermordet wird, gibt ihm Muawiya nicht die geringste Hilfestellung. Denn er hatte ja nichts mit ihm zu tun, er dachte ja einzig und allein an seine eigene Regierung. Nach kurzer Überlegung war er zu dem Schluß gekommen, daß der Tod Osmans in seinem Interessenbereich lag. Da schickte er seine Spione, die Blut durchtränkten Kleider, die abgehackte Hand und einen Finger von Osman zu holen. Als sie diese Dinge herbeigebracht hatten, hängte Muawiya die Kleider an das berühmte Tor von Scham oder an die Moschee von Damaskus und brach, nachdem er sich selbst auf der Tribüne plaziert hatte, in Krokodilstränen aus, wobei er rief: "Ach, ihr Leute: Das Opfer, der Khalif des Propheten, ist ermordet worden. Seht hier sein Blut durchtränktes Hemd!" Da brachen alle in lautes Weinen aus. Auf diese Weise brachte Muawiya die Leute tagelang zum Weinen, sprach von jenem armen Opfer, und trug den Vers vor: " 'Die Eltern eines Opfers haben das gute Recht, es zu rächen; aber sie sollen dabei nicht zu weit gehen und zu viele Menschen töten. So werden sie siegreich sein.' Also, was sagt Ihr dazu? Sollen wir hier sitzen und schweigen angesichts dieses Verbrechens, das dem Islam angetan worden ist.?" Alle Leute sagten darauf: "Nein, wir sind zum Kampf mit ganzem Herzen bereit." Dann versammelte er alle zum Kampf gegen Imam Ali (a.s.). Muawiya, der selbst keinerlei Macht hatte, profitierte also von der des Heiligen Qur’ans. Dann schickte Muawiya Ziad-ibn-Umayyah, einen echten Ausbund von Unruhestifter, unter das Volk. Und was sagt das Volk? Es sagt: "Seht nun da, das ist der Islam: Seht, was sein Gouverneur getan hat!" Seine Gegner finden Gelegenheit zu Kritik. Da sagt der Imam (a.s.):

"Man mischt einen Teil des Wahren mit einem Teil Falschem. So wie einer ein wenig fremde Körner unter das Getreide mischt. Er weiß genau, daß kein Mensch zum Kaufen käme, verkaufte er nur dieses Korn. Also mischt er das Korn unter das Getreide, um es den Leuten als reinen Weizen anzudrehen. Abends dann beim Essen merken die Käufer, daß das, was sie da essen, überhaupt kein Brot aus Weizenmehl ist. Genauso herrscht der Satan über seine Freunde, d.h. er bedient sich des Wahren, das mit Falschem vermischt ist, des Wahren im Kleid des Falschen, als Instrument."

Aus diesem Grund sagt der Heilige Qur’an: "Das Falsche nährt sich vom Wahren, weil es selbst nicht die geringste Macht hat." Wäre das Wasser nicht, käme der Schaum nicht zwei Schritt vorwärts. Wenn ihr seht, daß das Falsche fortschreitet, so ist es, weil es auf den Wahren reitet, und es ist die Kraft des letzteren, die ihm Bewegung verleiht. Sehen Sie also, wie der Heilige Qur’an das Falsche für null und nichtig erklärt und es bedeutungslos werden läßt. Der scheinbare Sieg beruht auf dem Falschen, der endgültig Triumph gehört dem Wahren.

Nur bei oberflächlichem, nicht tiefer gehendem und weiter analytischem Blick kann das Falsche eine gewisse Gestalt gewinne. Ein Kind z.B., das in seinem Leben noch nie einen reißenden Strom gesehen hat, weiß nicht, was das ist und woher es kommt. Wenn es ihn dann erblickt, so ist es für ihn ein Meer von Schaum, das da fließt. Es denkt, daß es nichts außer Schaum gäbe. Die Erscheinung, d.h., das Falsche siegt also zuerst, aber am Ende wird es vernichtet. Der Heilige Qur’an sagt: "Dehnt Euren Blick aus und vertieft ihn. Wenn ihr die Gesellschaft erkennen wollt, laßt Euch nicht durch das Erscheinungsbild irreführen." Wenn Ihr die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts, die Zeit von Nasreddin Schah, kennenlernen wollt, so stützt Euch nicht nur auf ihn, auf seine Unternehmungen, seine Unterdrückungsaktionen, und sagt Euch dann nicht, daß zu jener Zeit jedermann wie er gewesen wäre. Er darf nicht zum Sinnbild für das Kennenlernen der Menschen des vergangenen Jahrhunderts werden. Wenn man Nasreddin Schah als Sinnbild nimmt, wie erklärt man sich dann denn Erlaß des Tabakverbots, den Mirzaye Schirazi ausrief, und die großartigen Effekte dieses Verbots? Während Nasreddin Schah unter Ausnutzung der Unwissenheit der Leute dem Ausland gewisse Vorteile einräumt, beginnen religiöse Gelehrte und Klarsehende in der Hauptstadt sowie überall in den Städten Unruhe (gegen den ausländischen Einfluß) zu stiften und die Leute auf diese Tatsache hinzuweisen. So verkündete Mirzaye Schirazi dem iranischen Volke seinen Erlaß von Samara bezüglich des Tabakverbots. Diese Neuigkeit explodierte wie eine Bombe, die Leute erhoben sich gegen Nasreddin Schah und die Tatsache, daß er die Konzession des Tabaks an ausländische Gesellschaften gegeben hätte. Das zeigt, wie im Grunde hinter dem Falschen ein bestimmter Glaube, eine bestimmte Wahrheit steht, die dominiert. In dieser Zeit hielten die Frauen, die wie die Frauen der Frühzeit des Islam selten aus dem Haus zu gehen pflegten, ihre Männer plötzlich an der Tür fest und sagten ihnen, es gelte zu kämpfen, wenn sie das nicht tun werden, hätten sie kein Recht, nach Hause zurückzukommen, und sie würden nicht mehr mit ihnen weiterleben. Daran zeigt sich, daß Nasreddin Schah eben nicht Sinnbild seines Jahrhunderts war. Vielleicht waren die Leute damals unwissend, aber jedenfalls nicht bösartig. Man versuchte, die Leute in ihrer Unwissenheit zu belassen, ohne daß sie bösartig oder korrupt gewesen wären.

Gehen wir noch ein Jahrhunderts weiter zurück, in die Zeit des Nader Schah, der ein Minarett aus Menschenköpfen errichtet hat. Ist er ebenfalls Symbol seiner Zeit? Dem Heiligen Qur’an zufolge sind solche Leute nichts weiter als Schaum auf dem Wasser. Man darf sein Urteil nicht auf sie und ihre Taten stützen. Wäre jedermann so kriminell wie Nader Schah, so wäre die Gesellschaft erstarrt. Der Heilige Qur’an sagt: "Wenn alle Menschen innerhalb einer Gesellschaft niederträchtig, korrupt, unterdrückerisch und verlogen wären, so hätten wir sie längst zugrunde gehen lassen." Unmöglich, daß sie weiter existiert hätte. Warum spricht der Heilige Qur’an von der Ausrottung gewisser Völker, deren Wurzeln ausgerissen worden sind, damit sie zugrunde gehen? Weil die Mehrheit dieser Leute anfing, böse zu werden. Man rottete sie aus und ließ sie untergehen. Wenn nun die Gesellschaft weiter existiert, so ist das deshalb, weil die Mehrzahl gut und tugendhaft ist, und die verbleibende Minderheit ist nur Schaum auf dem Wasser. Wie eine provisorische Angelegenheit, wie ein Phänomen, wie ein vorübergehendes Glänzen hat auch das Falsche keine Dauer.

In unserer Sprache gibt es Ausdrücke, die bereits zu Sprichwörtern geworden sind; eines davon lautet: "Das Wahre ist ewig und dauert an, während das Falsche nur einen vergänglichen Glanz besitzt." Oder ein anderes, das lautet: "Das Falsche hat einen vergänglichen Glanz, aber am Ende geht es zugrunde, während das Wahre beständig ist und immer bestehen bleiben wird." So läßt sich schließlich feststellen, daß es das Wahre ist, von welchem das Falsche sich nährt, genau wie der Schatten es dem Licht zu verdanken hat, daß er existiert. Sicher, wenn es kein Wahres gäbe, existierte auch das Falsche nicht mehr, denn das Falsche will im Namen des Wahren unter seinem Schutz und mit der Kraft seines Lichtes leben. Das Wahre ist wie Wasser, das, wenn es in seinem Bett dahin fließt, auf Verschmutzungen trifft, die es aufnimmt und zu allen Seiten hin verspritzt, was dann den schmutzigen Schaum zur Erscheinung bringt. Das ist nötig für den natürlichen Lauf des Wassers. In diesem wie in anderen Versen will uns der Heilige Qur’an das Wahre als etwas Authentisches vor Augen führen, ohne dabei zu vergessen, vom Falschen zu sprechen, welches er aber als unauthentisch darstellt, und er verurteilt den Mißbrauch des Wahren durch das Falsche.